„Steig auf, ich bringe dich hier weg!“ Der Frau blieb gar keine Zeit mehr, darüber zu staunen, dass das Tier sprach. Sie schwang sich sogleich auf dessen geschmeidigen Rücken und hielt sich krampfhaft an der dichten Mähne fest. Es gab weder Zügel, noch Sattel. Der schwarze Ritter stiess einen Wutschrei aus und wollte den Schimmel daran hindern, Lea mitzunehmen. Doch dieses wirbelte unbeeindruckt auf seinen Hinterläufen herum und galoppierte so schnell wie es gekommen war davon.
Lea war noch ganz erschlagen, von dem was gerade passierte. Das weisse Pferd, galoppierte so schnell dahin, dass ihre Haare im Wind heftig flatterten. Es war, als würden alle Bäume und sonstigen Hindernisse, ihnen Platz machen. Sie warf einen Blick hinter sich, zum Glück folgte ihnen Lupetto. Er hatte sich wieder vollends erholt und das Leuchten des wundersamen Pferdes, schien noch immer über allem zu strahlen. Was nur war das für ein Pferd, was hatte es mit ihm auf sich? Es kam Lea so vor, als hätte es eine ganz ähnliche Funktion wie damals der weisse Tiger und irgendwie doch anders. Wohin brachte es sie? Es sah aus, als ritten sie immer tiefer in den geheimnisvollen Wald hinein.
Lea verlor vollkommen ihr Zeitgefühl. Sie fühlte sich wie in einem wunderschönen Traum, und auch ihre Angst vor dem dunklen Ritter, war für einen Moment in weiter Ferne gerückt. Nur ab und zu drangen leise Fragen in ihr Bewusstsein, was es wohl mit all dem hier auf sich hatte. Wo war sie bloss, wohin brachte sie das Pferd? Als hätte das Pferd ihre Gedanken gelesen, sprach es zu ihr: „Du bist hier im Reich der Magie, der Magie die alles durchfliesst, eine Magie die du auch selbst dein eigen nennen kannst, wenn du nur mehr daran glauben würdest.“ Lea verstand das Tier erstaunlich gut, auch wenn man hätte meinen können, es gäbe zu viele Nebengeräusche. Irgendwie hörte sie seine Stimme nicht mit den Ohren, sondern mehr mit dem Herzen. Und sie fragte: „Von welcher Magie sprichst du?“ „Einer Magie, die du noch mehr in dir entdecken musst und hast du sie entdeckt, dann wird auch der schwarze Ritter nicht mehr so viel Macht über dich haben. Aber ich kenne da jemanden, der sich damit besser auskennt. Wir werden sie mal besuchen.“ Nun war Leas Neugier erst so richtig geweckt. Von wem sprach das Pferd?
Diese Frage wurde ihr sogleich beantwortet, als sie vor sich auf einer Lichtung, mitten im Wald, ein kleine, geheimnisvolles Haus erblickte. Es war in den Stamm einer riesigen, uralten, knorrigen Eiche eingefügt, deren Durchmesser gewaltig war. Es gab ein Vordach aus langen, braunen Holzschindeln und eine Feuerstelle befand sich davor. An dieser Feuerstelle sah Lea nun eine wundersame Frau sitzen! Sie mochte etwas über 40 sein, ihre Augen waren dunkelbraun und mit langen, dunklen Wimpern überschattet. Sie war sehr hübsch, nur mit ein paar Lachfalten. Auch auf ihrer Stirn erblickte Lea ein paar Falten, welche jedoch nicht sehr tief waren. Der Ausdruck der Frau war war voller Weisheit und doch irgendwie geheimnisvoll. Sie wirkte stark, ruhig und selbstsicher. Um ihren eher schlanken Körper, wallte ein schwarzes Gewand aus glänzendem Stoff, das ihr bis zu der Mitte ihrer Waden reichte. Irgendwie wirkte es wie Samt, doch war etwas glatter. Sie trug darüber ein Art Mieder mit einem besonderen Stehkragen aus schwarz- glänzenden Federn. Ihr langes, schwarzes Haar, war mit einem Schmuck aus schwarzen Federn und violetten Steinen geschmückt.
