Der Ton meines Handys riss mich an einem frühen Sonntagmorgen, aus dem Schlaf. Stöhnend und ziemlich missgelaunt, schlug ich die Augen auf. Wer schickte mir da wohl schon so früh eine WhatsApp- Nachricht? Wussten doch eigentlich alle, dass ich am Sonntag sehr viel Wert auf ausgiebiges Ausschlafen legte.
Ich rieb mir die Augen und langsam klärte sich mein, noch ziemlich vernebelter Blick. Ich tastete nach meiner Brille, die auf dem Nachttisch lag und schaute auf das leuchtende Display meines Telefons. Es war eine Nachricht von meiner, seit bald einem Jahr, festen Freundin Adrien.
„Guten Morgen Schlafmütze, ich wollte dich fragen, ob du heute Zeit für ein gemeinsames Picknick am See hättest. Immerhin ist heute Valentinstag!“ Oh nein, das war mir völlig entgangen! Valentinstag! Dabei hatte ich nicht mal ein Geschenk für Adrien besorgt. An Schlaf war nun nicht mehr zu denken! Ich antwortete kurz, dass ich gerne ein Picknick mit ihr machen würde und wir machten auf den frühen Mittag, einen Termin aus. Das hätte man auch noch ein, zwei Stunden später machen können. Irgendwie ärgerte es mich, dass Adrien mich gestört hatte.
Seit den letzten Wochen, ging sie mir sowieso irgendwie auf die Nerven. Sie begann immer mehr zu klammern und stellte endlos Forderungen, die ich eigentlich gar nicht mehr so wirklich von Herzen, zu erfüllen vermochte. Je länger je mehr fragte ich mich, ob ich mit meinen damals 16 Jahren schon so eine feste Bindung hätte eingehen sollen. Irgendwie hatte ich mir das anders vorgestellt. Vor allem hätte ich mir eine innigere Verbindung gewünscht, doch ich war nun schlussendlich jener, der sich immer weiter von Adrien entfernte. Vielleicht spürte sie das ja auch und begann deshalb mehr zu klammern.
Ich gähnte schwermütig und schlurfte ins Badezimmer. Dort ging ich unter die Dusche und begann mich dann für das Picknick anzukleiden. Irgendwie lustlos, schaute ich in den Spiegel über dem Waschbecken und musterte mein Gesicht. Manchmal fragte ich mich schon, was Adrien an mir fand. Eigentlich war ich eher bleich und hatte ausserdem seit kurzem, mit einer hartnäckigen Akne, zu kämpfen. Mein Haar war dunkelbraun und kurzgeschnitten und meine Augen besassen, ein eher gräuliches Blau. Mein Körperbau war hochgewachsen und schlank, doch eher schlaksig. Ausserdem trug ich eine Brille, welche mir schon öfters das Schimpfwort Brillenschlange, von meinen Schulkameraden, eingebracht hatte.
Die Jungs in meiner Klasse, konnten irgendwie nicht viel mit mir anfangen, eigentlich kam ich besser klar mit den Mädchen, obwohl mich bisher keins davon, wirklich angezogen hatte. Auch Adrien hatte mich, wenn ich mich richtig entsann, nie wirklich körperlich angezogen. Doch wir kannten uns schon eine lange Zeit und irgendwie wurde unsere Verbindung mit den Jahren immer enger und schliesslich…, gestand sie mir ihre Liebe. Ich hatte auch wirklich das Gefühl, dass ich sie auch liebe, aber nun… ach ich wusste nicht, was mit mir los war! Adrien war doch eigentlich so ein liebes Mädchen und wir hatten auch viele, gemeinsame Interessen, wir konnten stets wunderbar über alles miteinander reden. Doch warum fühlte ich mich dennoch auf einmal so fern von ihr? Als sie noch nicht meine Partnerin gewesen war, waren wir beinahe enger verbunden gewesen. Nun, mal sehen, das Picknick am See, würde und beiden sicher guttun!
Die Sonne stand bereits strahlend an einem tiefblauen Himmel, als ich mich auf den Weg zum See machte. Adrien und ich gingen oft am See spazieren und hatten schon das eine, oder andere Lieblingsplätzchen, ausfindig gemacht. Eins davon lag in einer kleinen Bucht, welche auf einer Seite etwas von Schilf eingerahmt wurde.
Wie abgemacht brachte ich frisches Brot und geschnittenes Gemüse mit zum Picknick, Adrien würde sich um den Rest kümmern. Ich hatte noch kurz in der naheliegenden Tankstelle einen Strauss Blumen und einen kleinen Champagner besorgt. Wenigstens kam ich so nicht mit ganz leeren Händen zum Valentins- Picknick!
