Die folgende Woche und Alex‘ Anwesenheit trugen nicht wirklich zu meinem Wohlbefinden bei. Es war ruhig. Zu ruhig. Alex wohnte für die Zeit seines Besuches bei mir, schlief sogar in meinem Zimmer auf der Couch. Ich vermied es allerdings, allzu viel Zeit mit ihm alleine zu verbringen, denn das Schweigen zwischen uns war beinahe ohrenbetäubend.
Nicht, dass er nicht versuchte, mit mir zu sprechen, aber jedes Mal kam das Thema unweigerlich auf die Jungs und ein Gespräch war dann, aufgrund seiner offensichtlichen Abneigung gegen Kai, kaum vernünftig möglich.
Dementsprechend zog sich auch das Wochenende ziemlich in die Länge und ich war froh, als endlich wieder Montag war und ich noch dazu im Sport meine angestauten Wutgefühle loswerden konnte.
Auch an diesem Morgen sprachen Alex und ich kaum ein Wort miteinander. Ich wusste nicht, was ich zu ihm sagen sollte, da es ihn anscheinend aufregte, dass ich gelernt hatte, auch ohne ihn zurechtzukommen.
Meine Gefühle waren noch immer dieselben. Ich freute mich nicht darüber, dass er da war.
Leider wurde ich ihn an diesem Tag nicht mal in der Schule los, denn nach langen Diskussionen stimmte Qurandi zu, ihn am Sportunterricht teilnehmen zu lassen. Alex nutzte das, um sich aufzuspielen. Immerhin kannte er meine Mitschüler ebenso lange, wie ich und wollte Kai anscheinend auf diese Weise beweisen, dass er das Hausrecht besaß. Ich hasste dieses Verhalten an ihm. Schon früher hatte er sich zwischendurch so aufgeführt.
Ich steigerte mich so in meinen Unmut hinein, dass ich beim Sport nicht wirklich bei der Sache war. Robin war deswegen nicht unbedingt begeistern, weil wir wohl meinetwegen das Brennballspiel verlieren würden. Er ermahnte mich oft. Dann, in Gedanken versunken und gestört von seinen Rufen, verlor ich die Kontrolle über meine Beine, knickte um und fiel.
Der Aufprall auf dem harten Hallenboden sorgte für eine kurze, heftige Erschütterung in meinen Knochen und ich blieb liegen, an die Decke starrend. Vorsichtig rieb ich mir den Ellbogen, den ich mir am Boden aufgescheuert hatte. Schließlich spürte ich, dass mein Knöchel aber das eigentliche Problem war.
Ich wünschte mir ein Loch im Boden, in dem ich abtauchen konnte, als sich immer mehr Gesichter um mich herum versammelten und auf mich herabsahen.
Alex war der erste, der sich neben mich hockte, aber auch Ray und Jess taten es ihm bald gleich. Alle drei hielten mir die Hand hin, um mir aufzuhelfen und außer Ray wollte ich niemanden in meiner Nähe haben.
Während der mir schließlich aufhalf, stellte Jess sich zu mir. „Alles in Ordnung? Hast du dich verletzt?“
In seinem Blick blitzte für einen Moment tatsächlich Besorgnis auf und ich wunderte mich so sehr darüber, dass ich beinahe vergaß, zu antworten. „Nur mein Knöchel. Geht schon.“
Qurandi drängelte sich in die erste Reihe und warf einen Blick darauf. In seinen Augen konnte ich deutlich erkennen, dass er es für eine Störung hielt und mich wohl deshalb noch unausstehlicher fand. Falls das überhaupt möglich war.
„Krankenzimmer“, brummte er nur.
Alex und Jess rief zeitgleich, dass sie mich hinbringen würden, während Ray mich dezent anlächelte und es mir ebenfalls anbot. Anstatt zu nicken, lenkte mich die darauffolgende, lautstarke Diskussion von den anderen beiden ab, wer mich denn nun bringen würde.
Das erste Mal schienen Qurandi und ich uns plötzlich darüber einig zu sein, dass es zu viel Trubel um mich gab. „McKenzie!“
Ich zuckte zusammen, als er die Unruhe barsch unterbrach und Kais Namen brüllte. Der stand etwas abseits und verhielt sich weitestgehend unauffällig, doch er nickte, als er angesprochen wurde.
