Die nächsten Wochen brachten nur noch mehr Verwirrung in mein Leben. Vorerst wurden wir zwei Wochen von der Schule befreit und konnten uns darauf konzentrieren, wieder etwas mehr Struktur in unser Leben zu bringen. Anne versuchte ich so gut es ging aus dem Weg zu gehen und verbrachte nur die Zeit mit ihr, auf die sie ausdrücklich bestand. Zum Glück hatte sie großen Gefallen an dem Franzosen gefunden und so kam es manchmal vor, dass sie für ein paar Tage verschwand und wir unsere Ruhe hatten.
Eigentlich hatte ich versucht den emotionalen Abstand zwischen Leandro und mir zu behalten. Immer noch war ich wütend auf ihn und versuchte die aufkommenden Gefühle zu leugnen. Ich versuchte es wirklich krampfhaft, aber die ganze gemeinsame Zeit lockerte die angespannte Stimmung zwischen uns, von Tag zu Tag und ließ immer mehr in Vergessenheit geraten, was zwischen uns vorgefallen war. Wir verbrachten die Nächte mit weiteren Trainingseinheiten und nutzten den Tag für Hausbesichtigungen und den Papierkram der Polizei, der einfach nicht enden wollte. Manchmal war es mir schon unangenehm wie gut er und ich uns wieder verstanden und ich versuchte in meinen alten, abweisenden Modus zu finden. Doch irgendwie schaffte er es immer wieder, dass ich zu lachen anfing, obwohl ich eigentlich keinen Grund dazu hatte. Ganz im Gegenteil, ich befürchtete wir würden Berlin verlassen und ein Haus in einer anderen Stadt suchen, so als eine Art Neuanfang. Doch den wollte ich nicht. Ich wollte hier bleiben, in meiner bekannten Umgebung, mit den bekannten Gesichtern.
Außerdem ließ mich schon seit ein paar Tagen der gleiche Traum nicht mehr los. Immer wieder träumte ich von meinem Dad, wie er dort so unheimlich gestanden hatte und mir meine Mum hatte nehmen wollen. Einerseits fing ich an Angst davor zu entwickeln, andererseits spürte ich, wie ich anfing ihn zu vermissen.
Meine Mutter war wieder arbeiten gegangen und verbrachte viele Überstunden dort, weshalb ich sie nur selten sah und kaum ein Gespräch mit ihr zustanden brachte. Vielleicht hätte es mir auffallen sollen, dass sie und mein Bruder sich immer mehr zurückzogen und vielleicht hätte ich wissen müssen, wie es ihnen ging. Aber da war diese eine Sache, die mich nicht mehr loslassen wollte. Schon seitdem ich ihm begegnet war. Momentan lebten wir im gleichen Zimmer, wie sollte ich ihn da überhaupt vergessen? Diese zwei Wochen hatten uns irgendwie lockerer werden lassen. Ich versuchte nicht mehr ihn zu beeindrucken und startete keine blöden Aktionen, von denen ich mir erhoffte ihn eifersüchtig machen zu können. Fünf Tage war es her, dass wir uns geküsst hatten. Fast wie durch Zufall und trotzdem schien es in diesem Moment wie selbstverständlich gewesen zu sein. Seit diesem Tag konnte ich an nichts anderes mehr denken und fragte mich viel zu oft, ob es ihm genauso ging. Wir hatten kein Wort darüber verloren und es sah wohl so aus, als wüssten wir beide nicht so genau wo das hinführen sollte. Für mich war klar, dass ich ihn wollte, aber mir war auch klar, dass die Probleme nicht einfach verschwinden würden. Immer noch war er dieser verschlossene Typ, aus dem ich einfach nicht schlau wurde. Wie auch? Wenn er mir nie etwas erzählte, lieber alles für sich behielt? Die letzten Tage war er sogar ziemlich freundlich zu mir geworden und genau das machte mir nur noch mehr Hoffnungen. Trotzdem konnte ich nicht mit ihm über die Dinge sprechen, die mir wirklich wichtig waren. Gerne hätte ich über meinen Vater gesprochen, über den Beinahetod meiner Mutter und natürlich über die Sache mit uns, wenn es denn überhaupt noch ein uns gab. Ich hatte tausend Fragen, aber ich wollte die gute Stimmung zwischen uns nicht schon wieder aufs Spiel setzten.
Das morgendliche Sportprogramm hatte ich bereits hinter mir und war nun ganz entspannt in unser Zimmer geschlendert, um eine weitere Suche nach einem Haus zu starten. Bisher hatten wir nur Häuser gefunden, die entweder zu wenige Zimmer hatten, zu teuer waren oder am Arsch der Welt lagen. Drei Häuser hatten wir uns bisher angesehen, doch irgendwas war immer faul gewesen und ich fragte mich langsam, ob wir jemals etwas passendes finden würden. Ewig wollte ich in diesem Klotz nicht hocken und bald müsste ich auch wieder zur Schule gehen, damit ich den Anschluss nicht verlor.
Unbewusst spielte ich in meinen langen, lockigen Haaren herum und klappte Annes Laptop auf, als es klopfte und Leandro zu mir ins Zimmer kam. Verwirrt starrte ich ihn an und fragte mich was er wohl von mir wollen würde. Immerhin war es draußen noch nicht einmal schummrig geworden und das Training hatte ich gerade hinter mich gebracht. Lächelnd setzte er sich ganz dicht neben mich und warf dem Bildschirm einen neugierigen Blick zu. Als er mir so nah kam hielt ich unbewusst die Luft an und spürte, wie mein ganzer Körper zu kribbeln anfing. Sein linker Arm streifte meine Schulter, verstärkte das kribbelnde Gefühl für einen Augenblick und brachte ein großes Lächeln auf meinen Lippen zum Vorschein, das ich kaum verbergen konnte.