Auf dem Dach des Hauses und auf ihren beiden Schultern, sassen insgesamt 6 Raben, vermutlich jene, die Lea schon mal gesehen hatte. Alle musterten sie mit wissenden und zugleich misstrauischen Blicken. Hier war das Zwielicht noch etwas dunkler und die rot-orangen Flammen des Feuers, flackerten warm und geisterhaft. Was für ein Gegensatz war zu all diesem Zwielicht, das weisse Pferd, auf dem Lea ritt! Dieses schien noch mehr zu leuchten als bisher, ein strahlendes Standbild in der Stille und Dunkelheit dieses geheimnisvollen Waldes, der doch so voller Leben war.
Die Frau liess sich Zeit und stocherte noch etwas in der Glut des Feuers herum, bis sie ihr Haupt hob. Ihre dunklen Augen, welche einen seltsamen, glänzenden Schimmer aufwiesen, der Lea irgendwie an die Schattierungen eines dunklen Vogelgefieders, das in der Sonne glänzte, erinnerte, richteten sich nun auf sie. Lea wurde auf einmal unsicher und fürchtete sich fast etwas. Bilder von bösen Hexen mit Raben und schwarzer Magie, kamen ihr in den Kopf. Doch sie verdrängte diese Gedanken sogleich wieder, denn diese Frau hier schien etwas ganz Besonderes zu sein und machte keinen bösen Eindruck. Lea schaute auf ihren Wolf, welcher nun auch bei ihnen angekommen war und staunte wie dieser reagierte. Er ging sogleich zu der Frau und leckte ihre Hand ab, welche sie ihm hinstreckte. Sie streichelte ihn und lächelte. „Einen netten Wolf hast du hier und auch ein nettes Reittier“, sprach sie etwas raubeinig aber freundlich. Ihre Stimme war ziemlich tief, aber wohlklingend. Lea fühlte sich auf einmal wie ein kleines unbeholfenes Kind und sprach: „Ja, das Pferd hat mich vor dem schwarzen Ritter gerettet, mein Wolf wurde verletzt, aber wieder geheilt von den… Feenlichtern.“ Sie schaute sich um und sah erneut duzende von Feenlichter, die um sie herum schwebten und zwischen den Bäumen die weissen Irrlichter, die sich eher wie auf unsichtbaren Schienen hin und her bewegten. „Ja, die Feenlichter. Der Wald hat viele heilende Kräfte. Du liebst den Wald doch auch, hab ich Recht?“ „Ja natürlich, wer liebt den Wald schon nicht.“ „Aber nicht jeder liebt den Wald so wie wir“, sprach die Frau. „Sie leben ja auch im Wald,“ sprach Lea „ihr Haus in der Eiche ist übrigens sehr schön.“ „Es ist etwas klein aber es geht, ich bin sowieso fast immer draussen. Ich schlafe auch meistens draussen. Hier wird es selten kalt und wenn, dann habe ich meine Tiere die mich wärmen. Sie beschützen mich auch, wenn es nötig ist. Ich habe übrigens auch Felle, wenn du dich setzen willst. Natürlich von Tieren, deren natürliche Lebenszeit abgelaufen war.“ Sie deutete auf ein Fell neben sich.
Lea zögerte einen Moment, dann stieg sie von ihrem Pferd. Etwas unsicher und fragend schaute sie ihr Reittier an. „Ich bleibe in der Nähe“, versprach dieses, dann wandte es sich um und verschwand hinter dem Dickicht, dass sich nun wie durch magische Hand, wieder hinter ihm schloss. Lea fühlte sich auf einmal wieder sehr unsicher und musterte die Frau leicht misstrauisch. Die beiden Raben auf deren Schultern stiessen ein Krächzen aus und flatterten unruhig mit ihren Flügeln, die Frau bedeutete ihnen mit leiser Stimme sich zu entfernen und die beiden Raben gesellten sich zu ihren vier Artgenossen, auf dem Dach der Hauses. „Sie wollen mich ständig beschützen“, lächelte die Frau. „Wir hatten eben auch schon unangenehmen Besuch. Darum musste ich ein paar Schutzmassnahen ergreifen. Deswegen auch das sich bewegende Dickicht. Die Baum und Waldgeister, haben sich das zusammen mit mir ausgedacht. Sie helfen mir, wo sie können.
