Es war warm, es war gemütlich und ich fühlte mich aus irgendeinem Grund geborgen. Langsam wurde ich wach und wollte mich auf die andere Seite drehen. Doch starke Arme hatten sich um mich geschlungen und hinderten mich daran. Kurz dachte ich nicht drüber nach und genoss die Nähe, während ich meinen Kopf wieder in meinem Kissen vergrub. Dann aber spürte ich die hämmernden Kopfschmerzen und Gedankenfetzen an den gestrigen Abend traten in mein Bewusstsein.
„Fuck“, flüsterte ich, als ich mich langsam zu erinnern begann, was für abgefuckte Scheiße ich gestern gelabert hatte.
„Hm?“, knurrte es hinter mir. Erschrocken drehte ich mich zu Leandro um, der mit geschlossenen Augen neben mir lag und seinen Arm um mich gelegt hatte. Was, verdammt noch mal, war gestern Abend passiert? Hatte ich mir nicht vorgenommen gehabt, erst mal Abstand von ihm zu nehmen? Scheiße! Hitze stieg in mir auf und eigenartige Gedanken setzten sich in meinem Kopf fest, die darüber diskutierten, wie er nur in meinem Bett gelandet war.
Schnell nahm ich seinen Arm von mir und rutschte ans andere Ende des Bettes. Verwirrt starrte ich ihn an.
„Alles klar?“, fragte er verschlafen und richtete sich langsam auf.
„Ne, nichts ist klar! Was machst du in meinem Bett?“, zischte ich und sah ihn böse an. Er hatte mich gestern nicht küssen wollen, warum lag er dann in meinem Bett? Langsam hielt ich diese ganzen Spielchen echt nicht mehr aus!
„Hä, du wolltest doch, dass ich mich zu dir lege. Ich verstehe das Problem nicht“, entgegnete er leicht verwirrt und setzte sich aufrecht hin.
„Warum sollte ich das gesagt haben?“
„Na ja das Blut war eben ein bisschen zu viel gewesen und du meintest einfach nur, dass du nicht alleine schlafen willst.“
„Und da hast du dich einfach neben mich gelegt?“
„Ja?“
„Und warum hättest du das tun sollen?“, fragte ich ungläubig, dass da nichts anderes gewesen war, weshalb er plötzlich hier war.
„Wie? Warum hätte ich es denn sonst tun sollen?“
„Keine Ahnung, deswegen frage ich ja.“
„Ich versteh nicht was dein Problem ist. Du wolltest gestern Abend, dass ich mich zu dir lege, weil dir kalt war und weil du nicht alleine sein wolltest. Außerdem wollte ich sicher gehen, dass es dir gut geht. Wo ist jetzt also das Problem?“, fragte er verständnislos und schaute mir unschuldig in die Augen.
„Du bist mein Problem!“, platze es aus mir heraus, was ich schon im nächsten Moment bereute.
„Was wieso?“
„Weil ich dich nicht verstehe. Vorgestern, kurz vor der Bushaltestelle, wolltest du mich noch küssen. Gestern dann wollte ich dich küssen und da wolltest du nicht mehr. Was soll das?“
„Gestern warst du benebelt von dem ganzen Blut, da wusste ich einfach nicht, ob du es ernst meinst.“
„Schwachsinn, natürlich meinte ich es ernst! Und was war das in der Bibliothek? Da wolltest du mich auch nicht küssen.“
„Was heißt nicht wollen. Ich will dich schon küssen, aber...“
„Aber was? Also hast du gerade gelogen? Du wolltest mich nicht küssen, gib es doch zu!“
„Nein, also …“
„Du kannst dich nicht entscheiden? Zwischen Laureen und mir?“, schrie ich wütend und wartete gespannt auf seine Reaktion. Wahrscheinlich hätte ich es nicht so direkt ansprechen sollen, doch jetzt war es zu spät und ich kam aus der Sache nicht mehr raus.
„Ja....“
„Bitte?“, zischte ich verständnislos und schüttelte den Kopf. Warum zur Hölle war er nur mitgekommen? Warum hatte er mich dann an der Bushaltestelle beinahe geküsst? Warum? Gott, ich war es so leid, dass er immer wieder nur mit mir spielte.
