„Du bist wie immer eine Augenweide, mein Herz.“
Kopfschüttelnd nahm Hermine die dargebotene Hand. Sie wusste, dass sie keine Schönheit war, auch wenn ihre Schneidezähne nicht länger zu groß und ihre Haare dank Magie gebändigt waren. Eine Dame wie Beatrix Parkinson besaß alleine durch ihre Haltung und Ausstrahlung eine Eleganz, die ihr selbst immer fehlen würde. Trotzdem schenkte sie Tom ein Lächeln und bedankte sich, als wäre es das Selbstverständlichste der Welt, so ein Kompliment zu hören.
„Die Vorzeichen unserer Beziehung haben sich ganz schön geändert seit dem letzten Treffen des Slug-Clubs“, sagte Tom leise zu ihr, während sie sich unterhakte.
Amüsiert kicherte Hermine: „Negativer als wir beide zu dem Zeitpunkt kann man schwerlich sein.“
„Was höre ich da? Zustimmung aus dem Mund von Miss Dumbledore? Du siehst also auch, dass wir uns zum Positiven gewandelt haben?“
Lächelnd schüttelte Hermine den Kopf, während sie an Toms Seite den Weg zu Slughorns Gemächern einschlug: „Nein, ganz und gar nicht. Ich habe mich zum Positiven gewandelt, du bist nach wie vor sehr negativ.“
„Sie senkte ihre Stimme, um ihm leise zuzuraunen: „Deswegen ziehen wir uns doch so magisch an.“
Hermine spürte, wie Tom neben ihr ein Lachen unterdrückte. Seine Antwort klang kalt, doch sie wusste, dass auch er Gefallen an der Unterhaltung fand: „Nach all den Wochen siehst du mich immer noch negativ?“
Sie blieb stehen, um ihn mit großen Augen und einem unschuldigen Lächeln direkt anschauen zu können: „Aber natürlich! Genau das macht doch den Reiz aus: Du bist ein böser Junge.“
Für einen Moment versuchte Tom offensichtlich, seine kalte Maske aufrecht zu erhalten, aber dann bemerkte Hermine seine zuckenden Mundwinkel und er gab nach. Breit grinsend drückte er ihr einen Kuss auf die Stirn: „Du bist vermutlich die einzige Hexe, die mein echtes Ich lieber mag als meine charmante Fassade.“
Das Lachen blieb Hermine im Hals stecken. Tom hatte vermutlich Recht mit seiner Aussage, und genau das war bei Lichter betrachtet ziemlich traurig. Dass er vor ihr keinen Menschen in seinem Leben gehabt hatte, dem er genug vertraute, um sich zu öffnen, sprach Bände. Andererseits – war es bei ihr so viel anders? Selbst nach so vielen Jahren der Freundschaft zeigten sich Harry und Ron immer noch überrascht, wenn sie etwas vorschlug, was gegen Regeln oder Gesetze war. Es war, als ob sie diese Seite von ihr nicht sehen wollten.
Tom hatte ihren Stimmungsumschwung offensichtlich bemerkt: „Worüber denkst du nach, mein Herz?“
Sie seufzte: „Mir ging nur gerade auf, dass meine Freunde … meine Freunde in Amerika mich auch nie so gesehen haben, wie ich wirklich bin. Ich war die Streberin, die sich an Regeln hielt, ihnen mit Hausaufgaben half, mehr nicht.“
Irgendwo in ihr regte sich Widerstand, als sie diese Worte aussprach, doch Hermine unterdrückte das Gefühl. Tom mochte in seinem Größenwahn und Fanatismus verblendet sein, aber er hatte sie von Anfang an dazu gezwungen, ihr echtes Wesen zu zeigen. Tom, der sie gerade fest in seine Arme schloss, um sie zu trösten.