„Was ist so lustig?“, fragte er amüsiert und sah mir lächelnd in die Augen.
„Gar nichts!“, entgegnete ich schnell, beinahe verlegen und klappte den Laptop zu.
„Warum wirst du so rot? Auf welchen Seiten treibst du dich denn rum?“, lachte er und zog seine Augenbrauen erwartungsvoll nach oben.
„Blödsinn! Ich bin nicht rot und ich treibe mich auch auf keinen fragwürdigen Seiten rum“, verteidigte ich mich und versuchte dieses nervige Grinsen loszuwerden. Ungläubig warf er mir noch einen kurzen Blick zu, ehe er sich den Laptop schnappte und selbst nach Häusern anfing zu suchen.
„Hast du die Tage noch etwas gefunden?“
„Nein, ich hatte keine Ahnung wie kompliziert diese Häusersuche werden würde“, gab ich zu und runzelte die Stirn, als ich sah, dass er die Suche auf Hamburg beschränkte.
„Hamburg? Warum ausgerechnet Hamburg? Hast du was gegen Berlin?“
„Ich habe nichts gegen Berlin, aber ich denke es ist besser, wenn wir nach Häusern suchen die in einer anderen Stadt stehen.”
„Warum?“, fragte ich völlig verdutzt. Was sollte ich in Hamburg? Ich wollte in Berlin bleiben!
„Sie werden wieder kommen. Wir sollten also so schnell es geht aus Berlin raus.“
„Bist du verrückt? Ich ziehe doch nicht nach Hamburg!“
„Wohin dann? Ins Ausland? Kalifornien? Texas? New York?“
„Ich will nirgends hin, einfach hier bleiben, in Berlin!“
„Wieso? Ein Neustart würde uns allen gut tun“, antwortete er abwesend und las sich währenddessen eine Anzeige durch.
„Ich will keinen Neustart... also jedenfalls nicht so, dass ich Berlin verlassen muss. Hier sind meine Freunde und tausend Erinnerungen.“
„Du wirst schon neue Freunde finden und deine Erinnerungen wirst du nicht verlieren.“
„Es ist ja nicht nur das. Ich hänge vor allem an den Erinnerungen von meinem Vater und ich habe Angst sie zu vergessen, wenn ich hier weg bin.“
„Vielleicht solltest du sie vergessen?“, fragte er mich mit bebenden Lippen und hörte auf ernsthaft nach Häusern zu suchen. Diese Frage war wie ein Schlag ins Gesicht. Kurz entstand Schweigen zwischen uns, als ich versuchte diese Worte richtig zu verstehen.
„Er hat nichts getan was ich vergessen sollte“, verteidigte ich ihn und senkte meinen Kopf zu Boden. Natürlich waren da Dinge gewesen, die ich am liebsten vergessen hätte, aber jetzt wo er tot war, fiel es mir schwer deswegen wütend auf ihn zu sein.
Tränen begannen mir in die Augen zu schießen und waren dafür verantwortlich, dass ich mich verschloss und versuchte das Gespräch in eine andere Richtung zu lenken.
„Ich werde sowieso nicht gehen, ich kann Anne nicht alleine lassen.“
„Anne? Das meinst nicht ernst oder?“, sagte er und versuchte dabei sein aufkommendes Grinsen zu verstecken.
„Was ist das denn für eine Frage? Sie ist meine beste Freundin und...“, begann ich, doch noch bevor ich die richtigen Argumente gefunden hatte, unterbrach er mich und stellte die Frage, vor der ich mich hatte verstecken wollen:
„Ist Anne wirklich deine Beste Freundin?” Den Blickkontakt mied ich und presste die Handflächen auf meine Oberschenkel, um ihm nicht die Genugtuung zu geben, dass es stimmte. Eigentlich brauchte ich es nicht abstreiten, Anne war nun mal ein sehr schwieriger Mensch, mit dem ich einfach nicht mehr klar kommen wollte. Eigentlich hatte ich schon lange eingesehen, dass es wichtigeres auf dieser Erde gab, als das Image einiger Mädchen, auf einer unbedeutenden Schule.
Er hatte recht, vielleicht war es Zeit geworden für einen Neustart. Doch der kleine Schub an Euphorie wandelte sich schnell in Unsicherheit um. Die meisten „Freunde“ hatte ich ja nur, weil ich eben mit Anne befreundet war. Was wäre also, wenn ich dort niemanden finden würde, der mit mir befreundet sein wollte? Geknickt senkte ich den Kopf und fasste mir an die Stirn, als ich endgültig verstand, dass sie alle nie wirkliche Freunde gewesen waren. Nicht mal Anne, die ich schon so viele Jahre als meine beste Freundin bezeichnet hatte.
„Was hält dich denn noch bei ihr? Du bist doch auch immer mehr von ihrer oberflächlichen Art genervt und ich finde, dass sie mit dir nicht gerade respektvoll umgeht.“
„Ja schon, aber ohne sie habe ich doch niemanden“, entgegnete ich vorschnell. Eigentlich hätte dieser Satz lieber in meinen Gedanken bleiben sollen...
„Die anderen sind doch aber auch deine Freunde.“
„Wen meinst du?“
„Deinen Freund, dieser Albert und all die anderen mit denen du dich immer unterhalten hast?“ Aufmunternd lächelte er und nahm mich in den Arm. Bei diesen Berührungen zog sich alles in mir zusammen und ich spürte wie ich zunehmend nervöser wurde. Diese einfühlsame Art, nach der ich mich die ganze Zeit gesehnt hatte, brachte mich dazu, seine Nähe wieder zu genießen.
„Ex Freund!“, betonte ich auffällig stark und hoffte inständig, dass er mich noch fester an sich drücken und mich einfach küssen würde.
„Die mögen mich doch nur, weil ich nun mal mit Anne befreundet bin.“
„Also ich mag dich nicht, nur weil du mit Anne befreundet bist... und“ Er verstummte und blickte mir fast erwartungsvoll in die Augen. Und? Und was?
