Aufgebracht blickte er mir entgegen und kam mit sanften Schritten auf mich zu stolziert. Vergebens versuchte ich eine Erklärung für seine Worte zu bekommen, doch alles was er mir geben wollte, waren genervte Blicke und Worte.
„Mensch schau mich nicht so an!“
„Was dann? Kannst du mir mal erklären, warum du sone Panik schiebst?” Verkrampft versuchte ich Gelassenheit auszustrahlen, doch das funktionierte nicht. Wie auch? Wenn selbst er die Stirn runzelte und zu grübeln begann? Es brauchte schon ein verdammt großes Problem, wenn seine Gesichtszüge so versteinert waren.
„Du brauchst Blut, schleunigst!“ Ich schluckte und biss mir auf die Lippe, um einen Schrei vermeiden zu können. Natürlich hatte ich gewusst, dass ich es bald tun müsste, aber jetzt? Ausgerechnet jetzt, ohne irgendwelche Vorbereitungen?
Ich konnte echt nur hoffen, dass diese Schwindelanfälle wenigstens danach verschwinden würden.
„Was... ist mit dir?”
„Wie mit mir?“
„Kann ich nicht dein Blut trinken?“, fragte ich unsicher und versuchte mit einem leichten Grinsen, die Peinlichkeit dieses Satzes zu überspielen. Sicher war Blut trinken keine große Sache, etwas was Vampire nur nebenbei machten und wahrscheinlich spielte er es nur hoch, um sich interessanter und mich ängstlicher zu machen, doch allein der Gedanke daran, gruselte mich. Es war für mich unvorstellbar jemanden zu beißen und sein Blut zu trinken. Bei dem Gedanken daran wurde mir sogar übel.
Ich wollte niemanden so verletzten und vor allem wollte ich diesen bleiernen Geschmack nicht auf meiner Zunge haben.
„Wenn du bei anderen trinkst, dann kann ich dich stoppen. Du wirst deinen Drang nach Blut nicht kontrollieren können.“
„Schwachsinn! Ich werde so wenig wie möglich von diesem Zeug trinken.“
„Vertrau mir, außerdem ist Vampirblut eine ganz andere Liga.“
„Vertrauen schon wieder?“
„Bleibt dir etwas anderes übrig?“
„Nein.“
„Richtig, lass uns gehen. Wir sollten damit wirklich nicht länger warten. Außerdem finden wir hier eh keine weiteren Antworten mehr“, beschloss er und schritt auf die Tür zu, von der wir gekommen waren. Das Licht der Fackeln löschten wir. Nur eine stahl ich mir, um sie als Ersatz für das Licht meines Handys zu nehmen. Mühselig kamen wir zu der Abzweigung von vorhin und bogen dort ab, da der andere Weg für uns nur zu einer Sackgassen geführt hätte.
Nun standen wir vor einem riesigen Labyrinth, das uns unzählige, verschiedene Gänge offenbarte. Verdutzt blieb ich stehen und fragte mich, wie wir überhaupt einen Ausgang finden sollten. Ich runzelte die Stirn, als Leandro`s Schritte plötzlich immer schneller und zielstrebiger wurden. Ohne länger zu zögern steuerte er einen der Gänge an und verschwand in der Dunkelheit. Seine Taschenlampe musste er ausgeschaltet haben, denn nicht einmal einen wackelnden Lichtkegel konnte ich erspähen.
„Warte!“, rief ich verärgert und joggte in den selben Gang, doch bis auf Dunkelheit fand ich Nichts.
„Wo bist du?“ Während ich mich zu drehen begann, rief ich die Frage immer wieder und hörte meinem eigenen Echo zu, doch eine Antwort bekam ich nicht.
„Das ist echt nicht witzig!“ Unsicher lief ich vor und zurück, überlegte welchen Gang ich nehmen sollte und entschloss kopfschüttelnd, den ganz Linken zu nehmen.
„Leandro! Sag endlich was oder ich,... ich schneid mir meine Pulsadern auf, um dich mit meinem Blut anzulocken!“, rief ich nun völlig außer mir vor Wut und stampfte einmal heftig mit dem Fuß auf, um meine gelogenen Worte unterstützen zu können. Natürlich hatte ich niemals vorgehabt mir die Pulsadern aufzuschlitzen. Wer weiß welche grausame Gestalt aus diesen finsteren Gassen treten würde.
Nachdem ein Augenblick vergangen war, stoppte ich im Laufen und hörte seiner dunklen Stimme zu, die beruhigend durch die Gänge schallte.
