Vincent schnippte mit den Fingern, aber anstelle von Schmerzen sprangen Sassys Handschellen auf und fielen lautstark auf den Boden.
"Du willst mich also wirklich losmachen?", überrascht zog Sassy eine Braue hoch, als Vincent ihr den Schlüssel zuwarf. Ihre makellosen Gesichtszüge spiegelten die Fassungslosigkeit über seine Tat wider.
"Du stellst für mich keine Gefahr da!", stellte er trocken fest und warf sich auf sein Bett. Sassy betrachtete verwundert, wie er gemütlich die Arme hinter dem Kopf verschränkte und an die Decke aus weißem Marmor starrte. Als wäre sie eine Sklavin, die nicht wagen würde ihn anzugreifen. Sie hatte ihn schon einmal getötet, sie würde es wieder tun.
Langsam drehte sie den Schlüssel im Schloss des Ringes, den sie um den Hals trug, legte sie den Kopf in den Nacken, bis es knackte, der Ring hatte für Verspannungen gesorgt.
Vincent schien immer noch mit der Decke beschäftigt zu sein, also nutzte sie ihre Chance und sprang auf ihn los. Zu ihrer Überraschung schien er genau damit gerechnet zu haben, blitzschnell riss er die Hand hoch und packte sie am Hals. Seine Augen veränderten sich, wurden von rot zu gelb mit einer stark braun umrandeten Iris. Die Augen erinnerten sie an jemanden, das schien er in ihrem Blick zu bemerken.
Ohne große Anstrengung schleudere er sie von sich, sodass sie unsanft auf dem Boden landete. Dann erhob er sich und schenkte ihr ein verächtliches Lächeln, welches seine Zähne leicht entblößte.
Fangzähne.
Nicht die eines Vampirs.
Die eines...
"Hört schon auf!", Sassy konnte es nicht fassen. Sie hatte diese Stimme zuletzt gehört, bevor sie mit Church in den Weltenriss gegangen war.
"Vernon!", stellte sie entrüstet fest, "Verräter! Wie konntest du jemandem wie Vincent nur so viel Vertrauen schenken?"
Vernon stand in der Türe und seufzte, sein braunes Haar war länger geworden, ansonsten war er im Vergleich zu Liam kaum gealtert.
"Wir haben uns nicht getraut Liam nach dir zu fragen!", Sassy war mit ihren Anschuldigungen noch nicht fertig, "Ich selbst habe es Finn verboten! Wir hatten Angst du wärst..."
"Tot?", der Werwolf lachte, "Ich bin zu meinem Vater gegangen. Und der hat mir jemanden vorgestellt, der die Hölle überlebt hat. Jahrelange Folter durch den Dunklen und den kleinen Psychopathen, mit dem du seit neuestem verkehrst. Er hat uns die Augen geöffnet. Er hat uns gezeigt, dass die Dunkler-Linie aussterben muss. Und Vincent war bereits ein Halbwolf. Schäm du dich, dass du es trotz deiner feinen Nase nicht bemerkt hast! Er ist mein Halbbruder."
Sassy schnaubte entnervt und sah zu Vincent, der sich mittlerweile aufgesetzt hatte: "Was wollt ihr von mir? Wollt ihr mich zu Tode quatschen? Warum die Mühe und das Theater? Und von wem redet Vernon? Wer ist euer gestörter Anführer?"
Vincent erhob sich und kam auf Sassy zu, diese überlegte zurückzuweichen, aber er reichte ihr bloß die Hand, um ihr dabei zu helfen sich aufzurichten.
"Ganz einfach!", erklärte er ihr dann, "Unser Anführer ist eine Art Gott, er kann durch die Dimensionen reisen wie kein anderer. Er ist beinahe unverwundbar, und sein Körper ist eine Waffe. Jemand, dem man eben folgen kann. Jemand der nicht wie dein Finn nur herumschreit. Darum töten wir jeden, der sich uns in den Weg stellt, unser Plan darf nicht scheitern! Unser Gott ist der einzig wahre, und niemand wird dieses Wesen aufhalten, nicht einmal Shanora und ihre Bande von Abschaum."
Das wurde hier also gespielt, Sassy verfluchte Vernons umtriebigen Vater, der mit einer Hexe Vincent gezeugt hatte. Und diesen Gott, oder was auch immer der Anführer dieser fanatischen Band sein sollte. Sie musste mehr darüber herausfinden. Aber vorsichtig, damit sie Vincent in einem unüberlegten Moment angreifen konnte. Diesmal würde er sich verteidigen. Sassy konnte sich das nur zu gut vorstellen, Vincent war einer der mächtigsten Gegner, die sie je gehabt hatte.