„Und... was läuft jetzt zwischen dir und Albert?“, flüsterte er und hörte auf mich so eng an sich zu drücken. Unvermeidbar legte sich ein leichtes Lächeln auf meine Lippen. Ich mochte es, wenn er eifersüchtig wurde.
„Wieso Albert? Ich meine ich habe Tobi vor deine Augen geküsst, warum fragst du nicht nach ihm?“
„Ich habe Tobis Gesicht gesehen als du den einen Tag mit ihm geredet hast, außerdem meintest du vorhin, dass er dein Ex-Freund sei.“
„Hm, ja ich gebe zu, es war wohl nicht gerade fair von mir ihn so hinzuhalten“, gestand ich mir ein und spürte wie mein schlechtes Gewissen zum Vorschein kam.
„Was meinst du damit?“
„Ist das nicht offensichtlich?“, fragte ich hoffnungsvoll die ganze Sache nicht erklären zu müssen.
„Nein, ich kann dir nicht folgen.“
„Ach verdammt, ich wollte dich doch nur eifersüchtig machen...“
„Wieso? Was soll das bringen? Wenn du dich so verhältst, dann denke ich doch erst recht, dass ich dir egal geworden bin.“
„Das war ja auch das Ziel, du solltest sehen, dass ich auch ohne dich zurecht komme, dass ich dich nicht brauche.“
„Das ist dumm“, sagte er knapp.
„Wie bitte? Ich hatte ja wohl jedes Recht wütend zu sein!“, zischte ich und verschränkte abwehrend die Arme vor der Brust.
Was dachte er denn wie ich mich gefühlt hatte? Ist doch logisch, dass ich verletzt war, als ich gesehen habe wie sie sich geküsst haben. Aber so weit konnte er mit seinem Erbsenhirn wohl nicht denken. War es wirklich zu viel verlangt eine ernste Entschuldigung von ihm hören zu wollen?
„Werd doch nicht gleich so zickig. Ich wollte ja nur fragen, wie du es jetzt siehst.“
„Ich bin nicht zickig! Ich verteidige mich nur, wenn du mal wieder so tust als hätte ich überreagiert. Was hättest du wohl gemacht? Kurz nachdem du Laureen vor meinen Augen geküsst hast, warst du plötzlich so abweisend und unfair zu mir, als wären wir nie mehr als Bekannte gewesen. Und das waren wir definitiv nicht, auch wenn wir uns noch nicht lange kannten.“ Nachdenklich schwieg er. Wahrscheinlich waren ihm die Argumente ausgegangen, die sein Verhalten noch in irgendeiner Art und Weise rechtfertigen könnten.
„Außerdem wollte ich dir zeigen wie es sich anfühlt so richtig verletzt zu werden.“ Um irgendeine Wahrheit noch verstecken zu können, war es längst zu spät und vielleicht war endlich die Zeit gekommen, in der wir einfach ehrlich zueinander sein mussten. Mit einem Ruck erwachte er aus seiner Starre und setzte zur Verteidigung an:
„Willst du jetzt wirklich wieder auf der Sache mit Laureen rumreiten? Ich dachte wir hätten mit dieser Sache endlich abgeschlossen?“
„Ja du vielleicht. Ich bin nicht stolz auf das was ich getan habe, bei weitem nicht, denn ich habe nur mit seinen Gefühlen gespielt und bin letztendlich nicht besser als du, aber ich habe nicht aufgehört mich zu fragen, ob du sie noch vermisst und immer noch etwas für sie empfindest.“ Das hatte ich tatsächlich nicht und gerade jetzt, wo er mich geküsst hatte und es beinahe so aussah als würde er es ernst meinen, wurde der Wunsch nach einer Antwort immer größer.
„Ich habe das Gefühl, dass eure Bekanntschaft nicht nur flüchtig war und, dass sie dir mehr bedeutet, als du zugeben willst. Also gib mir bitte eine ehrliche Antwort, bevor ich mich wieder in etwas verrenne, was sowieso nicht funktionieren wird“, erklärte ich mit zitternder Stimme und hoffte auf Ehrlichkeit, die nicht all die Hoffnungen nehmen würde, die in den letzten Tagen entstanden waren. Die Zeit über hatte ich gemerkt wie schön es sich mit ihm anfühlen könnte und wie glücklich ich sein würde, wenn er endlich diese Spielchen lassen würde. Ich hatte Angst vor dem was er sagen wollte, doch ich konnte nicht länger davor wegrennen und wenn wir nicht jetzt darüber sprachen, dann würden wir es wohl nie tun.
„Alex hör zu,... ich weiß, dass ich ein ziemliches Arschloch war, dir und den anderen Mädchen gegenüber, aber ich habe mich geändert. Auch wenn ich nicht verstehe wie du das überhaupt geschafft hast, denn eigentlich war es nicht möglich, aber... na ja und genauso wie du, bin ich nicht stolz auf das was ich gemacht habe. Das meine ich ernst“, antwortete er und blickte mir tief in die Augen. Das meinte er ernst? Das war ja schön und gut, trotzdem redete er immer noch um den heißen Brei herum. Für mich hatte er sich geändert? Hatte ich das wirklich von ihm gehört? Und warum sollte es für ihn unmöglich sein, dass ich etwas an ihm geändert hatte? Konnte ich ihm überhaupt irgendwas von dem glauben, was er mir kompliziert zu erklären versuchte? Die ganze Zeit über hatte ich ihm blind alles geglaubt, was er mir erzählt hatte. Klar, viel hatte ich über seine Antworten und komischen Formulierungen nachgedacht, doch meine Zweifel ihm gegenüber oder an der Wahrheit seiner Worte, hatte ich nie wirklich ausgesprochen. Vielleicht sollte ich damit endlich mal anfangen, wenn das zwischen uns jemals wieder etwas werden sollte.
