Rufus war sich sicher, dass Abraxas nicht den Mumm hatte, sofort seine Hand zu heben, also trat er selbst vor. Was Tom da erschaffen hatte, war wirklich ein beeindruckender Zauber. Ein Mal, das sich nicht nur veränderte, sondern sie auch instinktiv wissen ließ, wo sich Tom befand, war ein Zauberspruch, der seinesgleichen suchte. Er war stolz darauf, ein Lestrange zu sein, zu einer der bedeutendsten Familien zu gehören, doch dieser Junge mit dem Namen eines Muggels bewies einmal mehr, dass er wirklich von Salazar Slytherin selbst abstammte.
Das änderte nichts daran, dass Rufus noch immer eine tiefe Verachtung für Tom empfand. Es änderte nichts daran, dass er sich durch die Arroganz und Überheblichkeit angegriffen fühlte, dass er ihm am liebsten einen fiesen Fluch auf den Hals gehetzt hätte. Gerade, dass Tom Riddle immer wieder seinen Respekt erlangte, störte Rufus. Die Art, wie er Hermine als herausragend präsentierte, obwohl sie nur ein einfaches Weib war, störte Rufus. Wie sie gezittert hatte, während Tom ihr das Dunkle Mal auf den Arm gebrannt hatte. Wie erbärmlich sie gezittert hatte. Er würde ihm beweisen, dass ein Mann wesentlich mehr aushielt als eine Frau. Er würde ihm beweisen, dass eine Frau niemals ihm, einem Mann aus dem Hause Lestrange, ebenbürtig sein könnte. Es wurde Zeit, dass Tom seine Fixierung auf die Hexe loswurde.
Mit unbewegter Miene, um sich nicht aus Versehen seine Abneigung anmerken zu lassen, rollte Rufus seinen Ärmel hoch.
„Ich wusste, dass du nicht zögern würdest", lobte Tom ihn grinsend und schlug ihm freundschaftlich auf die Schulter. Es kostete Rufus alle Selbstbeherrschung, ihn nicht wütend anzufahren. Dieser Tonfall, von oben herab, als wäre Tom ein Schulmeister, der seinen Lieblingsschüler lobt.
Als das Lächeln von Toms Lippen verschwand und stattdessen einem konzentrierten Ausdruck Platz machte, wurde Rufus gegen seinen Willen nervös. Tom ließ sich selten anmerken, dass ihm etwas schwerfiel, zu stolz war er darauf, als Wunderkind, dem alles gelang, zu gelten. Dass er bei diesem Zauber jede Fassade fallenließ, konnte nur bedeuten, dass er sich tatsächlich anstrengen musste. So ungern er es auch vor sich selbst zugab, das flößte Rufus Angst ein.
Dieselben Bewegungen, die er zuvor bei Hermines Arm durchgeführt hatte, leiteten auch jetzt das Ritual ein, welches das Dunkle Mal in seinen Arm brennen würde. Rufus versuchte, der flüssigen Bewegung zu folgen, doch sie war zu komplex – und dann bestand seine Welt nur noch aus Schmerz.
Ein für alle deutlich hörbares Stöhnen entwich ihm, ehe Rufus sich wieder unter Kontrolle hatte. Gegen das Zittern, das seinen Körper erfasste, konnte er nichts tun. Er wusste, wenn ein Körper vor Schmerzen anfing zu zittern, bewegte man sich an einer gefährlichen Grenze. Wenn die Muskeln versagten, sich nicht mehr kontrollieren ließen, riskierte man, ernsthafte, bleibende Schäden davonzutragen. Verzweifelt bemühte er sich, zumindest eine ruhige Atmung beizubehalten, um das Ganze nicht noch schlimmer zu machen, doch umsonst.
Mit einem weiteren Stöhnen sackte er auf die Knie. Das hier war kein Cruciatus, doch das Gefühl war unendlich viel schlimmer. Er hatte dem nichts entgegen zu setzen. Sein Verstand war ohnmächtig. Als hätte er den Sturz vorhergesehen, folgte Tom ihm auf den Boden, ohne den Zauberstab von seiner Haut gleiten zu lassen. Seine freie Hand ruhte auf seiner Schulter. Es war wieder eine herablassende Geste, doch Rufus war zu abgelenkt, um sich darum zu kümmern.
Dann war es endlich vorbei. Als hätte nie ein Schmerz existiert, spürte Rufus nichts mehr dort, wo nun das Mal prangte. Es war hässlich, doch auf eine Art, die ihm gefiel. Wer dieses Mal trug, der scheute sich nicht vor seiner eigenen, schwarzen Seele. Es war ein Symbol, das man mit Stolz tragen musste – oder gar nicht.
