Ich glaube, Selina wäre stolz gewesen, hätte sie unserem Gespräch beigewohnt. Ich hatte zum ersten Mal ein konstruktives Gespräch mit Mutter geführt. Nun war es aber Zeit mich um die Verabschiedung und Beisetzung meines Mentors zu kümmern. Nachdem ich Bertie telefonisch um Hilfe für Mutter gebeten hatte, rief ich im Pflegeheim an und erkundigte mich über das weitere Procedere. Danach machte ich noch einen Termin mit dem Bestatter, den ich nachmittags aufsuchen musste.
Selina kam zu mir und zeigte mir den Text der Anzeige, die sie ins Netz stellen wollte wegen der Sekretärin. "Wie soll ich das formulieren, dass sie nicht schön sein soll?" - "Wie bitte!" - "Du glaubst doch nicht, dass ich ein Modell zu dir ins Vorzimmer lasse!" - "Selina! Bist du etwa eifersüchtig?" Sie errötete ein Wenig. "Machst du dir immer noch Gedanken über "schönere Weiber"? - "Na ja, so ein vollbusiges "Prachtweib" wie Ines, zum Beispiel..." - "Ich hab dir doch damals gesagt, wie stolz ich auf deine Liebe bin! Hast du denn nie gespürt dass ich genau dich und nur dich begehre?" - "Doch, ja... aber..." - "Deine Wärme, deinen wunderschönen zierlichen Körper, deine süßen kleinen Brüste, die einzigartige Zärtlichkeit... mit der du mir deine Liebe zeigst, ja selbst jede Sommersprosse an dir...? Spürst du das denn nicht?" - "Doch...Michael ich..." - " Jetzt frag Ich dich, Sel: Hattest du denn jemals Grund zu der Annahme dass sich daran etwas geändert hat?" - "Das ist aber..." - "Hattest du?" - "Nein... hatte ich nicht!" - "Na also! Was hab ich dir Freitag Nacht gesagt, Selina?" - "Dass du es nie bereut hast, weil uns das Knistern nie verlassen hat!" - "Es gibt Keine, die dir das Wasser reichen kann, mein Engel! Nicht Eine! Du weißt das!" - "Jah... ich weiß! Aber ich höre es noch immer gern von dir..." Sie wippte auf die Zehen und Küsste mich. "Ich bin eben eine kleine Kröte. Aber... nur eine Kleine!"
Ich erzählte ihr noch von meinem Gespräch mit Mutter und fragte, ob sie schon einmal zu Hause angerufen hätte. Es interessierte mich brennend, wie es Maria nun ging und wie Tom mit Melina klar kam. "Mach du!" meinte Sel. Ich wählte die neue Nummer in meinem Handy. Tom hatte sie gestern eigenhändig eingespeichert. Es läutete einmal, zweimal und dann kam das glockenhelle Gelächter meiner Prinzessin. "Papa, Tommy kitzelt mich schon wieder!" - "Habt ihr Spaß, ihr zwei?" - "Ja! Ganz viel! Tommy will auch mit dir reden!" - "Michael?" - "Wie siehts aus, Tom?" - "Alles ok! Wir haben Spaß und Maria geht es auch schon besser. Sie ist bei Oma in der Küche. Auch Georg geht schon ganz gut ohne Krücken." - "Dann kann ich ja beruhigt weitermachen." - "Ja, kannst du! Wenns was gibt, ruf ich dich an!" - "Danke Tom! Bis später!"
