Mit erhobenen Fäusten hastete Alna weinend über den Hof und drosch Alric ungestüm auf die Brust. Mit hochrotem Kopf und trauernden Blick trommelte sie unaufhaltsam auf ihn ein. »Wo sind meine Kinder, sag es mir«, presste sie jammernd hervor. Der Widerschein der lodernden Flammen tanzte auf ihrem Gesicht und verzerrte ihr Antlitz.
Klarich sah sich um und entdeckte nebst seinem Vetter auch den thulenischen Wachposten auf seiner Veranda stehen. »Verflucht, was geht hier vor?«, verlangte er zu erfahren.
In dem Moment, als Alric die Stimme erheben wollte, galoppierte einer der zuvor fortgeschickten Schattenjäger auf den Hof und hob kopfnickend den rechten Daumen. So wie er gekommen, so ritt er sodann von dannen.
Behutsam umschloss er die Hände Alnas mit den eigenen und hielt sie fest. Er schenkte ihr ein verhaltenes Lächeln. »Es ist Gut Alna. Sie sind in Sicherheit.«
»In Sicherheit? Verdammt Alric, was wird hier gespielt? Was soll der Auftritt und was suchen Bestlins Schergen hier? Antworte«, forderte nun Klarich, der noch immer die Sense in Händen hielt.
Angesprochener nickte zustimmend. »Du weißt, wer Bestlin ist und du weißt ebenso von seinen Gelüsten. Er wollte Veyed und wir haben ihn einen Schlag verpasst, von dem wir hoffen sich nicht so schnell zu erholen.«
Mit sonorer Stimme versuchte er beiden zu verdeutlichen, was er mit anhörte. Es schien, um die Zwei nachhaltig schützen zu können, lediglich diesen einen Ausweg zu geben. Um Bestlin und seinen Hauptmann offensichtlich täuschen zu können, blieb letztlich nur dieser eine Weg. Die Jungs kamen nicht umhin vor seinem Zugriff zu fliehen, deswegen die Schattenjäger. Sie begleiteten ihren Weg und hielten ihre Verfolger auf Abstand, ohne das die Zwei es bemerkten. Sie mussten glauben, sich in steter Gefahr zu befinden. Es sind schlussendlich Bestlins eigene Leute, die ihm berichten würden, was vorfiel und wohin die Brüder flohen. Jedwedes Eindringen in den ›flüsternden Wald‹ gilt gemeinhin als Todesurteil.
»Klarich, Alna.« Nacheinander sah er sie an. »Auch wenn all dies bedeutet, eure Jungen nicht so schnell Wiedersehehen zu können, so wisset doch, dass sie sich in Obhut befinden.«
»Ich will zu ihnen«, klagte Alna unter Tränen. »Jetzt, sofort.« Sie entzog sich Alrics Griff und floh in die Arme ihres Mannes.
Es war Serfem, der ihm zuvorkam. »Bauer Klarich, wir gingen großartiges Wagnis ein. Ich bin nicht von, hier stehe aber auf eurer Seite. Veyed und sein Bruder müssen leben.«
Klarich winkte mit der Hand ab - wischte seine Worte sinnbildlich zur Seite. »Was redet der Mann«, blaffte er seinen Vetter zurecht.
»Er lernt noch die gemeine Zunge, aber dennoch, er hat recht. Die Zwei sind zu wichtig.«
Es knisterte und knackte auffällig, als die Flammen neuen Zunder fanden und hoch aufstoben. Die Scheune und alles, was sich darin befand, würde bis auf die Grundmauern niederbrennen.