Schwer atmend richtete er sich wieder auf: „Interessante Erfahrung."
Ein wissendes Grinsen spielte um Toms Lippen: „Tut mir leid, dass es so schmerzhaft ist."
Als wäre es eine Kleinigkeit, winkte Rufus ab: „Ach, so schlimm ist es nun auch wieder nicht."
Das Grinsen auf Toms Gesicht wurde noch breiter. Rufus erwiderte er. Für einen Moment starrten sich die beiden Jungen nur an, dann schlug ihm Tom erneut auf die Schulter, ehe er sich zu Abraxas wandte. Augenblicklich ließ Rufus sein Grinsen verschwinden. Tom hatte ihm unausgesprochen eine klare Botschaft übermittelt. Er würde seine Erwartungen nicht erfüllen und stattdessen den Befehl ohne zu murren ausführen.
Während Tom Abraxas auf den Zauber vorbereitete, richtete Rufus sein Wort an Hermine: „Ich muss Ihnen meinen Respekt aussprechen, Miss Dumbledore. Sie haben diese Schmerzen genommen, als wären sie nichts."
Rufus konnte deutlich sehen, wie ein kalkulierender Ausdruck in ihre Augen trat: „Danke. Wenn ich mich nicht so gut mit Schmerzen auskennen würde, wäre ich gewiss auch zu Boden gegangen."
Was für eine Schlampe. Wenn Tom nicht anwesend gewesen wäre, er hätte ihr hier und jetzt einen Unverzeihlichen auf den Hals gehetzt. Innerlich rief Rufus sich zur Ordnung. Er war ein Lestrange. Ein Lestrange bewahrte in jeder Situation einen kühlen Kopf und wägte rational alle gegebenen Faktoren ab. Ein bedeutender Faktor jetzt gerade war, dass Tom ihnen hatte beweisen wollen, dass Hermine sich einen Platz im innersten Kreis verdient hatte – und es war ihm leider gelungen. Er hatte das zu respektieren, das hatte Tom deutlich gemacht, und er hatte sich geschworen, diesen Respekt zu zeigen, auch wenn Tom vermutlich das Gegenteil erwartet hatte. Er würde sich nicht von ihrer Arroganz aus dem Gleichgewicht bringen lassen.
„In der Tat, wir Schüler von Hogwarts können uns glücklich schätzen, dass wir vor Ereignissen geschützt werden, die uns schmerzhafte Erfahrungen einbringen", erwiderte er stattdessen kühl: „Ich entnehme Ihren Worten, dass Ihre alte Schule nicht umsichtig genug war?"
Zu seiner Überraschung lachte Hermine kurz auf. Er war sich sicher, dass sie seine Beleidigung gegen ihre Heimat verstanden hatte, doch offenbar störte sie sich gar nicht daran. Ihre Antwort war noch verwirrender: „Meine alte Schule war exakt ebenso umsichtig wie Hogwarts. Meine schmerzhaften Erfahrungen habe ich tatsächlich erst durch Tom gemacht, wenn Sie verstehen, was ich meine."
Rufus konnte gerade noch verhindern, dass sein Gesicht sich zu einer schockierten Maske verzerrte. Das Funkeln in ihren Augen, das Zwinkern, der neckische Tonfall – es war offensichtlich, was sie andeuten wollte. Selbst von einer Amerikanerin hätte er eine solche Offenheit nicht erwartet, ebenso wie diese Andeutungen Details waren, die er nicht über Tom wissen wollte. Angespannt erklärte er: „Die Intimitäten Ihres Schlafzimmers sollten Sie vielleicht nicht ganz so freizügig teilen, Miss Dumbledore."
Hermines Augen wurden groß: „Meines Schlafzimmers? Mr. Lestrange, was unterstellen Sie mir da? Ich sprach lediglich über die Proben, die gewiss wir alle durchlaufen mussten, um uns vor Tom zu beweisen. Ich kann nicht glauben, dass Sie ... Ihre Gedanken erschüttern mich."
Mit offenem Mund starrte Rufus sie an. Es war eindeutig, was sie angedeutet hatte, ihre ganze Körpersprache und Mimik hatte es verraten – doch natürlich würde keine Dame das wirklich aussprechen. Und er war sehenden Auges in ihre Falle gelaufen. Wie ein Anfänger hatte er sich dazu hinreißen lassen, Tatsachen auszusprechen anstatt diskret zu bleiben. Alles nur, weil er Hermine Dumbledore nicht zugetraut hatte, subtil vorgehen zu können. Alles nur, weil er sich so sehr von Tom und seiner Geliebten provoziert fühlte.
