„Kragmar Deepscar! Ich bringe euch Boten Neverwinters“, brüllte der Schamane laut und schlug sich sechs Mal gegen die breite Brust. Er zerrte Harbek, Alice und Keeda in eine fackelbeschienene Halle, an deren Ende ein Ork thronte. Mittlerweile wurden sie nicht nur von den Wölfen, sondern von zahlreichen Bestien in schwerer Rüstung begleitet, die sich ihnen auf ihrem Weg durch die Barrikaden angeschlossen hatten.
Der Schamane schleppte sie bis zu dem Podest und zwang sie dort auf die Knie. Harbek folgte der Anweisung ohne Fragen zu stellen und Alice folgte seinem Beispiel widerwillig. Keeda dagegen zischte erbost als einer der Orks sie im Nacken fasste und stieß ihm den Ellenbogen in das breite Gesicht. Das Monster brüllte auf und schlug ihr mit seiner Knochenkeule in die Kniekehlen, sodass sie hart auf dem Boden aufschlug. Zornig blickte sie ihm das hässliche und blutverschmierte Gesicht.
Alice suchte warnend ihren Blick, doch die Drow spuckte verächtlich aus und funkelte den Angreifer mordlüstern an.
Kragmar Deepscar, der Hordenführer des Schamanen stieß einen wütenden Schrei aus, woraufhin sich die Orks widerwillig von den Gefangenen zurück zogen. Er richtete den Blick auf Keeda, die ihn trotzig erwiderte und ein Lächeln verzerrte seine schiefen Gesichtszüge.
Seine Haut war totenbleich und zusätzlich von weißen Kriegsbemalungen verunstaltet. Sein Haar ebenso schwarz wie das der meisten Orks, wurde durchzogen von silbernen Strähnen, die, wie auch die langen weißen Reißzähne, im Feuerschein blitzten. Er trug blutrote Rüstungsfetzen, die den Blick auf zahlreiche Narben und feste Muskelstränge freigaben. Die Waffe, die er in den starken Fäusten hielt und die er bedrohlich auf sie richtete, bestand aus einem weißen Totenschädel, aus dem, wie die Zacken eine Morgensterns, Klingen ragten und an eine dicke Eisenstange befestigt war.
„Es ist mir immer eine Freude, Neverwinters Boten zu empfangen. Ich veranstalte für sie oft Festbankette, bei denen alle meine Brüder Geschmack an ihnen finden.“ Kragmar Deepscar lächelte boshaft und die Orks in Keedas Rücken brachen in lautes Gebrüll aus. „Welche schmackhafte Botschaft wollt ihr uns mitteilen?“
Harbek stand selbstbewusst auf und schaute dem Hordenführer fest in die dunklen Augen. „Unsere Botschaft richtet sich ausschließlich an die Kommandantin der Orks, an keinen anderen.“
Kragmar legte den Kopf schief und studierte Harbeks ernste, verschlossenen Miene, die keinerlei Furcht oder Unsicherheit zeigte.
„Die meisten Gesandten würden an dieser Stelle anfangen zu sprechen, kleiner Mann, denn für den Fall, dass dir deine Lage nicht bewusst ist: Du und deine nicht ganz so kleinen Freunde befinden sich auf meinem Land, in meinen Hallen und sind meinem Urteil ausgeliefert. Was glaubst du wird geschehen, wenn du dich weiterhin weigerst Informationen preis zu geben?“
„Folter, Tod, die Aufbahrung auf einem eurer Festbankette?“ antwortete Harbek ungerührt und brach den Blickkontakt noch immer nicht ab. Kragmars Lächeln wurde breiter und er nahm einen freudigen Ausdruck an.
„Lasst uns allein!“, brüllte er durch die Halle, ohne den Blick von Harbek zu wenden. Enttäuschtes Murren war zu hören und die Orks scharrten widerwillig mit den Füßen über den Boden. Kragmar hob den Blick und stieß einen donnernden Schrei aus, bei dem er seine Morgenstern-Waffe krachend auf den Boden schlug. Feine Rissen durchzogen netzartig den Boden, wo der Schädel auf den Stein traf.
