"So, du lebst also noch."
Das kalte Starren von Narzissa Malfoy ließ Hermine augenblicklich in sich zusammenschrumpfen. Sie hätte erwartet, dass der Herr des Hauses sie und Snape an der Eingangstür empfangen würde, stattdessen stand nun seine Frau vor ihnen. Es war offensichtlich, dass sie nicht glücklich war über die Rückkehr der Sklavin und Hermine war sich in diesem Moment sicher, dass sie und nicht Lucius Malfoy selbst hinter der Aussperrung gesteckt hatte. Wenn sie recht darüber nachdachte, hatte sie an jenem Tag den älteren Malfoy nach dem Mittagessen nicht mehr zu Gesicht bekommen. Auch die schemenhaften Erinnerungen daran, wie er sie in seine Arme genommen und ihr ein heißes Bad bereitet hatte, sprachen dafür, dass er mit dem Vorfall nichts zu tun hatte. Umso beunruhigender war es nun, dass erneut nur seine Frau vor ihr stand.
"Wir werden zum Mittag erwartet", sagte Snape, während er Narzissa Malfoy gleichgültig anschaute. Ohne eine weitere Erwiderung führte die Dame des Hauses den Besucher in Richtung des kleinen Salons. Während er durch die Tür trat, wandte sie sich an Hermine: "Du kannst dich in der Küche nützlich machen."
Glücklich über die Möglichkeit, dem hasserfüllten Blick der Frau zu entfliehen, eilte Hermine den gewohnten Weg zur Küche entlang. Beinahe freute sie sich darauf, die Hauselfen wieder zu sehen, die in den vergangenen Wochen immer so freundlich zu ihr gewesen waren. Doch die Freude währte nur kurz, denn als sie eintrat, konnte sie in dem hektischen Gewusel den blonden Schopf von Draco Malfoy ausmachen. Wie angewurzelt blieb sie stehen, während er sich gemächlich umdrehte, um sie zu mustern.
"Ah, du lebst noch."
Was war nur mit dieser Familie los, dass ihnen nichts Besseres einfiel, als ihr Überleben bedauernd festzustellen? Wütend ballte Hermine die Hände, ließ sich jedoch nicht zu einer Erwiderung herab. Stattdessen griff sie nach der Schürze, die neben der Tür hing, band sie um und machte sich daran, den Hauselfen bei der Zubereitung des Essens zu helfen.
"Du solltest mir mehr Respekt entgegenbringen!", kam es kalt von Malfoy. Hermine lief ein Schauer über den Rücken, doch sie weigerte sich, so kurz nach ihrer Ankunft erneut in Panik zu verfallen, nur weil der Sohn des Hauses ein paar unfreundliche Worte sagte. Stur wusch sie das Gemüse ab, schaute demonstrativ an ihrem ehemaligen Mitschüler vorbei und wünschte, er würde endlich verschwinden. Diesen Gefallen tat er ihr jedoch nicht, im Gegenteil, nach einigen Minuten der Stille spürte sie, wie er an sie heran trat und von hinten in seine Arme zog.
"Haben dir die Tage bei Snape gefallen?", fragte er leise, während er eine Hand um ihre Kehle legte und mit der anderen ihre Arme fest an ihren Körper presste, "Hast du wieder die Beine für ihn breit gemacht, um seine Gunst zu erschleichen?"
Hermine schluckte hart und rang verzweifelt nach Luft, ehe sie eine Antwort hervorbrachte: "Wie oft willst du diesen Blödsinn noch wiederholen, Malfoy? Als ob es mir Spaß machen würde ..."
"Oh, aber es hat dir Spaß gemacht, das kannst du nicht abstreiten, Liebes", erwiderte er mit gespielter Zärtlichkeit, "ich habe doch dein Stöhnen gehört, während Snape dich gefickt hat. Und ich habe gesehen, wie du dich in die Arme meines Vaters gekuschelt hast, als wärst du seine Geliebte. Erzähl mir, Granger ... hast du schon zu Schulzeiten auf Todesser gestanden oder ist das erst danach gekommen?"
"Wir haben diese Unterhaltung schonmal gehabt, Malfoy, und weder verstehe ich inzwischen, was du damit bezweckst, noch wirst du irgendeine andere Antwort als zuvor erhalten. Also ... lass mich los!", zischte Hermine genervt und verängstigt zurück. Immer und immer wieder kam Malfoy mit denselben lächerlichen Anschuldigungen, sie war es leid. Einer plötzlichen Eingebung folgend fügte sie schließlich hinzu: "Kann es sein, dass du eifersüchtig bist? Hast du mich deswegen zu Schulzeiten immer getriezt und begegnest mir jetzt mit so viel Hass - weil du insgeheim auf mich stehst? Ist es das? Macht es dich der Gedanke an, mit einem Schlammblut zu schlafen?"
Entsetzt ließ Draco Malfoy sie los und sprang beinahe einen Schritt zurück, ehe er sich wieder unter Kontrolle hatte: "Wie kannst du es wagen ...? Mein Vater behandelt dich viel zu gut, sonst würdest du dich nicht trauen, so mit mir zu sprechen!"
