Sie suchen einen Helden? Nun … Vielleicht kann ich Ihnen da behilflich sein.
Sicherlich fragen Sie sich, wer ich bin, doch das tut hier nichts zur Sache, denn ich bin wer ich bin und ich bin nicht wichtig. Wichtig ist hingegen der, über den ich jetzt erzählen möchte. Ein unscheinbarer junger Mann, doch ein Held für mich und für so viele, die ein Part seinen Seins sind und waren.
Kevin Schmidt. Nun gut. Der Name gibt vielleicht nicht viel her, doch lassen Sie sich nicht von einem Namen täuschen, denn der junge Mann ist ein Held. Wahrlich. Auch wenn er es selbst nicht weiß.
Jeden Morgen, Punkt 5.30 Uhr, kommt er zu uns. Immer eine halbe Stunde vor der Zeit. Er genießt die wenigen ruhigen Momente, die er hat, bevor der tägliche Wahnsinn ihn und seine Mitstreiter überkommt. Wie alt er ist? Das weiß ich gar nicht genau und es tut auch nichts zur Sache, denn Alter ist nur bedingt ein Anhaltspunkt für Heldentum.
Der junge Mann trägt keinen roten Umhang oder eine Maske, die ihn vor den Blicken Fremder schützt, gleichwohl seine „Uniform“ ihn doch zu dem macht, was er ist. Wenn er zu uns kommt, lächelnd und hoffnungsschöpfend, weiß er nicht, dass wir sehr wohl seine tiefen Augenringe sehen, die er wie Kriegsnarben vor sich hin trägt. Doch er jammert nicht. Nein. Keiner von uns hat ihn je ächzen hören von seiner schweren Last. Wir sind die Last, obwohl wir es doch nicht sein wollen.
Wer wir sind? Wir sind Greise, alt und hilflos. So sehen uns die Anderen. Doch nicht Kevin Schmidt. Wenn er zu uns kommt und mit uns redet, dann haben wir das Gefühl wieder etwas Besonderes zu sein und nicht die dahinsiechenden, stinkenden Alten.
Oh, wie halten sie uns für dumm und wertlos. Doch waren wir es nicht, die sie zu dem machten, was sie jetzt sind? Sie belächeln uns, kränken uns und ja … manchmal quälen sie uns auch. Wir sind gefangen in unserem Körper, der uns fesselt an die Gegenwart.
Nur Kevin erkennt, wer wir wirklich sind. Menschen. Menschen, die mit Respekt behandelt werden wollen. Menschen, die Respekt verdient haben! Er belächelt uns nicht, sondern lacht mit uns. Selbst wenn der Tag uns in tiefe Dunkelheit führt, ist Kevin der, der uns zur Sonne führt.
Was er macht? Er begleitet uns in unserem letzten Abschnitt, den jeder Mensch doch alleine gehen muss. Wir sind krank und alt, doch wir leben!
Manchmal ist es schwer für uns und die Krankheiten, die unseren Körper zerfressen, wie Motten die alte Kleidung, führen uns ins Zweifeln. Zweifel darüber, ob das Leben einen Sinn macht, ob wir leben wollen. In dieser Zeit, zeigt sich der wahre Held in Kevin. Wenn wir verzagen, stellt er sich vor uns und holt uns hinauf aus den Tiefen des Vergessens. Er hilft uns zu essen, wenn wir nicht essen wollen oder können. Begleitet uns über Gänge, die trotz all der Jahre in unseren Köpfen in den undurchdringbaren Nebel geraten sind. Sind wir besudelt vom Dreck, von Exkrementen, von stinkendem Elend, so ist es Kevin, der uns reinigt und uns wieder das Gefühl gibt, ein Mensch zu sein. Wir wollen keine Last sein, für die uns alle halten. Ob wir für Kevin eine Last sind? Ja. Doch er lässt es uns nicht spüren. Durch ihn bekommen wir das Gefühl wieder Teil der Gesellschaft zu sein und nicht verdammt im Irrgarten der Vergessenen.
Jeden Tag bringt er uns zusammen. Erzählt von den Taten fremder Diktatoren, vom Glück des ersten Schnees, von Hoffnung, wo Zweifel überragt. Er taucht ein in unsere Welt, die selbst für uns zeitweise angsteinflößend ist.
Manchmal, wenn ich gefangen bin in alten Zeiten, Zeiten des Krieges und Hungers, wenn ich nicht mehr weiß, wer die Anderen sind oder wer ich bin, dann ist Kevin mein Vater, mein Onkel oder der Mann, der meine Seele schützt, wenn Verzweiflung mich überfällt. Er taucht ein in unsere Welt, für die so viele blind sind. Blindheit in einer Welt der Sehenden. Nur wer empathisch ist sieht, was dem Auge verborgen ist.
Wir können nicht, nicht fühlen.
Sie stellen uns ab. Der Kreis der Vergessenen. Denkend, dass wir ihr perfides Spiel nicht bemerken. Wir sehen sehr wohl, wie ihr über uns lacht. Hören, wie ihr über uns sprecht mit bösen Zungen. Leiden, unter euch.
Nur Kevin ist da, der uns vor euch beschützt – vor euch Schlangen in Unschuldsweiß.
Er weiß es nicht. Erkennt selbst nicht, das, was er für uns macht, jeden gottverdammten Tag.
Kevin Schmidt ist Pfleger im Heim von uns Dementen. Im Heim der Vergessenen. Im Tal derer, die vergessen.
ENDE