Nur schleppend bewegte sich das Messer in die Luft und zauberte mir damit ein kleines Lächeln auf die Lippen. Wacklig begab es sich in die Höhe und visierte den Baum an. Es war nicht einmal annähernd so zackig wie Leandro´s und flog mit eigenartigen Kurven, vorsichtig auf den Baum zu. Kurz davor verlor ich jedoch die Kontrolle über das Teil und die Spitze streifte die Rinde nur etwas, ehe es zu Boden fiel.
„Nicht schlecht für den Anfang“, rief er mir aufmunternd entgegen, schritt auf das Messer zu und hob es vom Boden auf. Das Andere zog er mit einer Leichtigkeit aus der Rinde und gab sie mir beide.
„Na los, versuch es nochmal.“
„Das ist doch sinnlos. Ich will es nicht lernen, klar?, antwortete ich unzufrieden und atmete tief aus. Warum musste ich das ausgerechnet jetzt lernen? Wenn er mit nach Berlin kommen würde, hätten wir doch alle Zeit der Welt.
„Ach komm schon. Bewege deine Hände nur langsam, wenn du das Messer vom Boden hochholen willst. Die Zielsicherheit und auch Geschwindigkeit kannst du nur mit einer kurzen Bewegung erzielen. Halte dir die Flugbahn des Messers direkt vor Augen und dann genügt eine kräftige und ruckartige Bewegung, um die Klinge direkt in das Holz zu befördern.“
„Wenn du meinst“, murmelte ich und ließ mich auf einen weiteren Versuch ein. Auch wenn seine Worte ermutigend waren, so sah ich in seinen Augen, dass er mir diese Herausforderung nicht zutraute. Seine Erwartungen musste ich übertreffen. Ehrgeiz und Stolz machte sich in mir breit und gab mir die Konzentration, die ich für einen gelungenen Versuch brauchte. Entschossen legte ich all meine Energie in dieses Messer, bis es sich schließlich in die Luft bewegte. Dort ließ ich es nicht lange verharren.
Stattdessen hielt ich mir den Weg, den es zurücklegen sollte, genau vor Augen und machte eine kurze Bewegung. Schnell zischte die Scharfe klinge durch die Luft und bohrte sich schließlich, knapp neben Leandro´s Einstrich, in die Rinde des Baumes, bis nur noch der Griff hervorschimmerte. Gerade als ich mich dem zweiten Messer zuwenden wollte, begann der Baum plötzlich laut zu knacken und spaltete sich in zwei Teile. Wie angewurzelt starrte ich dem fallendem Baum entgegen und hielt die Luft an, als die Baumspitze direkt vor meinen Füßen landete,... nun gut ein Teil der Baumkrone.
„Scheiße“, brachte ich erstaunt hervor und schluckte.
„Ist das normal?“
„Keine Ahnung“, entgegnete Leandro mit großen Augen und zog mich weg von dem Teil. Vorsichtig wagte er sich an den entzweiten Baum heran und griff sich die Messer, die kurz darauf wieder hinter seinem Gürtel verschwanden.
„Ich hoffe doch wohl“, sagte ich nun angeberisch, grinste ich ihm entgegen und stemmte meine Hände in die Hüfte.
„Du brauchst gar nicht so schauen“, fluchte Leandro laut und rückte seine Hose zurecht.
„Warum?“
„Ich habe die Vorarbeit geleistet.“
„Ganz sicher nicht. Ich habe schließlich neben deinen Einstich getroffen.“
„Wie du meinst“, knurrte er grimmig und wollte in die Richtung verschwinden, aus der wir gekommen waren. War er etwa eifersüchtig auf mich? Er? Ungläubig schüttelte ich den Kopf und versuchte das Lächeln zu verstecken, was sich bei dem Gedanken an seine Eifersucht unweigerlich auftat. Jetzt war ich so richtig in Fahrt gekommen. Ich hatte ihn tatsächlich geschlagen und war nun bereit, noch viel mehr zu lernen.
„Willst du etwa schon gehen? Wenn wir schon hier sind, dann könnten wir auch noch andere Sachen üben oder nicht?“, fragte ich vorsichtig und war erleichtert, als seine eingeschnappte Miene wieder verschwand.