Angespannt starrte Hermine ihren Gegenüber an. Sie bereute plötzlich, dass sie ihn provoziert hatte, als ihr die gefährliche Aura, die von dem jungen Mann ausging, auffiel. Seit ihrem ersten Tag in Malfoy Manor hatte sie gespürt, dass mit Draco Malfoy irgendetwas nicht in Ordnung war, und je mehr sie ihn kennen lernte, umso sicherer war sie, dass er eine tickende Zeitbombe war. Zu Schulzeiten hatte sie seine plötzlichen Wutanfälle und Aggressionen auf die Feindschaft mit Harry geschoben, aber was sie inzwischen gesehen hatte, schien er ernsthafte Probleme zu haben. Und sie wusste, es war nie klug, solche Menschen zu reizen. Zu ihrer Erleichterung schien Draco jedoch kein weiteres Interesse an der Diskussion zu haben - mit einem letzten, bösen Blick wandte er sich ab und verließ die Küche.
oOoOoOo
Erstarrt stand Hermine an ihrem gewohnten Platz in der Ecke des Speisesaals und sah der Familie und Snape beim Mittagessen zu. Sie war enttäuscht und verletzt, und gleichzeitig schämte sie sich für diese Empfindungen. Sie konnte sich nicht erklären, woher diese Gefühle kamen, sie hasste sich dafür, dass sie überhaupt auch nur annähernd so etwas empfand, und doch konnte sie es nicht leugnen. Ebenso, wie sie entsetzt bemerkt hatte, dass sie Lucius Malfoy vermisst hatte, war sie nun entsetzt darüber, dass sie enttäuscht war, dass er sie ignorierte. Sie war sich sicher gewesen, dass er sich freuen würde, sie wieder zu sehen, doch außer einem knappen Nicken hatte er ihr keine weitere Aufmerksamkeit gespendet.
Es war nicht so, dass sie ihm Zuneigung entgegen brachte. So viel stand fest. Aber Hermine hatte das Gefühl gehabt, dass mehr zwischen ihnen war als das Verhältnis eines Sklaven zu seinem Herrn. Dass er sie vielleicht respektierte, oder zumindest ihre Anwesenheit schätzte. Doch offensichtlich hatte sie sich darin geirrt. Oder vielleicht war es auch nur Einbildung gewesen? Vielleicht war der höfliche, rücksichtsvolle Umgang von Lucius Malfoy in ihrer Erinnerung während ihres Aufenthalts bei Snape viel wärmer erschienen, als er wirklich war, weil sie so viel mit Snape gestritten hatte und sie so viel Angst vor ihm empfunden hatte? Wenn sie ehrlich zu sich war, gab es außer einer Umarmung und dem abgebrochenen Versuch, mit ihr zu schlafen, nicht wirklich etwas, das auf ein besonderes Verhältnis hindeutete.
Ich habe mich selbst angelogen, dachte Hermine verbittert, um die Realität der Sklaverei zu verwässern, hat mein Kopf mir ein Bild von Lucius Malfoy eingepflanzt, das vermutlich nichts mit den Tatsachen zu tun hat. Wenn er wüsste, wie ich über ihn denke - gedacht habe - wäre er vermutlich angewidert...
Eine schallende Ohrfeige aus heiterem Himmel brachte sie in die Realität zurück. Schockiert hielt sich Hermine die Wange, während sie mit Tränen in den Augen zur Tafel hinüber schaute: Lucius Malfoy hatte sich in seinem Stuhl umgedreht und deutete mit seinem Zauberstab auf sie.
"Antworte, wenn man mit dir redet!", befahl er in scharfem Ton. Verwirrt blickte Hermine ihn an - sie musste eine Aufforderung verpasst haben, während sie in Gedanken versunken war. Ihr entging nicht der hämische Blick von Narzissa Malfoy, ebenso wenig wie der misstrauische von Draco.
"Was habt Ihr befohlen, Herr?", fragte sie vorsichtig, bereit, eine weitere magische Ohrfeige zu erhalten. Doch der Hausherr beließ es bei einem zornigen Blick und wiederholte nur seinen Befehl: "Du sollst deine Arbeit in der Küche für heute sein lassen und direkt in die Bibliothek gehen. Du hast mehr als zwei Tage vollkommen verschwendet, also holst du das heute auf, egal, wie lange es dauert!"
Empört setzte Hermine zu einer Erwiderung an - als sei ihre Krankheit ihre Schuld gewesen - besann sich dann jedoch eines Besseren. Stattdessen nickte sie nur und wartete, bis Lucius Malfoy sein Mahl beendet hatte, um von ihm in die Bibliothek geführt zu werden. Sie bemerkte gerade noch, dass Snape ihr interessiert hinterher sah, doch die weitere Konversation verklang hinter den sich schließenden Türen.
oOoOoOo
Hermines Konzentration ließ langsam nach. Seit Stunden saß sie alleine in der Bibliothek, denn der Hausherr hatte ihr nur für einen kurzen Moment zugeschaut und war dann gegangen, nachdem er sie ermahnt hatte: "Du gehst hier erst weg, wenn du alle Bücher auf dem Tisch katalogisiert hast! Und wenn es die ganze Nacht dauert!"
