Unterdessen sein Bruder im Alleingang die Stadt erkunden, Augen wie Ohren offen halten wollte und Serfem sich fadenscheinig verabschiedete ging Veyed mit einem hölzernen Taler in der Hand zum ›Silbernen Eber‹. Es viel ihm zu, diesen Part ihres zu erledigenden Auftrages zu erfüllen.
Lässig schnipste er das gemeinhin genannte Spielgeld mit dem Daumen in die Luft und fing es gekonnt auf. »Da waren die beiden gestern in dieser Spelunke und ich muss denen jetzt den Taler nachtragen. Saubere Leistung. Würde mich nicht wundern, wenn Kay mal wieder den Helden gespielt hat.« Amüsiert verzog er die Mundwinkel und schüttelte den Kopf.
Seit jeher war er von beiden derjenige, der die schwierigsten Aufgaben zu erledigen bekam. Im Falle, dass es etwas zum Anpacken gab, war Kayden wie vom Erdboden verschlungen. Nun ja, sie wuchsen in einem verfallenen Weiler auf. Klarich der Großbauer war ihr Vater und zudem Schmied. Es galt tagtäglich schwere Dinge zu verrichten, und während die Männer schufteten, übte der Knirps seinen Kopf zu gebrauchen.
Was hatte Ma' immer gesagt ... Du denkst nicht darüber nach. Du benutzt deine Muskeln und tust es einfach. Dein Bruder wägt zuvor das Für und Wieder. Überlegt, ob es nicht anders geht.
Abermals huschte ihm ein lächeln über die Lippen. »Jaja Kay, vielen Dank auch. Meistens war ich dieses anders.«
Wehmütig dachte er an seine Mutter. Wie sehr einem ein geliebter Mensch doch fehlte, wenn dieser nicht mehr bei einem sein konnte und niemals wieder sein wird. Oftmals tadelte sie ihn einen groben Klotz und selbstsüchtig. Er würde sich zu oft ein Beispiel an seinem Vater nehmen.
Er verfüge über keinen Blick für das Reizvolle in seinem Umfeld. Bekäme nicht mit, wenn die gleichaltrige Tochter des Handlangers ihm schöne Augen machte und verträumt hinterher ihm herblickte. Verschmitzt lächelte, sobald er sich zur Erntezeit, wie die übrigen Jungen, nackt am Bottich wusch und seine Muskeln präsentierte. Selbst beim Raufen solle er ungehobelt und erbarmungslos sein.
Ach wenn Ma' doch nur wüsste ...
Er sah sein Umfeld, nur mit anderen Augen, hat er seinem Vater gestanden. Er interessiere sich nicht sonderlich für die vielen Blumen und romantischen Sonnenuntergänge. Genauso wenig für die Tochter des Handlangers, der stets und ständig um die besten und angeblich wichtigsten Aufgaben buhlte. Veyed hatte nur Augen für die Müllerstochter, die er ebenso gern heimlich beobachtete. Egal ob sie sich wusch, der Mutter beim Ausbessern der Kleidung half oder, und das war dass interessanteste, sich zur Bettruhe bereitete.
Sein Vater lachte schallend, als er ihm davon berichtete und ihm gestanden, dass es zu seiner Zeit nicht unähnlich gewesen sei. Ebenso verkündete er ihm, dass das Ziel seiner Gelüste, durchaus wusste, dass er sie heimlich beobachte. Was meine er wohl, aus welchem Grunde das Umkleiden sich so lange hinziehe. Wissend hob er bei seiner Erklärung die Augenbrauen und grinste schelmig, als er ihn ausfragte, ob die junge Dame sich während seiner Anschauungen seltsam verhielt. Sich merkwürdig rekelte und streichelte wo am liebst er seine Hände auflegen wollen würde.
Der Gedanke an seine Gedankenliebste versetzte seinem Herzen einen eigentümlichen Schmerz, wenngleich nicht sie es war, die ihm erste Erfahrungen lehrte. Aellin war mehr als nur hübsch anzusehen und wusste mit ihren Reizen umzugehen. Sobald Memnach hinter ihnen lag, so beschloss er, wolle er seine Traumfrau besuchen. Inständig hoffte er, dass sie sich noch nicht band.
Was seine Kraft und Muskeln anbelangte ... er wurde mit beiden begnadet und zeigte seinen Körper gern. Warum lange nachdenken, wenn es etwas galt kaputtzumachen? Sobald er sich raufte, war keine Zeit zum überlegen. Entweder er oder der andere. Dann doch lieber sein Gegner.
Andererseits hatte sich auch Kayden verändert. Er war nicht mehr der kleine unbeholfene Junge vom Lande. Er verfügte nicht über die Muskeln wie er und sah auch definitiv nicht so gut aus wie er, aber sich wehren ... das konnte er zweifelsfrei. Sein Kopf dachte schneller als der Seine und so vermochte sein Bruder beinahe jeden Streich im Vorfelde erkennen. Der ›Falke‹ war ausdauernder und man will es nicht glauben - hinterhältiger. Kniete er eben noch vor dem niederstreckenden Schwert, um den Gnadenstoß zu erwarten, befand er sich kurzerhand hinter seinem Widersacher. Ein Messer an dessen Hals.
Kayden war stets der flinkere von beiden und wusste seine drahtige Statur gekonnt einzusetzen. Niemals würde er seinem Bruder eingestehen, auf gewisse Art und weise neidisch auf ihn zu sein.
Immer wieder spielte er mit dem hölzernen Taler, als er gedankenverloren erkannte, dass er an der beschriebenen Gasse bereits vorbei marschiert sein musste. Er sah sich aufmunternd um und erfasste seinen Fehler gleichauf. »Verdammt. Wo bin ich denn gelandet?« Mit zusammengekniffenen Augen sah er in die Nächste und beschloss die Hauptzuwegung, wenn man die mit Unrat übersäte Gasse so nennen konnte, wieder hinaufzugehen.
