Schmerz. Was für eine Verhöhnung des Schicksals. Wie schön es doch war so rein gar nichts spüren zu müssen. Er vermutete jeden einzelnen seiner Knochen gebrochen und Muskel gerissen.
Lag er nach wie vor in dieser schäbigen Gasse? Es musste bereits tiefe Nacht sein. Er konnte weder sehen noch hören. Stille. Und dennoch, etwas schien anders. Es dauerte eine Weile, bis er es schaffte, den rücksichtslos wütenden Schmerz auszublenden und seinen Geist zu gebrauchen. Oh verdammt, alles tat ihm weh. Selbst das Schlucken viel ihm schwer. Sogar das Atmen bereitete ihm umstände.
Da war es wieder. Abgestandener kalter Qualm von billigem Tabak oder was auch immer man dafürhielt. Unverkennbar der Geruch nach Bier und Essen.
Dann, wie aus heiterem Himmel erinnerten sich seine Ohren daran, Laute und Töne wie ein Empfänger weiterzuleiten. Jemand unterhielt sich flüsternd.
»Wie geht es ihm, kommt er durch?« Die Stimme klang besorgt und zweifelsfrei männlich.
»Bist du eigentlich von Sinnen? Was, wenn dich jemand gesehen hat?«
»Ach was.« Veyed konnte sich vorstellen, wie der Sprecher mit der Hand wedelte. »Die Hurensöhne haben ihn offen angegriffen und kein Schwein hat ihm geholfen.«
»Und die Heiligkeit in Person musste tun, worum andere sich scherrten. Glanzleistung.«
»Sollte ich ihn verrecken lassen?« Er erhob wütend seine Stimme und schien sich in die hohle Hand zu hauen. Gleichauf musste er sich besinnen, denn sein tonal klang sogleich wieder besonnen. »Ich kann das nicht. Nicht mehr, Breide.«
Angesprochene holte tief Luft um diese lautstark auszupusten. »Dein Sinn für Gerechtigkeit wird uns eines Tages an den Pfahl einbringen.«
»Eberhardt«, begann Erster anzusetzen, wurde jedoch von der Frau im Raum unterbrochen.
»Mein Bruder kann nicht überall und zugleich deinen Hintern retten. Der Tag wird kommen, an dem er uns nicht mehr beistehen können wird.«
Der Mann, vielleicht ihr Gefährte, schnaubte verächtlich. »Wenn er es denn noch lange sein muss.«
»Was meinst du?«
Bevor sein Retter antworten konnte, rührte sich Veyed. Er wollte sich bemerkbar machen und bereute dies sogleich. In dem Moment, als er versuchte sich aufzurichten, jagte etwas durch seinen Körper, welches sich anfühlte wie eine von Vaters rot glühenden Schmiedezangen. Angefangen an seinem Bauch, bis hinauf zur Schulter pulsierte flüssiges Feuer. Sein Kopf schien ihm zerspringen zu wollen.
Jemand der Anwesenden legte ihm beide Hände auf die Brust und drückte ihn hinab. Erst jetzt bemerkte er, dass er sich in einem Bett befand.
Seine Sicht war seltsam entrückt. Er konnte bisweilen nur dunkle Schemen wahrnehmen und hob anstatt wie gewohnt die Rechte nunmehr die Linke betont vorsichtig an. Der andere Arm wollte ihm nicht gehorchen.
»Nicht. Die haben dich übel zugerichtet«, raunte der Unbekannte mit belegter Stimme.
Veyed glaubte zu erkennen, dass die Frau an seiner Seite den Kopf wendete. »Der Arm ist gebrochen und dein Gesicht war sicherlich auch schon hübscher anzusehen. Wenn du nicht willst, dass es bleibt, wie es ist, lass die Hände davon, in Ordnung? Wäre schade drum.«
Seufzend gab er nach und atmete mehrmals tief ein und wieder aus. Das Sprechen sollte zwar klappen, strengte jedoch zusehend an. »W ... wo ... bin ich und w...as ... pas...siert?«
»Junge, was treibst du dich auch allein in solchen Gassen herum. Kein wunder, dass sie dich aufgemischt haben.« Da der Mann keine Antwort erwartete, fuhr er fort. »Du hast einen dieser Drecksäcke niedergemacht, weißt du denn gar nichts mehr?«
Verhalten verzog Veyed die Mundwinkel und versuchte ein nicken zustande zu bringen. »Ha...be mich verl...aufen.«
»Verlaufen? Mit ... diesem hier in der Tasche?«
»Ich glaube, er kann den Taler nicht sehen, Breide.«
»Glaubst du das interessiert mich? Ich möchte verdammt noch eins wissen, wer der Bursche ist. Was für ein Spiel wird hier gespielt und warum taucht ausgerechnet jetzt diese alte Last bei uns auf? Was hat der da« vermutlich zeigte sie mit dem Finger oder mit durchdringendem Blick auf den Verletzten. »mit dem hier zu tun?« Bilder entstanden in seinem Kopf, die ihm zeigten, wie eine jung gebliebene Frau den hölzernen Taler in die Höhe hielt. Direkt vor die Nase des anwesenden Mannes, der offensichtlich sein Retter war.
»Verdammt, ich habe mir die ganze Nacht um die Ohren geschlagen. Erst dieser Bulle eines Thulenen mit seinem blutjungen Begleiter und dann dieser seltsame Kapuzenmann. Und was kommt jetzt? Du schleppst mir einen halb totgeprügelten Fremden ins Haus, der mir diese alte Schuld unter die Nase reibt?«
»Du sprichst von Forderung, obwohl es ein stinknormales Geschäft war. Breide, du übertreibst. Ich war dabei und niemand sprach davon, dass eine Schuld einzulösen sei. Nur, dass jemand sich mit etwas ganz Speziellem zu erkennen gäbe.«
»Und wie würdest du dass hier nennen?«
»Spielgeld? Ein Taler aus Holz?«
Die Frau tat es Veyed nach und schnaufte. Dem Verletzten blieb nichts anderes als still dazuliegen, seinen geschundenen Körper zu schonen und zuzuhören.
Er erfuhr so von dieser Breide, wer auch immer sie sein mochte, dass es sich bei den Talern wahrhaftig um Schuldleistungen handelte und erst dann in Umlauf gebracht werden sollten, wenn die Zeit gekommen sei.
Dass er sich in einer Schenke, abseits der belebten Straßen und nicht weit von ihrer eigenen Unterkunft befanden, hörte er aus dem Gespräch ebenso heraus. Auch, dass er dort aufgebahrt in einer hinteren Kammer lag, wohin er die hölzerne Münze bringen sollte - in den ›silbernen Eber‹.
Die beiden sprachen weiterhin von dem gestrigen Zwischenfall und sie fest davon ausginge, das Zeichen im Wachs richtig gedeutet zu haben. Aus welchem Grunde sollte dieser zwielichtige Mann mit der Kapuze sonst bei ihnen aufgetaucht sein? Er habe nichts getrunken noch gegessen. Habe schlicht dagesessen, wo Leute sitzen, die man besser nicht behelligte.
Für Breide stand fest, dass Eberhardt mehr wusste, als er ihr eingestand, und würde sich ihm stellen. Mit der Marke in der Hand.