„Die anderen Mädchen?“, fragte ich also kritisch nach und versuchte endlich hinter seine ganzen Geheimnisse zu kommen.
„Alle Mädchen, die von den Bildern, die du in dem Hotel gesehen hast und noch mehr. Du weißt, dass ich nie irgendetwas ernst meinte, was ich je zu ihnen gesagt habe.“
„Und warum? Macht es dir Spaß anderen Leuten wehzutun?“, fragte ich fassungslos, dass er es einfach so ausgesprochen hatte.
„Nein,... also ich weiß es nicht,... ich, ich ähm wollte mich wohl irgendwie rechen oder ka... kam keine Ahnung mit meinem eigenen Liebeskummer nicht klar? Außerdem wusste ich, dass sie bald sterben würden“, entgegnete er schüchtern, während er um jeden Preis versuchte den Blickkontakt mit mir zu meiden.
„Wie kannst du nur so sein? Du hast nicht versucht ihnen zu helfen oder sie zu warnen?“, fragte ich fassungslos. So wie ich glaubte ihn kennengelernt zu haben war er wohl nie gewesen und ich fragte mich wirklich, ob er je so werden könnte oder ob ich mir diesen einfühlsamen, aufmerksamen und tollen Jungen nur eingebildet hatte. Obwohl ich diese Art an ihm, diese Denkweise, verabscheute, verlor ich keineswegs das verlangen danach, ihn endlich zu haben. Ich wollte ihn noch immer und ich sehnte mich nach seinen zärtlichen Berührungen, nach seiner beschützenden Art, die mir manchmal schon auf die Nerven gegangen war. Wahrscheinlich wollte ich ihn nun noch mehr, damit ich mir selbst beweisen könnte, dass ich für ihn nicht nur irgendeins dieser Mädchen war.
„Nein, ich wusste, dass es aussichtslos war. Ich hätte ihnen nicht helfen können, der Graf hätte sie jedes einzelne Mal gefunden. Außerdem hatte ich die Hoffnung auf eine neue Liebe längst aufgegeben“, sagte er und versuchte dabei möglichst unbefangen zu wirken. Doch ich spürte diese aufkommende Traurigkeit, für die ich keine Erklärung fand. Es hörte sich beinahe so an, als hätte ihn jemand in der Vergangenheit verletzt. Aber wenn das so gewesen sein sollte, warum hätte er es dann all diesen Mädchen antun sollen? Mir? Wieso sollte er sie mit Absicht verletzten wollen, wenn er doch selbst wusste, wie sich das anfühlte?
„Warum? Wer kann dich denn jemals so sehr verletzt haben?“
„Liegt das nicht auf der Hand?“ Ich schüttelte den Kopf, obwohl ich eine Vermutung hatte. Entweder ging es um Nathalie, das Wolfsmädchen oder Laureen. Beide konnte ich sie nicht ausstehen und obwohl Nathalie für den Beinahetod meiner Mutter verantwortlich war, würde es mich mehr verletzten, wenn er dieser arroganten Laureen immer noch hinterher trauern würde.
„Wenn es sein muss. Du erinnerst dich an Nathalie?“ Was war das für eine Frage? Natürlich erinnerte ich mich an dieses Miststück.
„Sie... war also...“
„Wegen ihr?“, zischte ich vorwurfsvoll und unterbrach ihn damit. Natürlich war es gut, dass er nicht von Laureen anfing, aber Nathalie passte mir auch nicht in den Kragen. Trotzdem versuchte ich mich zusammenzureißen, da es zum ersten Mal so aussah, als wolle er mir etwas aus seinem Leben anvertrauen.
„Bei Vampiren ist dieser ganze Liebesscheiß irgendwie komplizierter, als bei den Menschen“, murmelte er leise, stand auf und schloss das Fenster. Für einen Moment starrte er einfach nur durch die Glasscheibe und überlegte wohl möglich, ob er mir tatsächlich davon erzählen sollte. Schnell verstand er, dass er nun keinen Rückzieher mehr machen konnte und ließ sich auf die Erzählungen ein:
„Nathalie war meine erste richtige Liebe. Das war okay. Wir waren zwei Jahre zusammen und es lief gut zwischen uns. Wir beide wussten, dass wir irgendwann jemand anderen finden mussten. Das taten wir auch, sie einen Jungen aus einem Rudel in der Gegend und ich... ich verliebte mich unglücklicher Weise in Laureen.“ Als er dieses Namen aussprach hätte ich ihm am liebsten eine geknallt. Wut begann in mir aufzusteigen und brachte Verzweiflung mit sich. Das ganze zwischen ihnen war nie bedeutungslos gewesen. Er hatte sie geküsst, weil er offensichtlich immer noch etwas für sie empfand und ich wurde das Gefühl nicht los, dass sich das nie ändern würde. Was hatte ich ihm getan, dass er mich so verarschen musste? Klar, er hatte mir nicht ewige Treue geschworen, das sollte er auch gar nicht, aber etwas Ehrlichkeit hatte ich schon verdient.
„Wusst ich`s doch! Warum hast du mir nichts gesagt? Und warum werde ich das Gefühl nicht los, dass du sie nie vergessen hast und nie vergessen wirst?“, fragte ich wütend und verschränkte die Arme vor der Brust. Seufzend kam er auf mich zu, setzte sich neben mich und schwang seinen Arm um meine Schulter. War das sein ernst? Er beichtete mir, dass er mich eigentlich die komplette Zeit über verarscht hatte und machte trotzdem Annäherungsversuche? Also so sehr war ich auf diesen Vollarsch auch nicht angewiesen! Richtig?
Außerdem war es schwachsinnig in unserem Alter von zwei großen Lieben zu sprechen. Ich war mir ja noch nicht einmal sicher, ob in meinem bisherigen Leben jemals von irgendeiner wirklichen Liebe hätte sprechen können.
