Gemeinsam betraten der Wachhabende, der Thulene und einer seiner Soldaten den Saal, in welchem bereits der Hauptmann ungeduldig vor dem massiven Tisch auf und ab marschierte. Immer wieder starrte dieser erwartungsvoll er auf die sich endlich öffnende Tür. »Was zum Teufel war an meinem Befehl nicht zu verstehen, Serfem?« Mit ausladenden Schritten trat er heran, griff dem Wachhabenden an die Schultern, drehte ihn herum und schubste ihn hinaus. »Verschwinde und sorge dafür, dass der Bauer sich weiterhin ruhig verhält. Er sieht aus, als wolle er jemandem an die Gurgel.«
An die beiden Verbliebenen gerichtet deutete er hinüber zum Tisch und den davor stehenden Stühlen. »Bericht.«
Serfem zögerte. Erst als das Geräusch einer sich schließenden Tür erklang, räusperte er sich. »Der Jäger ist auf nach Holmfirth und ich habe unsere Männer zum Bauern gebracht.«
»Weiter, weiter. Was verdammt ist dort passiert.«
»Wir waren spät. Vogelfreie oder Marodierende waren zuerst dort. Als wir kamen, brannte die Scheune schon.«
Er berichtete seinem Hauptmann wie er und seine Leute wenn doch zu spät so aber dennoch zur rechten Zeit auf den Hof stürmten. Unter Verlusten gelang es ihnen, den Rest des Hofes als auch die Bauernfamilie vor dem sicheren Tod zu bewahren. Wäre Klarich oder auch nur seine Frau getötet worden, hätte dies eine unverkennbare Katastrophe für die bevorstehende Ernte bedeutet. Alle hiesig ansässigen Landarbeiter waren auf diesen Hof und dem Bauern als Instrukteur angewiesen. Jegliche Koordinationen liefen bei ihm zusammen, Vorarbeiter leisten ihm Bericht. Hinter vorgehaltener Hand kursierte das Gerücht, sie würden arbeiten, weil er ›er‹ ist. Gemeinhin schaute das Volk zu diesem Mann auf und nahm sein Wort für bare Münze.
Die Soldaten des Lords mussten den Zweien unter allen Umständen zur Seite stehen und aus jenem Grund teilte er seine Kräfte auf. Die Hälfte derer durchkämmten das Umland, während die Übrigen die schatzenden Angreifer zurückschlugen.
Der Hauptmann wirkte weder betrübt noch erschrocken, ihm schien der Vorfall obendrein recht angenehm. »Was ist aus den Jungen geworden. Aus diesem ... Veyed?«, verlangte er zu erfahren.
Der noch vor dem Portal stehende Soldat meldete sich zu Wort und trat vor. »Hauptmann. Ich war bei dem Suchtrupp und kann berichten.«
Er sah auf und wechselte fragende Blicke mit dem Thulenen, der lediglich nickte.
»Nun denn. Endlich jemand der verständliche Sätze bilden kann. Sprich.«
»Wir eilten den beiden Bälgern hinterher. In diesem Wald, nahe des Steinbruches ...«
»Du meinst das Rabengehölz.«
»Ja, Hauptmann. Unsere Hunde hatten Witterung aufgenommen, doch wurden wir feige aus einem Hinterhalt angegriffen. Diese Bastarde wussten, dass wir sie suchen würden, und konnten ihrer Spur erst wieder folgen, nachdem wir diese Hurensöhne umgelegt haben.«
»Verdammt Mann, kommt zum Punkt«, brauste der Hauptmann ungehalten und deutlich lauter als beabsichtigt auf. Erschrocken sah er hinauf zu jener Stelle, an welcher sich die Tür zu Kammer Bestlins befand.
»Die zwei flohen hinter der Baumgrenze dieses verfluchten Waldes.«
Die Gesichtszüge des Hauptmanns erschlafften und der Mund öffnete sich vor Unglauben. Seine Finger tippen den Gegenüberliegenden an die Kuppen. Er sah von dem Soldaten hinüber zu Serfem hinauf ins Dunkle. »Bist Du dir sicher, dass sie in den Wald ... den ›flüsternden Wald‹ geflohen sind?« Er neigte lauernd den Kopf und verengte sein rechtes Auge.