Aber… ich spüre schon, wie die Magie sich langsam aus der Welt zurückzieht. Es sind die Menschen, die sie vertreiben, indem sie sie nicht mehr verstehen, oder sie gar fürchten. Viele kommen zu mir, um von meinen Heilkünsten zu profitieren, doch viele fürchten mich zugleich. Du fürchtest dich ja auch vor mir.“ „Ich… fürchte mich nicht“, sprach Lea, welche nun zögernd neben der Frau Platz nahm. Doch irgendwie erschien es ihr, als würde sie sich selbst etwas vormachen. Das war kein gutes Gefühl. „Natürlich fürchtest du dich, du bist geprägt von so vielen Konventionen. Sie beeinflussen noch immer dein Leben und darum kannst du die Magie in dir nur bedingt nutzen. Ich habe mit all diesen Konventionen nichts zu schaffen, das ist auch der Grund, warum ich allein hier lebe. Ich fühlte mich in den Städten und den steinernen Häusern, wie in einem Käfig. Hier bin ich frei und ungebunden, kann machen was ich will und bleibe mit der Magie in Kontakt.“ Lea fühlte auf einmal tiefe Sehnsucht in sich, sich ebenfalls mehr mit dieser Magie verbinden zu können, welche die seltsame Rabenfrau, wie eine beinah fassbare Aura, umgab.
„Ja, “ erwiderte sie „Der Wald ist tatsächlich voll von Magie. Doch was, wenn es ihn einmal nicht mehr gibt? Wird dann die Magie vollends verschwinden und was machst du dann?“ Sie war unbewusst in die Du- Form übergegangen. Die Rabenfrau seufzte und sprach: „Glaub mir Lea, ich habe mir diese Fragen auch schon oft gestellt. Das Land wird immer mehr erschlossen, es werden immer mehr Menschen. Noch sind es nicht so viele, doch bald werden sie das Land immer mehr in Besitz nehmen und damit auch den Wald. Sie werden meine Brüder die Bäume abholzen und neue Häuser bauen, sie werden ihre Burgen und Schlösser errichten und mit einem grossem Gesinde bevölkern. Felder werden angelegt, der Boden- unsere Mutter Erde, umgepflügt und Getreide und andere Dinge angebaut. Diese Entwicklung lässt sich nicht aufhalten. Ich habe es gesehen. Leute wie ich werden immer mehr verschwinden, wir werden gar zu Dämonen gemacht werden, das weisst du ja selbst, hattest du doch ganz ähnliche Gedanken, als du mich das erste Mal gesehen hast. Schon jetzt habe ich schon mit gewissen Verfolgungen zu kämpfen, meine Raben ebenfalls. Sie trauen den Menschen schon gar nicht mehr, denn die Menschen haben angefangen sie zu hassen und zu verfolgen, weil sie die Körner von ihren Feldern fressen und die Früchte von ihren Bäumen. Ihr Besitz ihr Haus ihr Wald. Alles machen die Menschen sich zu eigen. Das ist das menschliche Naturell, daran kann man wenig ändern und doch hadere ich oft damit.
