Bitte des Autors:
An alle neuen Leser/innen,
bitte seht mir die beiden ersten, nicht so gelungenen Kapitel nach. Kapitel 1 + 2 werden noch überarbeitet.
Ab dem 3. Kapitel ist das Niveau deutlich höher und auch ein Grund, weswegen so viele Menschen inzwischen meine Geschichte lieben gelernt haben.
Bahe rannte geduckt in einer dunklen Sackgasse durch den strömenden Regen. Am Ende der Gasse stapelte er ein paar alte Plastikkisten auf die halb verrosteten Müllcontainer und ermöglichte es sich so, an das vier Meter hohe Ende der Betonmauer zu kommen. Er zog sich mit einem Ruck nach oben und stieß sich gleichzeitig mit den Füßen an der Mauer ab, ehe er sich auf der anderen Seite, vorsichtig auf das Dach eines Bungalows hinunter gleiten ließ. Mit leisen Schritten lief Bahe weiter über die Dächer verschiedener Bungalows und provisorischer Hütten, die gerade in den äußeren Bereichen der Slums zum Alltag geworden waren.
Nach einiger Zeit ging es über den Boden weiter, wo er darauf achtete, den wenigen Menschen auf den vor Matsch triefenden Wegen nie zu nahe zu kommen. Zu dieser Uhrzeit konnte sonst was passieren und es würde niemanden interessieren. Nicht, dass er etwas von Wert bei sich getragen hätte.
Wobei der Begriff Wert relativ war, denn vielleicht gefielen dem ein oder anderen Obdachlosen ja seine Schuhe. Bei dem Gedanken beschleunigte Bahe seine Schritte nochmal und legte die letzten zwei Kilometer, regelrecht um sein Leben rennend, zurück.
Inzwischen waren die provisorischen Hütten und Bungalows verschwunden und hatten Platz für alte, runtergekommene Betonbauten gemacht, die in zahllosen Varianten ineinander verschachtelt dastanden und Zeugnis über vergangene Bausünden ablegten. Bahe lief immer noch durch Seitengassen und hielt sich von den beleuchteten Wegen fern. Er wagte es nicht mehr, sich seinem zu Hause über die von Leuchtreklamen und blinkenden Verkaufsschildern strotzenden Straßen zu nähern.
Mit Anlauf sprang er an eine Mauer und kletterte die letzten Meter auf das Dach eines eingestürzten Gebäudes, das sich direkt gegenüber vom Grundstück seiner momentanen Bleibe befand.
So leise wie möglich hob er einen langen Balken an und wuchtete ein Ende über die dunkle Gasse hinweg auf die Grundstücksmauer der gegenüber liegenden Seite. Der Moment des dumpfen Aufpralls hallte unnatürlich laut durch die Nacht und ließ Bahe in Gedanken an mögliche Folgen erzittern. So schnell er es wagte, huschte Bahe hinüber, kletterte auf einen alten, metallenen Schuppen hinab und zog den Balken zu sich herüber.
Nachdem er den Balken am oberen Ende des Schuppens festgeklemmt hatte, schlich er zum Rand des Schuppens und ließ sich leise zum Boden herab fallen.
Wie der Blitz huschte Bahe anschließend zur Hintertür der Erdgeschosswohnung, öffnete sie langsam, um bloß kein Quietschen zu erzeugen und schloss sie auf die gleiche quälend, langsame Art wieder.
Ein kurzes Rappeln war zu vernehmen als die Tür ins Schloss fiel und Bahe ließ sich vor Schreck instinktiv in die Hocke fallen. Einen Augenblick später hörte er schon hektische Schritte im Matsch und im nächsten Moment schlug jemand hart und laut brüllend an die Tür: „Hey! Ich weiß, dass du da bist! Du weißt, wer wir sind! Mach die Tür auf, sonst wird es nur unangenehmer für dich! Hey! Mach auf!“
Bahe hielt die Luft an und duckte sich noch näher an die Wand, um vom Fenster aus nicht ausgemacht werden zu können. Die Tür musste noch einen Augenblick länger den Schlägen des Mannes standhalten, ehe kurzzeitig Ruhe einkehrte.
„Bist du sicher, dass du was gehört hast?“, fragte eine andere Männerstimme mit starkem Akzent.
„Was soll’s denn sonst gewesen sein?“, blaffte der Mann an der Tür.
„Vielleicht war’s nur ne Ratte.“
„Ach was, ne Ratte?!“, meinte der Mann an der Tür herablassend.