Flammender Hass stieg in ihm auf, während er den triumphierenden Blick von Hermine auf sich spürte. Dass eine Frau ihn so sehr reizen konnte, war jenseits seiner Vorstellungskraft. Kein Wunder, dass sie mit Dumbledore verwandt war. Sowohl der Professor als auch seine Nichte waren einfach unerträglich. Und die Arroganz, die Tom schon immer ausgestrahlt hatte, schien auch auf sie abzufärben.
Es wurde Zeit, dass er aufhörte, so passiv zu sein. Er hatte Tom Treue und Gefolgschaft geschworen, doch nie zuvor hatte er das weniger ernst gemeint als in diesem Moment. Er musste endlich seinen eigenen Zug machen, sich in Position bringen, um zu verhindern, dass Tom endgültig die Macht über alle wertvollen Reinblut-Sprösslinge gewann. War er nun Slytherins Erbe oder nicht, war er auch noch so begabt als Zauberer, er konnte nicht zulassen, dass dieser arrogante Sohn eines Muggels an die Macht kam. Da würde er sich lieber dem wahnsinnigen Grindelwald anschließen.
Um seine hasserfüllten Gedanken unter Kontrolle zu bringen, wandte er sich zum Tom und Abraxas um. Grimmig beobachtete er, wie Tom auch bei Abraxas den Spruch ausführte. Ein Schwächling wie dieser Malfoy wäre niemals in der Lage, das Mal ohne Aufstand zu erhalten. Er würde schreien, dessen war Rufus sich sicher. Wenn er schon beinahe geschrien hätte, würde Abraxas es kaum aushalten können.
Hermines Augen wanderten besorgt zu Abraxas. Sie wusste nicht, wie er mit Schmerzen umgehen würde. Sie hoffte, dass er es überstehen würde. Als Toms Zauberstab wieder still stand und die ersten Linien auf dem Unterarm erschienen, verfärbte sich die sonst wie Porzellan wirkende Haut grau. Doch wie sie selbst schien Abraxas darum bemüht, keinen Ton von sich zu geben. Er zitterte nicht einmal. Er stand einfach da, die Augen geschlossen, seine rechte Hand zur Faust geballt, und ertrug den Schmerz. Hermines Achtung vor ihm stieg. Im Gegensatz zu seinem Enkel, der schon bei der kleinsten Gelegenheit rumjammerte, bewies sich Abraxas gerade als echter Mann.
Amüsiert bemerkte sie, dass auch Rufus die Ruhe von Abraxas nicht entging. Sie hatte den armen Jungen heute wahrlich schon genug geärgert, doch sie konnte einfach nicht an sich halten. Die Verachtung, die er ihr entgegenbrachte, einfach nur, weil sie eine Frau war, war ihr unerträglich. Und so flüsterte sie ihm zu: „Abraxas scheint Ihnen zuzustimmen, dass der Schmerz gar nicht so schlimm ist."
Triumphierend beobachtete sie, wie sich die Augen von Rufus verengten, doch er gab ihr keine Antwort. Vermutlich überlegte er im Stillen gerade, wie er sie am besten unbemerkt töten könnte. Ihr war nicht entgangen, dass dieser intelligenteste Todesser nicht vollständig hinter Tom stand. Nicht, weil er etwas gegen Weltherrschaft hatte oder gar weil er ein Muggel-Freund war. Nein, Rufus Lestrange schien einfach ungewillt, sich irgendjemandem zu beugen. Und Tom, der trotz seiner alten Blutlinie eben kein Reinblut war, musste dem armen Rufus wie ein Schandfleck erscheinen.
Nachdenklich legte Hermine den Kopf schräg. Vielleicht sollte sie Tom gegenüber erwähnen, dass sie Rufus nicht traut und vermutet, dass er sie gerne unter der Erde sehen würde. Tom würde schon dafür sorgen, dass Rufus ihr kein Haar krümmen würde. Immerhin hatte er ihr versprochen, sie zu beschützen.
Tief seufzend blickte sie auf das Dunkle Mal an ihrem Arm. Wenn Ron sie jetzt sehen könnte. Oder Harry. Wenn sie hören würde, welche giftigen Worte sie von sich gab. Wie sie absichtlich den Zorn von Tom auf einen anderen Menschen lenken wollte. Ob Ron sie überhaupt wiedererkennen würde? Immerhin hatte er sich immer von ihrem großen Herzen beeindruckt gezeigt. Was war davon noch übrig? Unter den Ratschlägen von Dumbledore hatte sie sich Tom angenähert und sich so gegeben, wie eine echte Slytherin es tun würde. Und dann hatte Tom ihr gezeigt, wie viel finsterer es in ihrer Seele aussah.