Eine Tür knarzte und Schritte halten ungewöhnlich laut auf dem hölzernen Wendelgang. »Du, Soldat. Verschwinde und sieh nach dem Bauern. Gib ihm Gutes zu essen und zu trinken. Sage ihm, dass der Lord selbst berät.«
Erschrocken hastete der Hauptmann als auch Serfem aus ihrer sitzenden Position und sahen hinauf.
»So. Das ach so einfache Unterfangen mir diesen Jungen zu bringen, ist also gescheitert.«
»Lord.«
»Schweig! Der Tumult da draußen ist nicht zu überhören«, donnerte Bestlin und trat auf die Zwei zu. Seine Augen verengten sich und suchten in den Zügen Serfems nach unausgesprochenen Informationen. Er nickte und sein Blick klärte sich, als er auf der Tischkante platz nahm. Er trug lediglich einen dünnen Überwurf aus Leinen, den er sich vor der Brust mit drei kleinen Schlaufen geschlossen hielt.
»Du bist also einer der noch gebliebenen Getreuen«, stellte er nüchtern fest und erwartete keinerlei Antwort. Er grummelte. »Es war nicht Alric oder irgendwelche geheimnisvolle Schattenwesen?«
Der Hauptmann verzog die Brauen und sah von seinem Lord hinüber zu dem Thulenen, der schlicht mit den Schultern zuckte.
»Dachte ich es mir. Kaum das ich Alric in die eine Richtung entbiete, lauert der Feind auf der anderen.« Wuchtig hieb er mit der rechten Faust auf die Tischplatte. »Was verdammt noch eins, ist ... mit ... meinem ... Jungen? Ihr solltet ihn mir bringen, heute Nacht.«
»Lord. Im Rabengehölz war noch mehr als nur dieser Hinterhalt«, räumte Serfem ein.
Augenpaare neigten sich in seine Richtung und musterten ihn. Er wusste, dass ihr Vorhaben gewagt war und der kleinste Fehler alles Vorherige zunichtemachen konnte. Dennoch, es war von langer Hand geplant und die Ereignisse nicht weiter hinauszuzögern.
Als er sicher war, beider ungeteilter Aufmerksamkeit zu genießen, befeuchtete er seine Lippen und führte fort. »Zwei der Soldaten wurden von Greifvögeln attackiert. Es sollen ein riesiger Adler und ein Falke gewesen sein.«
Sie ließen ihn sprechen und hatten keinen Einwand vorbereitet. Sie erfuhren, dass die Vögel nicht zufällig ins Geschehen einschritten. Der Angriff war für einfache, wenn auch Jagdvögel zu koordiniert und der erklärende Soldat schwor auf Mark und Bein, dass er in ihren Augen etwas gesehen habe, was es so nicht geben dürfe. Obendrein schien das fahle Licht des Mondes über dem Haupt des Adlers wie eine Krone zu glimmen.
»Wer kann bezeugen, dass die Brüder in diesen Geisterwald flohen?«
Der Thulene war zu sehr in Gedanken, damit beschäftigt, keine verräterischen Details aus Versehen zu nennen. Alric hatte ihn gewarnt. Bestlin konnte Blicke und Worte gebrauchen, die einen Strauchen ließen.
