Nachdenklich betrachtete Bellatrix ihre Schwester. Dass Narzissa soweit gehen würde, für mehrere Tage bei ihr zu wohnen, um Abstand von ihrem Ehemann zu gewinnen, überraschte sie nicht sonderlich. Verwundert war sie hingegen über die Tatsache, dass ihre Schwester es inzwischen bereut, über sie einen Brief an den Dunklen Lord geschickt zu haben. Ihre Angst um die eigene Familie, insbesondere auch um Draco, konnte Bellatrix verstehen. Dass Narzissa jedoch die Sicherheit ihrer Familie über ihre Loyalität zum Dunklen Lord stellte, dass es ihr lieber war, mit einem Blutsverräter verheiratet zu sein, als den Tod desselben und seines Sohnnes in Kauf zu nehmen, dafür hatte sie keinerlei Verständnis. Bisher hatte sie keinen Grund gehabt, an der richtigen Gesinnung ihrer Schwester zu zweifeln, doch sie fragte sich, was Narzissa tun würde, wenn es hart auf hart käme. Sie selbst hätte keinerlei Skrupel, ihre eigene Schwester dem Todesser-Gericht auszuliefern, wenn sie sich als untreu erweisen sollte. Warum also zögerte und zweifelte Narzissa?
"Ich habe bisher keine Antwort von unserem Herrn erhalten, Narzissa", sagte sie schließlich in ihrem warmherzigsten Tonfall, "entsprechend wissen wir nicht, wie er die Sache einschätzt. Wenn er aber zu der Meinung gelangt, dass die Beziehung zwischen deinem Mann und diesem Schlammblut gesetzeswidrig ist ... dann weißt du hoffentlich, auf wessen Seite du stehst."
Sie konnte sehen, dass das Gesagte ihrer Schwester Angst machte und das Gegenteil war von dem, was sie hatte hören wollen. Genervt rollte Bellatrix mit den Augen. Schon damals, als Draco den Auftrag erhalten hatte, Dumbledore zu töten, hatte Narzissa sie um Hilfe gebeten und sie schließlich in diesen erbärmlichen Unbrechbaren Schwur von Snape verwickelt. Wenn es nach ihr gegangen wäre, wäre er der letzte gewesen, den sie dafür auserkoren hatte. Sie hatte ihm immer misstraut, aber spätestens, seit er tatsächlich Dumbledore getötet und damit das Vertrauen des Dunklen Lords endgültig wieder hergestellt hatte, konnte sie nichts mehr gegen ihn sagen. Dass Narzissa sich ängstlich zeigte, wann immer es um sie selbst oder Draco ging, dass ihre Angst sogar soweit ging, sich in gewissem Maße gegen den Lord zu stellen ... das bereitete Bellatrix Kopfschmerzen. Was er sagte, war Gesetz. Wieso fiel es so vielen Menschen um ihr herum so schwer, das einfach zu akzeptieren?
"Hältst du es für eine gute Idee, deinen Mann ausgerechnet in dieser Situation aus den Augen zu lassen?", fragte sie schließlich. Sie konnte die Motivation zwar nachvollziehen, aber für sinnvoll hielt sie es dennoch nicht.
"Ja", nickte Narzissa, "ich habe dafür Snape eingeladen, das Wochenende mit Lucius zu verbringen. Ihn nimmt mein Mann hoffentlich ernst genug, um endlich zu erkennen, wie dumm seine Einlassungen mit dem Schlammblut sind. Und ich muss mir deren Treiben nicht noch weiter anschauen."
"Wir werden sehen", war alles, was Bellatrix darauf zu erwidern wusste. Insgeheim interessierte es sie brennend, was zwischen den beiden Männern vorfallen würde, wenn sie sich unbeobachtet fühlten. Falls Snape wirklich der Verräter war, für den sie ihn hielt, falls sich hinter der Affäre von Lucius und dem Schlammblut mehr verbarg als Sex - wer wusste, welch seltsame Blüten in dem Haus sprießen würden? Es galt in jedem Fall, beide stärker als zuvor zu beobachten von nun an.
Gedankenverloren spielte Bellatrix mit dem Haar ihres Sklaven, während sie über die Vorgänge im Anwesen ihrer Schwester nachdachte. Das leise Schnurren, dass dem rothaarigen jungen Mann entwich, bemerkte sie gar nicht, ebenso wenig den angewiderten Blick ihrer Schwester, die jetzt erst bemerkte, dass der jüngste Weasley-Sohn wie ein dressierte Hund vollkommen nackt neben dem Sessel der Hausherrin hockte und nach Zuwendung lechzte.