Das Dunkle Mal auf ihrem Arm war der Beweis dafür, dass sie nicht mehr Hermine Granger war und es auch nie wieder sein könnte. Sie stand hier, in der Nähe der Kammer des Schreckens, sorgte sich um einen Malfoy, tauschte spitze Worte mit einem Lestrange aus und suchte die Nähe von Voldemort. So surreal das auch wirkte, Hermine konnte es einfach nicht falsch finden. Das Dunkle Mal war eine Erinnerung daran, dass sie sich nun auf die Seite des Bösen gestellt hatte, doch ihre Loyalität lag noch immer bei Harry. Sie mochte anders über die Welt denken als noch vor drei Monaten, aber Tom würde niemals ihre wahre Loyalität besitzen.
„Hermine, Liebes."
Die sanfte Stimme von Tom riss sie aus ihren Gedanken. Er war fertig mit Abraxas, der nun schweratmend seinen Arm betrachtete. Mit einem Wink seiner Hand beorderte Tom sie an seine Seite.
„Unsere beiden Freunde haben sich heute gut geschlagen, was?", flüsterte er ihr zu, laut genug, damit die beiden anderen es auch hören konnten. Sanft gab er ihr einen Kuss auf den Kopf und legte einen Arm um ihre Schultern, ehe er an alle gerichtet fortfuhr: „Ich habe euch heute nicht nur hergeholt, um das Dunkle Mal auszuprobieren. Wie ihr beide sehr wohl wisst, habe ich seit geraumer Zeit mit dem Gedanken gespielt, Hermine offiziell zu einer der Unsrigen zu machen. Sie hat als erste das Mal empfangen, also steht sie von nun an rechtmäßig in unseren Reihen."
Hermine ließ zu, dass eine Welle der Erschöpfung über sie rollte. Sie hatte seit Donnerstag unermüdlich daran gearbeitet, sich Tom zu beweisen, sie hatte das Dunkle Mal trotz der Schmerzen akzeptiert, nun konnte sie sich zumindest einen kleinen Moment der Schwäche gönnen. Entspannt lehnte sie sich in den Arm von Tom und legte ihren Kopf an seiner Schulter ab.
„Ich möchte jedoch eines ganz klar stellen", erklärte Tom, sein Tonfall nun schärfer: „Hermine ist meine Partnerin, nicht nur als Geliebte, sondern auch bei meinen Plänen. Sie hat mir inzwischen zwei Mal weitergeholfen, wo sogar ich gescheitert bin. Ich erwarte von euch, dass ihr sie mit demselben Respekt behandelt, den ihr auch mir gegenüber an den Tag legen würdet. Ich hoffe, ich muss das nur dieses eine Mal sagen."
Grinsend verbarg Hermine ihr Gesicht an seiner Brust. Er mochte sich in ihrer Gegenwart manchmal wie ein Bastard verhalten, aber er machte seine Worte wahr: Er würde auf sie aufpassen. Tom Riddle hatte es sehr ernst gemeint, als er ihr gesagt hatte, dass sie ihm gehörte, dass ihr Leben ihm gehörte. Auf eine ungreifbare Weise fühlte sich das sehr, sehr gut an.
Schelmisch schielte sie zu ihm hoch und flüsterte leise: „Ich werde ebenfalls nicht zulassen, dass sie respektlos zu dir sind."
Spielerisch hob er eine Augenbraue hoch: „Als ob ich den Schutz einer Dame benötige."
Ebenso spielerisch erwiderte sie: „Als ob ich den Schutz eines kleinen Jungen brauche."
Er lachte kurz auf, dann beugte er sich zu ihr hinab und küsste sie. Es war ein Kuss voller Versprechen, eine Andeutung dessen, was sie vermutlich heute Nacht zurück in ihrem Schlafzimmer noch von ihm zu erwarten hatte. Aber es war auch eine öffentliche Zurschaustellung seines Besitzanspruches. Bereitwillig erwiderte Hermine den Kuss. Tom war nicht länger der überlegene Lord Voldemort, vor dem sie ängstlichen Respekt hatte, sondern einfach nur der Junge, mit dem sie zusammen war.
Gierige Hitze breitete sich in Hermine aus, während ihre Gedanken zu ihrem Bett und der Zeit alleine mit Tom wanderten.