Das Murmeln unter den Orks wurde lauter, doch eilig wichen sie zurück und verließen die Halle, bis nur noch Kragmar und zwei weitere Orks übrig waren.
Keedas Augen huschten zu den Wachen des Hordenführers. Sie waren ebenso breit wie Kragmar, doch die untere Hälfte ihres Gesichtes wurde von Narbengewebe verunstaltet, dass sich über Wangen und Lippen zog und diese mit einer verkrusteten Hautschicht verschloss.
„Denk nicht daran kleine Drow, ihr wärt tot, noch bevor einer von euch seine Waffe ziehen könnte“, knurrte Kragmar höhnisch und ließ sich auf den flachen, mit Fellen überzogenen Thron hinter sich fallen.
Er grunzte ein paar unverständliche Laute und einer der Wachen trat vor und packten Keeda ohne Vorwarnung an der Kehle. Mühelos hob er sie auf und auch wenn sie sich wild kratzend wehrte, rammte er ihr eine scharfe Klinge an die Kehle. Sie schrie auf und griff nach ihrem eigenen Messer, doch der Druck der Klinge an ihrer Kehle verstärkte sich. Blutstropfen quollen hervor und sie konnte spüren wie sie ihr den Hals hinab liefen. Sie schluckte schwer und erstarrte, noch mehr Blut quoll hervor.
Alice sprang laut kreischend auf, die Dolche schon in den Händen, doch die zweite Wache trat ihr mit erhobener Axt in den Weg.
„Alice, Nein!“, schrie Harbek, doch sie stürzte sich bereits auf den Ork, der sie an den langen Haaren ergriff. Sie rammte ihm wutentbrannt den Dolch in die Hüfte, doch er ließ sie nicht los und drehte seinen Oberkörper ruckartig, sodass Alice den Griff aus den Händen verlor und die Klinge im grauen Orkfleisch stecken blieb. Die Wache stieß keinen Laut aus und schlug ihr als Erwiderung den Griff seiner Axt gegen die Schläfe.
Benommen taumelte sie zurück und schrie erneut auf, als sie sah wie der andere Ork Keeda zu Boden drückte. Sie wollte sich erneut auf den Ork stürzen, als sie von hinten gepackt und zurück gezogen wurde. Harbek hatte ihren Gürtel fest umschlossen und zerrte sie an seine Seite.
„Nun kleiner Mann“, säuselte Kragmar, „Du hast die Wahl. Deine Botschaft oder das Leben deiner Elfenfreundin?“ Er hatte seinen Morgenstern lässig über den Schoß gelegt und lehnte sich entspannt zurück. Harbek warf Keeda einen kurzen Blick zu und biss sich unentschlossen auf die Lippe.
Kragmar seufzte und zuckte enttäuscht die massigen Schultern. Abermals grunzte er und Keeda brüllte schmerzerfüllt auf, als der Ork über ihr sein Knie auf ihre Brust stütze und zudrückte.
„Aufhören!“, kreischte Alice angsterfüllt und sah den Hordenführer flehentlich an.
„Das liegt ganz bei euch“, antwortete Kragmar unschuldig und beobachtete wie sich Keeda versuchte aus dem Griff ihres Angreifers zu winden, „Was plant Neverwinter dieses Mal? Einen Gefangenenaustausch, einen Hinterhalt?“
„Nein, nichts dergleichen!“, schrie Alice und deutete fordernd in Keedas Richtung, „Hört auf und ich sage euch alles was ihr wissen wollt.“
„Alice, Nein!“ zischte Harbek abermals, doch sie schüttelte seinen Arm ab und trat einen Schritt näher an den Thron. Die Wache stellte sich erneut knurrend in ihren Weg. Kragmar schnippte lässig mit den Fingern, woraufhin der Ork Keeda auf die Beine zerrte, noch immer mit der Klinge an der Kehle.
