Ganz tief im Dom
Ganz tief im Dom,
Da lebte einst,
Ein tausend Jahre alter Geist.
Von weiblichem Geschlecht sie war,
Dem Menschen jedoch unsichtbar.
Und eines Nachts, fast seelenleer,
Hört' ich ein Schreien, da war doch wer?!
Ich nahm 'ne Kerze in die Hand,
die Einzige, die ich dort fand,
Und schlich in einen Korridor,
Denn halb geöffnet war das Tor.
Ich zwängte mich förmlich hinein,
Der Gang war eng, die Fenster klein,
Das Mondlicht schien kaum durchzukommen,
Die Sicht war Trüb, sogar Verschwommen,
Trotz Allem sah ich in der Fern',
Ein kleines Licht, so wie ein Stern.
Das Licht, es zog mich regelrecht.
Doch umzudreh'n gelang mir schlecht.
Nachgiebig folgte ich dem Drang,
Der eher wirkte wie ein Zwang,
Und immerfort blieb ich achtsam,
Als nun das Licht Gestalt annahm.
Abrupt stand ich auf beiden Beinen,
Vor mir der Geist, zierlich und klein,
Und eh' sich unsere Blicke trafen,
Mit leisem Ton, fast schon verschlafen,
Da sagte sie, ganz ohne Scheu:
„Vergiss mich schnell oder bereu'.“
Doch auf die schnelle ging das nicht,
Ein Augenblick, ganz dicht an dicht.
Vergessen? Ja, ein Kinderspiel!
Leider nicht bei ihr, der ich verfiel.
Ein Geist sie war, das wusst‘ ich nicht,
Wie sollt‘ ich auch bei dem Gesicht,
So engelsgleich und wunderschön,
Die Haare wie in Gold getönt,
Als ungeahnt und fieberhaft,
Die Schönheit aus dem Blick sich macht'!
Ich schaut‘ nach links,
Ich schaut‘ nach rechts,
Als ich im Eifer des Gefechts,
Die Kerze aus der Hand noch ließ,
Ein rascher Luftzug sie ausblies.
Prompt war ich in der Dunkelheit,
Die mir erschien wie Ewigkeit,
Doch noch viel mehr verspürte ich,
Die Reue, wie verwunderlich!
Sogleich ertönte sanft der Spruch,
Den sie mir sang, so wie ein Fluch,
Und ganz gewiss, der war nicht neu,
„Vergiss mich schnell oder bereu'.“
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Quintessenz