Sanchandra tappte gemächlich die Landstraße entlang. "Wenn du in dem Tempo weitergehst brauchen wir noch Monate, bis wir in NaSingSe sind", meinte En-Die, der gelangweilt auf ihrem Rücken lag. Der riesige Skorpion klackte mit den Scheren. "Was ist NaSingSe? Oh jetzt komm schon Sanchandra, ich hab dir doch erzählt, es ist dieses kleine Fischerdorf am Laogai-See. Gerüchte besagen, dass sie es in eine große Stadt erweitern und in BaSingSe umbenennen wollen, aber ich bezweifle, dass dieses Nest jemals Mauern haben wird." Er kicherte. "Selbst wenn, die werden sicher sofort brechen. Die Leute dort müssen verrückt sein." Sanchandra klackerte mit den Kiefern und En-Die lachte. "Hast ja recht mein Mädchen. Ich rede mit einem Skorpion und sage, dass andere verrückt sind." Sie gingen eine Weile weiter und es wurde ruhig zwischen den beiden. Doch nach einiger Zeit hörte En-Die das Klirren von Schwertern. Gleich darauf durchbrach ein junges Mädchen, En-Die schätzte sie auf etwa elf Jahre, das Gebüsch und rannte hektisch auf den goldenen Skorpion zu. Sie trug eine schwarze Kapuze, einen langen Mantel der ihren ganzen Körper bedeckte und Handschuhe. En-Die sprang von Sanchandra herunter und sie versteckte sich hinter dem Schatten, bevor er fragen konnte, was denn los sei. Plötzlich kam eine Menschenmenge aus dem Gebüsch, aus welchem das Mädchen gekommen war. Sie stellten sich En-Die gegenüber auf. "Da ist die Hexe! Schnappt sie euch!", rief einer der Männer und wollte vorstürmen, doch En-Dies Mantel legte sich schützend um das Mädchen und wurde an den Spitzen zu messerscharfen Klingen, welche sich drohend auf die Leute richteten. Auch Sanchandra baute sich nun neben dem Schatten auf und ihr riesiger Giftstachel wankte bedrohlich hin und her. "Nicht so schnell mein verwirrter Freund. Was genau habt ihr mit dem Mädchen vor?", fragte En-Die streng. "Das was sie verdient hat! Sie ist ein Monster! Ein Monster!", rief einer der Leute aus der Menge. "Verzieht euch!", rief En-Die drohend. Die Männer gingen ein paar Schritte zurück. "Ich sagte verschwindet!" En-Dies Mantel blähte sich auf und die Klingen waren bereit zuzuschlagen. Die Augen des Schattens leuchteten violett auf. Das war zu viel für die Leute. Sie kehrten schreiend um und verschwanden. En-Die drehte sich zu dem Mädchen um. "Danke, dass Ihr mich gerettet habt", meinte das Mädchen leise. "Weshalb waren sie hinter dir her?", fragte der Schatten nach. "Weil sie Verrückte sind", antwortete das Mädchen knapp. "Meine Name ist En-Die und ich bin ein Schatten. Wer bist du?" "Leila", kam die kurze Antwort. Er betrachtete sie prüfend. Irgendetwas an ihr war seltsam. Und dann erkannte er es. Ihre Augen hatten einen roten Farbstich. "Du bist kein kleines Mädchen habe ich recht?", hakte er nach. "Was bin ich denn dann, Schlauberger?", fragte Leila schnippisch. "Du bist ein Blutsauger", meinte En-Die und an ihrem Zusammenzucken konnte er sehen, dass er recht hatte. "Woher wisst Ihr…", begann sie doch En-Die unterbrach sie. "Deine Augen haben dich verraten. Und die Tatsache, dass du die Sonne komplett von deiner Haut fernhältst ist auch nicht gerade unauffällig." "Und was werdet Ihr jetzt tun? Mich töten?", fragte Leila den Schatten. „Warum sollte ich?“, fragte En-Die sie. "Wir Schatten leben schon seit Jahrhunderten mit deiner Spezies Seite an Seite und im Gegensatz zu den Menschen hatten wir nie Angst vor euch. Und außerdem spüre ich, dass du schon lange kein Blut mehr getrunken hast." Leila sah ihn überrascht an. "Wie habt Ihr das erraten?" "Deine Aura ist weiß. Die Aura von Mördern wäre rot", erklärte En-Die ihr. "Ich, ich trinke kein Blut, da habt Ihr recht. Ich esse Fleisch. Sehr viel Fleisch, wenn ich ehrlich bin. Es ist der einzige Weg, wie ich das Blut ausreichend ersetzen kann. Tut mir leid, dass ich Euch Probleme bereitet habe. Die Menschen sind von meiner Rasse immer sehr verängstigt. Ich selbst wurde vor siebzig Jahren gebissen und bin seitdem so." En-Die kletterte auf Sanchandra und stellte ein kleines Sonnendach auf. "Ich würde gerne mehr darüber erfahren. Hast du nicht Lust, mich nach NaSingSe zu begleiten?", fragte er das Mädchen. "Ihr würdet mich wirklich mitnehmen?" "Sag du zu mir. Und ja, natürlich würde ich das. Ich kann dich ja nicht einfach hier stehenlassen, während diese Meute noch hier herumstreift." Leila lächelte dankbar und kletterte auf den Rücken des goldenen Skorpions. Oben setzte sie sich in das schattige Plätzchen und nahm ihre Kapuze ab, so dass kurze rotbraune Haare sichtbar wurden. "Schließlich weiß ich, dass du deine Kräfte erst nach Sonnenuntergang vollständig entfalten kannst", meinte En-Die noch, dann gab er Sanchandra die Sporen. "Weshalb wisst Ihr – entschuldigung – weißt du eigentlich so viel über mein Volk?", fragte Leila neugierig. "In der ewigen Stadt, dort wo die Schatten leben, ist Magie und Übernatürliches vollkommen normal. Die Menschen haben leider begonnen, es zu fürchten, doch wir Schatten haben nie aufgehört, es zu studieren und zu nutzen. Selbst das Plasmabändigen ist, anders als bei den anderen Elementen keine natürliche Bändigungsart, die man angeboren bekommt, sondern eine Art Magie." Leila hörte dem Schatten aufmerksam zu. "Es ist schade, dass die Menschen solche Angst vor meinesgleichen haben. Es gibt nur mehr wenige von meiner Rasse und nur mehr ein paar von ihnen trinken wirklich Blut", meinte das Mädchen. "Solange es Leute wie dich gibt, die an Frieden glauben, wird der Frieden auch kommen." "Meinst du wirklich?", fragte Leila. "Du hast Licht und Frieden in deinem Herzen. Wenn du es herauslässt, kannst du die Welt verändern."