„Man, ich habe doch auch Augen im Kopf. Schau dich doch mal um, wo zum Henker soll der Junge bitte schön hergekommen sein? Wir beobachten das Haus seit Tagen. Es gibt nur die Vordertür und den Weg, den wir gerade genommen haben, um in diesen Hinterhof zu kommen. Beides hatten wir immer im Blick. Hier hinten hat die Oma, der diese Ruine gehört, doch tatsächlich diese drei bis vier Meter hohe Mauer um das Grundstück errichten lassen. Der Junge kommt vielleicht über den alten Schuppen von hier hinüber, aber nicht wieder zurück. Draußen ist überall nur die kahle Wand, das Stück sind wir extra abgelaufen!“
„Fuck! Könnte sein… Der Bastard ist uns nur schon zu lange entwischt. Ich habe kein Bock mehr so ner Rotznase hinterher zu rennen.“, fluchte der Mann an der Tür und Bahe meinte sich entfernende Schritte zu vernehmen. „Lass uns zum Wagen zurück gehen. Ich habe kein Bock bei dem Wetter noch länger im Regen rumzustehen.“
Angespannt blieb Bahe zunächst an der Wand sitzen und lauschte nach draußen. Nachdem er mehrere Atemzüge nichts vernahm, tastete er vorsichtig nach einer Taschenlampe an der Garderobe und machte sich auf den Weg ins Bad. Die Deckenbeleuchtung wagte er auch hier nicht einzuschalten. Im Halbdunkeln entledigte er sich seiner durchnässten Kleidung und machte sich auf ins Schlafzimmer, als er am Spiegel hängen blieb.
Die letzten Monate hatten ihn zunehmend gezeichnet. Im bleichen Schein der Taschenlampe fiel sein abgemagerter Körper noch stärker ins Auge. Die eingefallenen Wangen und wenigen Muskeln ließen ihn immer knochiger und zerbrechlicher wirken. Zudem war Bahe für seine achtzehn Jahre noch immer recht klein und konnte mit 1,68m gerade mit den Mädchen seines Alters mithalten. Um Geld einzusparen, hatte er zunehmend auf regelmäßige Mahlzeiten verzichtet. Man musste kein Genie sein, um zu begreifen, dass sein momentaner Lebensstil alles andere als vorteilhaft in dieser Hinsicht war.
Mit hängenden Schultern ging er ins Schlafzimmer und suchte sich frische Kleidung raus. Angezogen sank er erschöpft am Bettrand zusammen und tastete unter der Matratze nach seinem wertvollstem Schatz. Es war ein altes Foto, dass ihn und seine, damals noch vollständige, Familie zeigte. Das Foto war vor vier Jahren im Wulingyuan Nationalpark aufgenommen worden.
Bahe erinnerte sich noch genau an die ersten Jahre, als er 2046 mit seinem Vater nach China zog, weil dieser hier ein lukratives Jobangebot bekommen hatte. Seine Mutter war ein Jahr zuvor in einem Autounfall gestorben und Bahes Großeltern mütterlicherseits machten ihn und seinen Vater für den Unfalltod ihrer Tochter verantwortlich und hatten jeglichen Kontakt mit ihnen abgebrochen.
Damals war Bahe froh gewesen von all den Dingen fortzukommen, die ihn stets an seine Mutter erinnerten. Sicher, er hatte zunächst seine Freunde vermisst, aber so nach und nach war er damit zu Recht gekommen. Etwa ein Jahr später stellte ihm sein Vater eine neue Frau vor, Sulin Ma, eine warmherzige Chinesin, die er schneller als er sich vorstellen konnte als Mutter akzeptierte. Bahe konnte bisher nicht sagen, woran es gelegen hatte, er fühlte sich einfach wohl in ihrer Gegenwart.
Sie kam aus einer armen Familie und ihre sehr traditionellen Eltern waren durch die hier immer noch als normal geltenden Regeln der Mitgift schrecklich verunsichert, dass ein wohlhabender Ausländer ihre Tochter ohne jeglichen Nutzen ehelichen wollte. Nach zwei Jahren in China war es dann so weit und die Hochzeit lief diesmal nach chinesischen Riten ab. Es war eine besondere Erfahrung gewesen und Bahe erinnerte sich noch immer gern daran. Kurze Zeit später kamen seine beiden kleinen Geschwister, Liana Xue und Leo Xiao, zur Welt. Der Zwillingszuwachs hatte alle überrascht und Bahes Großeltern väterlicherseits kamen an jedem Geburtstag der Kinder extra nach China geflogen. Zwei Jahre später, zu Bahes Geburtstag, dann jedoch zum letzten Mal. Bahe verbrachte eine wundervolle Zeit mit seiner Familie auf einer Rundreise durch China, an deren Ende eine Tour durch den Wulingyuan Nationalpark stand. Tränen standen ihm in den Augen als er an die letzten schönen Momente seines Lebens dachte.
Nach diesen Tagen nahm das Unglück seinen Lauf.