Denn ich habe den Zugang zu der Unendlichkeit, zur grossen Leere, worin alle Grenzen, alle Besitzansprüche aufgehoben sind. Ich sehe hinter all die Dinge und erkenne den Lug und den Trug in so manchem, was mir begegnet. Man kann mir nicht so leicht etwas vormachen. Ich weiss viele Dinge, Dinge die ich auf meinen endlosen Reisen durch so manche Zwischenwelt innegeworden bin und ich weiss dass weder Leben noch Tod, noch Dunkel noch Licht, noch Trauer noch Freude ewig währen. Alles ist im Wandel, immer… alles verändert sich, reisend durch die Zeiten, durch tausende, gar Millionen von Jahren. Verborgen und dann wieder sichtbar, vor unseren Augen auftauchend und gleich wieder verschwindend. Es ist alles Eins und alles entspringt aus derselben Quelle, wo Grenzen aufgehoben werden und immer wieder Neues entstehen kann. Alles ist vergänglich, doch diese Vergänglichkeit ist es, gegen die die Menschen sich oft so wehren. Sie fürchten sich vor dem Alter, vor dem Tod, vor Verderbnis und Verfall. Doch ich habe mit diesen Dinge Frieden geschlossen und das solltest du vielleicht auch tun Lea! Denn dann wird eine ganz neue Zufriedenheit in dein Herz einziehen. Du klammerst dich dann nicht mehr an etwas fest und dadurch wird dir alles Wundervolle in Hülle und Fülle geschenkt werden. Das ist meine Magie. Willst du sie auch als Teil deiner Selbst annehmen? Denn wir du sicher ahnst, bin ich auch ein Teil von dir.“ „Du bist ein Teil von mir?“ „Ja das bin ich, hast du das nicht gewusst?“
„Nun ja… ich weiss nicht so recht. Du bist mir in gewisser Weise fremd und doch auch wieder nicht. Ich finde das Leben das du führst wunderbar und doch weiss ich, dass es kein Leben für mich wäre. Ich könnte nicht immer allein sein und da wo ich lebe ist alles sowieso ganz anders als hier. Du weisst auch, ich liebe einen Mann ganz besonders, er und mein Sohn sind meine Lichter in der Dunkelheit.“ „Ich weiss sie haben dich sehr dabei unterstützt, aus der Welt zwischen Leben und Tod zurück zu kehren, wo du dich damals hin verirrt hast. Doch es waren nicht nur sie allein, du hast ebenfalls einen bedeutenden Beitrag geleistet. Indem du Frieden geschlossen hast mit einem wichtigen Schatten deines Ich’s. Das was du erlebt hast, hat erst möglich gemacht, dass du und ich uns treffen können. Du hast deine Stärke gefunden. Der weisse Tiger war das Symbol dieser Stärke. Das weisse Pferd ist Symbol deiner inneren Freiheit. Darum hat es dich hergebracht, damit du immer mehr erkennst, was Freiheit ist, wahre Freiheit, Freiheit jenseits von allen Konventionen, oder Vorgaben der Menschen. Ich bin schon lange nicht mehr Teil dieser neuen Welt, ich bin Teil einer uralten Welt, einer Welt die jedoch in allen Menschen noch irgendwo existiert, nur dass sie diese nicht mehr wahrnehmen, vielleicht nur vage spüren.
Dadurch verschwindet die Magie, verschwindet das Mystische in allem was lebt und ist. Diese Mystik will ich dir helfen neu zu entdecken. Tauch in meine Welt ein und erkenne wie wundervoll alles ist, wie wundervoll rein und frei von materieller Schwere! Hebe die Grenzen auf, die du dir täglich ziehst oder ziehen lässt. Denn bist du innerlich frei, dann wird sich das auch in deinem Leben manifestieren.“ Irgendwie fürchtete sich Lea auf einmal wieder vor diesem Gedanken. „Aber… wenn ich das tue, dann werde ich vielleicht all das verlieren, was ich heute habe.“ „Alles was es zu verlieren und loszulassen gilt, wird durch das Entdecken deiner eigenen magischen Kraft verschwinden, doch alles was es gilt zu bewahren und zu behalten, wirst du behalten. Es ist wie beim Sterben. Wenn man stirbt, lässt man seinen Körper hinter sich und die Seele fliegt zu den Sternen. So ist es auch bei Dingen, die für dich keinen wirklichen Wert mehr haben, mit Ballast den es loszulassen gilt. Er wird abgestreift und ein neues Ich erhebt sich! Dies ist die Botschaft der Rabenmedizin denn siehe, ich bin die Rabenfrau!“...