Weiter fliege ich, immer weiter, unter mir gleiten Lichter und Leuchtreklamen entlang. Die Sterne funkeln und strahlend hier oben. Dort unten aber, gehört die Macht den künstlichen Lichtern, dem künstlichen Leben, das einst vor endlos langen Zeiten, Besitz ergriff, von den Menschen. Sie zünden all diese Lichter an, sehnen sich aber eigentlich nach dem Sternenlicht und auch dieses ist nur eine Metapher, um ihre Sehnsucht nach dem anderen, dem ewigen Licht zu stillen. Dabei sind sie eingehüllt von den Schatten ihrer Unzulänglichkeiten, ihrer Ängste, ihrer Verzweiflung und ihrer Selbstsucht.
Ich gleite leise weiter, immer weiter hinunter zu diesen falschen Lichtern, zu diesem künstlichen, aufgesetzten Leben, das hier herrscht. Rote Lampen leuchten überall an den Hausfassaden und in den Fenstern. Bilder nackter Frauen, schmücken die Tafeln davor. Auch sie sind nur eine Metapher für eine tiefe Sehnsucht, die ihn vielen lebt, eine Sehnsucht nach Verbundenheit und Anerkennung. Einige suchen auch einfach nach einem besonderen Kick, der ihr Leben interessanter machen soll. So viele, sind Gefangene ihrer Körper, ihrer Triebe und merken es nicht mal und wenn, dann schaffen sie es dennoch oft nicht, sich davon zu lösen. Wie traurig sind sie doch, all diese Menschen! Alles Fremde in einem Umfeld, das ihnen den Anschein von Geborgenheit vermitteln soll. Ich staune immer wieder über all die Illusionen, die vor allem über diesen riesigen Städten liegen.
Ich lande lautlos, wie eine Eule, in einer dunklen Gasse und verwandle mich. Ich sehe nun aus wie eine Menschenfrau. Ich trage ein enganliegendes, schwarzes Mini-Kleid mit rotem Schmuck, hohe Stiefel und Netzstrümpfe. Mein schwarzes langes Haar ist etwas hochgesteckt, zusammengehalten mit glitzernden Klammern, welche den spärlichen Schein, des schummrigen Innenraumes, den ich nun betrete, einfangen. Die Luft hier drin ist stickig, durchdrungen mit Schweiss und dem Geruch erregter Körper. Einige Frauen tanzen oben auf der Bühne. Ihre Bewegungen schlangenhaft, anmutig und lasziv. Ihre Augen leuchten im Licht der Scheinwerfer und suchen immer wieder den Kontakt mit ihrem Publikum. Das meiste sind Männer, doch es gibt auch ein paar Frauen darunter. So manche von ihnen sind auf der Suche nach einem einzigartigen Erlebnis, das ihr oft tragisches Dasein bereichern soll. Es gibt auch viele unsichtbare Gäste, die sich an diesem Ort tummeln. Wie die Menschen, sind sie trunken von der Atmosphäre hier. Sie verbleiben in der Ausdünstung der schweissnassen, von Erregung umwebten Leute. Ich kümmere mich nicht um sie, sind sie doch auch nicht viel anders, als ihre noch atmenden, menschlichen Wirte.
Ich schaue mich einem Moment lang um. Und dann sehe ich ihn! Er sitzt an der Bar. Er ist es, den ich heute auserwählen werde. Denn seine Zeit ist bald gekommen. Einige Blicke folgen mir, doch ich habe nur ihn im Visier.
Ich setze mich neben ihn und unsere Augen begegnen sich. Um ihn herum, liegen bereits die Schatten seiner Vergänglichkeit. Darum bin ich auch gekommen. Er ist einer dieser verlorenen Seelen, die durch einen ungesunden Lebenswandel, ihre Wanderungen durch die vielen Bordelle und sonstigen Absteigen der Stadt, ihre Gesundheit aufs Spiel gesetzt hat. Ich sehe die Krankheit, die ihn ihm ist, die ihn schon langsam beginnt auszuhöhlen. Seine Wangen sind eingefallen und doch kommt er immer noch her. Er sucht eine Frau, die seine Sehnsucht stillt, immer und immer wieder und doch ist Leere in ihm und wird es wohl auch bis zu seinem Ableben bleiben. Vielleicht, ja vielleicht, werde ich seine Sehnsucht für einen Moment stillen können, vielleicht aber auch nicht. Bei solchen ruhelosen Seelen weiss man das nie so genau. Ich lege ihm flüchtig meine Hand auf den Arm und proste ihm zu «Hallo, mein Name ist Anghelina.»