„Nein, also es ist einfach schwer zu erklären, ich denke ich muss erst mal ein paar Sachen klären, bevor wir da irgendetwas versuchen sollten.“
„Was für Sachen? Gott, es ist doch nicht so schwer, sich einfach mal zu entscheiden!“
„Das verstehst du nicht.“
„Dann erklär es mir.“
„Das kann ich nicht, du würdest es nicht verstehen.“
„Warum bist du nur so unheimlich scheiße zu mir?“
„Das wollte ich nie.“
„Weißt du was? Du bist einfach nur feige. Komm verpiss dich!“, antwortete ich genervt von seinem ständigen Rumgedruckse, seinen Geheimnissen und Versprechen, die er doch sowieso nicht hielt. Wütend stand ich auf und öffnete die Tür.
„Ach Alex bitte warte doch, ich also... ich habe wirklich keine Lust zu streiten. Können wir das nicht ein Mal im Guten besprechen?“
„Wenn dus mir erklärst, von mir aus“, entgegnete ich und verschränkte die Arme vor der Brust.
„Du würdest mich hassen, wenn ichs dir erklären würde.“
„Das tue ich auch schon so. Also entweder du erklärst mir endlich mal so einiges und hörst auf mit deinen ganzen Geheimnissen und Lügen oder du kannst dich verpissen!“
„Ich kanns dir aber nicht erklären, glaub mir, ich würde gerne“, sagte er sanft und kam mit bedauernden Augen auf mich zu. Diese Masche hatte er so was von drauf, aber so langsam fiel selbst ich nicht mehr darauf rein.
„Geh einfach“, antworte ich knapp und hielt noch für einen Moment die Tränen zurück, bis er endlich das Zimmer verließ. Was war nur so schwer daran einfach die Wahrheit zu sagen? Das war nicht schwer! Ich hatte nun schon so viele, schlechte Seiten an ihm gesehen, warum sollte ich ihn dann hassen, wenn er ein Mal die Wahrheit sagen würde? Er wollte es im Guten besprechen? Was dachte er? Dass wir Freunde werden? Dass wir einfach alles vergessen und so tun, als wären wir nie mehr, als nur Freunde gewesen?
Er hatte es wirklich verkackt! Ich hatte keinen Bock mehr auf seine ganzen Spielchen. Gut wenn er es also so wollte, dann konnte er es haben. Ich hatte schon einen perfekten Plan, wie ich ihn eifersüchtig machen könnte. Dann würde er schon ankommen. Ich musste mich wirklich von ihm distanzieren, er tat mir nicht gut und ich war davon überzeugt, dass er von selbst wieder ankommen würde, wenn er merkte, dass ich ihn nicht brauchte. Mein Plan stand fest, ich musste unabhängiger werden, ich würde ihm nichts mehr anvertrauen und vor allem würde ich nicht mehr nachgeben. Ich war doch keine zweite Wahl!
Das ganze Wochenende über hatte ich versucht ihm aus dem Weg zu gehen und kein einziges Wort mir ihm zu wechseln. Er hatte sehr wohl gemerkt, dass ich angepisst war, aber wusste wohl nicht, wie er das wieder grade biegen sollte und so machte auch er keine Anstalten, mit mir ein Gespräch zustande zu bekommen. Im Nachhinein waren mir die Worte, die ich ihm am Abend gesagt hatte, peinlich und ich versuchte sie zu verdrängen. Anscheinend hatte das Blut echt eine Menge in mir angerichtet, so viel, dass ich sogar gesagt hatte, ich würde ihn lieben. Ich war mir nicht sicher ob ich das überhaupt tat, doch im Endeffekt war es sowieso egal. Trotzdem ging mir dieser eine Satz nicht mehr aus dem Kopf. Immer noch konnte ich mir keinen Reim auf sein Verhalten machen, doch als er zu mir meinte, er würde mich nicht so küssen wollen, war das nicht eigentlich ein fairer Zug von ihm gewesen? Ich meine ich war absolut drauf gewesen und er hatte es nicht ausgenutzt, so wie es wohl jeder andere getan hätte. Warum war er nur so ein verdammtes Arschloch, wenn er doch so nett sein konnte?