„Sie bringen Miss Parker zur Krankenstation.“
Obwohl wir nur langsam aus der Sporthalle schlichen, konnte ich draußen auf dem Flur noch immer die bestehende Unruhe vernehmen. Alex und Jess schienen sich noch immer zu streiten und Qurandi ermahnte Alex in einem herrischen Tonfall, dass er sich nicht so aufführen könnte, auch wenn er nicht mehr auf diese Schule gehen würde.
Ich humpelte, eher zäh vorankommend, neben Kai über den Gang und spürte bei jedem Auftreten einen stechenden Schmerz in meinem Knöchel.
„Geht’s?“ Kai durchbrach das Schweigen. Es kam überraschend und er sah mich dabei nicht mal an.
Warum sollte ausgerechnet er mich bringen? Qurandi hätte mich auch alleine gehenlassen können, dann wäre ich mir vermutlich nur halb so bescheuert vorgekommen. Nun merkte ich, dass Kai mich im Augenwinkel beobachtete und es war mir unangenehm.
„Passt schon.“ Ich bemühte mich, normal zu laufen, doch wieder knickte ich kurz ein und stützte mich an der Wand ab, um das Gleichgewicht zu halten.
„Tut es nicht.“ Kai wirkte genervt, doch ich wusste nicht, ob es von mir generell war, oder weil er wusste, dass ich es schönredete. „Wieso lügst du mich an?“
Die Wahrheit war, dass ich keinen weiteren Schritt mehr gehen konnte. Mein Fuß schmerzte wie Hölle und ich konnte mich nicht dazu aufraffen, erneut damit aufzutreten. „Es ist alles bestens.“
„Es tut also gar nicht weh?“ Kai sah auf meinen Knöchel herunter, noch immer mit diesem genervten Ausdruck in den Augen.
Warum ich ihm nicht die Wahrheit sagte, wusste ich selber nicht. Es war mir vermutlich wirklich einfach unangenehm, dass ich auf seine Hilfe angewiesen war. „Es wird dicker, aber das ist wahrscheinlich normal.“
Sarkasmus? Machte er wirklich einen Witz? Es war nicht komisch, aber trotzdem brachte es mich in diesem Augenblick zum Lächeln.
„Was willst du denn hören?“
„Eigentlich gar nichts“, bemerkte er trocken. „Ich sollte wohl froh sein, wenn du mal still bist.“
Er seufzte, schüttelte den Kopf und stellte sich vor mich. Plötzlich griff er an meinen Arm, legte ihn sich um seinen Hals und griff mir geradewegs in die Kniekehlen. Bevor ich mich überhaupt fragen konnte, was er vorhatte, verlor ich bereits den Boden unter den Füßen und befand mich auf seinem Arm. Für eine Sekunde wirkte ich verblüfft, denn er hob mich hoch, als würde ich nichts wiegen.
„Du bist ja richtig zum Scherzen aufgelegt heute“, bemerkte ich nun ebenfalls sarkastisch. „Lass‘ mich runter.“
Kai ignorierte es gekonnt, ganz wie immer. Er kam der Aufforderung erst nach, als wir im Krankenzimmer ankamen. Mrs. Ridger brachte mir etwas zum Kühlen und Kai setzte sich, mir gegenüber, auf einen Stuhl, nachdem sie wieder verschwunden war.
Mir war es unangenehm, dass er mich quer über den Schulhof getragen hatte und doch musste ich mir eingestehen, dass ich dafür dankbar war. Vor einem Jahr hätte er mich vermutlich sitzenlassen. Wobei vermutlich nicht mal da, immerhin war seine Hilfsbereitschaft auch damals schon über solch eine Kleinigkeit hinausgegangen.
„Danke“, flüsterte ich.
Das Gefühlschaos in meinem Kopf ließ sich nicht leugnen. Die Umstände strapazierten meine Nerven und das Letzte, das ich wollte, war meine Laune an Kai auszulassen, denn ausnahmsweise konnte er mal nichts dafür.
Kai sah mich an, ohne einen bestimmten Ausdruck in den Augen. „Selbstverständlich.“
Dann drehte er sich weg und blickte aus dem Fenster, obwohl es dort eigentlich nichts zu sehen gab, außer dem grauen Schulhof und dem, mit Regen zugezogenem, Himmel. Ich hätte sagen können, dass bei ihm eigentlich nicht wirklich selbstverständlich war, aber ich ließ es.