„Das wagst du nicht!“
„Und wenn doch?“
„Dann kann ich für nichts garantieren!“
„Dann lass den Scheiß und komm hier her!“, befahl ich ihm und hoffte seine Schritte würden sich mir nähern, doch das konnte ich mir nur erträumt haben. Stattdessen wurden sie immer leiser und auch um seine Worte verstummten allmählich.
„Ich will dich zu einem Wettrennen herausfordern.“
„Wolltest du das nicht über der Erde machen?“
„Für gewöhnlich, doch diese Chance wird sich nicht ergeben, wenn du deinen ersten Tropfen Blut bekommen hast, danach bist du völlig unbrauchbar.“ Was sagte er da? Unbrauchbar? Ich? Der hatte doch kleine Ahnung, ich würde ihm schon zeigen was ich mit Blut alles vollbringen würde. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich glatt behaupten, dass seine Worte eine Anspielung auf einen weiteren Ohnmachtsanfall sein würden.
„Dann lass uns das ein anderes Mal machen, ich bin gerade echt nicht in der Stimmung dazu. Außerdem ist es viel zu Dunkel und du weißt, dass ich ungern alleine in dunklen Räumen bin.“
„Stell dich deiner Angst.“
„Das ist keine Angst! Ich fühle mich in Dunkelheit nur nicht so wohl, das ist alles!“, versuchte ich ihm und mir einzureden. Eigentlich hatte ich Dunkelheit nie wirklich gemocht, doch das sollte sich bald ändern. Langsam wurde es mir echt zu blöd. Na gut, wenn er unbedingt wollte. Eigentlich hatte ich wirklich keine Lust durch diese Gänge zu irren, aber anscheinend blieb mir nichts anderes übrig. Warum musste er das ausgerechnet hier unten machen? Ich seufzte.
„Na gut, soll ich dich fangen oder was?“
„Nein das wäre zu einfach. Wer als erstes den Ausgang findet. Das ist sinnvoll, aus zweierlei Perspektiven.“ Augen rollend seufzte ich und machte mich langsam bereit loszusprinten.
„Und was bekomme ich dafür?“
„Wenn du gewinnst, dann lass ich dich mit dem ganzen Gelaufe in Ruhe, wenn ich allerdings gewinne, dann widersetzt du dich keinem Wettrennen mehr und gehst jeden Morgen mit mir Laufen. Ich könnte nämlich auch mal wieder ein Training gebrauchen, nur fehlt mir dafür die nötige Motivation.“
„Ach so und ich soll diese Motivation sein? Das kannst du vergessen! Für mich springt da viel zu wenig raus. Wenn ich schon riskiere jeden Morgen sinnlos durch die Gegend zu rennen, dann will ich auch was haben, das sich für mich lohnen würde“, brüllte ich. Das konnte er vergessen! Soll er doch alleine gehen, ich brauche kein Training!
„Na gut, schlag was vor.“ Etwas vorschlagen? In solchen Dingen war ich noch nie besonders gut gewesen, doch zufällig fiel mir etwas ein, dass alle Türen öffnen würde.
„Ich habe einen Wunsch frei und du wirst ihn mir ohne Wiedererde erfüllen.“ Kurz lag Stille in der Luft und ich konnte mir förmlich seinen Gesichtsausdruck vorstellen. Wie tiefe Falten des Grübelns auf seiner Stirn lagen und wie er nachdenklich auf der Innenseite seiner Wange herumkauerte.
„Wenn es sein muss, aber du darfst dir davon keine weiteren Wünsche wünschen, nur damit das klar ist!“
„Ja ja.“
„Na dann verausgab dich nicht so und werf die Fackel weg. In kompletter Dunkelheit macht es doch viel mehr Spaß“, lachte er und plötzlich spürte ich einen leichten Luftzug neben mir. Schritte folgten dem und schließlich ging es los.
Flink baute ich ein rasendes Tempo auf und lief durch die dunklen Gänge. Die Fackel hatte ich zu Boden geworfen und hoffte nun, schnell auf einen Ausgang zu treffen. Unsere Schritte hallten so laut auf dem eigenartigen Gestein, dass sie sogar mein Keuchen übertönten. Schon nach wenigen Minuten brannte meine Lunge und meine Kehle war ausgetrocknet. Doch ich dachte erst gar nicht daran, langsamer zu werden. Diese Wette musste ich gewinnen!
