Seine Augen wurden immer kleiner und unschuldiger. Ängstlich senkte er seine Blicke zu Boden und nutzte jede Gelegenheit mir nicht in die Augen sehen zu müssen. Verlegen begann er sich am Hinterkopf zu kratzen und knabberte nervös auf seinen Fingernägeln herum.
„Ich bin ein Vampir“, flüsterte er leise und zog damit meine ungeteilte Aufmerksamkeit auf sich. Seine verhärteten Gesichtszüge entspannten sich für einen kurzen Moment, doch dann wurde ihm etwas bewusst und er starrte mir unsicher entgegen.
Erschrocken presste ich meinen Körper eng gegen den Stuhl und versuchte unauffällig einen möglichst großen Abstand zwischen uns herzustellen.
Die unangenehme Situation im Wald trat wieder vor meine Augen und veranlasste meinen Fuß dazu, nervös zu wippen.
Doch noch im selben Moment legte sich ein Lächeln auf meine Lippen. Seine überzeugende Art hätte mich fast mit in diesen Wahnsinn gezogen, doch als ich die Augen schloss, wurde ich wieder realistisch.
Vampir? Schon allein dieses Wort klang völlig unrealistisch. Entschlossen legte ich meine Handflächen auf die Stuhllehnen und stemmte mein Gewicht nach oben.
Leise schob ich den Stuhl nach hinten und schritt zur Tür. Meine Fingerspitzen berührten die kalte Türklinke, als ich mich noch einmal zu ihm umdrehte.
„Was machst du?“, fragte er enttäuscht, als er verstand was ich vorhatte.
„Ich will jetzt gehen.“
„Alex bitte! Ich weiß, dass das verrückt klingt, aber...“
„Aber was? Ich verstehe nicht, wie ich das auch nur eine Sekunde lang glauben konnte! Es war völlig schwachsinnig dir zu folgen. Ich habe nur meine Zeit verschwendet“, entgegnete ich entschlossen.
„Bitte setz dich“, bettelte er und schob meinen Stuhl einladend nach hinten.
„Ich weiß nicht was dein Problem ist, aber ich werde jetzt gehen“, rief ich und drückte die Türklinke runter.
„Das Mädchen!“, rief er plötzlich erfreut und kam auf mich zu gerannt. Schnell schlug er die Tür zu, drängte mich somit von ihr weg und stellte sich lächelnd vor mich.
„Welches Mädchen?“
„Du weißt genau welches ich meine. Der Essensraum?“
Ich atmete schwer aus, als ich mir diese Erinnerung in den Kopf rief. Ich hatte gehofft er hätte es vergessen, aber meinen hysterischen Schreianfall konnte man wohl nicht so schnell verdrängen.
„Ja und was ist mit ihr?“, stellte ich mich dumm und seufzte. Gefährlich nah stand er mir gegenüber und hinderte mich, den Raum verlassen zu können.
„Komm schon, kam sie dir etwa normal vor?“ Ungeduldig ließ ich meine Blicke durch den Raum wandern und zuckte genervt mit den Schultern. Ich rollte mit den Augen und stöhnte einmal gelangweilt auf. Doch das tat ich nicht nur aus Langeweile. Meine Rückenschmerzen, die ich vor knapp einer Minute bekommen hatte, waren wohl genauso ein Grund dafür.
Meine Augenlider wurden schwerer und ich bekam mit einem Mal das Bedürfnisse, einfach die Augen schließen zu können.
„Na gut, wenn du mich überzeugen willst, beweis`, dass du ein Vampir bist“, lachte ich spöttisch und blickte ihm schließlich herausfordernd in die Augen.
„Ja!“, antwortete er erleichtert und nahm mich ohne Einverständnis in die Arme. Erleichtert drückte er mich eng an sich und strich mir sanft über den Rücken. Eigentlich wollte ich es nicht zulassen und eigentlich wollte ich es auch nicht genießen, aber mein Herz machte was es wollte. Ob ich es wollte oder nicht, fühlte ich mich in diesen Armen einfach sicher und wohl. Langsam lösten wir uns aus der Umarmung und er gab mir einen wunderschönen Kuss.
Dann drehte er sich weg von mir, lief auf meinen Stuhl zu und schob ihn auf die Kante genau an den Tisch heran.
Als er damit fertig war, entfernte er sich vom Tisch und lief in die andere Ecke des Zimmers. Mit hochgezogener Augenbraue betrachtete ich das Geschehen vom Weitem.