„Vielleicht... weil du irgendwie recht hast?“, stammelte er schließlich und schaute mir enttäuscht entgegen.
„Wie bitte?“, rief ich empört, stieß seinen Arm weg und starrte fassungslos in seine geweiteten Augen. Meine Gesichtszüge entglitten, während ich versuchte mich zusammenzureißen und den Verstand nicht völlig zu verlieren. Ich spürte wie sich meine Mundwinkel immer weiter nach unten zogen und ich nichts dagegen tun konnte. Wie versteinert starrte ich ihn an und versuchte die aufkommenden Tränen zu unterdrücken. Schon wieder war mein Kopf leer, weil ich das Ganze nicht verstehen wollte.
„Ich habe gesagt, dass es kompliziert ist und ich wünschte es wäre anders. Ich habe so viele Bücher gelesen und nach einer Lücke gesucht, denn eigentlich hätte ich mich niemals in dich verlieben dürfen...“, versuchte er sich zu erklären, doch rief in meinem brummenden Kopf nur noch mehr Verwirrung hervor.
„Ich verstehe nicht was du mir sagen willst.“
„Bei jeglichen übernatürlichen Wesen ist es so, dass sie nur zwei große Lieben haben können. Wenn sie sich ein zweites Mal in eine Person verliebt haben, kann es keine dritte Person geben. Weißt du, es gibt sie einfach nicht. Ich hätte dich nie mehr als nur attraktiv finden dürfen. Und ich verstehe nicht wieso, ich verstehe es einfach nicht...“
„Ich verstehe dich nicht! Du hättest mit mir darüber reden müssen, spätestens ab dem Moment wo du mit nach Berlin gezogen bist. Warum hast du nicht einfach mit mir geredet? Wieso?“, unterbrach ich ihn, bevor er mich mit irgendwelchen Worten benebeln könnte und es so rücken würde, dass es nicht seine Schuld war.
„Alex, du tust so, als wäre es einfach. Das ist es aber nicht. Die zweite Liebe ist nicht vergänglich und eine Dritte kann es einfach nicht geben, das ist unmöglich, verstehst du? Ich habe erst ein Mal versucht selbst zu verstehen, was in mir vor sich geht, bevor ich dich damit konfrontiere. Ich wollte dieses Chaos in mir verstehen, wie sonst hätte ich dir irgendeine Frage über uns beantworten sollen?“
Nicht vergänglich? Wollte er mich verarschen? Also war ich nur eine Abwechslung für ihn gewesen? Ein Spiel? Nichts als ein Spiel? Ein Mittel sie eifersüchtig zu machen? Typisch, dass er große Reden schwang Eifersucht bringe nicht, aber es selbst versucht hatte. Ich war nie mehr gewesen und kann es anscheinend auch nie sein. Seine Nähe brachte mich noch um. Am liebsten hätte ich ihn angeschrien, ihm eine gescheuert, ihm einfach gezeigt wie weh er mir tat und trotzdem wollte ich ihn an mich ziehen, ihn küssen und ihm erklären, dass das nur Schwachsinn sein konnte. Aber seine Augen glitzerten voller Entschlossenheit und Sicherheit, dass ich es in diesem Moment nicht mal wagte, ihn anzuzweifeln.
Er sah meinen Schmerz und vermutlich versuchte er sich vor der Frage zu verstecken, was es denn zwischen uns gewesen war, was es jetzt war und was es werden könnte. Also redete er weiter:
„Laureen allerdings hatte sich das erste Mal verliebt und so war es nur eine Frage der Zeit, bis sie jemand anderes, besseres fand und ich alleine dastand. Natürlich war ich verletzt und wollte sie um jeden Preis zurück haben. Sie war für mich bestimmt, sie war meine zweite Liebe und ich wusste ohne sie würde ich nicht glücklich werden. Also versuchte ich den Schmerz auf meine Weise zu verarbeiten. Es war vielleicht keine kluge Idee von mir, aber es half, wenn ich mich mit den Mädchen traf. Natürlich hatte ich nie etwas für sie empfinden können, aber Laureen konnte ich damit eifersüchtig machen.“ Jetzt gab er es auch noch zu.
„Du hast das gleiche versucht und wolltest mich dafür verurteilen?“
„Eifersucht ist grausam, unnötig. Was bringt sie schon auf lange Sicht? Wenn jemand nur dadurch wieder Interesse an einem findet, dann wird dieses Interesse nicht von Dauer sein. Es funktionierte immer wieder, sie konnte es nicht ertragen, wenn mich andere Mädchen haben konnten, sie aber nicht.“
„Also immer nur on... off?“
„Hm.“
„Aber sie wird doch wohl irgendwann verstanden haben, dass du das alles immer nur für sie gemacht hast oder?“, fragte ich neutral. Mein Wut war vergangen und stattdessen versuchte ich der ganzen Sache möglichst emotional unbeteiligt gegenüberzutreten.
„Natürlich hat sie das und eigentlich wollte ich aufgeben, als sie nach dem fünften Mädchen die Masche durchschaut hatte und kein Interesse mehr an mir zeigte, doch ich konnte irgendwie nicht.“
„Du konntest nicht? Was soll das bitte für eine schlechte Ausrede sein? Das ist Schwachsinn! Wenn du gewollt hättest, hättest du damit aufgehört“, brüllte ich nun wieder wütend. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich zwischen uns jemals wieder etwas ergeben könnte, sank von Sekunde zu Sekunde. Seine Augen leuchteten vor Wut, Verzweiflung und Begierde, wenn er an sie dachte und ihre Namen aussprach, wie sollte ich da nur jemals mithalten können? Und die Frage war ja auch, ob ich das überhaupt wollte. Ich hatte es satt immer nur die zweite Wahl von ihm zu sein. Ich wollte, dass er sich endlich für oder gegen mich entschied. Endlich und endgültig.