Trotz alledem drosselte ich mein Tempo ein wenig, damit ich die Wände genauer untersuchen konnte. Langsam hatten sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnt und es war gar nicht mehr allzu schwer, den Boden und die Wände erkennen zu können. Eine Weile noch suchte ich auf diese Weise, bis mir auffiel, dass ich ohne Verstand einfach quer, durch irgendwelche Gänge gelaufen war und nun weder wusste, wo ich her gekommen war, noch wo ich überhaupt schon gewesen war. Nachdenklich begann ich über einen Plan nachzudenken und entschloss mich schließlich dazu, die hinterste, linke Ecke abzusuchen, um von dort mit einem logischen System vorzugehen, denn so konnte ich ausschließen etwas übersehen zu haben.
Zugegebener Maßen hatte ich die Orientierung bereits völlig verloren und brauchte eine Weile, bis ich die Ecke fand. Wahrscheinlich war es einfach irgendeine Ecke und nicht die Linke, aber das war vorerst egal.
Gerade als ich den ersten Gang nehmen wollte, fiel mein Blick auf eine verrostete, alte Leiter, die weit in die Höhe ragte und bis zum Ende der Decke reichte. Abrupt stoppte ich und starrte die Leiter nach oben. Wenn sich meine Augen nicht völlig täuschten, dann befand sich am oberen Ende eine Tür, die aus diesen endlosen Weiten rausführen könnte.
Doch es war nicht mein alleiniger Sieg. Leandro stand an an der anderen Seite und starrte ebenfalls die Leiter nach oben. Für einen Augenblick trafen sich unsere Blicke. Wie lange er dort wohl schon gestanden hatte? Wahrscheinlich nicht lange, sonst hätte er mir schon längst unter die Nase gerieben, dass er gewonnen hatte.
„Und was jetzt? Wer hat gewonnen?“, fragte ich neugierig und verschnaufte.
„Ich denke keiner“, antwortete er und warf einen zweifelnden Blick nach oben.
„Du hast doch nur Angst vor meinem Wunsch“, lachte ich und malte mir aus, was sich für unterschiedliche Gelegenheiten dadurch ergeben würden.
„Quatsch, was willst du denn machen? Noch ein Wettrennen?“ Energisch schüttelte ich den Kopf und drückte meinen Körper enger an das warme Metall. Nein noch ein weiteres Rennen würde ich heute nicht mehr überstehen, ich konnte mir jetzt schon den gigantischen Muskelkater in meinen Beinen ausmalen. Ich warf einen kurzen Blick auf meine Armbanduhr und stellte fest, dass wir bereits eine halbe Stunde wie die Irren durch die Gegend gerast sein mussten.
„Nein, aber wir könnten uns beide als Gewinner ansehen.“
„Du meinst wir bekommen beide unsere Bedingungen?“
„Ja.“
„Du nimmst wirklich hartes Training im Gegenzug für einen Wunsch auf dich?“
„Ja, warum? Hast du etwa Angst davor?“
„Nein, ich kann es nur nicht verstehen.“
„Musst du ja auch nicht, es ist schließlich meine Entscheidung.“ Mit einem leichten Schmunzeln zögerte ich nicht länger und begab mich auf den Weg nach oben. Dieses Mal war ich bis zur letzten Stufe vorsichtig gewesen und wie durch ein Wunder hatten uns alle Stufen nach oben getragen. Hinter einem Gebüsch, mitten in der Innenstadt von Berlin, kamen wir wieder raus und konnten die frische Luft und Freiheit genießen.
Erleichtert richtete ich meine Haare und streckte mich in die Kälte hinein.
„Und jetzt?”, fragte ich vorsichtig. Noch konnte ich nicht ganz glauben, dass ich bald das Blut eines anderen trinken würde. Ich konnte es nicht glauben und trotzdem spürte ich den Anflug von Neugirde.
„Du weißt was dir bevorsteht?“
„Ja natürlich, wie gehen wir vor? Muss ich jemanden zu mir ziehen? Gewaltsam? Oder Hypnose?“, sprudelten die Fragen aus mir heraus und das kurze Gefühl von Müdigkeit war verschwunden. Immer mehr stellte ich mich auf darauf ein und umso länger ich darüber nachdachte, desto neugieriger wurde ich. Ich bildete mir sogar ein, das Blut riechen zu können. Aufgeregt und voller Tatendrang begann ich mit den Beinen zu wippen und starrte ihm mit riesigen Augen entgegen.