Zittern streckte er seine rechte Hand leicht nach vorne und begann seine Finger verkrampft zu bewegen. Ich hörte auf seine Finger anzustarren, als ich ein scharrendes Geräusch vernahm. Langsam schob sich der Stuhl vom Tisch weg. Verblüfft starrte ich die gleichförmige Bewegung des Stuhles an und merkte wie ich nervöser wurde. Er begann in meine Richtung zu schweben, doch schon nach der Hälfte blieb er stehen und der Junge nahm die Hand wieder runter.
Zufrieden lächelte er mir entgegen. Um realisieren zu können, was eben passiert war, lief ich auf den Stuhl zu, schob ihn an den Tisch heran und stellte mich dann wieder zu der Tür.
„Und glaubst du mir jetzt?“, fragte er selbstsicher und setzte sein bezauberndes Lächeln auf. Seine Spitzen Eckzähne blitzten hervor und machten dieses wunderschöne Lächeln zu etwas Gefährlichem. Ich wusste, dass er sich Mühe gab mich überzeugen zu können, doch trotzdem konnte ich ihm immer noch nicht ganz glauben. Es funktionierte einfach nicht!
„Das beweist immer noch nichts.“
Kurz entglitten ihm seine Gesichtszüge. Als er es bemerkte, riss er sich zusammen und versuchte sein enttäuschtes Gesicht zu verdecken.
„Was ist denn jetzt schon wieder dein Problem?“ Ungeduld machte sich in seiner Stimme breit, die mich schuldig fühlen ließ.
„Das mit dem Stuhl könnte manipuliert sein, zeig mir noch etwas anderes. Irgendwas und dann glaub ich dir bestimmt“, meinte ich entgegenkommend. Ich hasste es in enttäuschte Augen blicken zu müssen. Doch seine Augen setzten das Ganze auf ein ganz neues Level.
Energisch riss er seine Hand nach oben, verkrampfte erneut die Finger und visierte mich an.
Erschrocken hielt ich die Luft an. Schnell wollte ich einen Schritt zurück gehen, doch hinter mir war die Tür. Die kalte Klinke bohrte sich in meinen Rücken und hinterließ bei mir eine Gänsehaut. Plötzlich löste sich eine schwere Last von meiner Schulter und mit ihr verschwanden meine Rückenschmerzen.
Kontrollierend fasste ich an meine Schulter und prüfte ob sich meine Tasche immer noch dort befand. Fehlanzeige. Sie war weg. Aufgeregt suchte ich nach ihr und stellte völlig erstaunt fest, dass sie ruhig durch den Raum schwebte. Mit weit aufgerissenen Augen und offenen Mund beobachtete ich, wie sie träge zum Stuhl flog, wo ich bis eben noch gesessen hatte.
Ich richtete meinen Blick auf die zitternde Hand des Jungen und begriff erst jetzt, dass er sie zum Schweben brachte. Seine verkrampfte Hand wurde schlagartig locker und noch im selben Moment vernahm ich einen dumpfen Schlag. Nun stand sie sicher auf dem Stuhl. Bis eben hatte ich nicht daran geglaubt, er wäre zu dem wirklich fähig. Doch jetzt konnte ich etwas anderes gar nicht mehr glauben. Egal wie ich es wendete, das was ich eben gesehen hatte, konnte man auf einem realistischen Weg nicht mehr erklären.
„Glaubst du mir jetzt?“, fragte er erneut, schob meinen Stuhl nach hinten und machte eine einladende Handbewegung.
Zögernd nahm ich sein Angebot entgegen, stellte meine Tasche wieder auf den Boden und setzte mich ihm gegenüber.
„Auch wenn es verrückt ist, bleibt mir ja kaum etwas anderes übrig als dir zu glauben. Aber um es wirklich zu verstehen werde ich wohl noch etwas brauchen.“
„Viel gibt es nicht zu verstehen. Ich bin nur ein Vampir.“ Nur ein Vampir, er hatte leicht reden. Was er wohl noch so alles konnte? Plötzlich ging mir ein Licht auf. Erschrocken riss ich die Augen auf und bekam das Bedürfnis, aus diesem Raum flüchten zu wollen. War ich wirklich freiwillig hier? Oder hatte er mich hypnotisiert und hier her geschleppt? Waren das wirklich meine echten Gefühle oder hatte er da seine Finger im Spiel, damit ich all das tun würde, was er von mir verlangte? Konnte man sich in diesen wenigen Tagen wirklich verliebt haben? Hatte ich wirklich Gefühle für ihn entwickelt oder ließ er mich das nur glauben?