»All jene, die den schwarzen Pfeilen davor zum Opfer vielen und weitere drei meiner Männer. Zwei von ihnen verließen gerade das Rabengehölz, als die Knaben hinter der Baumreihe verschwanden.«
Die Brauen des Lords schoben sich vor und seine Stimme nahm einen lauernden Ton an. »Ihr seid ihnen gefolgt?«
Serfem wendete den Blick, nicht jedoch den Kopf. Seine Lieder schlossen sich für einen kurzen Moment und lediglich seine Augen hefteten sich auf seinen Gegenüber. Er versuchte emotionslos zu klingen aber bestimmt. Er wusste um die Gefahr, die außerhalb seiner Deckung lauerte, konnte ungeachtet dessen mit derartiger Arroganz nichts anfangen. Gleichwohl, sie machte ihn wütend. »Wenn ihr wagemutig genug seid ...« Er deutete mit ausgestrecktem Arm in die Richtung, in welcher sich besagter Wald befand. »... überlegen sich die Leute unter Umständen, euch dorthin und vielleicht auch weiter zu folgen.«
Bestlins Augen weiteten sich, stand auf und warf zerrüttet die Arme in die Luft. »Verfluchter Wald! Verfluchte Bastarde! Sie sind krepiert und mir geht nicht nur der Junge verloren. Ein Jammer verdammt.«
»Wer sagt, dass sie ums Leben gekommen sein müssen? Die Männer da unten, und wie unser thulenische Freund hier selbst bestätigte ...« Der Hauptmann deutete mit der Linken in Richtung des Hofes. »... erzählen doch lautstark, wie einige deiner Leute und zwei unserer besten Hunde von Pfeilen gespickt zu Boden gingen.«
Serfem nickte und erlaubte sich ein boshaftes Lächeln. »Ja, es stimmt. Jedoch wird sich niemand in diesen Wald begeben noch dazu aus welchem schwarze Pfeile geflogen kommen.« Zum Beweis zog er ein abgebrochenes stück Etwas aus einer Tasche an seinem Gürtel. Er warf dieses dem Hauptmann vor die Füße, wo es klappernd zum Ruhen kam.
Es war ein nahezu meisterhaft gerundetes schwarzes Stück mit rabenschwarzen Federn bestückt.
»Was ist das?«
»Ein Teil jener tödlichen Geschosse. Wer und wie sie hergestellt werden, geschweige denn von wem gebraucht ... ich weiß es nicht, mein Lord.«
Bestlin sah auf, verschränkte die Arme und atmete schwer aus. Er schritt hinüber zum Portal und zurück zum Tisch. Vor dem schwarzen Abbruchstück blieb er stehen. Frustriert trat er zu und schickte es in die Schatten des Saales. Er begann erklärend zu sinnieren.
»Es können nur diese Schattenjäger gewesen sein. Ich dachte, sie wären ein Ammenmärchen. Auch wenn uns die Bälger des Bauern abhandengekommen sind, ihn und sein Weib konnten wir retten. Dennoch, dieser Mann ist für unsere Sache viel zu wichtig, als das wir ihn einfach davon jagen können.«
Weiter führte er an, dass, auch wenn dieser Klarich ebenso wie seine Bälger verschwinden würde, niemand auf die Schnelle seinen Platz einnehmen könne. Die Ernten stünden unmittelbar bevor und die göttliche Herrscherin verlangte in diesem Jahr höhere Abgaben. Die Erträge standen auf Messers Schneide und sie seien auf den Sachverstand dieses Mannes wie dem Einfluss auf die Arbeiter und Handlanger mehr als nur angewiesen.
»Auch wenn wir es nicht vermögen, ihm seine Söhne zurückzubringen, so können wir doch versuchen an seinem Stolz zu appellieren.«
»Was habt ihr vor, mein Lord?«
Angesprochener drehte sich herum und ein verschmitztes Lächeln umspielte seine Lippen. »Schickt Klarich mit meiner Einwilligung zurück zu seinem Weib. Er soll annehmen, dass wir an eine Mitschuld am Verlust seiner Söhne glauben. Wir gewähren ihm Reputation.«
Ungläubig sah der Hauptmann drein. »In welcher Höhe?«
»Auch wenn es mir widerstrebt. Wir werden diesen verdammten Weiler, der es einst war, wieder aufbauen. Klarich soll und wird den Wiederaufbau beaufsichtigen und koordinieren. Im Gegenzug erwarte ich noch nie da gewesene Ernteerträge.«
An Serfem gewandt hob er einen mahnenden Finger. »Und du Thulene heuchelst ein seltsames Spiel. Deine Wortgewandtheit ... Ich behalte dich im Auge.