Hi, Clayra, alles Gute zum Geburtstag! Ich wurde als dein Wichtel ausgelost, also habe ich mal versucht, aus deinen Wünschen eine kleine Geschichte zusammenzubasteln. Ich hoffe, du magst sie! :3
Slice of Life / Fantasy / LGBT+ / Schnee / Vögel / Verwirrung
In jedem Jahr treffen sich alle Vogelmenschen von Mévos, um das friedliche Zusammenleben für die nächste Zeit zu sichern. Die weiblichen Vogelmenschen tanzen hierbei nackt in einem Ring aus lauwarmen Feuer, während die männlichen Artgenossen sich das Treiben ansehen. Finden sie Gefallen an einer Tänzerin, treten sie in den Kreis und bieten ihr einen Stein an, der ein Zeichen der Treue und Hingabe ist. Eine einzelne Vogelmenschin kann mehrere Steine annehmen, aber selbst keinen anbieten. Im folgenden gründet sie einen sogenannten "Stamm", der in seiner Form für genau ein Jahr bestehen bleibt. So ist die Tradition.
Ihr Flügelrock glänzte im Mondlicht, als sie sich vorsichtig auf den kalten Boden gleiten ließ. Es war das erste Mal, dass sie außerhalb ihrer Höhle flog. Normalerweise durften Kinder erst in der Nacht des großen Tanzes den Schutz der Höhle zum ersten Mal verlassen, doch Taxáry hatte mich so sehr angefleht, dass wir uns schon jetzt herausgeschlichen hatten.
Vorsichtig setzte sie einen Fuß vor den anderen, hinterließ kleine graue Spuren im dünnen Schnee, sah zum halbvollen Mond über sich und dann auf die zerrüttete Felslandschaft vor sich. Ich ahnte schon, was sie vorhatte, noch bevor sich ihre Lippen zu einem selbstsicheren Grinsen verzogen, und setzte mich auf einen Felsbrocken, um die kommende Show zu genießen.
Amüsiert sah ich ihr dabei zu, wie sie über die kahlen Felsen rannte, jauchzend stolperte, die knochigen Flügel ausbreitete und nach oben flatterte, gerade noch rechtzeitig, bevor sie in eine Schlucht stürzte. Dann flog sie hoch, machte eine Pirouette, legte die Flügel wieder um ihre Hüfte und stürzte schließlich mit dem Kopf voran auf mich zu. Erst ein paar Meter über mir breitete sie die Flügel wieder aus und ließ sich neben mich auf den nackten Stein gleiten. „Das ist fantastisch“, keuchte sie völlig außer Atem.
Ich lachte nur. „Du wirst alle völlig wahnsinnig machen“, scherzte ich, "und den größten Stamm gründen, der jemals dagewesen ist." Zumindest konnte ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, wie sich irgendjemand dieser grazilen Gestalt entziehen könnte.
Taxárys Mundwinkel erschlafften. Mit gerunzelter Stirn sah sie auf den Boden. „Ahja“, murmelte sie, „Das.“ Auf einmal wirkte sie überhaupt nicht mehr fröhlich, genau genommen sah sie sogar niedergeschlagen aus.
„Freust du dich nicht darauf?“, fragte ich sie vorsichtig. Eigentlich ist der erste große Tanz das Ereignis, auf das alle jungen Frauen hinfiebern. Kinder spielen Szenarien nach, von denen sie gehört haben, und manche üben jahrelang ihren Tanz. Jetzt, da ich darüber nachdachte, fiel mir aber auf, dass Taxáry nie besonders begeistert davon wirkte. Genau genommen hatte sie in dem gesamten Jahr, in dem ich bereits hier lebte, kein einziges Wort darüber verloren.
„Darf ich ehrlich sein, Ulan?“, fragte sie vorsichtig und ich bekam eine Gänsehaut, als sie meinen Namen sagte.
„Sicher“, antwortete ich.
„Ich will nicht tanzen“, meinte sie leise.
Ich zuckte mit den Schultern. „Es ist doch normal, nervös zu sein“, meinte ich. „Das ist ein ganz neuer Abschnitt deines Lebens.“
„Ich bin nicht nervös“, brummte sie. „Ich will einfach nicht tanzen. Ich will keinen Stamm gründen und keine Steine bekommen. Ich wollte das nie und ich bezweifle sehr, dass ich das jemals wollen werde.“
Vollkommen überfordert stammelte ich etwas wie: „Meine Güte, Taxáry, du bist erst neunzehn, woher willst du wissen dass sich dein Wunsch in einem Jahr nicht geändert hat...“ Dabei fühlte sich der Stein in meiner Tasche unheimlich schwer an. Schon kurz, nachdem ich Taxáry kennengelernt hatte, habe ich ihn gefunden. Ich wollte ihn ihr bei dem Tanz geben, doch offensichtlich wollte sie nicht tanzen. Und ich wiederum wollte sie nicht zu etwas zwingen. Um ehrlich zu sein, hätte ich ihr einfach sagen sollen, dass sie es nicht tun muss. Zusammen würden wir einen Weg finden.
„Du kapierst es nicht“, schnauzte sie mich an. „Ich will diese ganze Rolle nicht erfüllen. Ich wünschte, ich wäre du, das wäre weniger nervig als das hier.“ Bei den letzten Worten machte sie eine vielsagende Geste über sich selbst.
In meinem Kopf ratterten die Zahnräder auf Hochtouren. „Also“, schloss ich nach einer viel zu langen Weile und zog die Brauen hoch. „Du willst ein Kerl sein.“
Taxáry errötete. „So würde ich das jetzt nicht ausdrücken“, meinte sie/er, „aber... ja. Denke schon. Ich bin ein Kerl. Zumindest gefällt mir die Weise, wie du und die anderen Männer unseres Stammes leben, viel mehr, als das, was die Frauen fabrizieren. Das bin nicht ich.“ Kurz presste sie die Lippen zusammen.
Der Stein in meiner Tasche drückte warm gegen meinen Oberschenkel. Ein Grinsen schlich sich auf meinen Mund. „Schade“, sagte ich, und noch bevor Taxárys Gesicht versteinern konnte, fügte ich hinzu: „Dabei wollte ich dir unbedingt den hier geben.“ Vorsichtig zog ich den schimmernden rotbraun-gestreiften Stein heraus und hielt ihn (ihr) ihm hin. „Ich muss dich nicht erst tanzen sehen um zu wissen, dass ich bei dir sein will.“
Taxáry sah von mir auf den Stein, dann wieder zu mir, bevor er plötzlich die Arme ausbreitete und mich in einer stürmischen Umarmung niederriss. „Du Blödkopf“, grinste er.
Einen Moment lang genoss ich einfach nur seine Nähe, dann sagte ich: „Du kommst mit mir mit zum Tanz. Als Zuschauer. Mit einem Stein. Und du bleibst bei mir.“ Vorsichtig küsste ich ihn auf die Stirn. „Dir wird nichts passieren.“
„Danke“, lächelte Taxáry.