Sein Vater hatte Bahes Großeltern zurück nach Deutschland begleiten wollen, weil er dort Verhandlungen für seine gut laufende, aber neu gegründete Firma führen musste. Der Flug startete ohne irgendwelche Komplikationen, doch irgendwann brachen die Kommunikationssysteme zusammen und letzten Endes verschwand das Flugzeug vom Radar.
Die nachfolgenden Wochen der Ungewissheit waren die schlimmste Zeit gewesen. Irgendwann fand man jedoch das Wrack und nach und nach wurden die Leichen freigegeben.
Letztlich blieb Bahe mit seinen beiden kleinen Geschwistern, seiner Mutter und ihrer Familie zurück.
Seine Mutter tat damals alles Menschenmögliche, um die Firma seines Vaters zu retten, doch zu keinem Erfolg. Bahe musste erkennen, dass im Gegensatz zu Deutschland, hier noch viel größerer Wert auf Beziehungen und Bekanntschaften gelegt wurde. Es ging nicht um Bestechung, mit unbekannten Leuten wurden schlicht weg keine Geschäfte getätigt. Dass die Firma obendrein auch noch von einer Frau geführt wurde, deren Rolle in China in gewissen Positionen noch immer nicht wirklich anerkannt war, sorgte für den Ruin des noch so jungen Unternehmens. Nach und nach gingen die Profite zurück und am Ende musste Sulin Konkurs anmelden. Sulin konnte gerade noch alle Angestellten ausbezahlen und suchte sich einen einfachen Job als Sekretärin, der gerade genug einbrachte, um ihre kleine Familie über Wasser zu halten. Das große Anwesen, in dem sie zu der Zeit lebten, war die einzige Erinnerung an die glücklicheren Tage.
Als ob alles noch nicht schlimm genug gewesen sei, folgte dann der nächste Schicksalsschlag, den sich Bahe bis heute nicht verzeihen konnte. In einem Moment der Unaufmerksamkeit, als er gerade mit ein paar Freunden auf dem Rückweg von der Schule war, wurde er von einem Motorrollerfahrer gestreift, mitgerissen und dadurch auf die Straße geschleudert, wo er schließlich von einem Auto angefahren wurde.
Durch Glück im Unglück hatte er nur einen gebrochenen Arm, unzählige Prellungen und blaue Flecken davongetragen. Doch der teure Krankenhausaufenthalt war mehr als seine Familie aufbringen konnte. Sulin hatte die Zahlungen an die Krankenversicherung vor einigen Monaten einstellen müssen und keine seriöse Bank wollte einen Kredit für seine Behandlung an eine bankrotte Familie genehmigen. Der Verkauf ihres großen Hauses hätte zu lange gedauert und so blieb Sulin letztlich nur übrig sich an einen Kredithai zu wenden, der wuchernde Zinsen verlangte.
Bahe war gesund geworden und tat in der Folge alles, um im Alltag zu helfen. Als er eines Tages seine dreijährigen Geschwister aus dem Kindergarten abgeholt hatte, sah er wie sich seine Mutter gerade gegen drei vierschrötige Kerle erwehrte. Von Weitem hörte er nur, wie sie das Geld verlangten, dass sie ihnen schuldete und wenn sie nicht dazu in der Lage wäre, sollte sie entweder diesen Palast verkaufen, in dem sie lebten oder eben sich selbst.
Als Bahe hörte, wie einer der Männer abschätzig meinte, dass Huren und Organe immer gesucht werden würden, hatte er zu viel bekommen und war seiner Mutter zu Hilfe geeilt. Natürlich war die folgende Auseinandersetzung nicht glimpflich für ihn ausgegangen. Ein Auge, das bereits am Anschwellen war und mehrere Prellungen zeugten von seiner tatkräftigen Unterstützung, die im Grunde darin bestanden hatte, zusammen geschlagen zu werden.
Nachdem er wieder zu Sinnen gekommen war, hatte sich Sulin um Bahes weinende Geschwister gekümmert, die eine solche Gewalt mit angesehen hatten, während er unter Schmerzen die Einkäufe seiner Mutter eingesammelt und in der Küche deponiert hatte. Bahe wollte seine Mutter schließlich zur Rede stellen, wieso sie nicht einfach das Haus verkaufen wollte, um das Geld zurück zu zahlen, als er sie bewusstlos auf dem Fußboden im Flur vorfand.
Es dauerte drei Tage, von denen Sulin zwei bewusstlos zubrachte, ehe die Ärzte feststellten, was ihr fehlte. Bahe erinnerte sich noch zu gut an den Tag als der Arzt mit ernster Miene vor sie trat und die Ursache verkündete…
Die Diagnose: Gehirntumor!
Jeder Kommentar motivert mich sehr! Denkt drüber nach mir ein paar Worte da zu lassen, wenn euch das Kapitel gefallen hat. :)
RiBBoN