„Heute wird es noch regnen“, stellte ich stattdessen fest, als ich seinem Blick zum Himmel folgte.
Er wandte sich mir zu und starrte mich verwundert an. Ich konnte mir denken, wieso. Normalerweise führte ich ungern Smalltalk über das Wetter.
„Douphne, was ist los? Seitdem Alex da ist, verhältst du dich merkwürdig.“
„Was soll das denn heißen?“ Ich merkte erst, wie schnippisch es klang, als es bereits ausgesprochen war.
„Du reagierst schon den ganzen Tag zickig, wenn man dich anspricht.“
Das stimmte bedauerlicherweise. Alex‘ Anwesenheit und meinen Unmut deswegen ließ ich an den Jungs aus und das war nicht wirklich fair.
Ich seufzte.
„Du hast dich nicht gefreut, als du ihn gesehen hast“, stellte Kai fest und musterte mich. „Das ist mir aufgefallen. Bist du immer noch wütend auf ihn, wegen dem Anruf nach der Sache mit Matt?“
„Es ist nicht wichtig“, erwiderte ich starrsinnig, weil ich nicht wirklich das Bedürfnis verspürte, mit ihm über meine Sorgen zu reden.
Er würde mich ohnehin nur verständnislos ansehen und nicht nachvollziehen können, wieso ich mich so fühlte.
Kai kam auf mich zu. „Du musst es mir nicht sagen, aber vielleicht willst du mit einem Freund darüber reden und Ray ist nicht hier, sondern ich.“
Ich warf ihm einen kritischen Blick zu. „Ray, also? Und es geht hier nicht um Ian, weil du denkst, dass ich lieber mit ihm sprechen würde, als mit dir?“
„Willst du das etwa?“ In seinen Augen blitzte Unverständnis auf. „Aber klar. Lass‘ uns darüber reden, wieso du damit nicht zu Ian gehen solltest.“
Ich fragte mich, ob dieses Thema jemals an Bedeutung verlieren würde. Mir war nicht ganz klar, wieso wir es nicht meiden konnten. Vermutlich, weil ich Ian nicht wirklich loslassen konnte. Und das, obwohl er sich auf Kais Geburtstag wirklich furchtbar aufgeführt hatte. Es waren ihre Schwierigkeiten, nicht meine. Eigentlich sollte man meinen, dass die beiden in der Lage sein würden, ihre Differenzen beizulegen.
Nun lag das Thema aber auf dem Tisch und ich kam wohl nicht daran vorbei, erneut mit Kai wegen Ian zu diskutieren.
„Ich habe nie mit Ian über Alex gesprochen“, wies ich ihn eindringlich darauf hin. „Oder über sonst etwas, was nichts mit Michael zu tun hatte.“ Ich musterte ihn prüfen, aber er starrte mich nur ausdrucklos an und erwiderte nichts. „So wie du. Du redest nie mit jemandem über deine Probleme und ich wollte versuchen, es auch mal so zu machen.“
„Wieso solltest du etwas so Dummes tun?“, fragte er verwundert.
„Du willst keine Hilfe, ziehst dich immer zurück.“ Ich lächelte leicht. „Ich finde es bewundernswert, wie gut du alleine zurechtkommst. Dir kann anscheinend nichts wirklich etwas anhaben.“
Kai schüttelte augenblicklich energisch den Kopf. „Bloß, weil ich keine Hilfe will, heißt das nicht, dass ich super zurechtkomme. Ich bin alleine genauso aufgeschmissen, wie jeder andere. Außerdem wird mir geholfen. Nehmen wir dich als Beispiel. Du hast mich seit meinem ersten Tag hier in die Schranken gewiesen und warst da, als ich jemanden gebraucht habe. Du hast mir geholfen.“ Er seufzte, denn offenbar gefiel es ihm nicht, das nun zu offenbaren. „Ich war alleine, kam hierher und habe viele gleich in die Flucht geschlagen. Doch jetzt sieh uns beide an. Du stehst hier vor mir und bist nach einem ganzen Jahr immer noch da. Du gibst mich nicht auf, was ich auch tue, um dich dazu zu bringen.“
„Wirklich versuchen tust du es nicht mehr, oder?“ Ich grinste.