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Mit erhobener Augenbraue las Severus Snape den Brief, den er von Narzissa Malfoy erhalten hatte, ein drittes Mal durch. Er wurde nicht schlau aus dem, was darin stand, obwohl das eigentliche Anliegen klar formuliert war: Er sollte über das Wochenende Hogwarts den Rücken kehren und Lucius Malfoy Gesellschaft leisten. Der Rest klang danach, als solle er ihren Ehemann überwachen.
Werter Severus,
ich habe beschlossen, das Wochenende mit meiner Schwester zu verbringen, die ich schon zu lange nicht mehr ganz für mich alleine hatte. Ich sehne mich nach schwesterlicher Nähe und Rat in dieser für mich so schweren Zeit. Die Gründe hierfür sind für niemanden außer mich relevant, doch lass dir gesagt sein, sie sind schwerwiegend.
Ich werde also Lucius und meinen Sohn alleine im Haus zurücklassen, nur umsorgt von den Hauselfen - und dem Schlammblut Hermine Granger. Bestimmte Geschehnisse der letzten Wochen, die näher auszuführen in diesem Brief unangemessen wäre, veranlassen mich zu dem Bedenken, dass es nicht ratsam wäre, meinen Mann ohne die Gesellschaft eines anderen erwachsenen Menschen zu belassen.
Ich wäre dir sehr verbunden, wenn du dich für einige Tage von der Schule und deinen beruflichen Pflichten lösen könntest, um das Wochenende in unserem Anwesen zu verbringen. Durchaus bin ich mir der Tatsache bewusst, dass ich dir bereits jetzt mehr schulde, als ich jemals werde begleichen können. Doch gerade deine Aufmerksamkeit der Vergangenheit, insbesondere die Hilfsbereitschaft in der Sache mit Draco, welche an dieser Stelle keine Rolle spielen soll, für welche ich dir aber erneut danken möchte, lässt mich hoffen, dass du mich auch in dieser Angelegenheit nicht im Stich lassen wirst.
In tief empfundener Dankbarkeit,
Narzissa Malfoy
Seufzend legte Snape den Brief auf den kleinen Beistelltisch neben seinem Sessel. Er hatte die letzten Wochen seit Schulbeginn tatsächlich fast vollständig in Hogwarts gelebt und seine Sklavin Ginevra Weasley alleine das Haus hüten lassen. Eigentlich bestand kein Anlass dazu, dass er die Nächte und das Wochenende in der Schule verbrachte, doch wenn er ehrlich zu sich war, wollte er dem jungen Mädchen aus dem Weg gehen. Das Angebot nun, das Wochenende bei der Familie Malfoy zu verbringen, erschien ihm entsprechend tatsächlich ein wenig verlockend. Er würde sie mitnehmen können, so dass sie erneut Zeit mit ihrer Freundin verbringen konnte, und er selbst kam in die Gesellschaft eines intelligenten Mannes, dessen Gespräche er trotz aller Differenzen schätzte. Darüber hinaus bot sich ihm die einmalige Möglichkeit, vielleicht endlich ein wenig mehr über das heraus zu finden, was sich in diesem Haus abspielte. Der Brief von Narzissa erzählte ihm zwar schon alles, was er wissen musste - sie verdächtigte ihren Ehemann des Blutverrats - doch er wollte schon seit damals, als er den Handel mit dem Herrn des Hauses abgeschlossen hatte, selbst sehen, was dort gespielt wurde.
"Dann werden wir der Bitte wohl mal nachkommen", sagte er schließlich zu sich selbst. Eine handvoll Flohpulver beförderte ihn durch den Kamin in seine Wohnung, wo er eine lesende Ginny Weasley aufschreckte. Routiniert und stumm packte er einige wenige Sachen zusammen, die er für einen Hausbesuch bei Kollegen üblicherweise mitnahm, wies die höchst verwirrte Ginny an, was sie für das Wochenende brauchen würde, und trat dann mit ausgestrecktem Arm auf sie zu, um Seit an Seit mit ihr zu apparieren.
Ein längerer Aufenthalt im Hause Malfoy hatte auch den Vorteil, dass er Hermine Granger wieder sehen würde.