„Jetzt schau mich nicht so an“, entgegnete er mir unfreundlich und legte seine Hände auf den Tisch.
„Was?“, fragte ich verdutzte und runzelte die Stirn. Ich sollte ihn nicht so ansehen? Verstand er überhaupt, dass das eine komplett andere Welt für mich war?
„Ich werd` dich schon nicht aussaugen“, lachte er und brachte damit wieder seine spitzen Eckzähne zum Vorschein, die mich erst jetzt aufmerksam werden ließen.
„Diese Amulette sind das wertvollste, was es auf der Welt gibt...“
„Warte mal!“, rief ich und unterbrach ihn damit unhöflich.
„Wieso?“
„Können wir das bitte etwas langsamer angehen? Ich musst erst mal verstehen, dass du ein Vampir bist, bevor du mich mit weiteren komischen Dingen voll bombardierst.“
„Dafür haben wir aber keine Zeit.“
„Das kann ja gut sein, aber könntest du wenigstens so tun als würdest du verstehen, dass es schwer für mich zu begreifen ist?“
„Na gut, was hast du nicht verstanden?“
„So gut wie alles“, lachte ich und lehnte mich lässig in den Stuhl.
Nachdenkliche Falten bildeten sich in seinem Gesicht und dem unsicheren Kratzen am Hinterkopf nach zu urteilen, konnte er meine Aussage nicht einordnen.
„Man das war ein Spaß, ich glaube ich brauche einfach eine Pause“, erklärte ich und seufzte erschöpft.
„Vielleicht hast du Recht. Lass uns doch nach Draußen gehen, der Regen hat bestimmt schon aufgehört“, sagte er und lächelte mir endlich verständnisvoll entgegen.
„Nach Draußen? Ich denke wir dürfen uns dort nicht unterhalten?“
„Schon, aber... ach das erkläre ich dir dann. Lass uns erst mal rausgehen.“ Tatendurstig sprang er auf und warf sich seine Jacke über, die er irgendwann ausgezogen haben musste.
„Ihr müsst gehen“, erklang plötzlich Laureens Stimme, während sie bereits in der Mitte des Raumes stand. Wann war sie reingekommen?
„Willst du uns etwa rausschmeißen?“, fragte er empört und verschränkte die Arme vor der Brust.
„Natürlich, ihr seid schon Ewigkeiten hier drin. Es gibt auch noch andere Leute die sich hier aufhalten möchten“, meinte sie arrogant und streckte dabei den Kopf weit nach oben.
„Ich werd´mich hier ganz bestimmt nicht rauswerfen lassen!“, zischte er und stellte sich fordernd vor sie. Mir war klar, dass keiner von beiden nachlassen würde, weshalb ich mich neben ihn stellte und mich einmischte.
„Wir waren eh gerade fertig.“
„Aber...“, setzte er an, doch schnell stieß ich ihm meinen Ellenbogen in die Rippen und brachte ich damit zum schweigen.
„Na dann“, antwortete sie siegessicher und holte aus ihrer braunen Umhängetasche zwei kleine Reagenzgläser, mit einer blauen Flüssigkeit, heraus.
Der Junge war von diesem Beschluss alles andere als begeistert. Verärgert presste er die Lippen aufeinander, knetete seine Hände durch und seufzte.
Zweifelnd widmete ich meine Aufmerksam der blauen Flüssigkeit. Was sie wohl bewirken würde?
„Hier“, meinte Laureen und reichte uns die Reagenzgläser. Der Junge nahm sie ohne Zweifel entgegen und reichte mir das linke. Er entfernte den Stöpsel aus dem Glas und trank mit einem Mal die paar Milliliter aus. Also gesund konnte das bestimmt nicht sein.
„Na los!“, rief mir Laureen ungeduldig zu und lehnte sich mit einem genervten Stöhnen gegen den Türrahmen.
„Was ist denn da drin?“, fragte ich unsicher und entfernte den Stöpsel. Bestialischer Knoblauchgeruch stieg mir in die Nase und veranlasste mich dazu, husten zu müssen.
Meine Gesichtszüge entglitten mir für einen Moment doch, dann biss ich die Zähne zusammen und versuchte den Gestank zu ertragen.
