Hermine nippte an ihrem Tee und starrte aus dem Fenster. Es war nun drei Wochen her, dass sie zuletzt mit Dumbledore, ihrem angeblichen Onkel, gesprochen hatte. Drei Wochen, in denen sich für sie so viel geändert hatte. Sie hatten sich im Unterricht stets freundlich zugenickt, doch darüber hinaus hatte sich nie die Gelegenheit geboten, privat zu sprechen. Jetzt war sie erleichtert und angespannt gleichzeitig, endlich wieder in seiner Präsenz zu sein.
„Nun, Miss Granger, haben Sie Fortschritte gemacht?"
Die Stimme von Dumbledore klang neutral, doch irgendetwas sagte Hermine, dass er ebenso angespannt war wie sie. Seufzend stellte sie ihre Teetasse auf seinen Schreibtisch zurück: „Ja und nein. Tom öffnet sich mir mehr und mehr, ich bin ihm näher, als ich jemals für möglich gehalten hätte. Doch was meine eigentliche Mission angeht, bin ich noch immer nicht schlauer. Ich weiß einfach nicht, warum ich hier bin. Ich habe noch nichts über ihn herausgefunden, was ich nicht entweder schon wüsste, oder was für einen Krieg völlig irrelevant ist."
Interessiert beugte er sich vor: „Sind Sie sicher, dass Ihr Wissen für den Krieg irrelevant ist? Wie kommen Sie zu der Einschätzung?"
Unwillkürlich errötete Hermine. Sie wollte ihre intimen Erlebnisse mit Tom nicht vor Dumbledore ausbreiten, zumal sie sich wirklich sicher war, dass seine sexuellen Präferenzen in der Schlacht um Hogwarts keinen Unterschied machen würden. Ausweichend erklärte sie: „Sein ... romantisches Interesse ist wohl kaum hilfreich."
„Versuchen Sie überhaupt, an seine Schwäche heranzukommen?"
Wütend ballte Hermine die Fäuste: „Was wollen Sie damit sagen?"
Noch immer mit unbewegtem Gesichtsausdruck hob Dumbledore die Hände: „Ich will nichts sagen, ich frage."
Aufgebracht schüttelte sie den Kopf: „Blödsinn. In Ihrer Frage schwingt die Unterstellung mit, dass ich mich nicht mehr um meine Mission kümmere. Genau dasselbe haben Sie schon in den letzten Gesprächen angedeutet. Bei allem Respekt, Sir, aber was glauben Sie eigentlich, warum ich hier bin? Wenn irgendeiner von uns seine Mission ständig vor Augen hat, dann bin ich das. Sie haben keine Ahnung, was ich in den letzten Wochen getan habe, um Toms Vertrauen zu gewinnen. Sie wissen nichts über ihn, Sie haben keine Ahnung, was für ein Monster er eines Tages werden wird. Ich lasse mich von Tom zu abstoßenden Dingen zwingen, weil ich die Zukunft der magischen Welt retten will. Und Sie implizieren immer und immer wieder, dass ich wie ein liebeskranker Trottel Tom verfallen bin?"
Ernst faltete Dumbledore seine Hände vor sich auf dem Tisch: „Ich wollte Ihnen nicht zu nahe treten, Miss Granger. Ich habe jedoch in letzter Zeit häufiger Gespräche zwischen Schülern mitbekommen, die sich darüber unterhalten haben, wie nahe Sie Tom Riddle stehen. Wie gut Sie zu ihm passen. Ebenso kann ich beobachten, dass Sie oft in seiner Nähe sind und dabei nicht unwillig wirken. Da können Sie mir kaum vorwerfen, dass ich besorgt bin."