"Auf jeden Fall kam Vincent, nachdem du ihn mit seinem Schwert durchbohrt hast, zu uns, um zu lernen, seine zusätzlichen Fähigkeiten zu kontrollieren. Vater hat ihn aufgenommen, nachdem du mit Church in Buldarak alles ausgerottet hattest. Loki, mit der Maske, hat mit uns beschlossen Diliculum ins Leben zu rufen. Eine Organisation die sich der Verbannung und Tötung dunkler Wesen verpflichtet. Aber sein erklärtes Ziel ist die Krönung der weißen Königin. Natürlich hat auch jeder seine eigenen Ziele. Ich möchte Liam beschützen, auch wenn er das nicht sieht!", sprach Vernon weiter.
Sassy kniff erstaunt die Augen zusammen: "Du? Du als ein Mitglied von Diliculum? Was sind die Ziele von dem Maskenmann und wer ist er? Ist er euer Anführer? Na los, sprich schon!"
Vernon lachte schallend, dann antwortete er: "Lokis Ziele sind seine Sache, ich weiß nicht wer er ist, aber er war es, der Vincent und mich zuerst besiegt und dann vorgeschlagen hat, dass wir uns Diliculum anschließen. Ich habe noch nie jemand so mächtigen gesehen! Seine Gegner sterben innerhalb von Sekunden."
Sassy schauderte, sie hoffte inständig, das Church die Fassade dieses gefährlichen Individuums durchschaut hatte. Sie hoffte, dass die junge Tauril ihm kein Vertrauen schenkte. Und erst recht hoffte sie, dass Cecilia weit weg von ihm war.
"Wie tötet man eigentlich Werwölfe, Vernon?", fragte sie dann zuckersüß. Vernon hob eine Braue: "Mit dem Schwert der Auslöschung, Vincent hat es einst selbst geschmiedet! Aber das wirst du nicht tun, selbst wenn du die Klinge findest!"
Sassy seufzte, sonst würde man ihr kaum etwas davon verraten.
Vincent lachte: "Hör auf zu versuchen mich endgültig zu töten, das ist lächerlich! Meine Seele ist an diese Klinge gebunden, du müsstest sie mir, wie das Schwert damals, ins Herz rammen. Aber genug davon, viel wichtiger ist es Nathaniel zu finden."
Sassy lehnte sich zurück: "Nein! Ich helfe dir erst wenn du meinen Fluch aufhebst. Ich habe keine Lust mehr egal wo ich hingehe... Nathaniel?"
Vincent lachte: "Du meinst du hast keine Lust mehr nur den großen Bruder zu daten, du willst endlich mit dem eigentlichen Objekt deiner Begierde zusammen sein? Mich stört das schon lange nicht mehr. Ich kann dich nicht haben, aber er wird es auch nicht! Er ist der erste Dunkler den ich töten werde!"
Sassy ließ einen Schrei los und sprang erneut auf Vincent los. Diesmal erwischte sie ihn eiskalt und schlug ihre Reißzähne in seinen Hals, nicht um Blut zu saugen, sie versuchte seine Halsschlagader aufzureißen.
Mit vereinten Kräften konnten Vernon und Vincent das aber verhindern, Vernon schleuderte sie gegen die Wand.
"Was...", Sassy wurde schwindlig und ihre Umgebung begann zu verschwimmen.
"Du denkst im Fegefeuer die Lösung zu finden?", Sassy erkannte Loki, nur trug er keine Maske, nur eine schwarze Kapuze. Sassy konnte nur die untere Hälfte seines Gesichts erkennen. Seine Lippen erinnerten sie an jemanden, konnte es aber nicht zuordnen. Seine linke Wange war extrem vernarbt, die Haut schien direkt zerfetzt worden zu sein.
"Denkst du, dieser Nathaniel wird dir noch einmal helfen?", Vincent trug einen blutroten Mantel, ebenfalls mit Kapuze.
Sie standen in einem zerstörten Büro, Sassy kam es bekannt vor.
Es könnte die Firma sein, in der Finn geschaffen wurde.
"Ich habe nichts gefunden!", Deseis gesellte sich zu ihnen, "Wenn es hinweise auf Finn und seinen Körper gibt, dann nicht mehr hier."
Loki nickte: "Gut, dann geh mir aus den Augen, Dämon!"
Claude tauchte im Hintergrund auf und maulte: "Hör auf uns wie dreckige Laufburschen zu behandeln! Was auch immer du bist, du bist nicht besser als wir!"
Deseis winkte ab: "Lass ihn doch. Mir ist das egal."
Loki schien das einfach nur lustig zu finden, er lachte bis Deseis und Claude verschwanden.
"Silas, warum behandelst du die beiden wie Dreck? Und warum müssen wir dich Loki nennen?", wollte Vincent wissen.
"Weil niemand wissen darf wer ich bin!", der Maskierte nahm die Kapuze ab, in dem Moment brach die Vision ab.
"Du denkst auch du kannst du alles nehmen!", schrie Vincent Sassy an.
Einen kurzen Moment brauchte Sassy um sich wieder zu orientieren.
Zurück an die Wand gekettet, diesmal hatte Vernon den Schlüssel.