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Eben jene stand mit reglosem Gesicht im Speisesaal und beobachtete das schweigende Mahl, dass die beiden Männer vor ihr einnahmen. Seit dem Tag, an dem Draco sich ihr offenbart hatte und Lucius Malfoy ein weiteres Mal nahe daran gekommen war, ihre Grenze zu überschreiten, war eine knappe Woche vergangen. Eine knappe Woche voller Schweigen. Keiner der beiden hatte, soweit sie das zumindest beurteilen konnte, ein Wort mit dem anderen gesprochen, während Narzissa Malfoy von Tag zu Tag ungeduldiger und gereizter geworden war. Hermine hatte förmlich spüren können, wie die Verzweiflung der Frau darüber, dass sie nicht wusste, was in ihrem Haus los war, stetig gewachsen war. Bis sie schließlich am Frühstückstisch verkündet hatte, das Wochenende bei ihrer Schwester zu verbringen. Und obwohl keiner der beiden Männer etwas davon in ihrem Gesicht erkennen ließen, fühlte Hermine doch eine große Erleichterung in ihnen. Wenn die ganze Situation nicht für sie hätte bedrohlich werden können - den Hass von Narzissa Malfoy hatte Hermine immerhin schon mehrfach am eigenen Körper zu spüren bekommen - hätte sie über die Ironie beinahe gelacht: Die gute Ehefrau, die alles in ihrer Macht stehende tat, um die Familie zusammen zu halten und zu beschützen, eben jene Frau wurde von Sohn und Ehemann als Störfaktor wahrgenommen. Wenn auch aus jeweils gänzlich unterschiedlichen Gründen, wie Hermine vermutete.
Leises Flügelrascheln kündete die Ankunft einer Eule an. Hermine erkannte die kleine, schneeweiße Eule, welche die Hausherrin meist für ihre persönliche Post nutzte, und fragte sich verwundert, warum Narzissa Malfoy kaum nach ihrer Abreise einen Brief an ihren Mann schreiben würde. Der düstere Ausdruck, der mit jeder gelesenen Zeile deutlicher im Gesicht des älteren Mannes zu erkennen war, zeigte ihr, dass es nichts Gutes zu verheißen schien.
"Wir bekommen Besuch", verkündete Lucius Malfoy schließlich. Die Verwunderung, die sich auf Dracos Gesicht zeigte, spiegelte sich ebenso in dem von Hermine - wieso verließ Narzissa das Haus, um dann von außerhalb Besuch einzuladen, während sie abwesend war?
"Und wen?", erkundigte Draco sich knapp.
"Severus", erwiderte sein Vater ebenso kurz. Hermine sah, wie Draco bleich wurde und seine Augen kurz zu ihr huschten, doch er fing sich schnell wieder und bohrte weiter: "Wieso? Hat Mutter ihn eingeladen?"
"Sie ist offenbar der Auffassung, man könne mich nicht ohne ... warte, wie hat sie es formuliert?", erklärte Lucius mit kalter Ironie, "Man könne mich nicht ohne eine Anstandsdame - oder in diesem Fall Herrn - belassen und es sei vielleicht an der Zeit, dass eine andere Autorität als sie versucht, mir Verstand einzubläuen. Warum sie da ausgerechnet Severus für diesen speziellen Zweck beauftragt, entzieht sich jedoch meinem Verständnis."
Nun war es auch an Hermine zu erbleichen. Sie verstand nur zu gut, was Narzissa vorhatte: Sie ertrug den Anblick ihres Mannes nicht länger, wollte aber verhindern, dass er sich weiter auf sie, das Schlammblut, einließ, und schickte deswegen einen Aufpasser. Nur warum sie dafür Snape ausgewählt hatte, verstand auch sie nicht - schließlich musste sich Narzissa doch im Klaren darüber sein, was zwischen ihr und Snape vorgefallen war. Oder spekulierte sie etwa darauf, dass Snape sie erneut zu sich ins Bett holen würde und so den Händen ihres Ehemannes entriss? Hatte sie gar guten Grund zu dieser Annahme? Plötzlich lief es Hermine eiskalt den Rücken hinunter und auch sie suchte nun unwillkürlich den Blick von Draco.
"Er wird zum Abendessen eintreffen."
Mit diesen Worten beendete Lucius Malfoy sein Mittagessen, warf seine Serviette ungehalten auf den Tisch und verschwand, ohne Draco oder Hermine noch eines weiteren Blickes zu würdigen. Diese wiederum starrten sich kurz schweigend an, ehe Draco leise sagte: "Wenn du willst, kannst du heute Nacht wieder bei mir schlafen."
Erleichterung überschwemmte Hermine wie eine warme Woge und sie nickte voller Dankbarkeit.
