Stur richtete sie ihren Blick nach draußen und versuchte nicht dran zu denken, dass sie noch einige Zeit in dieser Schrottmühle verbringen musste, ehe sie ankamen.
Die Umgebung faszinierte sie genug, um sie ein wenig zu beruhigen, gleichzeitig fand sie diese aber auch sehr hässlich. Überall waren Klötzer aus Stein und Glas und kaum Natur. Außerdem gab es so viele Menschen und es war dreckig und laut! Wie konnte man nur so leben? Hatten Menschen denn keinen Respekt vor der Natur?
Die Rothaarige hoffte, dass es in ihrem neuen Zuhause wenigstens Blumen gab. Irgendwo.
Es schien eisige Stille zwischen den Anwesenden zu herrschen. Sezuna, die mit ihrer Angst zu kämpfen hatte. Kaden, der versuchte nicht auf Sezunas Angst einzugehen. Lika, die immer noch mit ihrem Handy beschäftigt war. Und Orion, der wohl im Gedanken versunken war.
Irritiert blickte der Fahrer durch den Rückspiegel nach hinten, als er an einer roten Ampel anhielt.
„Alles... in Ordnung bei Ihnen?“, fragte er zögerlich und drückte gleich wieder aufs Gas, als die Ampel von gelb auf grün sprang.
Der Vampir, der gelangweilt aus dem Fenster sah, hatte inzwischen sein Gesicht auf seine Faust abgestützt und versuchte die Regeln dieser Welt zu verstehen. Keiner der Passanten hielt Augenkontakt. Sie starrten bloß auf ihre Handys, die die Gruppe vorhin ebenfalls erhalten hatten.
„Beachte die anderen gar nicht. Die haben sie sowieso nicht mehr alle. Wann sind wir denn da?“, fragte er und legte ein ungeduldiges Seufzen nach.
„Nicht mehr lange“, antwortete Giles und musterte Lika verwundert über den Rückspiegel, die im Inbegriff war ihr komplettes Handy in seine Einzelteile zu zerlegen. Auch Orion beobachtete ihre gezielten Handgriffe, als hatte sie das schon tausend Mal gemacht.
„Wenn ihr wollt, kann ich die Ampeln dazu bringen, dass sie auf grün schalten. Auch wenn ich mir nicht sicher bin, ob ich damit ein Verkehrschaos ausrichte“, murmelte Lika leise vor sich hin, sah aber nicht von ihrem Handy auf. Diese Welt war ein Fest für ihre Sinne. Sie spürte überall Technik und selbst das Auto war sehr interessant. Am liebsten wollte sie auch dieses auseinandernehmen, doch das würde warten müssen.
Das Auto verlangsamte sich, als es in eine andere, ruhigere Straße einbog und letztendlich anhielt.
„Wir sind da“, kündigte der Mann an und stieg auch schon aus.
Zeitgleich öffnete Orion ebenfalls seine Tür und hielt diese offen, damit Lika aussteigen konnte, ohne den Blick von ihrem Handy zu nehmen. Kaden dagegen schlug Sezuna die Tür vor der Nase zu. Auch wenn sie wusste, dass er es mit Absicht tat, um sie zu provozieren, so war sie doch einfach dankbar aussteigen zu können. Erleichtert sog sie die freie Atemluft ein, doch runzelte gleich wieder die Stirn, als sie bemerkte, dass diese doch nicht so frisch war wie sie sie von zu Hause kannte.
Sie befanden sich in einer Gegend, in der auch eine Menge los war. Selbst zu dieser Stunde, denn die Sonne war schon fast hinter dem Horizont verschwunden.
„Das hier ist das Unigelände“, erklärte Giles und die Vier sahen sich interessiert um. Es gab unglaublich viele Gebäude.
„Das dort“, damit deutete Giles auf ein großes, viereckiges Gebäude, „Ist euer Wohnheim. Ihr habt Zimmer im gleichen Flur, allerdings müsst ihr sie mit anderen teilen. Also eure Wohngemeinschaften. Achtet darauf, eure Zimmer immer zu zuschließen, wenn ihr nicht gestört werden wollt“, erklärte er weiter und überreichte dann jeden von ihnen einen Zimmerschlüssel.
Kaden, der bereits mehrere Undercover-Aufträge ausgeführt hatte, runzelte die Stirn. Er war es gewohnt immer in neue Rollen zu schlüpfen, sich in neuen Umfeldern einzufügen und unauffällig zu agieren. Doch hier schien die Vorbereitung simpler zu sein.
„Was ist mit Identitäten? Keine neuen Namen?“, fragte er sicherheitshalber nach. Es schien ihm mehr als dumm so ungeschützt durch die Gegend zu laufen. Giles musste kurz lachen, während er den Kofferraum zuwarf und sich wieder der Gruppe zuwandte.