„Muss das sein? Wieso hast du denn auf einmal so viel Lust etwas neues zu lernen?“
„Weiß nicht, aber was sollten wir sonst machen?“
„Keine Sorge, mir würde schon was einfallen, ich muss mich noch von ner Menge Leuten verabschieden, außerdem...“
„Ja, aber eine Sachen könnten wir doch noch machen oder?“, fiel ich ihm ins Wort und lächelte ihn an.
„Wenn es sein muss.“
„Ja das muss es.“
„Und was soll es dieses Mal sein?“, fragte er genervt und nahm mir damit die Freude an meiner Überlegenheit.
„Keine Ahnung, also ich hätte nichts dagegen dieses renn- Dingsda zu üben.“
„Ich dachte das hast du raus?“
„Ja geht so.“ Schwer atmend ließ er sich auf diesen Vorschlag ein verriet mir mehr und mehr Tricks, die es immer leichter machten. Zusammen rasten wir durch den Wald. Erst sehr lustlos und schweigend. Doch mit zunehmender Geschwindigkeit, kam ein Gefühl des Wettkampfes auf und stachelte uns beide dazu an, alles zu geben. Ich gewann nicht viele unserer Rennen und ich zweifelte daran, dass ich überhaupt Eins ehrlich gewonnen hatte. Aber das störte mich nicht. Immerhin fing ich gerade mal an und dafür schlug ich mich echt gut.
Ein paar Mal durfte ich das Messerwerfen üben und spaltete nicht gleich den ganzen Baum in zwei Hälften. Wir lachten viel und die anfangs merkwürdige Stimmung war komplett verschwunden. Albern torkelten wir durch den Wald und vergaßen die Zeit. Nicht nur die Zeit vergaß ich, sondern auch das, was uns noch bevor stand. Nachdem wir plötzlich am Meer gelandet waren, wagte ich doch einen knappen Blick auf seine Uhr.
„Siebzehn Uhr“, brachte ich erschrocken hervor und schlug den Heimweg ein.
„Ach verdammt! Du hast mich abgelenkt.“
„Ich? Wer wollte denn noch ein Rennen, um seinen Stolz zu behalten?“
„Du bist trotzdem schuld“, murmelte er Augen rollend und verschwand in Windeseile im finsteren Wald. Ich tat es ihm gleich und so stürmten wir direkt auf die Anlage der Panuletas zu.
Auch dieses Mal quälte ich mich nicht weniger schwer die Treppen runter und war heil froh, als wir unten ohne weitere Unfälle ankamen. Lachend schlenderten wir durch die langen Flure, wobei ich zwei kleine Mädchen aus versehen anrempelte.
„Sorry“, murmelte ich vor mich hin und ließ mich nicht lange aufhalten.
„Sag mal geht’s noch?“, hallte plötzlich eine piepsige Stimme und brachte mich zum Stehen.
„Wie bitte?“
„Spinnst du? Du hast mich fast zum Fallen gebracht“, zischte das blonde Mädchen empört und kam auf uns zu stolziert. Verärgerte, braune Augen funkelten mich böse an. Die Andere machte es nach und so standen uns schließlich zwei kleine Gören vor der Nase, die uns die letzten Nerven rauben wollten.
„Sag mal wie redest du mit mir? Hast du keinen Anstand?“
„Ich schon, du aber anscheinend nicht. Immerhin konnte ich keine Entschuldigung hören.“
„Dann bist du wohl taub“, lachte ich und zog Leandro weiter. Ein Klirrendes Geräusch riss mich aus dem Kopfschütteln und brachte uns zum Stehen. Ein Blumentopf aus Ton war gerade vor unseren Füßen gefallen. Der Pflanze konnte es herzlich egal sein, immerhin war sie schon völlig vertrocknet, aber die ganze Erde lag nun verstreut auf dem Boden und verursachte ein riesiges Chaos.
Ich drehte mich zu den kichernden Mädchen um und hielt die Luft einen Moment lang an.
„Was fällt euch ein!“, rief ich fassungslos und stürmte wütend auf die Beiden zu. Wer hatte denen nur Manieren beigebracht? Zumindest konnte das nur jemand ohne Ahnung gewesen sein.
„Ups, wie sieht´s jetzt mit einer Entschuldigung aus?“
„Sollte das eine Warnung sein oder was?“, lachte ich und sah die beiden mit hochgezogener Augenbraue an.
„Die solltest du auch ziemlich ernst nehmen.“
„Ihr seid ganz schön frech“, beschwerte ich mich und stemmte die Hände in die Hüften, um wenigstens etwas Autorität vortäuschen zu können.