"Aber ich warne dich direkt", fügte Draco schnell an, als ob ihm seine eigene Freundlichkeit plötzlich unangenehm geworden wäre, "wenn Snape darauf besteht, die Nacht mit dir zu verbringen, werde ich mich ihm bestimmt nicht in den Weg stellen."
"Ich weiß schon", erwiderte Hermine mit einem gequälten Lächeln, "du willst keine falsche Aufmerksamkeit. Ich bezweifle, dass Snape offen nach mir fragen wird ... hat er ja ... letztes Mal auch nicht. Wenn er mich nicht findet, reicht das sicher. Hoffentlich."
Sie sah, dass Sorge in den Augen von Draco stand, doch sie wusste, dass er nicht sein Leben für ihres riskieren würde - und dass er niemals zugeben würde, dass er sich um sie sorgte. Mit einem ironischen Knicks verabschiedete sich Hermine, um Richtung Bibliothek zu verschwinden, wo noch immer Unmengen Bücher auf Katalogisierung warteten.
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Mit klopfendem Herzen folgte Ginny ihrem Besitzer den langen Weg von Eingangstor bis zur Haustür entlang. Sie war noch nie in dem Anwesen der Malfoys gewesen, doch es war nicht die Pracht und Größe, die ihr Herz schneller schlagen ließen, sondern das kurz bevorstehende Wiedersehen mit Hermine. Als Snape ihr eröffnet hatte, dass er sie mit zu den Malfoys nehmen würde, war sie außer sich gewesen vor Freude. Nicht nur, dass sie endlich der Einsamkeit der kleinen, bedrückenden Wohnung entkommen konnte, sie hatte auch endlich wieder die Möglichkeit, mit einer vertrauten Person zu sprechen.
Voller Vorfreude stand sie neben Snape, starrte wie gebannt auf die große, dunkle Holztür, die sich langsam öffnete - und war enttäuscht, dass es nicht Hermine, sondern ein Hauself war, der sie empfing. Schnell rief sie sich jedoch zur Ordnung, sie würde Hermine schon früh genug zu Gesicht bekommen. Vorerst folgte sie ihrem ehemaligen Lehrer durch die Eingangshalle in einen kleinen, gemütlichen Raum mit Kamin und einigen Sesseln, der offenbar als Empfangsraum für Freunde des Hauses diente.
"Severus!", wurden sie von der dunklen, immer ein wenig herablassend klingenden Stimme von Lucius Malfoy empfangen, "Schön, dich einmal wieder zu sehen. Und du hast sogar deine kleine Sklavin mitgebracht, wie aufmerksam."
"Jaja", kam die kalte Erwiderung von Snape, "spar dir das. Wir wissen beide, warum ich hier bin. Ich würde über den Anlass gerne ein bisschen mehr mit dir reden, immerhin wirft deine eigene Ehefrau dir ziemlich ernste Sachen vor."
Ginny war überrascht, die sonst so perfekte Maske von Malfoy ganz kurz entgleiten zu sehen, doch dieser schien sich schnell wieder zu fangen, denn sofort pflasterte ein ironisches Grinsen sein Gesicht: "Oh, das. Ja. Gerne. Aber warum schickst du nicht erst dein kleines rothaariges Anhängsel weg? Oder soll sie mir Gesellschaft leisten?"
Das anzügliche Lächeln des Mannes ließ Ginny erschaudern - war Lucius Malfoy schon immer ein lüsterner alter Mann gewesen? In ihrer Vorstellung hatte der herablassende schmierige Kerl immer so gewirkt, als habe er für Sex nichts übrig - und auch Hermine hatte nicht erwähnt, dass er sie auf diese Weise ausgenutzt hätte. Doch noch ehe sich die Angst richtig in ihr breit machen konnte, ging Snape dazwischen: "Ich weiß, dass du auf junges Blut stehst, aber sie ist gerade achtzehn. Und sie gehört mir. Also spiel gar nicht erst mit dem Gedanken. Schick lieber einen Hauself, damit er sie zu Granger führt. Sie kann ihr gerne bei ihren Aufgaben zur Hand gehen."
Dankbar nahm Ginny zur Kenntnis, dass Snape sie nicht nur vor dem widerlichen Zugriff des blonden Mannes gerettet, sondern ihr gleichzeitig eine Möglichkeit verschafft hatte, einige Zeit alleine mit Hermine zu verbringen. Erleichtert und voller Ungeduld folgte sie dem rasch herbeigerufenen Hauselfen durch die düsteren, bilderbehangenen Gänge des gewaltigen Anwesens.