„Nicht absichtlich, nein.“ Kais Blick war distanziert. „Aber tue ich nicht trotzdem genug, damit du es in Erwägung ziehst?“
„Ich hätte dich wohl an deinem Geburtstag fallenlassen sollen.“ Das meinte ich nicht ansatzweise so, aber manch anderer hätte es wohl an diesem Tag wirklich in Erwägung gezogen. „Du hast jemanden geschlagen, der mich mag.“
Ich lächelte, doch Kais Augen erkalteten. „Du glaubst immer noch, dass er dich mag?“
„Er hat mir sicherlich nicht mit Absicht wehgetan“, verteidigte ich Ian energisch. „Ich denke, er hat mich wirklich gern.“
„Das hatte Matt auf seine Art wohl auch“, erwiderte Kai abfällig.
Ich stutzte. Dass er es so sah und sogar aussprach, schockte mich. Das, was Matt mir angetan hatte, damit zu begründen, dass er mich auf irgendeine Art mochte, machte mir beinahe noch mehr Angst, als davon auszugehen, dass er einfach nur krank war, verrückt.
„Ian würde mir so etwas nicht antun.“ Ich sprach leise, erschüttert.
„Er ist hinter dir her!“ Kai redete sich in Rage und wurde lauter. „Wer weiß schon, was er tun würde? Wozu er bereit ist, um dich zu bekommen? Du weißt es nicht und ich weiß es auch nicht, aber du musst endlich aufhören, Risiken einzugehen!“
Er hatte Recht. Ich wusste es nicht. Konnte es nicht wissen. War es also in Ordnung, dass Kai mit seinen Worten Zweifel in mir weckte? Musste ich nicht vom Schlimmsten ausgehen, anstatt darauf zu hoffen, dass Ian zu den Guten gehöre? Obwohl ich wusste, was man ihm unterstellte?
Ich biss mir auf die Lippe, senkte den Blick und schüttelte den Kopf. Kai war inzwischen immer überzeugender. Das lag nicht an seinen Worten, denn eigentlich waren es immer dieselben. Was hatte sich also geändert? Wieso begann ich, seinem Einschätzungsvermögen zu vertrauen? Wieso wollte ich lieber ihm glauben, als meinem eigenen Bauchgefühl?
Es gab nur eine Erklärung dafür. Ich sah Kai als Freund an, völlig gleich, als was er mich betrachtete. Ich vertraute ihm, weil es die Sorge um mich war, die aus ihm sprach. Nicht der Hass auf Ian oder die Vorurteile. Kai ermahnte mich und versuchte, mich zu überzeugen, weil er nicht wollte, dass mir etwas passiert. Konnte ich nun also dem Menschen widersprechen, der mir bereits zwei Mal das Leben gerettet hatte? Mich vor Matt beschützt hatte?
Die Zweifel packten mich, doch da war noch ein Gefühl, das mich nicht losließ. Ich wurde wütend und aus irgendeinem Grund nicht auf Ian, Matt oder mich. Was ließ Kai denken, dass er einen besseren Eindruck machte? Wieso glaubte er, sich über Ian stellen zu können, obwohl man ihm nachsagte, ein aggressiver Schläger zu sein?
Ich bemühte mich, freundlich zu bleiben und eine Sache anzusprechen, die mich inzwischen beinahe etwas wurmte. „Was unterscheidet dich von ihm?“ Ich sah ihm geradewegs in die Augen und erntete einen überraschten Blick. „Waren dir denn deine … Kerben im Bett nicht auch immer egal? Warst du nicht auch nur auf das Eine aus?“
Stand uns ein Streit bevor? Ich wollte es nicht, aber ich spürte, dass es sich nicht mehr vermeiden ließ.
Zu meiner Überraschung setzte Kai sich aber zur Wehr, indem er versuchte, die Frage mit einem Lachen zu überspielen. „Ich habe nicht wirklich Kerben im Bett.“ Meine Reaktion blieb ernst. Ich konnte nicht darüber lachen und auch sein Ausdruck in den Augen wurde wieder kühler. „Du willst einen Unterschied?“ Ich merkte, dass es ihn verstimmte, weil ich ihn verglich. „Auf mich hat man sich immer freiwillig eingelassen. Ich würde niemals eine Frau zwing…“
„Und willst du behaupten, dass du sie danach nicht wie Dreck behandelst hast?“ Eigentlich wusste ich nicht wirklich, wieso mich seine Bettgeschichten plötzlich innerlich aufwühlten, doch sie taten es. Vielleicht wollte ich einen tieferen Einblick in Kais Charakter. Immerhin wusste ich, wie er mit Männern umsprang, die er nicht mochte.