„Alles in Ordnung bei dir?“
„Bestens ich will es nur endlich ausprobieren.“
„Wirklich? Hast du mich nicht vor ein paar Tagen dafür verachtet? Woher diese plötzliche Überzeugung?“, fragte er erstaunt und reckte seinen Kopf in den tröpfelnden Himmel. Mit zusammengekniffenen Augen runzelte er die Stirn und rümpfte die Nase. Roch er etwa das Gleiche wie ich?
„Weißt nicht, ich habe nur das Gefühl, als würde ich überall Blut riechen. Dieser widerlicher Metallgeruch, so ekelhaft, dass es beinahe schon wieder unwiderstehlich riecht. Ich will es endlich probieren!“
„Komm mal runter“, versuchte er mich zu beruhigen und legte seine Hände auf entspannend auf meine Schultern. Doch ich wollte nicht runter kommen, ich wollte es unbedingt versuchen. Also stieß ich ihn weg von mir und suchte aufgeregt in der Gegend herum.
„Deine Augen, sie sind so rot, als könntest du dem Drang kaum widerstehen.“
„Kann ich auch nicht“, gab ich zu und begann zu lächeln. Meine Euphorie schien er nicht zu teilen und schaute mir nur zweifelnd entgegen.
„Vielleicht sollten wir es auf einen anderen Tag schieben, ich denke du bist viel zu aufgekratzt.“
„Schwachsinn!“, zischte ich.
„Du hast gesagt, dass es nicht warten könne. Außerdem werde ich mich schon zusammenreißen können“, behauptete ich felsenfest und stemmte die Hände selbstbewusst in die Seiten.
„Na gut.“
„Riechst du das Blut auch?“
„Ja, es muss ganz in der Nähe sein“, stellte er fest und schlug irgendeine Richtung ein. Meiner Handfläche warf ich kurz einen Blick zu und bemerkte, dass ich die Haut dort vor Aufregung aufgekratzt hatte. Es war nur ein kleiner Riss zu sehen, aber es reichte wohl aus, um in uns beiden Hunger hervorzurufen. Der Geruch wurde immer intensiver. Wie hypnotisiert starrte ich mein eigenes Blut an und bekam das merkwürdige Bedürfnis, es ablecken zu wollen.
„Ich weiß woher es kommt.“ Zweifelnd blieb er stehen und starrte gierig auf meinen Handrücken.
„Kommt bestimmt von dem Draht, der neben der Falltür lag“, log ich.
„Wahrscheinlich, berühr dein Amulett. Mein letztes Mal ist noch nicht lange genug her.“
„Wie meinst du das?“, fragte ich verdutzt und tat was er sagte.
„Wenn ein Vampir über einen längeren Zeitraum auf Blut verzichtet, dann ist zwar sein Hunger stärker, aber auch seine Kontrolle. Es ist zwar schwierig sich dann beim Trinken zurückzuhalten, aber man kann besser darüber entscheiden, ob man zubeißt oder nicht.“
„Wie beruhigend. Also wie ist der Plan?“
„Du musst wirklich ein wenig runter kommen.“
„Ja, ja also?“, spielte ich es runter und schaute ihm aufgeregt in die Augen. Was sollte schon passieren? Er wäre da, er könnte mich zurückhalten und ich war überzeugt davon, dass ich mich selbst kontrollieren könnte.
Seufzend drehte er sich von mir weg und deutete mit seinem Finger auf eine zierliche Frau, die auf der anderen Straßenseite spazierte. Gedankenversunken starrte ich sie an. Was erwartete sie wohl zu Hause? Ein Mann? Kinder? Schnell verwarf ich meine Überlegungen wieder und gab mich meinem Verlangen hin.
Sie lief uns fast entgegen, nur ein Straßenwechsel würde genügen und ich hätte sie in meinen Fängen. Ein fast pushendes Gefühl. Wenn ich daran dachte, wie sich meine Zähne in ihren Hals bohren würden und wie ich das warme Blut schmecken könnte.
„Okay wir werden zu ihr gehen, ich werde sie hypnotisieren und dann tust du genau das, was ich dir sage, verstanden?“ Widerwillig nickte ich, da er sich schon wieder wie sonst wer aufspielte, aber ich hatte keine Zeit mit ihm darüber zu diskutieren, ich wollte endlich ihr Blut! Er hatte mir versichert, dass er mich davon abhalten würde, sie umzubringen, also stand meinem Vorhaben nichts mehr im Wege.
