Josef war zu seinem Vater heimgefahren um mit ihm gemeinsam zu speisen. Er war kein großer Koch, aber zu einer einfachen Speise für die beiden würde es schon reichen. Es war ein sonderbares Gefühl, einmal mit Vater einer Meinung zu sein und er empfand es als schade, dass sie sich nicht früher einmal die Zeit genommen hatten, sich unvoreingenommen miteinander zu unterhalten. Nichts desto Trotz war es ohne Zweifel angenehm, sich nicht mehr feindselig gegenüber zu stehen.
Karl wiederum genoss es, plötzlich so etwas wie eine Familie zu haben. Er hatte nicht damit gerechnet, von Renates Kindern so schnell und vor allen Dingen auf so unkomplizierte Weise akzeptiert zu werden. Auch wenn es gerade jetzt, da Hans noch nicht einmal unter der Erde war, viel Einfühlungsvermögen verlangte, es nicht allzu forsch anzugehen. Was die Akzeptanz Karls durch die Kinder und auch Renates Liebe anging, so hatte es der Verblichene sich wohl selbst zuzuschreiben, dass es kaum gute Erinnerungen an ihn gab und Karl ihre Herzen so leicht, so bald erobern hatte können ...
Christina dachte gar nicht daran, etwas zu essen. Während Sonja panisch erfasste, dass Mantodea sich wohl unerbittlich durchsetzen würde, liefen die unterschiedlichsten Dinge in ihrem Kopf, in ihrem Herzen ab!
Erinnerungen an die Zeit in dem katholischen Kinderheim, banale Begebenheiten aus dieser Zeit und immer wieder ihre Betreuerin Anna, von der sie sich in den letzten Tagen eine völlig andere Meinung gebildet hatte. Während sie die Versuche Annas, Christina ein besseres Unrechtsempfinden zu vermitteln, immer als lähmenden besserwisserischen Glaubens-Scheiß abgetan hatte, fragte sie sich nun, ob sie nicht das eine oder andere Mal zu ignorant gewesen war.
"Glaub mir, Liebes man kann die Hölle auch auf Erden erleben und ich fürchte, du bist prädestiniert dazu, denn du bist unglaublich klug, aber du hast kein Gefühl, kein Empfinden für Gut und Böse. Irgendwann wirst du die Rechnung dafür präsentiert bekommen, dass du auf alle Regeln pfeifst! Wenn du das Gefühl hast, endlich glücklich zu werden, wird der Herrgott dich strafen! Und ich würde dich so gerne davor bewahren, indem ich dich schon zuvor eine Lebensart lehre, die dich vor solcher Strafe bewahren könnte. Doch ich fürchte das wird mir nicht gelingen. Dennoch, Christina, möchte ich, dass du mir glaubst, dass ich dich gern habe und du sollst wissen, dass ich dich täglich in mein Gebet einschließe..."
Christina hatte sich nie gefragt, ob Anna sie tatsächlich gemocht hatte... doch auch wenn Mantodea Christinas Gedanken dazu als sentimentales Gewäsch abtat, sie fragte sich, warum ihr Annas Gesicht in ihrer Erinnerung heute viel gütiger, sympatischer erschien, als sie es bis zu diesem Fall in Erinnerung gehabt hatte. Und sie hatte keine Zweifel mehr, dass Annas Worte nicht einfach dahingesagt waren. Diese Frau hatte den schwierigen Teenager wirklich gemocht und ihre Worte waren aufrichtig gewesen! Anna hätte Christina zu gern vor all dem bewahrt, was sie jetzt so schmerzlich durchleben musste...