„Nein“, antwortete er zögernd und stieß nun ein abfälliges Lachen aus. Offenbar war er wütend auf mich, weil ich seine Ehre infrage stellte. „Es waren einfach beliebige, hübsche Mädchen, die ich zu Firmensachen und anderen Familienanlässen mitgenommen habe. Man hat von mir verlangt, in Begleitung zu erscheinen. Alles andere hat sich danach einfach immer so ergeben.“
Ich starrte ihn ausdrucklos an. Das reichte mir nicht.
„Ich habe danach nie angerufen, falls du das meinst“, gab Kai zu und die Wut wich plötzlich aus seinem Gesicht. „Douphne, warum ist das so wichtig für dich?“
„Mich interessiert es, wie du mit anderen Frauen umgehst“, erwiderte ich ehrlich.
„Und wofür soll das jetzt ein Maßstab sein?“ Kai blickte mich fordernd an. „Wieso stellst du mich mit Ian auf eine Stufe? Bloß, weil ich eine Vorgeschichte habe?“ Er warf die Hände verständnislos in die Luft und schüttelte aufgebracht den Kopf. „Kannst du mir bitte erklären, wieso ich mich deswegen jetzt rechtfertigen muss? Habe ich was getan, was dich plötzlich an mir zweifeln lässt? Habe ich vielleicht dein Vertrauen verletzt?“
Kai war wohl doch immer noch wütend, weil ich ihn mit Ian verglich. Es stimmte ja. Er hatte nichts getan, was Zweifel in mir wecken sollte. Ganz im Gegenteil. Wir verstanden uns eigentlich besser, denn je. Meine Wut ließ ich am Falschen aus und das sah ich ein.
„Es tut mir leid!“ Ich sagte es so überzeugend, wie ich konnte. „Ich hätte das nicht tun dürfen.“ Nun war ich es, die den Kopf schüttelte. Über mich selbst. „Ich … Ich weiß einfach nicht mehr, wo mir der Kopf steht. Es tut mir leid, Kai. Natürlich hast du nichts falsch gemacht. Ich habe mich das nur gefragt, weil du mich ziemlich lange nicht gut behandelt hast und ich … Keine Ahnung.“
Kai holte tief Luft und starrte mich ziemlich distanziert an. Dann seufzte er schließlich und stellte sich dicht vor mich. „Du bist keine meiner Bettgeschichten.“
Er stritt nicht, gab nach. Es wunderte mich stark, doch offenbar wollte auch er nicht, dass es eskalierte, bloß weil wir uns über etwas uneins waren.
Ich lächelte, dankbar darüber, dass er es auf sich beruhen ließ. „Ich versuche nur, dir eine Freundin zu sein und um das wirklich sein zu können, musste ich dich das wohl einfach mal fragen.“
Kai nickte nachsichtig und klang sehr selbstbewusst, als er weitersprach. „Ich gebe mir Mühe, Douphne. Ich bemühe mich wirklich, dich gut zu behandeln. Vielleicht sollte ich erwähnen, dass ich dich deutlich besser behandle, als jedes dieser Mädchen.“
„Und das, obwohl ich nicht dein Betthäschen bin.“ Ich grinste, um die Situation zu lenken.
Darüber zu sprechen, ob wir uns genug Mühe gaben, an dieser Sache zwischen zu uns arbeiten, war ein zu ernstes Thema und ich wusste, dass er so etwas nicht mochte. Er gab ohnehin schon so selten etwas über sich preis und ich wollte nicht, dass er sich verpflichtet fühlte, in diesem Moment und ausgerechnet auf der Krankenstation der Schule noch mehr aus sich herauszukommen.