Energisch stand Hermine auf, die Hände zu Fäusten geballt, und erwiderte: „Nein. So leicht mache ich es Ihnen nicht. Wissen Sie, was wirklich das Problem ist? Das wirkliche Problem ist, dass ich anfange, in Tom einen Jungen zu sehen, ganz, wie Sie es selbst gesagt haben. In manchen Augenblicken sehe ich in ihm einen ganz normalen Menschen, der eigentlich nur Zuneigung und Bestätigung will. Ich sehe ihn an und frage mich, ob seine Seele nicht zu retten wäre. Ob ich ihn nicht von seinem Pfad abbringen könnte, wenn ich ihm echte Liebe zeige. Wenn ich ihm beweise, dass er ein wertvoller Mensch ist, der nicht auf Gewalt angewiesen ist, um sich Gehört zu verschaffen. Können Sie sich vorstellen, wie sich das anfühlt? Tom ist siebzehn! Er mag eine furchtbare Kindheit gehabt haben, er mag schreckliche Dinge getan haben, aber er ist noch so jung! Man könnte ihn retten. Man könnte seine Seele retten!"
Schwer atmend lief Hermine vor dem Schreibtisch auf und ab. So sehr sie Tom auch hasste dafür, dass er Abraxas manipulierte, so konnte sie doch nicht darüber hinwegsehen, was das eigentlich Tragische an der Situation war. Sie bemühte sich, nicht zu schreien, als sie fortfuhr: „Haben Sie irgendeine Vorstellung davon, wie sich das für mich anfühlt? Ich weiß nämlich, ich weiß, dass ich ihn nicht retten darf. Dass ich es nicht versuchen darf. Denn sollte es mir tatsächlich gelingen, Tom irgendwie zu bekehren, dann würde der Krieg in der Zukunft nicht stattfinden und ich würde diese Zeitreise niemals antreten, wodurch ich ihn niemals retten würde und am Ende doch wieder alles kommt, wie es gekommen ist. Ich darf nichts ändern! Ich bin zum Zusehen verdammt, obwohl ich mir so sicher bin, dass noch nicht alles verloren ist. Ich bin zum Zusehen verdammt, ertrage schreckliche Dinge, lasse mich in die Dunklen Künste einführen, lasse mich foltern oder foltere andere Menschen. Alles, um irgendwie an Tom heranzukommen auf eine Weise, die in der Zukunft nützlich sein wird! Und dann kommen Sie und werfen mir vor, ich hätte vielleicht das Ziel aus den Augen verloren?"
Sie hatte sich in Rage geredet, doch sie hatte nicht länger schweigen können. Wieso betrachtete Dumbledore immer alles als kühles Logik-Rätsel? Begriff er nicht, dass sie ihre geistige Gesundheit riskierte mit jedem Tag, den sie an Toms Seite verbrachte? War ihr Opfer ihm so wenig wert? Und warum hatte sich das Schicksal ausgedacht, sie an die Seite von Tom zu schicken zu einem Zeitpunkt, wo seine Seele noch zu retten war?
Dumbledore seufzte tief: „Ich weiß nicht, ob ehrliche Wut aus Ihnen spricht, Miss Granger, oder ob Sie Tom so sehr verfallen sind, dass Sie ihn verteidigen wollen. Ich weiß es wirklich nicht und das besorgt mich. Begreifen Sie das nicht?"
Mehrmals blinzelte Hermine. Hatte er auch nur ein Wort von dem gehört, was sie gerade gesagt hatte? Hatte er verstanden, was in ihr vorging? Frustriert ließ sie sich wieder in den Stuhl sinken: „Ich glaube, wir kommen in diesem Punkt nicht zusammen, Sir. Ich sehe Tom in der Zukunft als Feind. Der Tom in dieser Zeit ist grausam, aber noch kein unmenschliches Monster. Er ist nicht der Feind. Ich kenne mein Ziel. Ich weiß, dass ich hier irgendetwas tun oder herausfinden muss, was sich in der Zukunft gegen ihn verwenden lässt. Aber Sie werden mich nicht dazu bringen, Toms Seele bereits jetzt als rettungslos verloren zu betrachten."
Leise hakte der Professor nach: „Werden Sie versuchen, seine Seele zu retten?"
Hermine fühlte Tränen in sich aufsteigen, doch sie schüttelte den Kopf: „Nein."