„Ich bin für dich da, Hermine“, flüsterte er ihr zu, „egal, wie andere über dich denken, ich kenne dich. Ich bin da.“
„Ich unterbreche ja nur ungerne, aber die Schulflure sind wahrlich nicht der richtige Ort, um Zärtlichkeiten auszutauschen.“
Augenblicklich ließ Tom sie los, um sich zu dem Sprecher umzudrehen: „Ah, Rufus. Ich sehe, du bringst zum ersten Mal selbst eine Begleitung mit zu Professor Slughorn?“
Innerlich rollte Hermine mit den Augen. Lestrange und Parkinson, was für eine Kombination. Sie bezweifelte, dass Rufus tatsächlich Interesse an dem Mädchen hatte, aber was auch immer er plante, schien weitere Kreise zu ziehen, als sie zuvor vermutet hätte. Kurz schielte sie zu Tom hoch, dessen Gesicht wieder zu der perfekte Fassade des Gentlemans geworden war. Ihm schien ebenfalls bewusst zu sein, wie bedeutend Lestranges plötzlicher Sinneswandel war.
Zu viert kamen sie vor der Tür von Slughorns Gemächern an. Dieser war wie immer der perfekte Gastgeber, hatte ein Wort des Lobs für die beiden Herren und ausgesuchte Komplimente für die Damen übrig. Auch die Tischordnung war wie immer schon festgelegt worden. Verwirrt und unzufrieden stellte Hermine fest, dass sie zwischen Lestrange und Abraxas platziert worden war, anstatt wie zuvor neben Tom zu sitzen.
Es dauerte nicht lange, bis die Runde in viele Gespräche vertieft war, ein angenehmes Summen lag im Raum. Da Abraxas zu ihrer Rechten und Lestrange zu ihrer Linken beide schwiegen, hörte Hermine den verschiedenen Gesprächen am Rest des Tisches zu. Es überraschte sie nicht, dass Tom direkt neben Slughorn platziert war, ebenso wenig wie es sie verwunderte, dass die beiden sich angeregt unterhielten. Soweit sie das beurteilen konnten, unterhielten sie sich über einen schwierigen Zaubertrank, doch die Lautstärke des Raumes verhinderte, dass sie mehr verstand.
„Sie wollen mir also wirklich erzählen, da wäre keine Liebe im Spiel, Miss Dumbledore?“
Beinahe hätte sie die Worte von Lestrange nicht gehört, so leise hatte er gesprochen. Er schaute sie nicht an, sondern schien in sein Essen vertieft zu sein. Mit einem kurzen Seitenblick auf Abraxas, der gedankenverloren auf seinen Teller starrte, erwiderte sie: „Liebe ist ein starkes Wort. Ich glaube nicht, dass es angebracht ist.“
„Tom hat noch nie eine Frau so zärtlich behandelt wie Sie“, beharrte Lestrange.
Daher wehte der Wind also. Natürlich versuchte er herauszufinden, was es mit der kurzen Umarmung im Gang auf sich gehabt hatte. Immer noch flüsternd gab sie zurück: „Manchmal teilen wir Dinge. Erfahrungen. Ich nehme Toms Unterstützung gerne an. Doch missverstehen Sie mich nicht: Ich mache mich nicht von ihm abhängig.“
„Sind Sie sich da sicher? Sie haben sein Zeichen angenommen, nur durch ihn haben Sie hier in Hogwarts jenen gesellschaftlichen Rang, den Sie so offensichtlich genießen. Machen Sie die Augen auf, Miss Dumbledore, Sie sind bereits abhängig.“
Obwohl auch er noch immer leise sprach, lag eine unnachgiebige Härte in seiner Stimme. Hermine erschauderte. Versuchte Lestrange gerade, sie gegen Tom aufzubringen? Erkannte er nicht, wie gefährlich das war, wenn er ihre Loyalitäten falsch einschätzte? Sie schaute kurz zu Tom hinüber. Er war nach wie vor in ein Gespräch mit Slughorn verwickelt, doch sie sah an der Art, wie sich seine Schultern angespannt hatten, dass ihm nicht entgangen war, dass sie sich für ihn unhörbar mit Lestrange unterhielt. Flüsternd erklärte sie: „Sie missverstehen, Mr. Lestrange. Meine Loyalität gehört Tom, aber das bedeutet nicht, dass ich mich von ihm abhängig mache. Oder sind Sie abhängig von ihm, nur weil Sie ebenfalls sein Zeichen tragen?“
„Mein Name alleine reicht aus, um meine Unabhängigkeit zu sichern“, zischte Lestrange. Inzwischen hatte er Gabel und Messer beiseitegelegt und sich ihr vollends zugewandt. Er versuchte nicht länger, das Gespräch mit ihr vor den anderen zu verbergen, auch wenn er noch immer leise sprach.