„Genau“, stimmte er zu, begann aber plötzlich ebenfalls zu grinsen. „Es sei denn, du willst? Dann muss ich aber zurückrudern und dich wieder schlechter behandeln.“
Ich lachte herzlich. Kais gute und humorvolle Stimmung gefiel mir. Es war erfrischend, wenn er mal Witze machte und ich fühlte mich auf einen Schlag wieder wohler. „Das käme für mich wirklich nicht infrage.“
Er lächelte vergnügt. Was für ein seltener Anblick. „Nein? Findest du mich etwa nicht attraktiv?“
Was für eine Frage und die kam ausgerechnet von Kai McKenzie. Die Antwort war klar, wenngleich es sich auch komisch anfühlte, so offen mit ihm darüber zu reden. „Doch, das tue ich.“
Ich schüttelte lachend den Kopf. Er war in diesem Augenblick so umgänglich und schaffte es, mich auf diese Weise aus meinem Schneckenhaus zu holen. Alex wurde aus meinen Gedanken verdrängt und sogar den schmerzenden Knöchel spürte ich kaum noch.
„Aber eine kurze Liebelei ist wohl einfach nicht geeignet, wen man das erste Ma…“ Intuitiv biss ich mir auf die Zunge, doch ich konnte ihm ansehen, dass es zu spät war.
Kai verstand zu schnell, was ich beinahe ausgesprochen hätte und blickte mich verdutzt an.
„Lösch‘ das einfach“, bat ich ihn und ließ mein Gesicht hinter meinen Händen verschwinden. Gott, war mir das peinlich. Ausgerechnet vor Kai auszuplaudern, dass ich noch nie mit jemandem so weit gegangen war, war nun wirklich nicht beabsichtigt gewesen.
„Ich denke nicht, dass ich das kann.“ Er klang sehr überrascht und schien nach Worten für die Situation zu suchen. Dann wich er von mir zurück, als würde er glauben, mir nicht zu nahe sein zu dürfen.
Das war nun wirklich nicht nötig, aber ich befasste mich lieber mit einem Stoßgebet für ein Erdloch, damit ich im Boden versinken konnte. „Ich weiß wirklich nicht, warum ich dir das gesagt habe.“
Ein kurzer Moment verstrich, dann griff er unerwartet an meine Arme, um mir die Hände vom Gesicht zu ziehen. Er musterte mich, dann tat er plötzlich etwas sehr Nettes. Er lachte leise und stellte sich wieder dicht vor mich.
Er flüsterte, bekam das Grinsen dabei nicht aus dem Gesicht. „Hätte ich das doch nur früher gewusst.“
Ich sah zu ihm auf. Wie bitte? „Wieso um alles in der Welt, wäre das gut gewesen?“
Der freundliche Ausdruck in seinen Augen nahm mir allmählich die Anspannung. Unglaublich, wie sehr er sich über mein Geständnis amüsierte. „Als ich dich aus dem Kühlhaus geholt habe …Wir haben uns halbnackt aneinander geschmiegt. Hätte ich doch bloß gewusst, wie peinlich es dir gewesen wäre, wenn wir nackt gewesen wären.“
Er starrte mir geradewegs in die Augen und entlockte mir mit dieser Aussage und meinen Erinnerungen daran tatsächlich ein Schmunzeln.
„Kann ich dich jetzt alleine lassen?“ Kai musterte mich wieder etwas kühler. „Qurandi wundert sich vermutlich schon, wo ich bleibe.“
Vermutlich war es ohnehin besser, die Sache einfach im Raum stehenzulassen und nie wieder darüber zu reden.
Ich nickte und widmete meine Aufmerksamkeit nun wieder der Kühlung meines Knöchels, als er in der Türe noch einmal stehenblieb.
„Wartest du hier auf mich?“ Auch sein Blick fiel nun auf meinen Fuß. „Ich bringe dich nach Hause. Also, Ray wird das wollen und … Naja, warte einfach, ja?“
„Alex wird mich bringen wollen“, murmelte ich leise und schüttelte den Kopf. „Er muss ohnehin mit zu mir, also danke, aber ich werde wohl zurechtkommen.“
Es fühlte sich furchtbar an, das so zu ihm zu sagen, aber es stimmte. Alex würde darauf bestehen und mit allen dreien gemeinsam nach Hause zu gehen, danach stand mir wirklich nicht der Sinn an diesem Tag. Es würde nur wieder zu Streitigkeiten führen und ich wollte bloß noch alleine sein.
In Kais Augen blitzte kurz Abneigung auf, doch dann nickte er und ließ mich zurück. Kaum war er weg, kam Mrs. Ridger mit einem neuen Kühlpaket in den Raum.