„Du hast uns gar nichts zu sagen.“ Gerade als ich versuchte mich dagegen zu währen, kam Melonie wie gerufen um die Ecke gedüst und musterte uns fragend.
„Was ist hier los.“
„Nichts“, meldete sich Leandro zu Wort und sammelte die Scherben vom Boden auf.
„Ach jetzt kannst du dich einmischen ja?“, zischte ich und sah ihn kopfschüttelnd an. Schon klar, wenn seine heilige Melonie auftauchte, dann konnte er sich plötzlich einmischen und so tun, als wäre nichts gewesen.
„Das böse Mädchen hat uns in die Blume geschubst. Wir wollten sie nicht kaputt
machen“, ergriff die Schlankere das Wort und lief mit zusammengekniffenen Augen auf Melonie zu.
„Wir wollten das nicht“, riefen sie im Chor und fielen Melonie in die Arme. Mir klappte die Kinnlade runter. Sie logen nicht zum ersten Mal, das stand fest! Diese manipulativen Biester! Und Melonie schien ihnen auch noch zu glauben, immerhin warf sie uns mahnende Blicke zu.
„Was reden die da? Ich habe nichts gemacht...“, fing ich an, doch Melonie unterbracht mich. Bestimmend stellte sie sich aufrecht und blickte mich streng an. Sie ist die Leitung, reiß dich zusammen! Erinnerte ich mich und presste die Lippen aufeinander, um ungewollte Worte vermeiden zu können.
„Ist das war Mädchen?“ Nachdem sie sich kurze Blicke zugeworfen hatten, schüttelten sie den Kopf und beteuerten erneut, dass sie nichts getan hätten.
„Ihr werdet das hier sauber machen“, befahl sie und ging mit den Mädchen an den Händen fort.
„Was? Das kannst du vergessen“, schrie ich und hoffte damit irgendetwas bezwecken zu können, aber Melonies´s Entschluss stand fest. Sie bog um die Ecke und konnte mich nun sicherlich nicht mehr hören.
„Melonie!“
„Alex, lass es sein. Das bringt doch nichts.“
„Ach jetzt hast du deine Sprache wieder gefunden oder was? Du hättest mich auch verteidigen können“, zischte ich und half schließlich die Scherben aufzusammeln.
„Ich kann die Hexen sowieso nicht leiden, mit denen zu diskutieren ist aussichtslos.“
„Das waren doch nur Kinder. Melonie hätte und doch bestimmt eher geglaubt als denen, wenn du nur den Mund aufgemacht hättest.“
„Ich wollte nicht diskutieren.“
„Du wolltest nur Melonie nicht widersprechen“, sagte ich wütend.
„Bist du eifersüchtig?“, fragte er vorsichtig und stand mit einem Haufen Scherben in der Hand auf.
„Ich? Nein!“, quietschte ich und schüttelte energisch den Kopf.
„Sei mir nicht böse, aber könntest du hier alleine weiter machen? Ich hab´ noch was zu erledigen.“
„Danke für deine Hilfe“, rief ich ihm hinterher, doch da war er schon längst verschwunden. Feiges Huhn. Seufzend suchte ich etwas zum Auffegen der restlichen kleinen Scherben, die ich nicht zu greifen bekam. Gerade jetzt wo ich jemanden gebrauchen könnte, waren alle wie verschollen. Nicht einmal Laureen lief mir über den Weg. Irgendwann traf ich auf einen bärtigen Mann, der mich zu Handfeger und Müllschippe führte und mir schließlich sogar beim sauber machen half. Da ich gerade keine Lust auf Smalltalk hatte, bedankte ich mich nur kurz und verschwand dann in unserem Zimmer.
Dort angekommen warf ich einen kurzen Blick auf mein Handy, doch das Akku hatte sich längst verabschiedet und ich rief mir in Erinnerung, welche Vorteile eine Armbanduhr doch hatte. Mein Ladekabel lag noch im Hotel, also konnte ich es nicht mal laden. Doch so traurig war ich darüber gar nicht. Ich wollte nicht wissen wie viele Nachrichten ich hätte und wer etwas von mir wollte.
Aber was sollte ich jetzt machen?