„Nichts besonderes und keine Sorge die Farbe kommt nur vom Färbungsmittel, damit wir die ganzen Sachen auseinander halten zu können“, erklärte er ruhig und nickte mir bestätigend zu.
„Das ist aber keine Antwort auf meine Frage.“
„Jetzt diskutier` hier nicht ewig rum, sonder trink endlich! Die nächsten Leute warten...“, quengelte Laureen. Ich atmete einmal tief ein, hielt mir die Nase mit der linken Hand zu und trank das Zeug. Als ich die Finger wieder von meiner Nase nahm, musste ich mich schütteln und fing an zu husten, als hätte ich eben den Qualm mehrerer Zigaretten einatmen müssen. Meine Sicht fing an zu verschwimmen. Panisch blinzelte ich einige Male, bis ich wieder klar sehen konnte.
Laureen führte uns sicher aus der Hütte heraus und brachte uns wieder in den Wald. Ich war erst beruhigt, als ich den Waldboden unter meinen Füßen spürte und endlich wieder sehen konnte.
Der Geruch von nassem Gras und Moos stieg mir in die Nase und zauberte mir ein Lächeln auf die Lippen. Eisiger Wind zog durch den düsteren Wald und nahm mir die Hitze, die bei der ganzen Aufregung in mir aufgestiegen war. Bereit wartete ich darauf, dass er nach meiner Hand greifen und mich hektisch durch Wald nach Hause zerren würde. Doch stattdessen blieb er ganz ruhig und wartete darauf, dass ich ihm folgen würde.
„Dürfen wir reden?“, fragte ich vorsichtig und lief ihm hinterher.
„Ja. Das blaue Zeug von eben beschützt uns für drei Stunden vor ihm. Komm mit, ich will dir noch etwas zeigen“, antwortete er und griff nach meiner Hand. Trotzdem blieben wir in diesem angenehmen Tempo und hatten endlich Zeit uns ein wenig näher kennenlernen zu können. Eine Weile liefen wir still nebeneinander her und versanken in unseren eigenen Welten.
„Warum hat das Zeug so unheimlich ekelhaft nach Knoblauch geschmeckt?“, fragte ich schließlich und beendete somit die Stille zwischen uns.
„Das Knoblauch ist nur dafür da um den wirklich ekelhaften Geschmack zu überdecken. Aber frag mich nicht woraus die Hexen dieses Zeug brauen. Ich denke es ist auch besser wenn wir es nicht wissen.“
„Und warum muss es ausgerechnet Knoblauch sein?“
„Weil Knoblauch eben stark genug ist um den Geschmack überdecken zu können.“
„Aber ich dachte Knoblauch wäre schädlich für Vampire?“, warf ich nachdenklich ein und erkannte schon einen Moment später, an seinem breiten Grinsen, dass ich auf einen Mythos reingefallen war.
„So ein Schwachsinn! Als ob so eine kleine Pflanze etwas gegen uns anrichten könnte.“ Laureen hatte mir nur einen dünnen Pullover zum Anziehen gegeben. So war es nicht verwunderlich, dass ich schnell zu frieren anfing. Der kalte Wind fühlte sich beißend auf meiner Haut an und bescherte mir eine Gänsehaut.
„Hier nimm meine“, bot er mir zuvorkommend an und reichte mir seine dunkle Jacke. Verwundert starrte ich ihn an und fragte mich, ob er meine Gedanken gelesen hatte.
„Hast du etwa meine Gedanken gelesen?“, fragte ich geradewegs heraus und musterte ihn vorwurfsvoll.
„Nein, ich habe nur gesehen, dass du frierst. Also nimm schon.“
„Aber dann ist dir doch kalt.“
„Keine Sorge, ich kann meine Körpertemperatur selbst regeln. So ist mir nie zu kalt oder zu warm.“ Angeber!
„Jetzt nimm schon“, drängte er und warf mir die Jacke zu. Zögernd warf ich sie mir über und spürte schon einen Augenblick später, dass der eisige Wind etwas von der Jacke abgewehrt wurde.
Unerwartet blieb er auf einmal stehen und sah mich einfach nur an. Ein Lächeln legte sich auf seine Lippen, während er mich näher zu sich heranzog.