Die letzten Tage hatte er sich einfach in seinem Zimmer verkrochen und ich mich in meinem. Zwischendurch waren wir uns kurz über den Weg gelaufen und hatten nur knappe Worte miteinander gewechselt, die jedoch in keinerlei Verbindung zu diesem Abend gestanden hatten. Er konnte wirklich eine gute Miene zum bösen Spiel machen, so sehr, dass ich mich manchmal fragte, ob er sich an unseren Streit überhaupt noch erinnern konnte.
Die paar freien Tage hatte ich damit verbracht, einige der Hausaufgaben zu erledigen und den unzähligen Nachrichten auf meinem Handy zu antworten. Ich wollte schließlich nicht, dass Anne am ersten Schultag schon angepisst auf mich wäre, weil ich ihr nicht mehr geantwortet hatte.
Da mir nicht die besten Ausreden gekommen waren, hatte ich mich letztendlich doch ergeben und war am Sonntag zu ihr gefahren, um mich über den neusten Klatsch informieren zu lassen. Während sie in meinen Haaren rumgefummelt und mir Massen an Make- up ins Gesicht geklatscht hatte, hatte sie mir unglaublicher Weise alles erzählt, was sie in den Ferien über das Privatleben anderer herausgefunden hatte. Mir war nichts anderes übrig geblieben, als ihr bei jedem lästernden Wort, über ausgerechnet den Großteil meiner Freunde, zuzunicken und zustimmende Worte zu murmeln. Doch das war das geringste Übel gewesen, viel schwieriger war es gewesen, ihr verheimlichen zu können, dass ich nicht mal mehr ein Spiegelbild hatte.
Die drei Tage waren schneller vergangen, als mir lieb war und so stand viel zu schnell der erste Schultag vor der Tür. Von den vielen Schwindelanfällen war ich verschont geblieben und redete mir nun vehement ein, dass es am Blut gelegen haben musste.
Draußen war es stockdunkel, als ich das erste Mal aufwachte. Eigentlich wollte ich mich direkt wieder umdrehen, doch da wurde meine Zimmertür mit voller Wucht aufgeschlagen und ich schreckte hoch. Musste ich wirklich schon aufstehen? Schnell warf ich mir die Bettdecke über den Kopf und hoffte meine Mutter würde sie mir nicht wegziehen. Kurz passierte nichts, also schmulte ich vorsichtig unter meiner Bettdecke hervor und starrte verwundert in zwei müde, blaue Augen.
„Was willst du?“, murmelte ich verschlafen und drehte mich zu ihm um.
„Du hast mir was versprochen“, antwortete er und schaltete das Licht an. Genervt stöhnte ich auf und hielt mir meine Hand vor die Augen, damit mich das grelle Licht nicht mehr so blenden würde.
„Hä?“
„Hopp, hopp. Raus aus den Federn, das morgendliche Training wartet“, lachte er plötzlich voller Motivation und zog mir die Bettdecke vom Körper.
„Willst mich verarschen oder was?“
„Sehe ich so aus?“
„Keine Ahnung, lass mich schlafen!“, zischte ich verwirrt und funkelte ihm böse entgegen. Das war nicht sein ernst oder? Das ganze Wochenende hatte er nicht mit mir reden wollen und plötzlich hatte er sich in den Kopf gesetzt, mich zu irgendeinem, schwachsinnigen Training zu motivieren? Das konnte er aber so was von vergessen.
„Morgens bringt es am meisten, außerdem fühlt man sich danach so richtig erfrischt.“
„Wenn man verrückt ist vielleicht“, murmelte ich, holte mir die Decke wieder und drehte mich zur Wand. Einen Scheiß würde ich tun und vor allem nicht mit ihm! Wie kommt man überhaupt auf so schwachsinnige Ideen? Es war Montagmorgen und definitiv viel zu früh, um überhaupt das Bett zu verlassen.
„Steh endlich auf“, drängte er nun strenger.
