Harald war schockiert über die Kälte, die aus Mutters Stimme klang! Sie hatte immer nur der Luxus interessiert, den man jahrelang gelebt hatte und sowohl er, wie auch seine Schwester waren immer froh gewesen, dass sich Vater zum Schluss nicht mal mehr zu fragen traute, wie es den Kindern denn auf der UNI ging! Mutter hatte ihn immer im Griff gehabt. Vater war fast nur in der Firma gewesen, und wenn mal man gemeinsam an einem Sonntag gefrühstückt hat, und er seine Kinder fragte, wie sie denn voran kämen, fuhr ihm Mutter immer sofort über den Schnabel!
"Nur damit du es weißt, Peter: Meine Kinder werden nicht unter Druck gesetzt! Sieh du lieber zu, dass in deiner Firma alles geradeaus läuft! Mir zu sagen, ich brauche nicht zweimal in der Woche zum Frisör zu gehen! Oder ich soll mein Cabrio erst nächsten Monat zum Service fahren! Was bist du denn für ein Geschäftsmann? Das ist ja wohl lächerlich! Meine Kinder studieren, bis sie fertig sind! Oder kannst du dir das nicht leisten, du großer Firmenboss? Du bist der größte Fehler meines Lebens gewesen... aber das lass ich mir von dir nicht bieten! So sieht es aus, mein Freund! Verstehst du?"
Nun, Frau Muhr war keine jener liebenden Frauen, die hinter ihrem Gatten stehen und ihm Kraft und Richtung geben, was es zweifellos auch gibt und eigentlich die Regel sein sollte! Aber wie heißt es so schön: Ausnahmen bestätigen die Regel. Sie war eine jener Frauen, deren Selbstgerechtigkeit sie auch noch glauben ließ, sie sei mit ihrem Mann, einem hingebungsvollen Familienvater, im Hintertreffen! Dabei hatte sie einen guten Charakter nach allen Regeln der Kunst zu Grunde gerichtet und tat sich furchtbar leid, bei ihrer Partnerwahl so sehr daneben gegriffen zu haben...
Harald wurde bewusst, das es nicht Vater war, der ihm zu wenig an Interesse, an Sorge zuteil werden lassen hatte. Und auch seiner Schwester nicht! Peter wäre wohl gerne ein guter und lieber Familienvater gewesen, doch da war auch noch die nackte Gier seiner Mutter, die in auch am Wochenende in die Firma trieb und ihn Aufträge annehmen ließ, die praktisch gar nicht mehr bewältigbar waren, nur um ihren eigenen, ja und auch den mittlerweile auch von den Kindern gestellten Ansprüchen, zu genügen! Es war der Stein des Sisyphos für Vater gewesen! Beschämt las er noch einmal Vaters Abschiedsbrief. Er riss die Seite aus dem Block, ging mit ihr zum Alteisenfass und legte den Brief hinen.
"Ich tue das nicht, weil Mama das gesagt hat, Vater!" sagte er, "Und auch nicht wegen deiner Lebensversicherung! Ich tue das, weil ich von meinen Freunden mit Sicherheit weiß, dass Josefs Tod nicht von dir und deinen Kumpanen verschuldet wurde! Und solltest du tatsächlich nicht mehr am Leben sein, braucht niemand zu wissen, was ihr drei euch da ausgeschnapst habt! Ihr wart definitiv nicht daran schuld! Auch wenn du diese Schuld für deine Familie auf dich genommen hättest! Deshalb werde ich nicht zulassen, dass du als Mörder zu Grabe getragen wirst! Du warst nur deshalb nie für uns da, weil du für unseren Luxus gearbeitet hast und niemand hat es dir je gedankt! Aber ich weiß jetzt, dass du es gut gemeint hast, wenn du mich nach meinen Schulleistungen gefragt hast und glaube mir: Ich werde mit Mutter ein ernstes Wort reden und ich werde auch Katharina sagen, dass du für uns wirklich immer nur das Beste wolltest!"
Er nahm ein Streichholz und zündete den Brief an. Er blieb dabei stehen bis das Papier zu einer kohlrabenschwarzen Seite geworden war und die Flamme erlosch. Dann griff er die Seite und zerkrümelte sie auf ganz kleine Stücke, die eine Entzifferung der Schrift nicht mehr zuließen...
Als er ins Büro zurückkam Sah er den Streifenwagen, der auf den Parkplatz fuhr. Gleich darauf klopfte es und zwei Beamte standen in der Tür.
"Herr Muhr, wir haben leider sehr schlechte Nachrichten für sie!"
Als sie seine schmutzigen Hände sahen drängte sich einer der beiden unwirsch an Harald vorbei zu dem dem Block am Schreibtisch und fuhr mit dem Bleistift schräge breite Schraffuren darüber. Dann riss er das Blatt ab und wendete sich wieder Harald zu. "Herr Muhr, Ihr Vater ist verunfallt! Und es ist nicht auszuschließen, dass er sich das Leben genommen hat. Also ist Gefahr im Verzug. Deshalb die Kontrolle dieses Schreibblocks. Sie haben nicht zufällig einen Abschiedsbrief gefunden?" Er nahm das Blatt und hielt es gegen das Licht...