Ich streckte mich genüsslich, als der erste Sonnenstrahl auf mein Gesicht fiel. Verschlafen öffnete ich die Augen nur einen Spalt breit und lächelte.
Vor dem Fenster zwitscherten ein paar Vögel. Sie hockten in dem kleinen Vogelhaus, das Julian zu Anfang des Winters gekauft hatte, und kabbelten sich.
Ich streckte meine Hände auf die Bettseite neben mir aus und fand sie leer und schon kalt vor. Er musste wieder einmal zeitig aufgestanden sein.
Ich seufzte und fuhr mir durch die dunkelblonden Haare. Das machte er ständig, obwohl er wusste, dass ich gern mit ihm zusammen aufwachte. Ich liebte es, ihm noch einen Moment beim Schlafen zuzusehen.
Er allerdings mochte das nicht und verzog sich deswegen immer schon zeitig. Er hatte immer Angst, er würde sabbern oder so.
Ich grinste vor mich hin und streckte meine Zehen, bevor ich aufstand. Die Wohnung war ruhig und leer, doch die rostrote Katze, die Julian beim Einzug mitgebracht hatte, kam laut schnurrend durch die Schlafzimmertür geschlängelt. Sie umschlich meine Beine, als ich meine Zähne putzte und mauzte mich immer wieder vorwurfsvoll an.
»Was ist denn, Erasmus? Hat dein Vater dich nicht gefüttert?«, murmelte ich und der Kater schoss aus der Tür, als er merkte, dass ich fertig war mit Morgentoilette.
In der Küche duftete es noch nach Kaffee und der war sogar noch warm. Julian hatte die Maschine für mich angelassen.
Ich setzte mich an den Tisch und träumte aus dem Fenster. Wie sich alles gewandelt hatte.
Sechs Monate waren vergangen seit dem Tag im Park, an dem ich ihn wiedertraf. Er hatte es nicht leicht mit mir, denn ich war kein leichter Mensch. Es gab viele Momente, an denen wir aneinander gerieten, weil ich es einfach nicht glauben konnte, dass er mich liebte.
Nachdem meine Familie mich zurückgestoßen hatte, war mein Vertrauen an die Liebe tief erschüttert worden. Ich hatte oft sinnlose Streits mit Julian provoziert, weil ich das absurde Bedürfnis hatte, ihm und mir zu beweisen, dass er mich niemals wirklich lieben konnte.
Ich war ein kaputtes Spielzeug, das er noch nicht aufgegeben hatte, reparieren zu wollen.
Und doch war er noch immer da.
Er schlief noch immer jede Nacht mit mir in einem Bett, er kam noch immer jeden Abend zu mir heim, bekochte mich, verwöhnte mich mit Kleinigkeiten, liebte mich.
Und langsam fing ich an, ihm zu glauben. Und ihn meinerseits zu lieben.
Er war alles in meinen Augen. Alles, was ich je wollte; alles, was ich je brauchen würde. Er hatte die Kälte des emotionalen Winters in mir zum Schmelzen gebracht wie eine Sonne, die mein Innerstes erreichte und das Eis tauen ließ. Er war wie der Frühling. Er war mein Frühling.
Und die Saat der Liebe begann, Blüten zu tragen.
Ich lachte mich selber aus bei diesen kitschigen Gedanken und kassierte wieder ein rauhes Mauzen von Erasmus, der es noch nicht ganz akzeptiert hatte, dass ich nun zu seinem Herrchen gehörte. Doch mit Fressen ließ sich jede Katze bestechen. Ich öffnete den Kühlschrank und warf dem roten Kater eine Scheibe Wurst hin, die in Windeseile in seinem Mäulchen verschwand.
Zufrieden mit der Bestechung begann er sogleich, sich zu putzen.
Ich hingegen öffnete das Küchenfenster und hielt mein Gesicht in die warme Sonne. Froh darüber, dass ich erst am Nachmittag Vorlesungen hatte, schloss ich die Augen und genoss die Wärme und den Duft, den die Sonne mit sich trug.
Der lange dumpfe Totenschlaf des Winters war Vergangenheit und das Leben kehrte zurück. Auf dem Dach über mir hüpften ebenfalls kleine Vögel herum, die ihre Stimmchen für ein Ständchen aufzuwärmen schienen. Auch sie genossen die Sonne und das wiederkehrende Leben. Jetzt war der Tisch wieder reich gedeckt für sie und sie mussten sich nicht mehr mit dem begnügen, was Julian und ich in das Vögelhäuschen packten.
Noch etwas ungelenk fing das Spatzenmännchen über meinem Kopf an, seiner Liebsten ein Liedchen zu trällern, doch nach den Wochen und Monaten, in denen es grau, kalt und leise war, war dieses Gezirpe und Gefiepse das Hübscheste, das meine Ohren erfreuen konnte.
Erasmus saß am Fensterbrett neben mir und jaulte immer wieder mal. Er lauschte nicht auf das Lied des neuen Frühlings, das der Spatz anzustimmen versuchte, er wollte das Vögelchen lieber verspeisen, aber da würde ich schon aufpassen.
Ich beobachtete die Leute auf der Straße unter mir.
Es musste an der Sonne liegen, aber die meisten von ihnen trugen ebenso ein Lächeln im Gesicht wie ich. Ich fragte mich, ob auch sie sich im Moment glücklich fühlten. Ob auch sie jemanden gefunden hatten, der die Blume der Liebe in ihnen wachsen ließ.
Denn ich bestand nicht darauf, der Einzige zu sein, der glücklich war.