Jedweder ihrer Schritte hallte ungewöhnlich Laut in seinen Ohren. Dennoch verspürte er keinerlei beklemmendes Gefühl, noch richteten sich seine feinen Härchen auf den Unterarmen auf. Alles um ihn herum schien Geborgenheit zu vermitteln, auch wenn er nicht einmal im Ansatz wusste oder sich vorzustellen vermochte, wo er sich befand.
Aellin führte ihn eine kurze Wendeltreppe hinab und durch mehrere Gänge, die über weitere Stufen ebenso hinabführten. Sie wandelten zweifelsfrei in einer Burg, so viel gestand er sich ein. Es musste sich um eine recht Große handeln, wenn er den bisher gegangenen Weg in Schritten zählte. Sie kamen an einigen verschlossenen Durchgängen vorbei, die womöglich in Kammern führten, die der seinen ähnelten. Andere wiederum ...
»Du Aellin. Wohin führen all diese Türen?«
Widererwartend drehte sich ihm nicht einmal zu, als sie antwortete. Im Gegenteil. Sie beschleunigte ihre Schritte, als wäre er ein unliebsames Anhängsel. »Sei gefälligst nicht so neugierig und beeil dich lieber.«
Inständig hoffte Kayden, dass diese freche Göre über keine Augen im Hinterkopf verfüge, denn er streckte ihr unter verschiedensten Grimassen die Zunge heraus.
In unmittelbarer Nähe japste jemand brüskiert nach Luft und er verharrte. Sein Blick richtete sich mit unschuldiger Mine über die Schulter hinweg durch die offenstehende Tür und schmeckte bittere Galle.
»Na, zum Glück meint der junge Herr nicht mich.« Eine Frau mittleren Alters stand mit einem Wäschekorb in den Armen da und schenkte ihm ein unerwartet warmherziges Lächeln. »Lauf nur, die junge Dame wird nicht auf dich warten.« Sie schob ihren Kopf hervor und warf einen Blick den Gang hinab. »Schätze ich.«
Schade, ihm blieb nicht einmal ausreichend Gelegenheit, sich ordentlich vorzustellen. Ma' würde im Boden versinken, hatte sie ihn doch gänzlich anders erzogen. Oder versucht hallte es belustigt in seinen Gedanken.
Seine Beine trugen ihn nahezu von selbst in die einzig mögliche Richtung und lief Aellin prompt in die Arme, als er zurückblickte, um der Magd zuzulächeln.
»He du Trampel, pass doch auf«, schimpfte sie und hob abwehrend die Hände.
»Uff.« Vollkommen unbeabsichtigt berührten sich ihre Nasenspitzen. Kaydens Gesichtsfarbe verfärbte sich augenblicklich tiefrot. So nah war er einem Mädchen, ausgenommen seiner Mutter noch nie und glaubte ihren Herzschlag spüren zu können. Beim besten Willen, keinesfalls konnte er sich vorstellen eine Frau zu ehelichen. Was fanden alle älteren Jungs und Männer nur an diesen Dingern?
Sie waren nicht so Stark wie Jungs. Verfügten nicht über so viel Ausdauer wie Jungs und ... sie waren bloß Mädchen.
»Geh ... endlich ... zur ... Seite.«
Sie schob den jungen Heißspund von sich, funkelte ihn böse an und hob ihre Hand zum Öffnen der hinter ihr eingelassenen Tür. Diese bestand aus zwei sich gegenüberstehender Flügel, gleichartig der Tore ihrer Scheune oder das des Lagergebäudes - nur um einiges schöner anzusehen. Unzählige Schnitzereien von Vögeln fanden sich auf dieser.
»Na, da seid ihr ja«, erklang eine bassmonotone Stimme und etwas wurde zugeschlagen. Nach dem dumpfen Ton zu urteilen handelte es sich um ein Buch. Kayden erhielt eines dieser von seinem Onkel im vergangenen Jahr als Geschenk. Alles begann damit, das er versuchte Zeichen in den staubigen Boden zu ritzen. Markierungen, die er auf einem Gegenstand zu sehen bekam, welchen er niemals in Händen hätte halten dürfen.