„Ihr Name bedeutet gar nichts“, sagte Hermine betont kalt. Natürlich war sie nicht so naiv, wie Bedeutung der alten Reinblutfamilien zu unterschätzen. Aber sie wusste, dass niemand Tom seine Anführerrolle streitig machen würde. Es war gefährlich für diesen jungen Mann, es auch nur zu versuchen: „Ein Wort der Warnung. Du unterschätzt Tom massiv. Und du unterschätzt meine Offenheit ihm gegenüber.“
„Machst du dir Sorgen um mich?“
Zum ersten Mal, seit sie das Gespräch begonnen hatten, schaute Hermine ihren Sitznachbarn direkt an. Sie mochte Rufus Lestrange nicht, er hatte etwas an sich, was ihr Gänsehaut verursachte. Aber auch er war am Ende des Tages lediglich ein siebzehnjähriger Junge, der nicht wusste, worauf er sich hier einließ. Sie hatte keine Ahnung, wie es der Lestrange-Familie weiter ergehen würde, sie wusste nur, dass sie Anhänger Voldemorts waren. Wenn Rufus sich zu sehr gegen Tom auflehnte, riskierte sie, dass die Zeitschiene durcheinander gebracht wurde. Sie sah ihm direkt in die Augen: „Ja.“
Überraschung zeichnete sich deutlich in seinen Gesichtszügen ab: „Ja?“
„Wir wissen beide, wie wenig Sympathie wir füreinander haben. Aber das bedeutet nicht, dass ich dich tatsächlich tot sehen will“, erklärte sie, ehe sie mit einem kurzen Kopfnicken auf Tom deutete: „Tom weiß, dass wir uns unterhalten, und er wird wissen wollen, worum es ging. Darum meine Warnung. Ich werde ihm nicht verschweigen, worüber wir uns unterhalten haben.“
Ein kalkulierender Ausdruck trat in seine Augen: „Hast du ihm von unserem Gespräch vor eineinhalb Wochen erzählt?“
„Nein“, erwiderte sie: „Ich hatte keinen Anlass dazu. Nichts, was in dem Gespräch gesagt wurde, wäre für Tom irgendwie hilfreich. Aber wenn du weiter andeuten willst, dass du dich unabhängig von Tom siehst und dich gegen ihn stellen willst, werde ich darüber nicht schweigen.“
Plötzlich lag seine Hand auf ihrem Oberschenkel. Er rückte noch ein Stück näher und raunte ihr zu: „Blödsinn. Ich durchschaue dich, Hermine Dumbledore. Du hast mit dem Gedanken gespielt, ihn für mich zu verlassen, und jetzt versuchst du dich selbst mit leeren Versprechungen zu überzeugen, dass du zu Tom hältst.“
Mehrmals zwinkerte Hermine. Wo bei Merlins Barte hatte Rufus diese verrückte Idee her? Hielt er sich für so unwiderstehlich, dass er nicht anders konnte, als zu vermuten, dass alle Frauen auf ihn standen? Hatte sie ihren Standpunkt nicht klargemacht, als er ihr auf dem Weg zu Astronomie aufgelauert hatte?
„Sage nicht, ich hätte dich nicht gewarnt, Rufus. Du bist blind. Und jetzt nimmt deine Hand weg.“
Zu ihrem Erstaunen folgte Lestrange ihrer Aufforderung augenblicklich. Belustigung sprach aus seiner Stimme, als er antwortete: „Keine Sorge, Hermine. Ich unterschätze weder dich noch Tom, und ich weiß, welche Rolle du in seinem Plan spielst. Aber glaube bloß nicht, dass ich untätig zusehen werde.“
Ungläubig lachte Hermine: „Du weißt, welche Rolle ich in seinem Plan spiele? Herzlichen Glückwunsch, da weißt du mehr als ich.“
Kopfschüttelnd wandte Rufus sich von ihr ab, um mit seiner Tischnachbarin zur Linken zu sprechen. Hermine fing indessen einen Blick von Tom auf. Fragend zog er eine Augenbraue hoch. Sie zuckte nur mit den Schultern als Antwort und formte „später“ mit ihren Lippen. Grinsend nickte er.
