Als sie erwachte, war da sofort wieder diese tiefe Verzweiflung, dieses beinahe körperlich schmerzhafte Ziehen in der Brust. Draußen begann es hell zu werden. Sie spürte Josefs warmen Atem in ihrem Nacken. Gleichmäßig, ja beruhigend... Sie musste einfach eine Lösung finden! Die seltsamsten Gedanken suchten sie heim. Am Liebsten wäre sie einfach mit ihm abgehauen in ein fernes Inselparadies. Geld genug hätte sie beisammen, um nie wieder auch nur einen Finger krumm machen zu müssen. Und nachdem niemand ihre Identität kannte, konnte es ihr egal sein, wenn sie diesen Mord nicht ausführte. Wenn sie es fertig bringen würde, mit Josef einfach auszusteigen, würde nie jemand erfahren, dass er noch lebt. Er würde die Schandtaten der Auftraggeber nicht aufdecken und wäre aus ihrem Gesichtsfeld verschwunden, so dass sie seinen Tod annehmen müssten...
Jedes Mal, wenn sie glaubte, einer möglichen Lösung näher gekommen zu sein, meldete sich das Teufelchen auf ihrer anderen Schulter. Wie sollte man dem absolut korrekten Josef Brantner eine Flucht ins ferne Ausland schmackhaft machen, womöglich auch noch unter falscher Identität? Er würde so etwas vermutlich grundsätzlich ablehnen, selbst wenn er wüsste, dass sein Leben bedroht wird... er würde sich noch vehementer gegen die Lobby stellen und auch gegen seinen Vater. Und nebenbei erwähnt: Sie konnte ihm wohl nicht gut sagen, dass ausgerechnet sie es war, die den Auftrag angenommen hatte, ihn zu eliminieren... und... womit sie diese Unsummen verdient hatte, mit denen sie ihr neues gemeinsames Leben finanzieren würde können!
Gemeinsames Leben? Was war nur mit ihr passiert? Sie hatte sich noch nie bei solchen Gedanken ertappt! Wieso zum Teufel musste es ausgerechnet Josef sein, in den sie sich verliebt hatte. Einen Ausweg aus diesem Dilemma zu finden war ähnlich wahrscheinlich wie ein Sechser im Lotto!
Josef spürte die Anspannung, dieses feine Zittern, dass Sonja erfasst hatte. Er war aufgewacht und küsste zärtlich ihren Nacken. "Du brauchst nicht so zu tun, als würdest du schlafen, Sonja. Ich spüre, dass dich etwas belastet, aber ich habe dir versprochen, dich nicht mehr danach zu fragen. Ich bin sicher du wirst es mir irgendwann sagen. Entspann dich! Lass dich fallen, ich halte dich fest! Spürst du es nicht?" flüsterte er.
Sonja aber sagte nichts. Sie zog seine Hand zu ihrem Gesicht und küsste seine Finger. Dann rollte sie sich noch ein wenig enger zusammen und wetzte ein wenig zurück, so dass sie mit dem Rücken direkt an seiner Brust lag.
Josef küsste ein weiteres Mal ihren Nacken und ließ sie gewähren. Früher oder später würde sie ihr Geheimnis preisgeben. Vielleicht würden sie noch ein Mal einschlafen. Er genoss ihre Nähe und war sicher, dass sie sich ihm anvertrauen würde. Nicht heute, nicht morgen... aber sie würde diesem Verlangen nachgeben! Und Josef spürte, dass dieses Verlangen in ihr war...