So, ihr Lieben,
dank der wunderbaren, inspirierenden Musik von "The Moon and the Nightspirit" gibt es heute für alle dieses neue Kapitel. Bestimmt freut es euch, dass ich den kleinen Cliff um Solvig sofort auflöse.
Viel Spaß beim Lesen! Wenn ihr mögt, belohnt mich mit einem Haufen Kommentare, fauler Tomaten und Begeisterungsstürmen - lach!
Eure Sophie
"Mond und Nachtgeist" findet ihr z.B. hier:
https://www.youtube.com/watch?v=R48XngDjwmQ&list=PL8dQl35KbbdCx0_dgyJN1Vr43btVgjtal
Toll, oder?
Thorstein hatte dem Bruder des Jarl zunächst sprachlos dabei zugesehen, wie er seine Gefährtin bedrohte. Es gelang ihm nicht sofort zu verstehen, was Rollo hier für ein Schauspiel darbot. Rúna gehörte ihm nicht und kein Gesetz der Welt ließ zu, dass der Mann die junge Frau mit sich nahm. Es sei denn, Ragnar selbst hätte es befohlen. Doch so gut kannte der Steuermann seinen Freund, dass er diesen Gedanken sofort als abwegig verwarf. Dann, als Rollo die kleine Solvig einforderte, ahnte Thorstein, was der Mann vorhatte. "Was willst du gerade jetzt mit der Kleinen?", forschte er dennoch nach. "Hast du jemanden, der sie nimmt?"
Der Bruder des Jarl lachte auf. "Ja, so könnte man es nennen!"
Er wies mit der Hand zum Hafen, wo die Verladung der menschlichen Fracht zügig voranschritt. "Ich werde sie zusammen mit einem meiner Weiber in Haithabu auf den Markt bringen", ließ er Thorstein wissen. "Der Wert einer Frau ist immer höher, wenn sie ein Kind dabei hat."
Ungläubig sah nun auch die kniende Rúna zu dem großgewachsenen Nordmann auf. "Aber sie ist doch noch ein Säugling!", wandte sie leise ein. "Wie soll sie denn die Fahrt in den Süden überleben?"
Mit zusammengekniffenen Augen wandte sich Rollo ihr zu. "Lass das meine Sorge sein, Weib! Du hast getan, was nötig war. Nun gib mir das Kind und geh wieder deiner Arbeit nach." Der Griff zum Schwertknauf ließ keine Zweifel daran, dass Rollo alles tun würde, um seinen Willen zu bekommen.
Rúna wusste, dass ihr niemand zuhören würde, wenn sie um Gnade für Solvig bat. Das Kind war der rechtmäßige Besitz des Kriegers und er konnte damit tun, was er wollte. Sie musste schon froh sein, dass er es nicht, wie er zuerst angedroht hatte, am nächsten Türpfosten erschlug. Schwer atmend und die aufsteigenden Tränen unterdrückend löste sie den Knoten des Tragetuchs vor ihrer Brust und zog das kleine Wickelbündel nach vorn. Schon wollte sie der Kleinen einen letzten Kuss auf die Stirn drücken und sie dann an Rollo übergeben, als ihr Thorstein zuvor kam.
"Warte!" Der Steuermann stemmte sich mühsam hoch und ging einen Schritt auf Rollo zu. ""Rúna hat recht", stimmte er dann seiner Gefährtin zu. "Die Kleine wird eine Fahrt nach Haithabu kaum überleben. Sie atmet noch immer schwer und spuckt Schleim. Sicher hat sie zu viel Rauch abbekommen. Willst du sie nicht hier lassen? Rúna könnte sie großziehen", bot er an und war sich ziemlich sicher, dass Rollo ihm sofort zustimmte. Es war doch völlig sinnlos, das Kind mit auf die Knorr zu schleppen, wenn es dort sowieso starb.
Doch der Bruder des Jarl hatte seine ganz eigenen Pläne. "Sie wird das schon schaffen", widersprach er. "Bestimmt ist sie genauso zäh wie ihre Mutter." Spöttisch sah er den Steuermann an. "Die hat doch auch mehr überstanden als gedacht." Er lachte auf und es klang selbst in Thorsteins Ohren mehr als überheblich. "Sieh es doch mal so: Wir haben diesen Christen zwar eines ihrer treuen Schäfchen gestohlen, doch nun bekommen sie die Kleine sozusagen als Ausgleich von mir zurück." Wieder lachte Rollo spöttisch. "Es ist doch zu schön, sich vorzustellen, dass gerade dieses Kind als Sklavin bei den Christen landet, oder?"