Ich fühlte mich plötzlich so, als hätte mir jemand Drogen verabreicht, die mir sagten, ich müsste genau das tun und dürfte mich von nichts und niemanden ablenken lassen.
Gierig folgte ich ihm und hörte zu, wie er sie manipulierte. Doch seine Worte waren Nebensache, viel mehr konzentrierte ich mich auf ihrem Hals. Ihre Adern traten ungewöhnlich stark hervor und ich konnte ihren ruhigen Puls sehen, hören und fühlen. Die Frau und ich folgten Leandro in eine dunkle Ecke, wo uns niemand beobachten würde.
Mit auffordernden Blicken streifte er mich und ging einen Schritt zurück, um mir Platz machen zu können. Schräger Weise begann ich mir über die Mundwinkel zu lecken und schritt mit voller Vorfreude auf das zarte Wesen zu. Ganz apathisch stand sie vor mir, den Kopf zu Boden gerichtet. Brav reichte sie mir ihr Handgelenk und wehrte sich nicht.
Kurz starrte ich sie nur an, doch dann überfiel mich die Gier, die mein Gewissen, meinen Verstand und meine Vernunft ausschaltete. Spannung baute sich in mir auf, bis ich es nicht mehr aushalten konnte und meine Fangzähne in ihre weiche Haut rammte. Doch viel passierte nicht. Ich schmeckte weder Blut, noch die erwartete Angst. Alles was sie tat war ein leichtes Winseln. Es war leise und die meisten Leute hätten es wahrscheinlich nicht mal mitbekommen, doch mich störte ihr leises Heulen. Aus irgendeinem Grund machte es mich wütend. Wie konnte man nur so weinerlich sein?
„Blut! Ich will ihr Blut!“, schrie ich wütend.
Doch es wollte keins kommen, also nahm ich zögerlich meinen Kopf von ihrem Arm und sah Leandro fragend an. Er hingegen verdrehte nur die Augen und machte einen knappen Schritt auf uns zu. Er atmete einmal tief durch und biss dann kurzerhand in ihr Handgelenk. Ein Schluck nahm er, bis er mir ihren tropfenden Arm überließ. Zufrieden lächelte ich und nahm ihren blutenden Arm entgegen. Ein paar Tropfen fielen zu Boden und ich bildete mir ein, sie dabei gehört zu haben. Der Geruch ihres Blutes wurde immer intensiver und eh ich mich versah,.... hing ich auch schon an ihrem Arm und trank ihr Blut. Das warme Blut floss meinen Rachen hinunter und wärmte mich von Innen. Die Kälte um mich herum war verschwunden und stattdessen war mein Körper in angenehme Wärme gehüllt.
Ich konnte gar nicht so schnell saugen, wie ich haben wollte. Die Schlücke wurden immer schneller und dringlicher, dass ich mich ein paar Mal beinahe verschluckte. Ihr Blut war wie eine Droge für mich, sie war die Droge. Ein paar Schmerzensschreie wichen aus ihrem Mund, aber sie riefen weder Mitgefühl noch Reue in mir hervor. Viel mehr verleiteten sie mich dazu, noch mehr Blut zu aus ihren dünnen Venen zu ziehen und den Gedanken an ein Ende zu verdrängen. Es war erleichternd einfach loslassen zu können. Sich um nichts und niemanden Sorgen machen zu müssen. Nichts zu bereuen oder sich fragen zu müssen, ob man hätte anders handeln sollen. Ja einfach sorglos zu sein. Es gab keine Gedanken mehr in mir. Es gab nur noch das Blut, meinen unstillbaren Durst und die Begierde.
„Es reicht“, rief Leandro energisch, nachdem ich gerade mal ein paar Sekunden von ihr getrunken hatte. Hätten meine Zähne nicht so tief in ihrer Haut gesteckt, hätte ich energisch den Kopf geschüttelt, nur um ihn provozieren zu können. Ich wusste selbst, wann ich aufhören müsste, das wusste ich ganz genau! Das brauchte er mir verdammt noch mal nicht sagen! Wut begann wieder in meinen Körper aufzusteigen und brachte in mir den Wunsch hervor, ihn anspucken zu wollen.
„Hör auf!“
„Alex! Ich sage es nicht noch einmal. Entweder du hörst von alleine auf oder ich reiße dich von ihr los!“ Auf seine Forderungen ging ich nicht ein. Stattdessen genoss ich jeden Tropfen Blut, der meinen Rachen so samtig hinunterfloss, wie Öl.