Der Blick über den See, war heute herrlich klar, ich konnte bis ans gegenüberliegende Ufer sehen. Die Wellen kräuselten sich sanft im lauen Wind und umspülten den kleinen Strand, an dem wir uns treffen würden.
Schon von weitem erblicke ich einen kleinen, blau- weissen Sonnenschirm und darunter sass ein wahrlich bezauberndes Mädchen, mit langem dunklem Haar, auf einer rot- karierten Picknick- Decke. Sie trug ein luftiges Sommerkleid, welches sogar farblich zum Schirm passte und ich freute mich doch sehr, sie zu sehen.
Als sie mich erblickte, lachte sie fröhlich und fiel mir um den Hals. Ja ich mochte sie wirklich, aber einfach nicht so, wie es hätte sein sollen. Was war das nur?
Doch ich durfte mir meine Unsicherheit nicht anmerken lassen, nicht heute am Valentinstag! Ich verdrängte mit aller Macht meine seltsamen Gefühle und küsste meine Freundin liebevoll, wenn auch eher kurz, auf den Mund. Dann überreichte ich ihr die Blumen und den Champagner. Sie strahlte noch mehr und rief, „Oh wie schön! Vielen herzlichen Dank Patric!“ „Nun,“ sprach ich ein wenig beschämt, „das ist ja wohl das Mindeste.“
Sie lächelte und führte mich dann zum Picknickplatz. „Setz dich doch Schatz, ich bin schon sehr hungrig. Du nicht auch?“
So vergingen die Stunden und Adrien und ich genossen unser Picknick wirklich sehr. Die trüben Gedanken waren in den Hintergrund gerückt und ich begann sogar etwas intensiver mit meiner Freundin zu knutschen… als uns auf einmal, ein paar männliche Stimmen, aus unseren Träumereien rissen. Einige Jungs, ein wenig älter als ich, näherten sich dem kleinen Strand. Ich kannte sie bisher nur flüchtig, doch vor allem der eine, erregte meine Aufmerksamkeit. Er trug eine rote, enganliegende Badeshorts und sein Körper war kräftig und wirklich ansehnlich gebaut. Er hatte strohblondes, kurzes Haar und tiefblaue Augen, die mich sogleich in ihren Bann schlugen.
Als er und seine Kumpels, Adrien und mich entdeckten, riefen sie. „Ohjeh, der Platz scheint schon besetzt zu sein! Sorry! Wir wollen nicht stören. Wir gehen besser wieder!“ „Hallo Josh!“ rief Adrien fröhlich, an den hübschen, blonden Mann gewandt. „Was läuft so?“ Die beiden schienen sich gut zu kennen. Sollte ich nun eifersüchtig sein, oder nicht? Aber irgendwie schaffe ich das nicht, denn dieser Josh gefiel mir selbst ausserordentlich gut und ich konnte ihm gar nicht böse sein, auch wenn er und seine Kumpels, uns hier störten. Wieder staunte ich darüber, wie wenig mir doch die Zweisamkeit mit Adrien mittlerweile bedeutete. Wäre ich wirklich unsterblich verliebt in sie gewesen, dann hätten mich die Neuankömmlinge sicher mehr geärgert. So aber, bot ich ihnen sogar etwas zu trinken an.
Adrien zögerte einen Moment, doch dann verteilte sie einige volle Becher an die drei Jungs. „Danke!“ freute sich Josh und ein strahlendes Lächeln, breitete sich über sein schönes Gesicht aus. Er schaute mich an und als unsere Blicke sich begegneten, wurde ich plötzlich verlegen. Auch er schien etwas verlegen zu sein und wandte sich auch sogleich wieder ab. Wie konnte ich auch annehmen, dass sich so ein schöner Mann für jemanden wie mich interessierte? Aber warum dachte ich überhaupt über sowas nach? Eigentlich hätte ich mir doch mehr Gedanken machen sollen, was Adrien dachte, oder wenigstens was die Vertreter des weiblichen Geschlechts, über mich dachten?
Aber warum fühlte ich mich in der Gegenwart von Josh jetzt so unsicher, warum klopfte mein Herz so schnell und ich malte mir bereits Szenen mit ihm aus, die ich mir noch nicht einmal mit Adrien ausgemalt hatte?
Das alles brachte mich völlig durcheinander und vermutlich wirkte ich dann plötzlich etwas abweisend, denn Josh sprach, mit einem unsicheren Blick zu mir herüber: „Wir sollten jetzt aber wirklich wieder gehen Freunde, das hübsche Paar hier, will sicher allein sein. Wir suchen uns einen anderen Platz!“ Hübsches Paar? Sagte Josh das jetzt nur, weil er Adrien und mir schmeicheln wollte oder… konnte es wirklich sein, dass er mich, wider Erwarten, tatsächlich hübsch fand? Diese Vorstellung, liess mein Herz noch heftiger klopfen und der Gedanke an Josh, liess mich sei jenem Augenblick nicht mehr los. Ich war gar nicht mehr richtig bei der Sache und nahm das Picknick mit Adrien nur noch am Rande wahr.