„Es wurde für mich zur Gewohnheit. Ich spielte mit den Mädchen, die der Graf zu sich holte und ließ sie wieder fallen, wenn ich sie nicht mehr brauchte.“
„Du ekelst mich an! Du hättest aufhören können!“
„Gut, vielleicht hätte ich aufhören können, aber ich wollte nicht. Es gefiel mir, dass ich damit immer mal wieder sie zurückbekommen konnte, ich hatte die Kontrolle und ich war in die Geschäfte des Grafens verwickelt, weshalb mein Vater fast am Durchdrehen war.“
„Ich fasse es nicht...“
„Wie kann man sich nur so sehr in jemanden irren?“
„Ja ich weiß, dass ich wirklich sehr naiv und leichtgläubig war, aber, dass du dich so verstellen kannst, ist ja beinahe schon bewundernswert“, flüsterte ich enttäuscht, brach den Blickkontakt und stand vom weichen Bett auf. Kopfschüttelnd trat ich an den Schreibtisch ran, legte den Laptop ab und begann aus dem Fenster zu starren.
Für einen Moment genoss ich die Ruhe, die mir Platz zum Denken gab, doch irgendwann hielt ich es nicht mehr aus und wollte, dass er sich ein einziges Mal bei mir entschuldigte. Ein Mal, da würde er sich schon kein Zacken aus der Krone brechen.
„Ist schon klar was du über mich denken musst, aber ich versuche noch einmal zu erklären, dass ich mich geändert habe, für dich! Und das meine ich dieses Mal wirklich ernst.“
„Für mich? Wer´s glaubt! Du hast nur mit mir gespielt, wie mit all den anderen Mädchen.“ Seufzend senkte ich den Kopf, drehte mich wieder zu ihm um und betrachtete die Einkerbungen im Holzboden.
„Ich war... und werde nie mehr als nur eins dieser Mädchen sein.“
„Hör auf das zu sagen, du bist wunderschön“, antwortete er, nahm mein Gesicht in seine Hand, schob es ein Stück nach oben und sah mir fest entschlossen in die Augen.
„Ich werde nie mehr für dich sein“, flüsterte ich.
„Das bist du schon längst.“
„Du lügst!“ Es war verlockend ihm zu glauben, es war einfach ihm zu glauben, einfacher als Fragen zu stellen, aber ich brauchte endlich Gewissheit. Dieses Unwissen brachte mich um.
„Was soll das?“
„Ich glaube dir nicht.“
„Ja, am Anfang warst du nur eins dieser Mädchen. Ich fand dich hübsch, mehr nicht, aber trotzdem bist du mir seit der ersten Begegnung nicht aus dem Kopf gegangen. Alex, ich habe mich wirklich in dich verliebt und ja, da ist immer noch etwas“, versuchte er mich zu überzeugen. Lange starrte ich in seine Augen. Ich wollte ihm glauben, das wollte ich wirklich, aber ich hatte auch Angst davor, dass all diese Worte nur leere Versprechungen waren. Dieses Mal schaute er mir wirklich in die Augen, lange und ausdrucksstark. Seine Worte hatten ehrlich geklungen, vielleicht zum ersten Mal, trotzdem konnte ich ihm einfach nicht glauben. Ich konnte es nicht, ich konnte ihm nicht schon wieder vertrauen, irgendetwas in mir hielt mich davon ab. Enttäuscht blickte ich ihm entgegen, senkte schließlich meinen Kopf und stand auf.
„Ich kann dir nicht mehr glauben“, flüsterte ich heiser, da meine Stimme verschwunden war und machte mich auf den Weg zur Tür. Ich musste raus hier, weg von ihm. Ich wollte weg von ihm, ich wollte Zeit und Ruhe zum nachdenken, aber gleichzeitig betete ich auch darum, dass er mich nicht aufgeben würde. Er sollte zu mir kommen, mich zurückhalten und mich vom Gegenteil überzeugen. Das wünschte ich mir, aber ich wusste auch, dass er dafür wahrscheinlich einen zu großen Stolz hatte.
„Unser Kuss war echt und er hat mir viel bedeutet. Mehr, als irgendeins dieser Mädchen mir je hätte bedeuten können“, sagte er in die gerade entstandene Stille hinein, griff nach meiner Hand und zog mich wieder zu sich zurück. Er legte seine Hände an meine Taille und kam mir noch ein Stück näher. Ich spürte sein Atem auf meiner kalten Haut und ich ahnte, dass er mich küssen wollte. Doch soweit war ich nicht. Bevor er mich wieder um den Finger wickeln konnte, trat ich aus dieser Nähe zurück, atmete kurz durch und versuchte meine Fassung wiederzufinden.
„Das sagst du nur so. Du hättest ein schlechtes Gewissen, wenn du mir sagen würdest, dass ich dir nichts bedeutet habe, so wie die anderen Mädchen. Es ist wohl so, wie du es sagst. Wir können nur zwei Lieben haben und deine sind schon aufgebraucht“, versuchte ich möglichst kalt zu entgegnen. Ich hasste es, wenn ich die Fassung verlor. Ich fühlte mich dann schutzlos und schwach. Auch wenn das eigentlich schwachsinnig war, aber ich konnte mich nicht verteidigen, wenn ich zu weinen anfing und genau dieses Gefühl hasste ich. Ich war ihm dann ausgeliefert und konnte mich nicht verteidigen.