Ohne Vorwarnung packte er mich grob an der Schulter und zog mich weg von ihr. Etwas benommen taumelte ich ihm hinterher und schlug wild in der Luft herum. Es war Zufall, dass ich sein Gesicht getroffen hatte und sich der Griff um meinen Arm nun langsam lockerte. Gleichgültigkeit machte sich in mir breit. Es war mir egal, dass ich ihn getroffen hatte und es war mir egal, was mit der Frau passieren würde, also stürmte ich dem intensiven Geruch von Metall entgegen und versank meine Zähne wieder in ihrer Haut.
Die Gleichgültigkeit stieg mit jedem Schluck und mein Hunger, mein Durst und meine Begierde stieg. Mein Kopf war vernebelt und alles was ich noch wahrnehmen konnte, war der Geruch des Blutes, der Klang des Blutes und der einzigartige Geschmack des Blutes.
„Eyyyy“, war alles was ich herausbringen konnte, als er mich plötzlich wieder von ihr wegzog und seine Arme um mich schlang. Um mich begann es sich langsam zu drehen, aber es lag nicht an meinen sonstigen Anfällen, nein ich fühlte mich als hätte ich eine Flasche Wodka auf Ex trinken müssen. Es drehte sich so schnell, wie ein Karussell.
„Alex lass uns nach Hause gehen“, flüsterte er und streichelte über meinen Rücken. Die Wut war verschwunden und stattdessen fiel es mir zunehmend schwer, ganze Sätze formulieren zu können.
„Nö.“
„Na komm oder muss ich dich tragen?“
„Was... du willst? Ich... glaube... also kann nicht gehen.“
„Dann war es wohl doch zu viel.“
„Nein, ich trink weiter!“, lallte ich und stieß mich etwas von ihm weg, um in seine Augen schauen zu können. Doch anstatt von zwei Augen, befanden sich nun vier in seinem Gesicht.
„Ha, du hast viiiiier Auuugen! Direkt auf..... wie heißt das nochmal?... Nase“, lachte ich und wollte seine Nase berühren, doch er griff rasend schnell nach meiner Hand und hielt mich davon ab.
„Das ist nicht lustig, Alex.“
„Doch. Kannst du jetzt besser sehen?“
„Okay nächstes Mal bekommst du nicht so viel.“
„Sie sind blau.“
„Alex!“
„Blauuu“, rief ich lachend und schwenkte meinen Arm durch die Luft, wobei ich leicht das Gleichgewicht verlor und er mich auffangen musste.
„Okay dann trage ich dich eben“, flüsterte er mir leise ins Ohr, was kitzelte und mich zum Kichern brachte. Gesagt, getan. Ohne länger darüber nachzudenken, hob er mich hoch und trug mich, mit dem Gesicht ganz nah an seinem, über die Straßen. Sein Gesicht war warm. Leichte Stoppeln an seinem Kinn kitzelten mich und brachten mich wieder zum lachen.
„Erfüllst du heute den Wunsch?“
„Nein.“
„Bitteeee.“
„Nein!“
„Du hast ihn doch noch nicht … gehört.“
„Morgen.“
„Ein Kuss“, forderte ich und legte mein kaltes Gesicht wieder an sein Warmes. Er war mir so nah, dass ich sein schönes Parfum riechen konnte. Ich fühlte mich sicher bei ihm und es war ein schönes Gefühl zu wissen, dass er mir noch eine Weile so nah sein würde.
„Nein.“
„Bitteee! Ich weiß dass du willst“, lachte ich und bemerkte, dass das Schwingen meiner Beine ganz spaßig war. Also schwang ich sie immer heftiger durch die Luft und lachte dabei, viel zu laut in die Stille hinein, bis mich Leandro wieder zur Ordnung rief:
„Alex!“
„Ein Kuss.“
„Nein.“
„Willst du mich nicht küssen? Das fänd ich doof.“
„Nein, nicht so.“
„Nicht so? Verstehe ich nicht. Du hast doch aber vier blaue Augen?“, kicherte ich und fing an sie alle zu zählen. Sie alle bekamen einen Namen, die ich mir jedoch nach wenigen Minuten nicht mehr merken konnte.
„Schlaf dich lieber aus“, schlug er vor und drückte seinen Kopf etwas enger an meinen heran. Ich musste lächeln und kuschelte mich an ihn heran.
„Aber ich liebe dich doch“, murmelte ich und schlief kurz danach ein.