Sanft lächelte Dumbledore sie an: „Gut. Das ist alles, was zählt."
Sie wusste nicht, was sie noch sagen sollte. Dumbledore war immer derjenige gewesen, der sie gemahnt hatte, in Tom nicht nur ein Monster zu sehen. Jetzt, wo sie das endlich tat, warf er ihr genau das vor? Sie war nicht blind für Toms Grausamkeiten. Sie war weit davon entfernt, ihm zu verfallen oder sich gar in ihn zu verlieben. Aber sie verstand ihn inzwischen besser, gerade weil er ihr half, dass sie sich selbst besser verstand.
Sie nahm einen tiefen Schluck von ihrem Tee, dann wechselte sie das Thema: „Ich werde Ihnen am Tag meiner ... Abreise eine Liste geben. Ich habe schon jetzt Menschen getroffen, die mich in der Zukunft sehen werden. Sie müssen diese Menschen rechtzeitig darüber aufklären, wer ich bin, damit es nicht zu merkwürdigen ... Verwirrungen kommt."
Dumbledore nickte: „Selbstverständlich. Haben Sie in der Zwischenzeit darüber nachgedacht, wie Ihr Gemälde in die Kammer kommt?"
Hermine schluckte. Das hatte sie in der Tat und die Lösung, die ihr eingefallen war, gefiel selbst ihr nicht: „Ich werde es selbst dort hinbringen."
Überraschung blitzte in seinen Augen auf: „Sie? Ich dachte, Sie sind kein Parselmund?"
Vorsichtig, um nicht zu viel preiszugeben, erklärte sie: „Das ist auch korrekt. Aber ich weiß inzwischen, dass ich die Kammer selbstständig öffnen kann. Ich muss ja sowieso dahin, oder nicht? Ich muss an den Ort zurückkehren, an dem meine Zeitreise gestartet ist. Ich werde also das Gemälde aufhängen und dann den Verwechslungszauber auf dem Zeitumkehrer beenden."
Nachdenklich rieb Dumbledore sich das Kinn: „Das wird schwierig. Immerhin werden Nicolas und ich den Zeitumkehrer brauchen, um ihn für Ihre Zeitreise zu präparieren."
Hermine fluchte leise. Daran hatte sie gar nicht mehr gedacht. Angestrengt zog sie die Augenbrauen zusammen: „Aber Sie haben doch einen eigenen Zeitumkehrer, oder? Sie könnten doch den nehmen?"
„Theoretisch schon", stimmte er ihr zu: „Aber ich möchte nicht riskieren, dabei etwas falsch zu machen. Ich bin mir sicher, dass schon immer dieser Zeitumkehrer für die Zeitreise genommen wurde, kein anderer. Er wurde also schon unendlich oft zerstört und wieder hergerichtet. Ich bin mir nicht sicher, ob es nicht zu Nebeneffekten kommen würde, wenn wir plötzlich einen anderen Zeitumkehrer ins Spiel bringen."
Verständnislos schüttelte Hermine den Kopf: „Aber es ist Ihr Zeitumkehrer! Es ist doch praktisch derselbe, den Sie schon besitzen."
„Es ist nicht wirklich derselbe", widersprach Dumbledore, „deswegen will ich nichts riskieren. Vielleicht macht es keinen Unterschied, aber es geht doch auch anders. Wie wir bereits festgestellt haben, müssen Sie den Zeitumkehrer nicht bei sich haben, um in Ihre Zeit zurückkehren zu können. Ich kann den Zauber von hier aus beenden, während Sie unten sind. Oder ich begleite Sie."