Vorsichtig stupste sie Abraxas auf ihrer anderen Seite an: „Abraxas?“
Als hätte sie ihn tief aus seinen Gedanken gerissen, zuckte er zusammen: „Was? Oh, Hermine. Tut mir leid, ich war wohl gerade ein wenig unaufmerksam. Hast du etwas gesagt?“
„Nein, aber du hast so gedankenverloren gewirkt. Ist alles in Ordnung?“
Mit hängenden Schultern schüttelte er den Kopf: „Du machst dir zu viele Gedanken um mich, Hermine.“
„Das beantwortet nicht meine Frage.“
„Nein, tut es nicht.“
Hermine öffnete ihren Mund, um etwas zu sagen, doch es gab nichts darauf zu erwidern. Was auch immer in seinem Kopf vor sich ging, Abraxas hatte offensichtlich kein Interesse daran, es mit ihr zu teilen. Nachdenklich wanderte ihr Blick zurück zu Tom. War etwas zwischen ihm und Abraxas vorgefallen? Oder hatte seine abwesende Haltung etwas mit ihrem letzten Gespräch zu tun? Seufzend wendete sie sich wieder ihrem Essen zu.
oOoOoOo
Umgeben von einer Wärmebarriere, die gerade genug Platz für sie und Tom bot, spazierte Hermine nach dem Club-Treffen mit ihm über die Ländereien von Hogwarts. Er hatte sie dazu aufgefordert, ohne Widerspruch zu dulden.
„Also, was hast du mit Rufus besprochen?“
Nur zu bereitwillig teilte sie den Inhalt des Gespräches mit Tom. Sie hatte Rufus gewarnt, aber offensichtlich bildete er sich ein, dass sie ihn nicht verraten würde.
„Er ist zu dem Schluss gekommen, dass ich nicht loyal zu dir halte und im Gegenteil an ihm interessiert bin.“
Tom konnte ein Lachen nicht unterdrücken: „Das hat er gesagt?“
Hermine musste ebenfalls grinsen: „Ja, ziemlich wortwörtlich. Wir haben schon einmal darüber gesprochen, aber ich glaube, wir können davon ausgehen, dass Rufus nicht länger bereit ist, dir einfach nur zu folgen.“
Tom nickte langsam: „Das habe ich von Anfang an erwartet. Spätestens, seit er das Mal trägt, scheint ihm aufgegangen zu sein, dass er nichts zu sagen hat. Ich gehe davon aus, dass du meinem Wunsch nicht entsprochen hast?“
Wütend krallte Hermine ihre Hand in den Arm von Tom, unter den sie sich untergehakt hatte: „Natürlich nicht. Ich habe dir deutlich gesagt, dass ich diese Art von Spielchen nicht mitspielen werde. Manipulation mit Sex? Das ist unter der Gürtellinie und völlig daneben.“
„Aber effektiv“, gab Tom ungerührt zurück.
Hermine wusste, dass er Recht hatte. Nichts in der Geschichte der Menschheit war so effektiv wie sexuelle Versprechungen, wenn man andere Menschen manipulieren wollte. Aber das bedeutete nicht, dass sie es gut hieß. Trotz allem, was sie mit Tom getan hatte, war sie nicht bereit, ihren Körper einfach so gegen andere Schüler einzusetzen.
„Rufus weiß das übrigens“, sagte sie, ohne auf seinen Einwand einzugehen: „Er hat offensichtlich durchschaut, was deine kleine Aktion mit Abraxas wirklich bezwecken sollte. Selbst wenn ich also versuchen würde, ihn auf diesem Weg zu manipulieren, es würde nicht funktionieren, weil er Bescheid weiß. Er erwartet, dass ich versuche, ihn zu manipulieren.“
„Ach, Rufus“, murmelte Tom, während er sich nachdenklich das Kinn rieb: „Er enttäuscht mich nie. Natürlich würde er das sofort durchschauen. Ich hatte mich schon gewundert, warum er plötzlich eine Gefährtin mit zu Slughorns Feier bringt. Er folgt meinem Beispiel und sammelt seine eigenen Gefolgsleute. Spannend.“
„Wirst du ihn gewähren lassen?“, hakte Hermine nach, obwohl sie die Antwort bereits kannte.
„Natürlich nicht. Wir werden sehen, wie lange diese Maus denkt, sie sei die Katze.“