Es vergingen weitere drei lange Nächte und die Vierte stand bevor, an deren Tagen man wiederholt versprach, sie zu benachrichtigen, sobald Informationen von ihren Eltern eintrafen.
Wie es ihnen jetzt wohl erginge?
Ma' würde sicherlich weinen vor Kummer und Pa' vor Angst mit seinem schweren Hammer Eisen verhauen.
Vermissten sie sie auch so sehr?
Vermutlich mehr denn je.
Was wohl Onkel Alric jetzt macht?
Das würde auch Pa' nicht wissen.
Kylion hatte sie eindringlich beschworen sich dem Wald nicht zu nähern oder zu betreten. Es bestünde nicht nur die Gefahr des Verlaufens, er selbst wisse bisweilen nicht, was es mit diesem auf sich habe. Obwohl in Falkenau aufgewachsen, könne er das Treiben in jenem nach wie vor nicht verstehen, noch erklären. Hinter vorgehaltener Hand gestand er ihnen ein Geheimnis. Er und viele andere fürchteten sich vor den Bäumen und dem, was sich in ihren Schatten verbarg. Irgendetwas geht in diesem Wald um, auch wenn dieses etwas sie auf seine ureigenste Art beschützte. Es gab zu viele wer's, wie's, wo's und warum's.
Veyed beschloss Kremir, den Falkner, auszuhorchen. Er vermutete, dass dieser einiges berichten konnte und wer weiß ... womöglich hatte dieser Mann mehr Kenntnisse als dieser Rondal.
Auch wenn Ron sich ihnen als Freund zeigte und viel mit seinem Onkel gemein zu haben schien, er vermochte ihn nicht einzuschätzen. Er verhielt sich allen gegenüber zuvorkommend und hilfsbereit. Ein jeder wusste anerkennende Dinge über den Schattenjäger zu erzählen. Dennoch oder gerade deswegen, weil er ihm keinen Anlass des Misstrauens bot, traute er ihm nicht. Seit dem Vorfall in der Burg Bestlins musste er vermutlich Vertrauen erst wieder erlernen.
Wobei ... so ein Unsinn. Kylion hatte er auch schnell vertrauen können, ebenso der aufdringlichen Aellin, die stets und ständig um ihn herum schwänzelte. Ein verschmitztes Schmunzeln legte sich über seine Züge, als sich ihr Abbild in seinem Geiste zeigte. War da doch mehr? Mehr als er sich eigenst eingestehen wollte? Kayden erzählte mal dies, mal das. Erwähnte aber auch das sie für ihn schwärme.
»Veyed?«
Rief da wer nach ihm?
»Wo steckst du nur? Hallo Veyed«, rief es erneut und es war bitte nicht dieses Mädchen. Kaum das man an sie denkt, taucht sie auch schon auf. Er schwieg und schielte um die Ecke.
»Verdammt. Warte, wenn ich dich in die Finger kriege.« Er traute seinen Ohren kaum, als er ihre Drohung vernahm, leise aber hörbar. Sie musste bereits in unmittelbarer Nähe sein. »Was die Erwachsenen können, kann ich schon lange. Eines Tages zieh ich den Bengel unter meine Bettdecke.«
Ihm wurde der Hals trocken und sein Puls begann zu rasen.
»Veyed! Kremir und dein Bruder warten auf dich.«
»Oh, nein. Er hatte die Zeit vollends vergessen und Tagträumen hinterhergejagt. Aber ... was hatte sie doch gleich gesagt?«
Er rieb sich das Kinn und seine Brauen hoben sich. Ein seltsamer Glanz legte sich über seine Augen und er rückte sich den drückenden Schritt zurecht. Mit der Zunge befeuchtete er seine Lippen und sah hinaus aus dem Fenster, welches auf den Blick auf den oberen Burghof freigab. Da standen sie, sein kleiner Bruder und der Falkner. Kayden hielt einen gefütterten Handschuh in die Höhe und führte die andere Hand an den Mund.
»Angeber.«
»So ist das also.«
Veyed erschrak und viel beinahe rücklings dem erhöhten Fenstersims hinab.
»Du versteckst dich da oben und gehst deiner holden aus dem Weg?«
Kaum das er den Schrecken überwand, sprang er hinunter und wischte sich die Hände an der Hose. Sie waren schwitzig und erinnerte sich sogleich an ihre Worte.
Wie sie so dastand ...
Die blonden Haare fielen ihr in Gänze über die linke Schulter, vermutlich wurden sie ihr seit Geburt an noch nie gekürzt. Seltsam, so als betrachte er das vor ihm stehende Wesen das erste Mal, wusste er doch ... hm, ja was eigentlich?
Sie war ähnlich groß wie er gewachsen und von schlanker Statur. Die Natur schenkte ihr ein, wie sagt man, wohlgeformtes Gesicht mit eng anliegenden Ohren und einer zierlichen Stupsnase. Ihre Augenbrauen wuchsen leicht schräg und verliehen ihren Zügen etwas Katzenartiges. Ihre Lippen waren prall und die Strahlen der untergehenden Sonne brachen sich in ihren nussbraunen Augen. Sein Blick wechselte von ihrem anziehenden Antlitz herab auf ihre bereits ansehnlich gewachsener Brust.
Unweigerlich formte sich ein Bild in seinen Gedanken.
Es war Erntezeit und die Kinder der Landarbeiter wuschen sich zur abendlichen Stunde. Wie so oft, schlich er mit befreundeten seines Alters zu jener Stelle, an welcher sich die Mädchen säuberten. Anstatt des Müllers Tochter stand Aellin vor dem Waschtrog - nackt und sie winkte im zu.
Aellin schien seine Gedanken zu erraten, denn ihr Blick senkte sich von seinem erröteten Gesicht hinab. Sie hob die linke Hand an den Mund und ihre Stimme klang eigenartig. »Veyed ...« Sie trat näher an ihn heran.
Er schluckte, besann sich sodann und duckte sich unter ihrer Umarmung hinfort. Ihre Lieder schlossen sich und ihre Lippen formten einen Kussmund.
»Verzeih. Du sagtest, dass Kremir und mein Bruder auf mich warten.« Er rannte davon, verspürte jedoch keinerlei Verlangen hinauszulaufen. Er brauchte ein Versteck, ganz für sich allein.