Als es vorbei war, war ich richtig froh und mir wurde einmal mehr bewusst, dass ich Adrien wohl wirklich nicht so liebte, wie sie es eigentlich verdient hätte. So süss sie auch war, ich konnte mich nicht dazu zwingen, mehr für sie zu empfinden, als ich es tat.
Mir wurde klar, dass etwas passieren musste, ich konnte diese Lüge nicht mehr weiter leben und so kam es, dass ich mir auf einem abendlichen Spaziergang überlegte, wie ich wohl am besten mit Adrien Schluss machen konnte, ohne sie zu sehr zu verletzen.
Es war eine mondhelle Nacht und unzählige Sterne, leuchteten am Himmel. Ich setzte mich auf eine Bank, etwas abseits der Hektik auf einem Hügel und blickte über das Dorf und den See die nun unter mir lagen. Das alles war so seltsam. Warum nur, liess mich das Gesicht von Josh nicht mehr los? Ich hatte mich Hals über Kopf in ihn verliebt, dabei hatte ich gedacht, dass ich heterosexuell sei. Doch scheinbar stimmte das doch nicht. Wenn ich näher darüber nachdachte… Ich hatte mich oft dabei ertappt, wie ich Männer anschaute und wie mich dabei Gedanken bewegten, die eigentlich ungewöhnlich waren. Nun jedoch hatte ich mich tatsächlich in einen Mann verliebt und alles war auf einmal viel klarer:
Meine Verwirrung manchmal, weil ich mich mehr für den Körper der Männer um mich interessierte, als für jenen der Frauen. Bisher hatte ich mir nicht wirklich eingestanden, dass meine sexuelle Neigung wohl etwas anders war. Ich empfand zu viel Angst, wegen dieser Neigung verstossen oder gemobbt zu werden. Ich wollte nicht, dass andere Männer sich von mir zurückzogen, aus irgendeiner Angst, oder Abscheu mir gegenüber. Doch eigentlich war das ja auch gar nicht ihr Recht. Ich war wie ich war und ich war vollkommen okay so. Irgendwann musste ich mich auf jeden Fall outen. So ging das nicht mehr weiter…
„Hej, so trifft man sich wieder!“ erklang auf einmal eine bekannte Stimme hinter mir. „Welch ein Zufall! Ich dachte, die Bank sei noch frei. Tut mir leid, dass ich dich schon wieder störe.“ Mein Herz setzte einige Schläge aus und ich wandte mich erschrocken um. Vor mir stand tatsächlich Josh! Im spärlichen Licht der nahe stehenden Strassenlaterne, konnte ich zuerst nur seine Silhouette erkennen. Sein Gesicht war noch in den Schatten verborgen. Als er nun jedoch näher trat, fiel das Licht auf sein goldenes Haar, das freundliche Gesicht und die strahlenden, blauen Augen. Ich glaubte erneut, noch nie in meinem Leben, einen schöneren Mann gesehen zu haben.
Doch das hatte wohl mit meinen Gefühlen zu tun, die wild Karussell fuhren und es mir schwer machten, überhaupt einen klaren Gedanken zu fassen. Oder irgendein Wort, welches einigermassen Sinn ergab, über die Lippen zu bringen.
Ich stotterte: „Oh ja, das ist wirklich ein Zufall. Aber du störst nicht, auf der Bank ist noch genug Platz!“ Oh Mann! Hätte ich das jetzt wirklich sagen sollen, nicht das Josh noch dachte… Aber was sollte er schon denken und wenn er es dachte, dann konnte es mir doch eigentlich egal sein.
Der blonde Mann zögerte noch einen Moment und fragte: „Kommt deine Freundin vielleicht nicht auch noch nach?“ „Nein sie ist nicht mehr… sie äh ist diesmal nicht dabei.“ „Okay, dann setze ich mich mal hin. Ich bin eigentlich hier herausgekommen, um nachzudenken, aber wir können auch zusammen nachdenken.“ „Soll ich vielleicht gehen?“ stotterte ich, kaum mehr Herr meiner selbst. „Ich bin schon eine Weile hier und wenn du allein sein willst…“ „Nein, nein! Bleib doch!“ Ich versuchte dem Ton in seiner Stimme zu erahnen, ob er das wirklich ehrlich meinte. Sie machte mir einen aufrichtigen Eindruck.