Unsere Gesichter waren sich mit einem Mal so nahe, dass ich nervös wurde und mein Herzschlag sich verdoppelte. Abwechselnd sah ich zwischen seinen Augen und seinem Mund hin und her und wartete gespannt, was als nächstes passieren würde. Langsam löste er seine Hand aus Meiner und legte seine Hände auf meine Hüfte, um mich noch etwas näher zu sich zu ziehen. Erst war ich ein wenig verwirrt wo ich meine Hände lassen sollte, dann aber legte ich sie sanft auf seine Schultern und küsste ihn.
Der Wind sauste an uns vorbei und strich mir die Haare aus dem Gesicht. Es kam mir so vor, als würde dieser Kuss ewig dauern und genau so war es perfekt. Diesen Moment versuchte ich in vollen Zügen zu genießen, bevor er wieder vorbei wäre. Nachdem sich unsere Lippen von einander lösten, legte ich mich in seine warmen Arme und blieb dort für eine lange Zeit. Verlangend drückte er meinen Körper eng gegen seinen und umarmte mich mit all seiner Kraft. Lächelnd lehnte ich meinen Kopf gegen seine Schulter, schloss die Augen und atmete sein schönes Parfum ein. Für einen Augenblick gelang es mir, den Rest um mich herum zu vergessen. Jetzt wusste ich was es wirklich bedeutete einen Menschen nicht mehr gehen lassen zu wollen. Jede frei Sekunde bei ihm zu verbringen und am liebsten die ganze Zeit nur in seinen Armen liegen zu wollen.
Am liebsten hätte ich ihn nie wieder losgelassen, doch er wollte mir noch etwas zeigen und so löste er sich langsam aus der Umarmung und schaute mir lächelnd entgegen, während er mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht strich.
„Alles gut?“, fragte er sorgend und gab mir einen sanften Kuss auf die Stirn. Schmunzelnd nickte ich.
„Du wolltest mir etwas zeigen, richtig?“
„Stimmt, beinahe hätte ich es vergessen. Lass uns gehen bevor es dunkel wird.“ Dunkel? Hatten wir uns nicht erst vor ein oder zwei Stunden getroffen?
Zusammen liefen wir quer durch den Wald, bis wir zu einer großen, grünen Wiese kamen. Wir folgten ihr, bis sich ein enger Trampelpfad ergab, der immer enger wurde.
„Wo gehen wir hin?“, fragte ich ungeduldig und bemühte mich einige, schöne Blümchen nicht platt zu treten.
„Wirst du ja sehen.“
„Sind wir denn wenigstens bald...“, ich verstummte als mir plötzlich ein leises Rauschen in die Ohren drang. Je mehr wir liefen, desto stärker wurde der Wind und desto lauter wurde das Rauschen.
Als der Boden langsam sandig wurde dämmerte es mir. Der Wind wurde immer heftiger, doch seine starke Hand nahm mir die Mühen ab, gegen ihn ankommen zu müssen.
Die Bäume links und recht von uns wurden vereinzelter und schließlich war die Landschaft nur noch von grauen Steinen und etwas Sand geziert. Mein Lächeln wurde breiter als ich endlich das Meer und seine Meter hohen Wellen erblicken konnte.
„Ich wusste gar nicht, dass wir hier so nah am Meer sind“, rief ich erstaunt und rannte näher an das Meer heran. Meine Augen waren von diesen wunderschönen, riesigen Wellen fasziniert, dass ich gar nicht mitbekam, wie ich plötzlich an einer steilen Klippe stand. Ein Schrei entwich mir, als ich meine Augen zu Boden richtete und einen Schritt ins Leere machte. Doch beschützende, kalte Hände umklammerten meine Hüfte schnell und zogen mich sachte wieder auf den sicheren Boden.
„Vorsichtig“, flüsterte er mir leise ins Ohr. Erleichtert drehte ich mich zu ihm um und kicherte in seine Umarmung hinein, während ich versuchte die Gänsehaut an meinem Nacken verschwinden zu lassen, die durch seinen warmen Atem verursacht worden war.
„Weißt du was ich komisch finde?“
„Nein?“
„Obwohl wir uns schon näher gekommen sind und etwas Zeit mit einander verbracht haben, kenne ich deinen Namen immer noch nicht.“
„Stimmt das habe ich wohl vergessen.“
„Also?“, hakte ich gespannt nach und lehnte meinen Kopf nach hinten, um in seine wunderschönen Augen schauen zu können.
„Schau mich nicht so an, du siehst so aus als würdest du jetzt etwas ganz besonderes erwarten.“
„Vielleicht tue ich das auch? Du hast dir immerhin ganz schön viel Zeit gelassen.“