Mittags ging ich mit Selina in die Kantine. Wir stellten uns an. Wie immer hätten uns einige Angestellte vorgelassen, doch wir warteten brav, bis wir an der Reihe waren. Wir saßen an einem schönen Fensterplatz. Ich erzählte Selina einige kleine Begebenheiten aus der Zeit mit Horst und schlug ihr vor, wieder einmal ein Wochenende im Seehaus und auf dem Boot zu verbringen. Die Erinnerung an unsere Odyssee würde nie verblassen. Unsere gemeinsame Flucht vor den Mördern hatte uns untrennbar zusammengeschweißt und mir beinahe das Leben gekostet. Ich hatte mir damals geschworen, mit dieser Frau bis ans Lebensende unser Glück, davongekommen zu sein, zu genießen. Das tat ich auch in vollen Zügen. Nach dem Dessert verabschiedete ich mich von Selina und fuhr zum Bestattungsunternehmen. Man hatte Horst bereits abgeholt und in einen Sarg gelegt, in dem er während der Verabschiedung liegen würde. Danach, so hatte er sich das immer gewünscht, sollte ich seine Asche in einer Urne im nahe gelegenen Urnenfriedhof im Wald beisetzen lassen. Es ist ein befremdliches Gefühl, neben dem Sarg eines geliebten Menschen zu stehen. Man kann sich gar nicht vorstellen, dass er darin Platz findet. Nachdem alles besprochen und ein Gefäß ausgesucht war, ging ich nochmal ein paar Minuten zu "ihm" um in großer Dankbarkeit und stiller Andacht allein Abschied von diesem großen Mann zu nehmen, der mein Leben in diese erfolgreichen Bahnen gelenkt hatte. Ich schäme mich nicht , zu sagen, dass ich erleichtert zum Auto ging, erleichtert über das Ableben der menschlichen Hülle meines Mentors, Dessen Geist uns schon so lange verlassen hatte. Als ich, seinem Wunsch gemäß, vor etwa sechs Jahren die Maschinen abstellen lassen hatte, wollte sein Herz nicht zu schlagen aufhören. Nun endlich, hatte er heimgehen dürfen...
Als ich zur Klinik zurückkam, sah ich Berties Jeep auf Selinas Parkplatz stehen. Auf meinen alten Freund war eben Verlass. Ich ging zu Selina, die eine interessante Neuigkeit für mich hatte. Berties Nichte hatte aufgrund einer Insolvenz ihre Arbeit verloren. Sie wäre aufgrund ihrer Fähigkeiten durchaus für die Stelle als meine Sekretärin geeignet gewesen. Bertie hatte Selina beiläufig über die unerwartete Insolvenz eines Betriebes gesprochen und dabei seine Nichte erwähnt. Selina hatte sofort geschaltet. Was ich dazu sagen würde, fragte sie mich. Ich war dafür, sie mir anzusehen. Da kam auch schon Bertie daher. Er hatte die Vollmacht von meiner Mutter dabei und fragte mich, ob ich seiner Nichte eine Chance geben würde, wenn sie fachlich entspräche. Ich versprach ihm, dass ich in diesem Fall die Anzeige sofort stilllegen lassen würde.
"Woast, Michl, die hat jetzt koa Zeugnis nach der Firmenpleite, aber i vobürg mi dafür, dass die a anständigs Dirndl is. Derf i dirs schick'n?" - "Je eher desto besser Bertie." - "Du, i ruafs glei oh, Michi!" So kam es, dass ich noch am selben Tag zu einer hochqualifizierten, bildhübschen Sekretärin kam, was Selina wegen Bertie nicht kommentierte. Sie war nicht direkt eine Nichte, sondern die Tochter einer Cousine, aber das war mir völlig egal. Bertie freute sich sehr für sie, weil er wusste, dass Marion bei uns gut aufgehoben war.
Als Bertie und Marion die Klinik wieder verlassen hatten, warf Selina mir einen Blick zu, der mich dazu bewog, sie nochmal in mein Büro zu bitten.
"Selina, wir haben doch darüber heute schon gesprochen, oder?" - "Aber die ist wirklich bildhübsch!" - "Dafür kann ich nichts! Sie ist hochqualifiziert und sie ist Berties Wasweißichwas..." - "Ich liebe dich, Michael, das weißt du! Aber..." - "Selina, Ende der Diskussion!" - "A..." - "Sel!" Selina zog einen Schmollmund, wie sie ihn nur ganz, ganz selten zustande bringt. Sie wollte mein Büro verlassen. Ich ging ihr ein paar Schritte nach und umfing sie mit meinen Armen. "Schämst du dich nicht, mir dermaßen zu misstrauen, Kleines?" flüsterte ich ihr ins Ohr und biss sie ganz sanft ins Ohrläppchen. Sie drehte sich um und küsste mich sehr leidenschaftlich. "Egal, wo du dir den Appetit holst, Michael Montar! Gespeist wird zu Hause! Klar?" - "Ich brauch mir keinen Appetit zu holen, Selina, Ich brauch nur die Augen zu schließen und an dich zu denken, weißt du das denn nicht?" - "Entschuldige, Michael! Aber... es ist doch auch ein Zeichen, wie sehr ich dich liebe!" - "Ich weiß, mein Engel..."