„Wir sollen einen Friedensvertrag verhandeln, Hauptmann Jarson ist der Meinung, dieser Krieg hätte lange genug gedauert und bereits zu viele Leben gekostet. Auf beiden Seiten.“ Alice sah besorgt zu Keeda hinüber, die sich leise fluchend auf die Lippe biss. „Wir möchten mit eurer Anführerin sprechen, herausfinden was sie begehrt und was wir ihr anbieten können, um diesen Krieg zu beenden, bevor er uns alle das Leben kostet.“
Kragmar stieß einen überraschten Laut uns brach schließlich in schallendes Gelächter aus. „Frieden? Frieden mit den Menschen? Als ob das möglich wäre.“
Alice lachte freudlos auf, „So etwas ähnliches hat der Hauptmann über euch gesagt, bevor ihm die Dringlichkeit dieses Vertrages bewusst wurde.“
„Die Menschen wissen nicht was Frieden bedeutet. Wie Monster fallen sie übereinander her, und wenn sie sich nicht gegen ihres Gleichen wenden, so wenden sie sich gegen alles andere. Gierig häufen sie Reichtümer auf, bis sie soviel haben, dass sie nicht lang genug leben können, um alle zu genießen. Sie brennen die Wälder nieder, schlachten das Land aus, als würden nach ihnen keine Anderen mehr kommen, als wären sie die alleinigen Herrscher und Besitzer. Sie sprechen von einer geeinten Welt, doch gleichzeitig beginnen sie Kriege im Namen des Friedens und zerstören den, den sie haben.
Wie soll man einem Volk, dass den Krieg Frieden nennt, je vertrauen?“ Kragmar lehnte sich nach vorne und sah Alice kalt in die großen, blauen Augen.
„Über die Orks sagt man bei uns das Gleiche. Ihr Tötet ohne zu Zögern, foltert mit Vergnügen und habt uns den ewigen Krieg erklärt. Unser Hauptmann war sich nicht sicher, was er von einem Frieden mit Euresgleichen halten soll, doch er gibt ihm, zum Wohle aller Menschen einer Chance. Das Gleiche haben auch die Orks verdient, nicht wahr?“
Kragmar nickte ihr zustimmend zu, „Mein Volk sehnt sich nach Frieden, genau wie eures. Denn auch wir haben Familien, die in unseren Dörfern auf uns warten.“
Alice lächelte den Ork breit an, „Ihr stimmt einem Friedensvertrag zu?“, fragte sie ehrlich erstaunt.
„Nein. Nur die Kommandantin kann einen Vertrag beschließen, es ist ihre Entscheidung und ich, sowie jeder Ork meines Stammes sind ihr mit Ehre und Blut verpflichtet.“
„Führt uns zu ihr“, verlangte Harbek und trat an Alice Seite, „Lasst uns sie überzeugen, so wie wir euch überzeugen konnten.“
Kragmar schüttelte den Kopf, „Die Kommandantin wird nicht zu überzeugen sein, doch ich führe euch dennoch zu ihr.“ Harbek nickte ihm dankbar zu und deutete zu Keeda, die noch immer im stählernen Griff des Orks gefangen war. Er ließ sie auf ein Zeichen Kragmars los und sie sprang blitzschnell aus seiner Reichweite, die Hand an ihrem Messer.
Zornig taxierte sie den Hünen und knurrte leise. Alice ging sofort zu ihr uns zog sie in eine widerwillige Umarmung, aus der sich die Drow schnell befreite. Alice legte ihr die Hand auf den Rücken und blieb stattdessen eng an ihrer Seite stehen.
Harbek nickte Keeda knapp zu, die sich angewidert das Blut von der Kehle wischte. Der Schnitt in ihrer Haut juckte.
„Führt uns zu eurer verfluchten Kommandantin“, zischte sie zornig, „Und wehe, wenn das eine Falle ist."