Leandro hatte mich ohne erklärende Worte alleine gelassen und Hunger verspürte ich erst recht nicht. Nachdenklich verließ ich das Zimmer wieder und wollte dieses eigenartige Gebäude erkunden. Bisher kante ich nur die rechte Seite, wenn man aus unserem Zimmer kam. Also lief ich kurzerhand in die andere Richtung und war gespannt, was dort wohl auf mich wartete. Ganz im Gegenteil zu der bereits bekannten Seite dieses Gebäudes, herrschte hier reges Treiben.
Verträumt drängelte ich mich durch die Massen und versuchte dabei den Blickkontakt zu vermeiden.
Immerhin wollte ich in diesen Massen nicht alle Aufmerksamkeit auf mich ziehen. Es wäre wohl besser, wenn sie nicht mitbekamen, dass ich nicht so war wie sie. Woher kamen nur all diese Leute? Hatte ich etwa ein geheimes Treffen verpasst? Mein Blick blieb an einem kurzhaarigen Mann kleben. Bis auf Leandro war ich hier noch keinem anderen Typen begegnet. Verwirrt starrte ich in seine grünen Augen und rannte dabei direkt in einen weiteren Mann.
„Alles gut?“, fragte er zuvorkommend und half mir das Gleichgewicht zu finden.
„Ja ja. Tschuldigung“, murmelte ich kleinlaut und drängte mich an ihm vorbei. Ich wollte wirklich jeder Aufmerksamkeit aus dem Weg gehen, wenn ich hier schon ungefragt herumschnüffelte. Starr richtete ich meine Augen zu Boden und versuchte die kritischen Blicke zu ignorieren, die schwer auf mir lagen.
Um nicht mit noch jemanden zusammenzustoßen, verlangsamte ich mein Tempo und sah dabei zu, wie mich mehrere Gruppen überholten. Die Luft um uns wurde stickiger und der Flur unübersichtlich. Die Fülle gab mir das Gefühl eingeengt und fehl am Platze zu sein. Plötzlich zog eine kleine Gasse, rechts von mir, meine Aufmerksamkeit auf sich. Um aus den Massen fliehen zu können, zwängte ich mich an zwei Frauen vorbei und lehnte schließlich erleichtert an der Gassen Wand. Hier war der Trubel längst vorüber und ich atmete ruhig auf. Die Luft war kühler und die Enge verschwunden.
Eine Weile lehnte ich einfach an der kalten Wand und betrachtete die vorbeilaufenden Wesen. Verwundert rief ich mir die Gesichter der Männer in Erinnerung.
Schmunzelnd ließ ich meine Blicke über den unruhigen Flur gleiten, wobei eine Frau besonders aus der Menge stach. Verzweifelt rief sich einen Namen, den ich hier nicht verstehen konnte. Ob sie jemanden verloren hatte? Hektisch drehte sie sich und lief nervös im Kreis.
„Amanda“, brüllte sie erleichtert und fiel einem kleinen Mädchen in die Arme. Doch ihre Erleichterung hielt nicht lange an. Finstere Falten legten sich auf ihre Stirn und ihre sanfte Stimme verwandelte sich plötzlich zu etwas Erschreckenden. Vor Aller Augen machte sie die Kleine zur Schnecke und hielt ihr eine Predigt, dass sich so etwas nicht gehöre. Schließlich scheuchte sie das Mädchen völlig genervt zu mir und noch viel weiter den Flur entlang.
Unbemerkt starrte ich sie immer noch an, als sie ohne das Mädchen zurück kam und mich wütend anblaffte. Ich gab mir keine Mühe ihr überhaupt zu antworten, sondern verschwand den leeren Gang entlang.
Verwundert blieb ich am Ende stehen und ließ meine Blicke den Boden entlang schweifen. Wohin war das kleine Mädchen verschwunden? Einen Moment lang suchte ich den ganzen Gang nach einer Tür ab, doch blieb erfolglos. Gerade als ich mich auf den Rückweg machen wollte, entdeckte ich eine kleine Tür am Boden der Wand. Sie verschmolz förmlich mit der weißen Wand, sodass man sie kaum erkannte. Neugierig lief ich auf sie zu und wollte wissen was sich hinter ihr befand.
„Als wäre sie nur für Kinder gemacht worden“, murmelte ich leise als ich entdeckte, dass sie mir gerade mal bis zur Hüfte reichte. Neugierig griff ich nach der Klinke der weißen Tür und öffnete sie.