Eine Weile lang, sassen wir also zusammen und sprachen erstmal nichts. Dann auf einmal jedoch meinte Josh. „Dies hier ist wirklich ein schöner Ort und heute ist so eine klare Nacht.“ „Ja, das stimmt.“ Erneut peinliches Schweigen. Ich starrte vor mich hin, unfähig wirklich etwas Gescheites zu sagen, als ich merkte, wie Josh mich eingehend von der Seite musterte. „Eigentlich schade, haben wir uns nicht früher kennengelernt. Du scheinst ein netter Kerl zu sein. Ich freue mich für Adrien, dass sie dich als Freund hat.“ Ich starrte weiter vor mich hin, nur um mir nicht anmerken zu lassen, wie wenig mir Adrien doch eigentlich im Moment bedeutete, jetzt da ich neben diesem wunderbaren Mann sass.
„Du scheinst aber irgendwie nicht ganz glücklich zu sein,“ gab Josh auf einmal zu bedenken. „Hatten du und Adrien Streit?“ „Nein, nein! Es ist alles gut zwischen uns.“ „Sicher? Das klingt irgendwie nicht so überzeugend.“ Warum interessierte ihn das überhaupt? Sollte ich ihm die Wahrheit sagen?“
Nach einigem Zögern erwiderte ich. „Nun, eigentlich hast du schon irgendwie recht. Zwar hatten sie und ich keinen Streit oder so. Noch nicht… aber, wenn ich ihr das sage, was ich ihr sagen will, dann werden wir vielleicht Streit bekommen.“ Josh blickte mich an und wartete einfach, bis ich weiter sprach. „Ich empfinde nicht das für sie, was sie eigentlich verdient hätte und darum… habe ich mich entschlossen, Morgen reinen Tisch zu machen. Ich möchte Schluss mit ihr machen. Aber warum erzähle ich dir das überhaupt?“ „Keine Angst, ich schweige wie ein Grab. Es tut mir leid, dass es bei euch nicht geklappt hat. Bestimmt wirst du eine neue Freundin finden, die besser zu dir passt. Du hast da sicher keine Probleme.“ Ich schaute Josh verlegen grinsend an. „So einfach wird das nicht sein, ich bin gar nicht so beliebt beim anderen Geschlecht und wenn, dann höchstens für die Friendszone. Aber gerade ist mir das auch egal.“ „Ich kann mir nicht vorstellen, dass du nicht beliebt bist.“ „Ach was! Ich bin nichts Besonderes! Ich sehe nicht wirklich gut aus, du hast da sicher mehr Chancen.“ „Okay, es gibt schon die eine oder andere, die an mir Interesse hätte, aber es ist ein wenig kompliziert.“ „Kompliziert ist mein zweiter Vorname!“ lachte ich. „Aber dass das bei dir auch so ist, kann ich mir kaum vorstellen.“ „Der Eindruck kann täuschen. Ich habe bisher noch jede Frau, unglücklich gemacht. Doch das hat auch seine guten Gründe.“ Ich horchte auf. Was meinte der blonde Mann bloss damit? „Ich habe bisher noch mit niemandem darüber gesprochen, aber irgendwie glaube ich, dass ich dir vertrauen kann.“ „Das kannst du zu 100 %!“ beteuerte ich, denn meine Neugier hatte sich bis ins Unerträgliche gesteigert. „Nun, ich habe irgendwie Probleme mich wirklich auf das weibliche Geschlecht einzulassen. Ich könnte darüber echt mit niemandem reden. Aber manchmal habe ich so Gedanken… so Gefühle und diese Gefühle beziehen sich nicht wirklich auf Frauen eher auf… Männer!“
Erneut glaubte ich mein Herz müsse stillstehen und ich starrte Josh entgeistert an. „Sorry, wenn ich dich schockiert habe!“ sprach dieser „aber keine Angst ich werde dir schon nicht zu nahe treten.“ „Davor habe ich auch keine Angst,“ stotterte ich. „Vielmehr… mir geht es gerade ganz ähnlich. Mir ist ebenfalls bewusst geworden, dass ich wohl eher auf Männer stehe.“ „Echt!“ die Augen von Josh strahlten mich an, Erleichterung und Freude, spiegelte sich in ihnen. „Dann war es vielleicht Schicksal, dass wir uns hier wieder getroffen haben. Denn ich würde dich gerne etwas besser kennen lernen.“
Und so kam es, dass der Valentinstag zum glücklichsten Tag meines Lebens wurde, denn Josh und ich wurden kurz darauf zu einem Paar und nun hatten wir keine Angst mehr, zu unseren Gefühlen zu stehen!
Ende