"Ich hätte sie gar nicht erst von der Leine gelassen!", spottete dieser, "Eines ist klar, alles in ihrem Leben dreht sich um Finn. Dafür hat sie jetzt sogar ihre Nichte geopfert. Hauptsache Finn geht es gut. Loki wird sie erledigen, sie alle!"
Sassy warf sich gegen die Ketten, aber sie gaben nicht einmal ein bisschen nach.
"Vergiss es!", Vincent rieb sich seinen blutenden Hals, "Diese Ketten wirst du nicht brechen! Aber wenn es dir so ein Anliegen ist breche ich deinen Fluch, meine Liebe! Dann weiß der Dunkler vor seinem Tod wenigstens warum er der Erste ist!"
In einer kleinen anderen Welt ärgerte sich Celles einstweilen über ihren Hosenknopf. Diese verweigerte das Zugehen, nachdem sie eine McDonalds Filiale halb aufgekauft und sich überfressen hatte.
"Man was stimmt nur mit diesem Menschenfraß nicht!", angestrengt versuchte sie ihre Hose doch noch zuzubringen, scheiterte aber und knallte mit voller Wucht gegen den Tisch.
"Du bist so peinlich!", Vanessa, die bloß einen Salat gegessen hatte, war bereits aufgestanden um diesen 'nach Fett und fetteren Menschen' stinkenden Laden schnellstmöglich zu verlassen.
Celles rieb sich genervt den Arm: "Ja Prinzessin, Gott wann kommt Saphira wieder von ihrem Gebetstrip runter?"
Vanessa half ihrer Schwester auf: "Sie hat gerade ihr Kind verloren und wird ständig mit unserem Lieblingsdämon konfrontiert, du würdest auch durchdrehen!"
Celles lachte: "Ich würde alles nieder brennen! Aber nicht beten und hoffen und bla bla bla!"
Die beiden verließen die Filiale und schlenderte noch ein wenig durch die wunderschöne Altstadt, in der sie sich befanden.
"Wann wirst du einmal wieder etwas unternehmen? Du könntest helfen unsere Cousine zurückzuholen!", schlug Vanessa vor.
"Mach doch selber! Damit mich wieder ein Vampir beißen kann, so wie damals, das tut weh!", motzte Celles, worauf Vanessa energisch den Kopf schüttelte.
"Ich hatte genug Abenteuer, findest du nicht?", fragte sie dann.
Celles musste ihr Recht geben und sie würde nie wieder in ihre Hosen passen, wenn sie nicht bald wieder Struktur in ihr Leben brachte.
Nur essen und schlafen funktionierte auf Dauer wohl doch nicht, auch wenn sie es genossen hatte.
"Du hast ja Recht, ich sehe mal, ob ich die kleine Idiotentruppe orten kann!", murrte sie dann und folgte Vanessa in eines der vielen Geschäfte.
Vanessa ging zielstrebig zu allem, was Celles langweilte oder nicht zusagte, also begann sie nachzudenken.
Sie war immer wie das laute, lästige Anhängsel ihrer Zwillingsschwester behandelt worden. Die große, kluge Saphira und die dumme, laute Celles.
Vanessa hatte zugegeben einen noch schlechteren Ruf, was sie aber wenig zu stören schien.
Aber Celles hatte, außer von anderen gerettet zu werden, wirklich nicht viel geleistet. Und natürlich hatte sie einen unschuldigen Menschen getötet. Ihr Jähzorn, den sie wohl von ihrem verhassten Vater geerbt hatte, war mit ihr durchgegangen.
"Celles, hörst du zu?", Vanessa sah sie besorgt an.
"Sehen beide gut aus!", antwortete Celles wie aus der Pistole geschossen.
"Ich fragte ob dich ein Mann interessiert!", Vanessa verdrehte die Augen, "Ob du vielleicht auch mal einen Freund hast, nach dem Drama um Jonny."
Celles seufzte, das nächste Thema wo sie kläglich scheiterte. Mari hatte diese romantische Geschichte mit einem Dämon, und Badria, die daraus entstanden war. Saphira hatte dieses Ding mit Church gehabt, fast so kitschig das sie sich beim Gedanken daran übergeben wollte. Und dann noch Vanessa, sie hatte... Da hatte Celles längst den Überblick verloren.
"Nein, ich denke ich werde wohl für immer alleine sein!", antwortete Celles dann und grinste übertrieben falsch.
"Wohl zu hohe Ansprüche!", lästerte Vanessa und zog eine Grimasse.
"Besser als keine Ansprüche!", sülzte Celles, "Ich kann mir eben nicht vorstellen was mit dem ach so schönen Allister anzufangen, tut mir Leid!"
Vanessa lachte: "Vielleicht lassen wir das Thema besser!"
Celles streckte sich: "Ich mache mich auf den Weg nach Elensar und sehe mal was ich machen kann. Shanora verhält sich immer noch leicht seltsam!"