Voll des unbändigen Zornes, gehe ich auf Amir zu. Mein Schatten dehnt sich erneut aus, hüllt ihn ganz ein. Er schreit: «Nein, nein! Bitte tun sie mir nichts!» Ich ziehe ihm die Decke weg und packe in an seiner Gurgel. Mit einer unglaublichen Kraft, reisse ich ihn vom Bett hoch und stosse ihn brutal gegen die Wand. Ich presse ihn dagegen und drücke ihm mit meiner einen Hand die Gurgel zusammen. Ich will ihn erwürgen, will Rache nehmen, für all die schrecklichen Dinge, die er mir angetan hat, die er andern angetan hat und Claudia ebenfalls antun wollte. Meine Augen sprühen Funken, blanker Hass macht sich in mir breit. Etwas in mir sagt mir, dass er den Tod verdient hat, dass er büssen soll für seine schrecklichen Taten. Er ist nun nur noch ein zitterndes Bündel, dass zu keinerlei Gegenwehr fähig ist. Der starke, sadistische Amir, auf einmal nur noch ein Häufchen Elend. Er ringt nach Luft, versucht meine Hand wegzudrücken, doch ich nehme auch noch die zweite und drücke noch fester zu. «Nein… bitte nicht!» stösst er hervor «bitte nicht. Ich gebe ihnen alles was sie wollen... Nur bitte… lassen sie mich am Leben!» «Ich bin eine Freundin von Milena!» spreche ich mit fauchender Stimme «und ich habe gehört, dass du nun auch ihre Freundin Claudia bedrohst! Reicht es nicht, dass du Milenas Leben zerstört hast, du elender Dreckskerl. «Milena… du bist eine Freundin von Milena?» «Ja, das bin ich und du wirst nun für alles bezahlen, was du ihr angetan hast!» Ich drücke noch fester zu und Amir ist noch immer nicht im Stande sich zu wehren. «Wie schwach du doch eigentlich bist!» sage ich verächtlich. «Du bist es wohl nicht gewohnt, dass jemand dir die Stirn bietet, du kleine, miese Ratte.»
Ich packe ihn und schleudere ihn durchs ganze Zimmer. Dumpf schlägt er mit seinem Kopf gegen die gegenüberliegende Wand. Wie eine Wildkatze, werfe ich mich über auf ihn und schlage ihm ins Gesicht. Alles Szenen die ich schon mit ihm erlebt habe, all die körperlichen und psychischen Misshandlungen, stehen klar vor meinem inneren Auge und tatsächlich, will ich ihn nur noch vernichten. Ich schlage mehrmals zu, trete ihn mit meinen schwarzen Stiefeln. Er beginnt nun zu schluchzen, hält sich die Arme vors Gesicht und krümmte sich, um weitere Schläge abzuwehren.
Doch noch immer schlägt er nicht zurück. Warum nur schlägt er nicht zurück? Er scheint vollkommen paralysiert und vielleicht ist es ja auch diese geringe Gegenwehr, welche mich dazu veranlasst, plötzlich inne zu halten. Ich starre sein blutverschmiertes Gesicht an, seine entsetzensgeweiteten Augen darin, betrachte meine Hand, deren Knöchel auch blutverschmiert sind und auf einmal erschrecke ich über mich selbst. Was um alles in der Welt tue ich da? Ich darf nicht weitermachen, sonst bringe ich ihn tatsächlich noch um. Aber wollte ich das eigentlich nicht? Ich senke meine Faust und schaue ihn unentschlossen an. Er wehrt sich noch immer nicht, aber er ist noch bei Bewusstsein. «Bitte… bitte,» stottert er «ich werde Claudia nicht anrühren und auch Milena lasse ich von nun an in Ruhe.» «Das will ich dir auch geraten haben,» erwidere ich und erhebe mich.
Ich schaue auf ihn herunter, mein Schatten hüllt ihn immer noch ein. Doch er scheint langsam kleiner zu werden und zeitgleich, entspannen sich auch Amirs Züge. Ich sage: «Wenn du dich nicht an dein Versprechen hältst, werde ich wiederkommen. Ist das klar?» «Jaja, natürlich!» «Also gut! Dann händige mir jetzt Claudias Handy aus, damit ich es ihr zurückgeben kann!» Mit zitternden Fingern reichte Amir das türkisfarbene Handy, meiner einstigen Liebsten. Ich fahre liebevoll mit meiner Hand darüber und stecke es dann ein. Ohne ein weiteres Wort, gehe ich zum Fenster und springe einfach hinaus. Erneut lande ich unbeschadet auf dem alten Pflaster der kleinen Gasse und laufe dann davon… Richtung Claudias Heimathaus.
14. Kapitel
Claudia
Langsam beruhigt sich mein rasender Puls wieder und ich setze mich einen Augenblick lang erschöpft auf eine Parkbank. Irgendwie zittere ich. Das Ganze mit Amir hat mich viel Kraft gekostet und nun finde ich erst so richtig Zeit, über alles was geschehen ist, nachzudenken. Irgendwie bin ich erschrocken, dass ich zu solcher Gewalt fähig bin. Eigentlich entspricht das gar nicht meinem Wesen. Doch genau das ist er ja, mein Fluch. Bevor der Geist der Rachegöttin in meine Leben getreten ist, war ich immer nur das arme Opfer. Ich hatte immer solche Angst vor Amir. So schreckliche Angst. Dabei ist er so schwach und feige, wenn man im mal Paroli bietet. Alles was er mir angetan hat, konnte er tun, weil ich mich zu wenig gewehrt habe. Darum musste die Rachegöttin mir zeigen wie es geht sich zu wehren. Und doch merke ich jetzt, da ich gründlicher darüber nachdenke, dass ich eine andere Lösung finden muss, um Amir endgültig aus meinem Leben zu verbannen. Hätte ich ihn getötet… es hätte mich auch nicht befreit. Auch wenn ich eine gewisse Schadenfreude empfinde, dass ich ihm mal so richtig gezeigt habe, wo der Hammer hängt, merke ich, dass es mir nicht wirklich Frieden bringt. Ich weiss, dass die Spirale der Gewalt immer weitergeht, wenn ich anfange alles mit Gewalt zu regeln, anstatt auf dem gesetzlichen Weg. Sie müssen Amir endlich wegsperren, nur so kann ich wahrlich Ruhe finden. Es gibt genug Sünden, die man ihm anlasten kann und bestimmt auch genug Zeugen und Zeuginnen, die gegen ihn aussagen werden. Ich muss diesen Kampf als Milena führen, nicht als Rachegöttin. Ich muss mir einen Anwalt besorgen und ihn anzeigen. Nur wird das jetzt, da ich ihn so verprügelt habe, nicht mehr gar so einfach sein. Ich hätte ihn eigentlich nicht anrühren sollen, sondern ihm eine Falle stellen, damit man ihn auf frischer Tat ertappt. Scheinbar hat es damals, als ich ihn das erste Mal mit dem Stuhlbein niederschlug, nicht gereicht, ihn dauerhaft hinter Gitter zu bringen, denn schlussendlich habe auch ich ihm Gewalt angetan. Dennoch muss ich es versuchen. Ich muss versuchen ihn endlich aus dem Verkehr zu ziehen, schon weil es noch so viele andere wie mich gibt, die unter ihm zu leiden haben. Ich muss sie finden und sie dazu bringen eine Aussage zu machen. Doch zuerst werde ich Claudia besuchen. Bald ist es Morgen. In etwa zwei Stunden geht die Sonne auf...