Ihm beschlich ein ungutes Gefühl und gestand sich ein, anstatt der breiten Straße wie beschrieben zu folgen, irgendwo Fällschlich abgebogen zu sein. Mit der Linken tastete er an den Hosenbund und fasste sich kopfnickend unter das Leinenhemd. »Wenigstens etwas. Wie soll man sich hier auch orientieren, verdammt? Überall nur dieser miese Dreck. Es stinkt an jeder Ecke nach ... nach ... ach was weiß ich. Pisse.«
»Na na, wer wird denn gleich so über unsere geliebte Stadt schimpfen. Hast dich wohl verlaufen?«
Drei grobschlächtige Gestalten bauten sich seitlich wie hinter ihm auf. An Flucht war nicht zu denken, zumal er sich eh wie richtig vermutet verirrt hatte. Ebenso konnte er auf keinerlei Hilfe bauen. Die, die etwas mitbekamen, taten so als würde es sie nichts angehen und sahen unschuldig in entgegengesetzte Richtung.
Einem nach den anderen musterte Veyed und richtete sein Augenmerk auf jenen, der offensichtlich der Kopf der Band sein musste. Dieser war nicht ganz so hässlich und wies am wenigsten blaue Flecke und Narben auf. »Ich kann es nicht fassen. Kaum dass man sich des Weges irrt, schicken die Obristen Ortskundige, die einen zurück auf den rechten Pfad geleiten? Memnach hat als doch etwas zu bieten.«
»Äh? Jarek, was meint die Hackfresse?« Der Sprecher war Hoch wie breit. Mickrige Schweinsaugen schielten an einer womöglich mehrfach gebrochenen Knollennase hervor. Unreine und vernarbte Haut zog sich wie eine Kraterlandschaft über einen entstellten Schädel. Diesen grotesken Gesellen konnte wahrhaftig nur eine Mutter lieben, ging Veyed durch den Kopf. Doch bevor er fähig war, eine passende Antwort zu liefern, kam ihm der mittlere der Dreien zuvor.
»Halts Maul Ulk.« Der Sprecher trat näher an den Schwertarm des ›Falken‹ heran und zog die Wangenmuskulatur aufwärts. Seine Augen verengten sich zu schlitzen und der Ton seiner Stimme senkte sich. Er gab alles, um bedrohlich wie einschüchternd zu wirken. »Der Bastard hat etwas, das ich haben will«, grollte diese.
Der Letzte im Bunde tat es dem Anführer gleich und wagte sich selbstsicher bis auf Armeslänge heran. »Los Jarek, gib's ihm. Reiß dem Schönling den Schädel vom Kopf. Lass uns mit seinem Kadaver die Rarrrddddrdrdd....«
Mitten im Satz brach Dritter abrupt ab und begann zu gurgeln. Er verdrehte die Augen und Blut lief ihm über die Lippen. Seine Beine gaben unter seinem Gewicht nach.
Noch bevor er wie ein nasser Sack in sich zusammensacken konnte, gab es einen schmatzenden Laut, so als würde man einen Stiefel aus dem Schlamm hieven. Aus dem Handgelenk drehte Veyed die Klinge seines Messers und riss diese nach unten weg aus dem Kopf seines Opfers.
Fontänengleich strömte der rote Lebenssaft aus der sterbenden Hülle. Die Schneide drang seitlich des Kehlkopfes ein und musste die Hauptschlagader zerteilt haben. Anders war dieser Blutfluss nicht schlüssig. Sei's drum ... hier ging es nicht um Erklärungen über das wie und weshalb, der schnellere und besonnenere würde als Sieger hervorgehen.
Ohne Vorwarnung und vollkommen unerwartet kam der Angriff nicht von seinem Gegenüber. Der, dessen Name sinngemäß Ulk lautete, sprang Behände vor und ließ seine Fäuste niedersausen. Gleich der erste Schlag traf Veyed zwischen Schläfe und Auge.
Dieser taumelte rückwärts und entging somit der geführten Linken, die unausweichlich seine Nase getroffen hätte. Wäre dieser Hieb nicht minder heftig wie der vorhergegangene, sein Riecher könne er Gutengewissens vergessen.
»Jarek, der hat meinen Bruder totgemacht.« Das Gesicht naturgemäß schon eine Absonderlichkeit, verunstaltete sich aufgrund seiner Wut noch mehr und würde nunmehr wohl auch seine Mutter abschrecken.
»Jetzt bekommst du Ratte, was dir zusteht. Los mach schon. Hau den Bastard um«, eiferte Angesprochener. Er lachte und höhnte mit jedem Hieb aufs Neue. Ihm schien das Gesehene auszureichen und hielt sich besseren Wissens aus der Wut seines Kumpanen heraus. Ausrauben konnte er ihn, wenn sein unförmiger Begleiter sich ausgetobt hat.
Mehrfach hoben und senkten sich seine geballten Hände und droschen wie ein Schmiedehammer auf den jungen Mann nieder, der bedingt des ersten Treffers noch immer benommen dalag. Blut lief ihm aus mehreren Wunden das Gesicht hinab und seine Sicht trübte sich mehr und mehr.
Eine innere Stimme riet ihm endlich die eigenen Arme und Fäuste zu gebrauchen, doch wusste er momentan nichts damit anzufangen. Ihm war bewusst, sollte er sich nicht beginnen zu wehren, hätte Kayden die längste Zeit einen Bruder gehabt. Wie ein Getreidesack ließ er sich einen Schlag nach dem anderen gefallen.