Mit geschlossenen Augen kramte Hermine in ihrem Gedächtnis. Professor Dumbledore hatte damals in ihrem zweiten Schuljahr nicht gewusst, wo die Kammer war. Wenn er es gewusst hätte, dann wäre er sicherlich eingeschritten, immerhin stand Ginnys Leben auf dem Spiel. Gewiss würde doch selbst Dumbledore nicht das Leben einer jungen Schülerin aufs Spiel setzen, um einen Plan einzuhalten? Zu ihrem großen Unwohlsein war sich Hermine da tatsächlich nicht mehr so sicher. Sie beschloss, dass sie ihm diese Gewissensentscheidung einfach abnehmen würde: „Das ist nicht möglich. Ich weiß, dass Sie zu meiner Zeit nicht wussten, wo die Kammer liegt oder wie man sie öffnet. Also kann ich es Ihnen jetzt leider nicht zeigen."
Offensichtlich unzufrieden mit der Antwort nickte Dumbledore: „Na schön. Ich werde darauf vertrauen müssen, dass Sie dem Monster der Kammer nicht zum Opfer fallen. Wie gedenken Sie, mir zu signalisieren, dass das Gemälde platziert ist und ich den Zauber sprechen kann?"
Das war in der Tat ein guter Einwand. Sie konnte schlecht eine Eule mit sich nehmen, denn soweit sie wusste, schloss der Eingang zur Kammer sich nach kurzer Zeit von selbst wieder. Ob die Eule einen anderen Weg hinaus finden konnte, wagte Hermine zu bezweifeln. Gedankenverloren zupfte sie an einer Locke: „Sie könnten mir beibringen, über einen Patronus eine Nachricht zu schicken."
Dumbledore hob beide Augenbrauen: „Ich weiß nicht, ob ich Ihnen den Patronus-Zauber beibringen kann."
Unwillig verzog Hermine das Gesicht. Dachte er wirklich, dass sie unfähig wäre, einen Patronus zu sprechen? Warum? Weil sie in seinen Augen den Dunklen Künsten verfallen war? Grimmig packte sie ihren Zauberstab und rief sich die Erinnerung daran in den Sinn, als sie vor so vielen Jahren ihren Hogwarts-Brief erhalten hatte. Obwohl sie auch danach viele glückliche Momente erlebt hatte, war dies die eine Erinnerung, die sie immer zuverlässig glücklich machte. Entschlossen sagte sie: „Expecto Patronum."
Ihr kleiner Otter kam aus der Zauberstabspitze und tanzte vergnügt um sie. Wenn Hermine ehrlich zu sich war, war sie ein wenig erleichtert darüber, dass sie tatsächlich noch in der Lage war, einen Patronus zu zaubern. Nach all dem, was sie in den letzten Monaten hier erlebt hatte, hatte ein wenig Zweifel an ihr genagt.
„Ein gestaltlicher Patronus", sagte Dumbledore mit ein wenig mehr Achtung in seiner Stimme: „Das ist beeindruckend. Wenn Sie einen gestaltlichen Patronus zaubern können, ist der Rest gar nicht so schwer. Wichtig ist, dass Sie klar und deutlich sprechen, damit die Botschaft nicht verloren geht, und dass Sie einen konkreten Willen in den Patronus pflanzen, ehe Sie ihn losschicken."
Hermine vergaß, dass sie eigentlich wütend auf Dumbledore war, zu fasziniert war sie davon, diesen kleinen, nützlichen Trick zu lernen. Zu ihrer Zeit hatten nur Mitglieder des Orden des Phönix' gewusst, wie man einen Patronus zu Kommunikationszwecken nutzt, so dass Hermine schon immer angenommen hatte, dass irgendeines dieser Mitglieder den Zauber dafür erfunden haben musste. Dass Dumbledore nun in der Lage war, ihr das beizubringen, legte nahe, dass er die Quelle war. Gierig sog sie alles auf, was er ihr zu sagen hatte, versuchte immer wieder, seinen Anweisungen zu folgen und legt all ihren Willen darein, ihrem Otter eine Nachricht einzupflanzen.
Immerhin ein positives Ergebnis würde dieser Sonntagvormittag haben. Sie war zwar kaum schlauer als zuvor, wie Dumbledore den Zeitumkehrer reparieren wollte, doch immerhin waren sie nun einen Schritt weiter, um ihre Rückreise zu sichern.