Veyed und seine Mutter hielten lesen und schreiben für unwichtig, lediglich sein Vater grunzte gleichgültig. »Jedem das seine, möglicherweise mag er es eines Tages gebrauchen«, lautete seine abwertende Meinung.
Kayden trat unsicher näher und Aellin tänzelte an ihm vorbei. Sie gesellte sich an die Seite des Mannes vor ihm und umarmte diesen.
»Wir schauen es uns gemeinsam an, einverstanden?«
Ein rosiges Gesicht beugte sich hinter einer großen Rückenlehne, eines der vielen umherstehenden Stühle, hervor und zwinkerte. »Guten Morgen kleiner Bruder.«
Argwöhnisch reckte Kayden den Kopf voraus und war sichtlich verblüfft. Seine Stimme überschlug sich und er klang fast wie eines dieser quietschenden Wesen, die er als Ablenkung der Schöpfung empfand. »Veyed.« Er eilte zu ihm und bestaunte sein dick verbundenes Bein samt Fuß. Nur der vordere Teil seines Fußes schaute heraus. »Geht es dir wieder gut?«
Sein Bruder schien zu überlegen und bewegte die Zehen. »Kylion meint, dass es noch ein paar Tage dauern wird, bis ich meinen Fuß wieder ganz benutzen kann.«
Die soeben vorgestellte Person erhob sich und bot ihm die Hand. »Guten Tag junger Mann. Ich bin Kylion und wenn man den Leuten, die hier leben, glauben schenken darf, so etwas wie der Anführer in Falkenau.«
Kayden überlegte. Anstatt wie üblich die Rechte, bekam er nunmehr die linke Hand hingehalten. Wehmut bleierte seine Glieder. Etwas in seiner Brust wog mit einem Mal sehr schwer. Sein Gegenüber und Pa' würden sich prächtig verstehen, waren sie, so weit er beurteilen konnte vom selben Schlag. Mit traurig gesenktem Blick schlug er dennoch ein.
»Wisst ihr, ihr zwei ...« Kylion fasste beiden an die Schulter und drückte diese. »... seid vermutlich die tapfersten Jungen, die ich bisher kennenlernen durfte.«
Aellin schob einen weiteren Stuhl heran und so saßen sie sich alle gegenüber.
Die zwei erfuhren, was an jenem unheilvollen Abend auf dem heimeligen Hof noch geschah. Wie die Schattenjäger ihren Weg entlang der Sandsteingruben, durch das Rabengehölz bis hinein in den ›flüsternden Wald‹ beschrieben und beobachten konnten. Ron, der gegenwärtige Anführer dieser eingeschworenen Gemeinschaft, lobte ihren Mut und Eifer. Er war sichtlich begeistert, wie sich die Jungen bewegten und verhielten.
Kylion legte ihnen nahe, sobald Veyed seinen Fuß und sein Bein wieder vollends belasten konnte, mit diesem Mann zu sprechen. Es sei ihre Bestimmung das Volk aus ihrer Knechtschaft zu führen und die sieben Königreiche zu einen. Kaydens Weg sei der an der Seite seines Bruders - als rechte Hand und Waffenbruder.
»Warum soll ausgerechnet ich dieser neue Falke sein? Ich bin weder von Adel noch ein Prinz.«
Kylion erhob sich aus seiner sitzenden Position und tippte ihm auf die Schulter. Auf jener, die ihm einst als Kleinkind eine gierig züngelnde Flamme schwer verbrannte. Er schluckte, holte tief Luft und sah in das Gesicht seines Gegenübers. »Wieso ich?«, flüsterte er.
»Du, mein Junge, trägst das Mal.«
Kayden bemerkte indes, dass Aellin seinem Bruder sonderbare Blicke schenkte. Ihn schüttelte es bei dem Gedanken, was dieses ungezogene Ding noch vor nicht all zu langer Zeit von sich gab.