Der Bauer wendete sich dem Thulenen zu. In seinem Blick loderte etwas, dass man als Hass umschreiben könnte. »Was wisst ihr schon. Kennt ihr Bastarde überhaupt die Bedeutung ... Familie?« Jedes seiner Worte grollte wie ein Mühlstein in seiner Führung. In Gedanken war er bereit diesem blauhäutigen Kerl den Hals zu brechen. Alles in ihm schrie danach, jede seiner Fasern begann zu zucken - mit ihm zu ringen. Es verlangte ihm, seine Hände um dessen Hals legen, ihn zu würgen, zu schütteln, zu verdrehen und mit bloßen Händen den Kopf vom Hals reißen. Er wollte ihn einfach nur töten, doch Alna hielt ihn an Ort und Stelle. Sie sah auf und ihr Blick klärte sich. »Seit wann seid ihr eurem Blut untreu und helft ausgerechnet uns?«
Serfem senkte den Kopf, sah sich auf die Schulter, auf derer der Farbtupfer zu finden war und schnaubte. Es fiel ihm sichtlich schwer, in Erinnerungen zu schwelgen, und stand für Klarichs empfinden nicht mehr ganz so steif da, wie noch kurz zuvor. Seltsamerweise erklang seine Aussprache nun wie die eines Landsmannes. Etwas an diesem Mann war anders, als bei denen seiner Art.
»Sie haben meine Frau auf der Streckbank gefoltert und getötet. Meine Tochter ...«. Er stockte, fasste sich jedoch sogleich wieder. »Ich weiß nicht, wo sie ist oder ob sie noch lebt ... und all das nur, weil ich nicht hier her, in dieses Land wollte.«
»Ihr seid nicht wie die anderen.«
»Mmh«, brummte der kräftige Thulene wie ein unbescholtenes Kind. »Ihr wohl Recht ... Frau. Alric half mir, mich von meinem Seelenschmerz zu befreien. Ich wäre vielleicht sonst wie viele andere auch, die dieses Land besetzt halten. Durch ihn ...«. Er sah hinüber zu seinem Retter und schob das Kin vor. »... habe ich gelernt, was es bedeutet, Zuversicht und Hoffnung im Herzen zu tragen. Ich habe wieder ein Ziel ... eine Bestimmung.«
Noch bevor Alna etwas erwidern konnte, hob Klarich ihr zwei Finger an die Lippen. »Ihr wollt uns weiß machen, dass es die eigenen Leute sind, die euch zu all diesen Dingen zwingen? Indem sie euch von euren Familien fernhalten und mit Folter und tot drohen?«
Serfem vermochte ihm weder Unglaube noch Misstrauen zu verübeln. Er selbst konnte und wollte Gerüchten keinen Glauben schenken, bis er eines besseren belehrt wurde. Wie sollten Fremde da anders denken gar urteilen?
»Vetter, erinnere dich an die Worte unserer Großväter.«
Er nickte und verzog missmutig die Mundwinkel. Er verstand die Spitze nur zu gut. »Der Schein muss nicht sein, was zu sein scheint. Aber ... stimmen diese Ansichten auch hier? Sag es mir.«
Allen Stolz war aus der Standhaftigkeit dieses Mannes entwichen. Er schien gebrochen ... für den Moment und so sprach er wehmütig weiter. »Glaubt mir, wenn ich sage, dass viele, die mein Volk einst unterwarf und in den Krieg zwang, lieber heute als Morgen zurück zu ihren Familien laufen würden.«
»Und um das zu erreichen, hast du ausgerechnet meine Jungs bestimmt?«
Alric wurde nun selbst ungehalten und Balte die Fäuste. »Ja Klarich, dass müssen sie. Die Vögel, die Narbe und jetzt noch Bestlin. Auf wie viele Zeichen willst du noch warten, verdammt. Sie es endlich ein. Er ist der ›Falke‹ oder wird es sein.«
»Wann bekommen wir sie wieder?«
»Sobald der Bastard geschwächt ist. Es liegt einzig an dir.«
Alna sah auf. »An dir?« Ihre Hand wanderte zaghaft an seine Wange und hielt diese. »Welches Geheimnis ist so unerklärbar, dass du es vor mir verbirgst?«
Seine Augen suchten die ihren und seine Lider schlossen sich. Seine Stimme klang gebrochen. »Ich kann nicht darüber reden. Nicht heute.« Er löste sich von ihr und trat einen Schritt in Richtung des Wohnhauses.
Vor Serfem blieb er stehen, sah auf den Farbklecks und reichte ihm die Hand. Noch bevor dieser die dargeboten ergreifen konnte, fiel die Scheune lautstark in sich zusammen. Funken stoben auf und wirbelten wild umher.
»Dieser Bastard wird nicht nur die Scheune wieder aufbauen, so viel steht fest. Und du ... Freund ... solltest dich weniger auf die richtigen Worte konzentrieren.«