„Unser erster Kuss war anders, als jeder einzelne den ich mit dieses Mädchen hatte. Da war dieses Kribbeln im Bauch. Du hast an diesem Abend so wunderschön ausgesehen. Mit deinen Augen hast du mich von der ersten Sekunde an verzaubert, du hast mich sogar ein wenig eingeschüchtert. Ich war mir nicht sicher, ob ich dich überhaupt küssen sollte, schließlich kannten wir uns kaum. Und auch wenn ich es vielleicht nicht gezeigt habe, so war ich ziemlich glücklich am Ende des Abends.“ Seine Worte taten gut. Es war schön von ihm zu hören, wie er mich an diesem Abend gesehen hatte und wenn das wirklich so in seinem Kopf abgelaufen war, wieso hatte es dann nicht funktioniert?
„Wenn du so an diesem Abend gedacht hast, wieso hat es dann nicht funktioniert mit uns“, fragte ich geradewegs heraus.
„Laureen hat davon Wind bekommen, sie hat gesehen, dass ich dich mit anderen Augen angesehen habe, anders als all diese Mädchen. Vielleicht wäre alles gut verlaufen, wenn sie sich nicht eingemischt hätte.“
„Du kannst ihr nicht die Schuld dafür geben, immerhin hat sie dich zu nichts gezwungen, so wie ich das beurteilen kann“, stellte ich fest und verschränkte wieder die Arme vor der Brust.
„Das stimmt, aber sie wusste, dass ich ihr nicht widerstehen könnte. Nicht auf lange Sicht, dafür warst du noch nicht lange genug in meinem Leben und ich noch nicht lange genug von ihr entfernt. Es war das perfekte Spiel für sie.“
„Ja vielleicht hat sie ihren Teil dazu beigetragen, aber ihren Kuss zu erwidern war ganz alleine deine Entscheidung.“
„Da hast du wohl recht“, gab er mutlos zu.
„Und was fühlst du jetzt?“, fragte ich vorsichtig. Wir mussten wirklich darüber reden. Immer noch hatte ich Angst vor seiner Antwort und er wohl vor meiner Reaktion. Er zuckte nur mit den Achseln und kam mir wieder etwas näher.
„Ehrlich gesagt kann ich dir nichts versprechen und vielleicht verstehst du irgendwann warum ich es nicht kann, aber ich kann nicht leugnen, dass da was ist.“
„Wie kann man nur so lange um eine Sache herumreden? Du musst doch wissen, ob du mich mehr magst, als nur freundschaftlich und ob du dir irgendwann irgendwas mit mir vorstellen könntest“, fuhr ich ihn an.
„Zu diesen Fragen kann ich dir ein Ja geben. Ja ich mag dich mehr, ich habe mich in dich verliebt und diese Gefühle sind nicht verschwunden und ja ich kann mir was mit dir vorstellen, aber ich habe Angst dir wehzutun. Ich weiß, dass das mit Laureen aussichtslos ist und ich werde nicht den Kontakt zu ihr suchen, aber ich habe auch das Gefühl, dass ich sie nicht vergessen kann. Verstehst du was ich meine?“
„Ja vielleicht und warum warst du dann so abweisend zu mir? Wenn du anscheinend immer noch irgendetwas für mich empfindest?“
„Ich bin auf Abstand gegangen, weil ich wusste, dass ich dich verletzten würde sobald sie ein paar Dinge dafür tun würde.“
„Auf Abstand ist gut, du warst so kalt und abweisend zu mir, als würdest du mich verabscheuen, ja als wären wir Fremde.“
„Das stimmt schon, ich wollte eben nicht, dass du meine Freundlichkeit falsch verstehst.“
„Autsch, falsch verstehen?“, entgegnete ich verletzt. Wenn der das so beschrieb hörte es sich an, als wäre ich so ein nerviges Mädchen gewesen, das nur einen Crush auf ihn gehabt hatte und sich in irgendwas reingesteigert hat.
„Also du weißt wie ich das meine.“ Nein, wusste ich nicht.
„Außerdem dachte ich, dass du auf diese Weise das Interesse verlieren würdest und das schien auch zu funktionieren. Ich meine Tobi und Albert?“
„Wie oft denn nun noch? Ich will nichts von Albert und der Kuss an diesem Abend entstand einfach nur aus der Situation heraus und war größtenteils dem Alkohol verschuldet.“
„Also habt ihr euch doch geküsst?“, fragte er mit hochgezogenen Augenbrauen und verschränkte nun selbst, abwehrend, die Arme vor der Brust.
„Ja anscheinend, passiert eben“, gab ich kühl zu und hoffte er würde kein allzu großes Drama draus machen. Im Nachhinein war mir dieser Abend ziemlich unangenehm und ich konnte gut darauf verzichten, dass sich diese Begegnung rumsprach.
„Hm, trotzdem hatte ich nicht das Gefühl, dass du irgendwie versucht hättest unsere Beziehung zu verbessern“, antwortete er. Kam da etwa schon wieder sein falscher Stolz zum Vorschein? Das ich Albert geküsst hatte passte ihm offensichtlich nicht in den Kragen.
„Warum hätte ich das auch tun sollen? Du warst, so wie es für mich schien, grundlos kalt und abweisend zu mir, du hast mich verletzt und mit mir gespielt, warum sollte ich versuchen die Beziehung zu retten, wenn du sie in meinen Augen aufgegeben hattest?“
„Okay.“
„Okay? Mehr kannst du dazu nicht sagen?“, fragte ich als ich die Befürchtung bekam es würde wieder nur auf etwas undefinierbares hinauslaufen. Ich wollte gar nicht, dass wir direkt zusammen waren, das musste nicht sein, aber ich wollte wissen ob er es versuchen wollte oder lieber doch nicht.
„Ich verstehe dich und was machen wir nun daraus?“
„Was würdest du denn gerne daraus machen?“, fragte ich und gab somit vorerst die Entscheidung ab.