Es war inzwischen dunkel geworden draußen und ihr Magen knurrte. Abgesehen von einer hektisch heruntergeschlungenen Scheibe Brot hatte sie nichts zum Mittag gehabt. Der Stapel auf dem Stuhl neben ihr war mittlerweile genauso hoch wie der Stapel auf dem Tisch - was ihr anzeigte, dass sie etwa die Hälfte der Arbeit geschafft hatte. Vor Mitternacht würde sie die Bibliothek sicherlich nicht verlassen können. Sie spürte, dass ihr Körper nach Nahrung und Schlaf schrie, dass ihre Muskeln müde waren und sie noch immer nicht wieder gesund war. Außerdem war ihr kalt. Sie wusste, dass es eigentlich nicht kalt hier war, aber dennoch konnte sie ein Zittern nicht verhindern. Vermutlich hatte ihr Körper das Fieber noch nicht auskuriert und brütete es nun mit neuer Vehemenz aus.
"Verflucht, warum hat er mich überhaupt erst zu Snape zum Heilen gebracht, wenn er mich jetzt einfach wieder krank werden lässt?", schimpfte sie leise vor sich hin. Überhaupt - warum dieser Aufwand, sie retten zu wollen, wenn er ihr nun so kalt begegnete? Wenn ihm nichts an ihr lag, hätte er sie auch einfach erfrieren lassen können. Die Arbeit hier würde sicherlich auch jemand anderes erledigen können, und für Sex hatte er sie bisher auch nie ernsthaft genutzt. Was tat dieser Mann?
Das leise Knarren der Tür ließ Hermine aufblicken. Wie immer schafften es die Malfoy-Männer, genau dann zu erscheinen, wenn sie über sie nachdachte: Mit langen Schritten näherte sich Lucius Malfoy, bis er kurz vor ihr stehen blieb.
"Hast du schon etwas zu Abend gegessen?", fragte er. Als Hermine den Kopf schüttelte, wurden seine Augen schmal: "Warum nicht? Du warst gerade erst krank, wenn du nichts isst, wirst du wieder krank. Glaubst du, ich habe dich zum Spaß zwei Tage weggegeben? Ich habe keine Lust, dass die Arbeit hier noch länger liegen bleibt, also pass gefälligst darauf auf, dass du nicht wieder krank wirst!"
Empört über diese Ungerechtigkeit schoss Hermine vom Stuhl hoch: "IHR habt mir doch verboten, die Bibliothek zu verlassen, ehe ich fertig bin!"
"Ist es jetzt also meine Schuld, dass du nicht anständig isst?", kam die kalte Frage zurück. Hermine konnte nicht glauben, dass dieser Mann dermaßen unlogisch war, doch sie war zu müde und hungrig, um sich auf einen Streit einzulassen.
"Wenn Ihr es erlaubt, würde ich dann kurz in die Küche gehen ..."
"Zeitverschwendung!", unterbrach der Mann sie, "Ich rufe einen Hauselfen, dass er Brot und Milch bringt. Aber du wirst draußen essen, damit du meine Bücher nicht beschmutzt!"
Ergeben nickte Hermine und folgte ihrem Herrn nach draußen. Innerhalb von wenigen Minuten erschien der Hauself mit einer Scheibe Brot und einem Glas Milch, welches sie im Stehen herunterwürgen musste. Wirklich gesättigt fühlte sie sich nicht, doch sie spürte, dass ihr Körper dankbar war und ihr ein wenig wärmer wurde. Fragend schaute sie dann zu Lucius Malfoy auf.
"Schau nicht so blöd, mach dich wieder an die Arbeit, sonst wirst du nie fertig!", fuhr er sie an. Kurz verharrte ihr Blick noch auf ihm, doch da keine weitere Reaktion kam, zuckte sie nur mit den Schultern und kehrte an den Schreibtisch zurück. Nur am Rande nahm sie wahr, dass Malfoy ihr nicht folgte. Ihr behagte der Gedanke nicht, spät nachts alleine in der großen Bibliothek zu sitzen - insbesondere bei der Erinnerung an ihre letzten Gespräche mit Draco Malfoy, in denen er mehrfach deutlich gemacht hatte, dass er sie nicht mehr so einfach in Ruhe lassen würde nachts. Nach diesem Gespräch hatte sein Vater sie mit zu sich uns Zimmer genommen - und direkt danach war sie todkrank bei Snape gelandet. Dass sich Malfoy junior nicht wieder hatte blicken lassen, lag also nur an mangelnder Gelegenheit.
Und wenn er diese jetzt nicht ergreifen würde, wäre das schon mehr als merkwürdig.