Rúna sah Thorsteins verbissener Miene an, dass er genau wusste, wovon Rollo sprach. Doch er ging nicht auf die großmäuligen Worte des anderen ein. "Ich verstehe", murmelte er und maß sein Gegenüber mit einem kalten Blick. "Sie ist also wertvoll für dich." Er sprach nicht aus, was er Rollo am liebsten ins Gesicht geschrien hätte, nämlich, dass er ihn verachtete, weil er sich an dem Elend eines unschuldigen Säuglings weiden konnte. Doch damit wäre keinem gedient gewesen und sich Rollo zum Feind zu machen, traute sich selbst Thorstein nicht. Also gab er dem Bruder des Jarl, was dieser nicht abschlagen konnte. "Ich biete dir eine schöne Färse aus meiner Herde", ließ er Rollo wissen. "Oder, wenn dir das lieber ist, zwei Kälber im kommenden Frühjahr für deine Tafel. Such dir etwas aus!"
Der Bruder des Jarl musterte den Steuermann erstaunt. "Es muss dir echt etwas daran liegen, deine Sklavin mit dem Balg zu beschäftigen", spottete er. "Hast du zu viele Hände auf dem Moorseehof? Ich dachte immer, ihr seid eher zu wenige …"
Ruhig atmete Thorstein durch. Er würde sich jetzt nicht provozieren lassen. Dazu war Rollo ihm im Augenblick viel zu überlegen und es war zu gefährlich, ihn herauszufordern, schon, weil Rúna immer noch mit der kleinen Solvig vor ihm am Boden kniete. "Wir kommen schon zurecht", ließ er den Krieger wissen. "Doch was ist nun? Willst du dieses kleine Balg, das dir eh nur eine Last sein wird, nicht gegen einen guten, jungen Braten eintauschen?"
Es war unheimlich, den Bruder des Jarls plötzlich auflachen zu hören, fand Thorstein, als der andere lauthals losgrölte. "Ich weiß schon, was ich hier sehe", ließ er den überraschten Thorstein mit einem Mal wissen. "Du hast dir einen Ersatz für Snót gesucht." Rollo grinste spöttisch. "Schön und gut! Doch du hast dabei den Spaß verpasst, den es macht, den Bauch einer Frau zu füllen."
Erschrocken sah Rúna zu ihrem Gefährten auf. Das würde Thorstein kaum auf sich sitzen lassen. Kein Krieger würde sich derartig angreifen lassen. Es verletzte seine Würde zutiefst.
Doch der Steuermann kannte den Mann vor ihm zu gut. Er würde sich nicht von ihm provozieren lassen. Nicht von ihm! Das, was hier gerade geschah, würde er später unter vier Augen mit Ragnar besprechen. Der Jarl sollte wissen, dass Thorstein seinem Bruder nicht traute. Doch heute, heute gab es wichtigeres als eine angekratzte Ehre.
Scheinbar friedfertig kratzte sich Thorstein am Hinterkopf. "Kann schon sein, dass du recht hast", gab er vor dem überraschten Rollo zu. "Doch was ist nun, nimmst du mein Angebot an? Einen fetten Braten gegen einen mageren Säugling?" Gespannt wartete er auf die Antwort, die alles entscheiden würde.
Der Bruder des Jarl aber schob sein halb gezogenes Schwert zurück in die Scheide und trat einen Schritt zurück. "Eine Färse und ein Kalb für das Kind, Thorstein. Das erscheint mir ein gerechter Tausch."
Die Forderung Rollos war mehr als übertrieben, das wusste Thorstein. Für zwei Rinder hätte er schon einen männlichen Arbeitssklaven im besten Alter bekommen. Doch es ging ihm ja gar nicht um den materiellen Wert. Die kleine Solvig hatte sich längst in sein Herz geschmuggelt, wie es auch Rúna getan hatte. Also nickte der Steuermann und hielt Rollo die Hand hin. "Gemacht, mein Freund!", versicherte er. "Die Tiere gehören dir."