Ihre Stimme klang ernst, als sie mich ansprach. „Ich mache mir Sorgen um dich.“ Verwundert sah ich sie an und legte den Kopf schief. Wovon sprach sie bitte? „Die Räume hier haben dünne Wände.“
Oh je. Ich seufzte. Sie wusste nun also Bescheid und konnte sich das, was sie nicht wusste, wohl zusammenreimen. Sie versuchte es, das sah ich ihr an. Vermutlich blickte sie deshalb so düster drein.
„Alex und ich sind scheinbar keine besten Freunde mehr“, versuchte ich, sie mit der unwichtigsten Information zu füttern.
Sie sah mich mit einer hochgezogenen Augenbraue an und mir wurde klar, dass sie die Wahrheit von mir hören wollte. Doch über was genau wollte sie eigentlich mit mir reden? Über Kai? Ian? Etwa über Matt? Wir hatten ihn erwähnt, oder nicht? Super, vermutlich ahnte sie nun, dass sich Matts Überfall auf der Klassenfahrt so nicht wirklich ereignet hatte.
„Ich weiß jetzt wirklich nicht, was ich sagen soll“, gestand ich und ging in Gedanken das komplette Gespräch durch.
„Egal was.“ Mrs. Ridger setzte sich auf den Stuhl mir gegenüber, auf dem auch Kai vorher gesessen hatte. „Alles, was du mir sagst, bleibt unter uns.“
„Haben Sie nicht gerade gesagt, dass es hier dünne Wände gibt?“, erwiderte ich grinsend.
Mrs. Ridger lächelte leicht. „Niemand ist hier.“
Ich nickte nachgiebig, dann beschloss ich, ihr wirklich zu erzählen, was mich beschäftigte. Bereits seit der Grundschule war sie meine Lehrerin und ich mochte sie. Schon oft hatte sie mir zugehört und mir mit Rat und Tat zur Seite gestanden.
Also erzählte ich ihr von Kais Geburtstag, meinen Gedanken über ihn, den Streitereien zwischen ihm und anderen, den Ferien bei ihm und seinen Familienverhältnissen. Auch von dem Wiedersehen mit Michael, Rays falschgedeuteten Gefühlen für mich und meinen Freundschaften erzählte ich ihr. Lediglich Rays Fürsorgeproblem und die Geschehnisse der Klassenfahrt ließ ich aus. Diese Dinge musste auch sie nicht wissen, egal, wie sehr ich sie mochte.
Mit ihr über all das zu reden, tat gut und ich fühlte mich wesentlich besser, als ich aufstand und zur Türe humpelte.
„Douphne.“ Mrs. Ridger hielt mich sanft zurück und in ihrer Stimme lag noch immer Besorgnis. Ich sah zu ihr und erkannte in ihrem Blick, dass es noch eine Frage gab, die sie mir stellen wollte. „Du und Kai, ihr habt über den jungen Mann gesprochen, der auf der Klassenfahrt überfallen wurde.“ Nun war sie es, die seufzte. „Ich mag eine Lehrerin sein, aber ich bin nicht von gestern. Du warst verletzt, dieser Mann wurde ebenfalls verletzt aufgefunden und ich weiß sehr wohl, dass ihr beieinander übernachtet habt, du, McKenzie und Klevens. Auch Kai McKenzies Verletzungen an den Händen sind mir aufgefallen. Wa…“
„Nichts“, unterbrach ich sie forsch. Ich wollte wirklich um keinen Preis darüber reden. Mit niemandem mehr. Erst recht nicht mit ihr. „Es ist nichts passiert.“
Erneut seufzte sie und starrte mir eindringlich in die Augen. „Ist McKenzie in dieser Geschichte der Gute oder der Böse?“
Plötzlich musste ich lächeln. Ich konnte nicht anders. Selbst bei ihr waren die Gerüchte bereits angekommen. Auch sie hatte schon von seinem gewaltbereiten Ruf gehört und spielte nun wirklich mit dem Gedanken, ihn zu verurteilen.
„Ich verbringe meine Zeit mit ihm“, erwiderte ich höflich. „War in den Ferien bei ihm, habe ihn hierher zurückgeholt. Er hat mich gerade von der Sporthalle bis hierher getragen. Was glauben Sie also?“
Nun lächelte auch sie und ich verließ die Krankenstation, langsam und humpelnd.