„Ich würde es noch ein Mal probieren wollen. Aber dieses Mal ist das wirklich nicht meine Entscheidung. Wie gesagt, ich kann dir nicht viel versprechen. Ich kann dir versprechen, dass ich nicht den Kontakt zu ihr suchen werden, dass ich dir gegenüber immer ehrlich sein werde und, dass ich mich dieses Mal voll und ganz auf dich einlassen werden. Damit meine ich, dass du zu mir kommen kannst, wenn du Probleme hast, dass ich versuche dir mehr von meinem Leben zu erzählen und ja verdammt, dass ich wirklich ehrlich bin.“ Das waren eine Menge Versprechen und sie klangen gut, aber immer noch war ich mir nicht sicher, ob er sie auch halten konnte.
„Versteh mich nicht falsch, diese ganzen Versprechen sind mehr als ich von dir je hatte, aber ich habe die Befürchtung, dass du sie nicht halten kannst.“
„Alexandra, jetzt will ich dich, daran zweifel ich nicht mehr“, entgegnete er lächelnd und schaute mir auffällig lang in die Augen.
„Ich habe Angst einen Fehler zu machen. Was wenn sich deine Gefühle wieder ändern? Wenn wir, warum auch immer, nach England zurück müssten und du sie siehst? Denkst du nicht, dass du dann wieder nur Augen für sie haben wirst?“
„Das kann ich nicht ausschließen. Und ich denke, dass auch du mir nicht versprechen kannst, dass sich deine Gefühle für mich nie ändern werden, aber gerade jetzt weiß ich, dass es sich mit dir verdammt gut anfühlt und dieses Gefühl will ich behalten. Ich will dich, jetzt und hier, ohne Eifersucht, ohne diese ständigen Streitereien und ohne Lügen, aber wenn das funktionieren soll, dann musst auch du dich darauf einlassen.“
„Was meinst du damit?“
„Wenn du von Anfang an nicht vertrauen kannst und nichts anderes denkst, als das ich dich eh wieder anlüge, dann hat es keinen Sinn.“ Ich schluckte. Mit allem was er sagte hatte er recht. Es war schwachsinnig jemanden zu versprechen, dass man ihn für immer liebt und anscheinend funktionierte es nicht einmal bei Vampiren, obwohl es dort so sein sollte. Er hatte mir von seiner Vergangenheit erzählt und zum ersten Mal hatte ich das Gefühl, dass ich nun ein keines Stückchen mehr über ihn wusste. Trotzdem war ich hin und her gerissen. Auch wenn unsere Zeit zusammen nicht lang gewesen war, so hatte er mich wirklich verletzt und ich hatte Angst, was er mit mir anstellen könnte, wenn wir längere Zeit zusammen wären, wenn er dann einfach wieder gehen würde.
Vielleicht bin ich immer noch naiv, was diesen Jungen angeht, aber ich empfand seine Worte als ehrlich und wenn ich ehrlich zu mir selbst war, dann konnte ich nicht leugnen, dass mein Verlangen nach ihm größer, als meine Vernunft ,war.
Zögernd schaute ich in seine blauen Augen, die plötzlich zu strahlen anfingen und mich wie bei unserer ersten Begegnung in den Bann zogen. Meine Knie wurden weich und meine Hände schweißnass vor Aufregung. Sachte legte er seine Hände an meine Hüfte und zog mich vorsichtig an sich heran. Ein Kribbeln durchfuhr meinen Körper und Gänsehaut legte sich über mich. Ich wurde zunehmend nervös, doch konnte meine Blicke von diesen fesselnden Augen nicht abwenden. Das wollte ich nicht einmal. Langsam legte ich meine Arme um seine Schultern und kam mit meinem Gesicht, seinem ein Stück näher. Es war schön seinen angenehmen Geruch wieder einatmen zu können und die Wärme zu spüren, die er mir trotz der Kälte gab. Seinen Atem spürte ich auf meiner Haut, was mich dieses Mal jedoch nicht in Verlegenheit brachte. Nervös biss ich auf meiner Unterlippe herum und brach schließlich den Blickkontakt, um auch seine vollen Lippen anstarren zu können. Sie waren perfekt und ich stellte mir vor wie schön es sich anfühlte, wenn sie meine trafen. Bei diesem Gedanken breitete sich ein Kribbeln in meinem Bauch aus und machte mir klar, dass ich gerade das Richtige tat.
Lächelnd schaute auch er abwechselnd zwischen meinen Augen und meinen Lippen hin und her, bis er seinen Kopf schließlich meinem immer näher brachte. Sachte berührten sich unsere Lippen und wir schlossen die Augen. Ich erinnerte mich wieder daran wie gut seine Lippen schmeckten und wie geborgen ich mich fühlte, wenn mein Körper seinen berührte, wenn seine Lippen meine streiften und wenn er mich letztendlich richtig küsste. Im Raum erklang das Geräusch unseres Kusses, während dieser immer intensiver und leidenschaftlicher wurde. Kurz lösten wir uns von einander, damit er mich immer enger an sich drücken und ich mein Gesicht an seinen, zum ersten Mal warmen, Hals legen konnte. Es war angenehm seine Wärme so nah an meinem Gesicht zu spüren und in diesem Augenblick wünschte ich mir, die Welt für einen Moment anhalten zu können.
Fordernd begann er meinen Hals zu küssen und wanderte mit seinen Händen immer weiter runter zu meinem Po. Unerwartet drückte er mich gegen die Wand und küsste mich. Meine linke Hand vergrub ich in seinen lockigen, schwarzen Haaren, während ich den Kuss nun ausgiebiger erwiderte und sein Parfum sehnsuchtsvoll einatmete. Wenn sich etwas so gut anfühlte, dann konnte es doch gar nicht falsch sein. Plötzlich war zwischen uns wieder alle so wie vorher und sogar noch ein Stück vertrauter. Ich spürte wie die Begierde in mir aufstieg und ich mich zügeln musste, damit ich nicht zu weit gehen würde. Zu weit in meinem Sinne, für mehr war ich einfach noch nicht bereit und ich glaube das ist auch gut so.