Ich weiß noch wie es war, als mein Hase damals starb. Meine Mutter und ich malten einen Schuhkarton an, legten ihn mit Heu aus. Ich habe noch ein paar Karotten hineingelegt und etwas Wasser, damit er es auf seiner Reise gut hatte. Wir haben dann ein Loch im Garten gegraben und ich hatte ein Kreuz gebastelt.
Ob es mit dem hier gleichzusetzten war? Viele Menschen waren hier, komplett in Schwarz gehüllt. Sie weinten so sehr, dass sie das Summen der Bienen übertönten. Ich schaute in die Menge. Ein paar von ihnen hatte ich schon seit Jahren nicht mehr gesehen. Es waren die, die am lautesten in ihr Taschentuch schnaubten. Und dann die Leute, die ich so gut wie jeden Tag sah. Sie saßen blass auf ihren Stühlen und sagten gar nichts. Ich stand neben dem Sarg, als der Pfarrer auf mich zu kam und sich neben mich stellte. Ein Lied stieg in die Luft, ich mochte es. Es war eines der Lieder, welches man an einem tristen Nachmittag hörte, wenn das Leben wieder ungerecht wurde. Doch die Sonne schien, das Gras war grün. Nichts hier passte zu der Stimmung, was jedoch niemanden zu stören schien. Niemanden außer mir. Und trotzdem ließ dieses Lied die Tränen in die Augen der Menschen steigen. Der Pfarrer schlug die Bibel auf, bereitete sich auf seine Worte vor. Ich persönlich war nie besonders christlich, hatte mir meine eigene Vorstellung vom Tod und dem Leben danach gemacht, um keine Angst zu haben, wenn es bei mir so weit war. Als die Musik verklang, atmete er tief durch. Ich kannte die Stelle der Bibel nicht, es wunderte mich auch nicht. Doch ich kannte das Leben der Verflossenen von dem er nun erzählte. Es war ein schönes Leben. Geliebt, beschützt von der Familie, Glück in der Liebe, ein guter Beruf. Pech dazwischen. Wäre sie an diesen einem Tag Zuhause geblieben, wie von ihr geplant, dann wäre sie noch hier. Man sah die Menge ab und zu lächeln, während sie in Erinnerung schwelgten. Man sah sie weinen, als diese zu stark wurden. Ich sah die roten Augen ihres Verlobten der die Hand ihrer Mutter hielt. Sie hatte schon ein Kleid, hatten alles geplant und nun das. Schluchzend machte sich ihre Mutter Vorwürfe. Hätte sie sie nur nicht angerufen, sie nicht gebeten mitten in der Nacht noch einmal loszufahren. Ihre Tränen hüllten sämtliche Leute in ihrer Nähe in eine unaussprechliche Traurigkeit. Erdrückender als eine die natürlicherweise auf einer Beerdigung herrschte. Der Pfarrer setzte zu seinen letzten Worten an, bevor alle in ein Gebet übergingen. Für einen kurzen Moment waren alle ruhig, als könnte das nun folgende Gebet die junge Frau direkt in den Himmel bringen. Ob es den Himmel wirklich gab? Ich persönlich hatte ihn mir nach meinen Wünschen ausgelegt. In meinem Paradies würde ich meine Liebsten wiedersehen. Liebste, die schon längst nicht mehr hier waren. Vielleicht würde ich ja sogar meinen Hasen treffen. Meine Mutter ging nun nach vorn, den Blick starr auf den Sarg gelegt, die Beine wackelig. Wie schwach sie aussah, wie verbraucht. Mit leerem Blick starrte sie in die Masse. Ich hatte Mama noch nie weinen sehen. Mama weinte nicht, nie. Nun war es soweit. Sie stand einfach da mit roten Augen. Der Mascara, welcher eigentlich an Ort und Stelle bleiben sollte, färbte nun Augen und Wangen Schwarz. Sie sah wieder zum Sarg und erstarrte, rührte sich keinen Zentimeter. Wie bleich sie war, so bleich, wie die Tode. Ihr Verlobter ging nach vorn hielt Mama fest und brachte sie auf ihren Stuhl zurück auf dem sie anfing vor Verzweiflung zu schreien.
Und endlich setzte auch ich mich in Bewegung. Ging zum Sarg um einen letzten Blick auf sie zu werfen. Ich lächelte als ich sie sah. Ihr braunes Haar, wie mein Haar. Ihre kleine Nase, wie meine Nase. Ihre schwarzen Wimpern, wie meine Wimpern.
Nun würde ich meinen Hasen wiedersehen.