„Nein.“
„Du hast es mir versprochen.“
„Und jetzt? Du hast mir auch ne Menge versprochen“, entgegnete ich mürrisch und bekam nur ein genervtes Stöhnen als Antwort. Doch dabei beließ er es natürlich nicht, stattdessen setzt er seine Magie ein und zog mir mit einer Leichtigkeit die Decke vom Körper.
„Lass es doch einfach und geh alleine raus, wenn du unbedingt wie ein Spast, früh morgens, durch die Stadt rennen willst.“
„In zehn Minuten bist du unten, ansonsten hole ich einen Eimer Wasser und flute dein Bett!“
„Das wagst du nicht“, zischte ich.
„Natürlich wage ich das, mit kaltem Wasser sogar.“
„Lass mich schlafen“, knurrte ich unzufrieden und seufzte.
„Mit eiskaltem Wasser“, drohte er und verließ das Zimmer, wobei er meine Tür offen ließ. Kopfschüttelnd rang ich mich dazu durch aufzustehen, um die Tür wieder schließen zu können. Schnell setzten die hämmernden Kopfschmerzen ein, die ich schon das ganze Wochenende nicht losgeworden war. Jede einzelne Faser in meinem Körper tat weh und ich hatte einfach keine Ahnung, woran das liegen sollte. Ich hatte keinen Sport getrieben und getrunken hatte ich auch nicht. Meine Beine waren schwer wie Blei und ich konnte kaum einen Fuß vor den anderen setzten. Schwere Müdigkeit lag auf mir und ich konnte mir nicht vorstellen, wie ich in drei Stunden überhaupt das Haus verlassen sollte.
Seit Tagen schon aß ich alles was ich im Haus finden konnte, doch nichts davon konnte diesen nagenden Hunger stillen. Gestern hatte ich mich so übernommen, dass ich mich beinahe hätte übergeben müssen und nun war mir einfach nur noch schlecht. Ich hatte so einen Hunger oder viel mehr Durst, dass mir schon ganz übel war. Das Verlangen nagte an mir, doch ich wusste genau, dass ich nicht aufhören könnte, ohne Leandro´s Hilfe und die wollte ich garantiert nicht.
Gähnend schaltete ich das Licht aus und legte mich wieder ins Bett. Nirgends würde ich mit ihm hingehen und sein Versprechen, mich mit kaltem Wasser zu wecken, waren doch sowieso nur leere Drohungen. Ich war schon lange wieder eingeschlafen, als sich eiserne Kälte auf meinen Körper legte und kaltes Wasser durch meine Kleidung sickerte. Erschrocken schrie ich auf und saß noch im selben Moment, kerzengerade im Bett.
„Sag mal spinnst du?“, rief ich empört und schlug die Decke zurück, um ihn vorwurfsvoll anzustarren.
„Ich habe dich gewarnt.“
„Bist du behindert? Die Scheiße kannst du selbst wegmachen!“
„Ne bin ich nicht und jetzt komme endlich.“
„Fick dich! Du kannst mich mal! Verpiss dich endlich!“, schrie ich wütend und sah mir mein nasses Bett fassungslos an.
„Entspann dich mal, es ist nur ein wenig Wasser.“
„Nen Scheiß werde ich tun. Mein ganzes Zimmer is nass!“
„Jetzt übertreib mal nicht und komm endlich oder muss ich dich die Treppen runterziehen?“
„Ich gehe nirgends hin!“, zischte ich und verschränkte die Arme bockig vor der Brust.
„Na gut, wenn dus unbedingt willst“, entgegnete er genervt, stand urplötzlich neben mir und hatte mich hochgehoben, um mich nach unten tragen zu können.
„Lass mich runter!“
„Nö.“
„Gott, von mir aus“, stimmte ich nun genervt zu und seufzte. Er würde ja sowieso nicht locker lassen. Lächelnd ließ er mich wieder runter und wartete darauf, dass ich ihm nach draußen folgen würde.
„Los geht’s.“
„Darf ich mich noch umziehen?“, knurrte ich wütend und suchte nach irgendwelchen, bequemen Sachen.
„Du wirst schon nicht krank, außerdem bewegen wir uns.“
„Leck mich doch“, fluchte ich und verließ mein Zimmer mit einem lauten Türknall.