„Ihr seid hier auf der Erde. Keiner wird euch kennen, oder auch nur ahnen, dass ihr für eine geheime Organisation arbeiten könntet. Ihr braucht keine Decknamen. Und was eure Vergangenheit angeht... werdet ihr ins kalte Wasser geworfen. Ihr dürft euch frei entscheiden, nur denkt dran... nichts was auffällig wirken könnte. Versucht am besten so nah an der Wahrheit zu bleiben, wie es euch möglich ist.“
Einige der jungen Passanten zögerten kurz im Vorbeigehen und musterten die Neuankömmlinge, doch sie liefen darauf gleich wieder weiter. Bloß eine junge Frau, blieb ein wenig länger stehen und musterte die fünf ausgiebig.
Orion war der erste der einen Blick in seinem Rücken spürte, doch als er sich umdrehte, war niemand da, der ihn ansah. Auch Sezuna drehte sich um und lehnte sich ein Stück zu ihm.
„Du hast es auch gespürt?“, flüsterte sie und musterte misstrauisch die Umgebung.
Orion nickte langsam, doch er wusste nicht so recht was es war.
„Gut, dann viel Erfolg“, wünschte Giles und stieg wieder ins Auto und brauste los.
Die vier blieben zurück und blickten dem Auto hinterher.
Schließlich war es Sezuna, die laut seufzte. „Dann lasst uns mal unsere Zimmer suchen gehen“, schlug sie vor, weil sie nicht wusste, was sie sonst tun sollte.
Lika bastelte noch immer an dem Handy herum und Orion ließ den Blick über die Umgebung schweifen. Kaden hingegen hatte seinen Blick bereits auf eine Gruppe junger Frauen, die an einer Bank standen und sich unterhielten, gerichtet.
Die Vampirin ging voran, an Kaden vorbei und rempelte ihn provokant an. Dieser schien jedoch nichts zu bemerken und musterte eine junge Frau mit hellbraunen Haaren genauer, die wohl gerade über etwas lachte was ihre Freundin ihr gesagt hatte. Orion der gleich hinter Sezuna lief, zog im Vorbeigehen Kaden am Kragen mit, bevor er noch Stunden an diesem Fleck verbringen würde. Auch Lika folgte den anderen blind, ohne von ihrer Gerätschaft aufzusehen, ins Wohnheim.
Damit würde für sie der Auftrag beginnen und ein jeder von ihnen hoffte schon jetzt, dass er nicht mehr allzu lange dauern würde.
Bereits, als die Neuankömmlinge das Wohnheim betraten, bemerkten sie, dass trotz der Uhrzeit, noch genügend Aufruhr zu herrschen schien.
Lika war nach wie vor der Realität entglitten und hatte es inzwischen geschafft ihr Handy wieder zusammenzusetzen.
„Wirklich interessant“, murmelte die Blauhaarige und drehte das komplette Handy mehrmals in ihrer Hand herum.
„Konzentrier dich. Du solltest dich hier auskennen, mindestens vorübergehend.“ Lika sah auf zu Orion, der sie erwartungsvoll ansah. Erst jetzt musterte sie ihre Umgebung und realisierte, dass sie sich gar nicht mehr im Auto befanden.
Sezuna kicherte ein wenig, als sie Likas irritierten Blick beobachtete. Wie diese mit großen Augen die anderen Leute musterte, die an ihnen vorbei liefen.
„Streber und auch noch verpeilt. Ihr könntet beste Freunde werden“, merkte Kaden sarkastisch an und schielte kurz zu Sezuna, bevor sein Blick gleich wieder an ihr vorbei glitt zu einer Gruppe Mädchen, die gerade den Flur passierten.
„Sie wäre auf jeden Fall eine bessere Freundin als du“, entgegnete sie so trocken, wie möglich und machte vor einer Tür halt, um ihren Schlüssel ins Schloss zu schieben. Die Gruppe zögerte kurz und sah erwartungsvoll zu Sezuna, die sich schon so selbstverständlich benahm, als würde sie bereits seit Jahrzehnten hier wohnen. Hinter der Tür entdeckte die Vampirin als erstes eine junge Frau, die in mitten des Wohnzimmers stand und ihr Handy ans Ohr hielt.
Zögerlich sah sich Sezuna um, unsicher über ihre nächste Vorgehensweise.
Die Frau mit dem dunkelroten Haar, das einen leichten violett-schimmer besaß, sah nun zu Sezuna, wobei sie ihre schwarze Brille hochschob.
„Ja... ja ich kann jetzt nicht, ich muss gleich los. In Ordnung, wir reden später. Ich ruf dich an. Ja ich dich auch, Tschüss.“ Auch, wenn die Frau ihre letzten Worte ins Telefon flüsterte, so konnten die vier magischen Wesen doch mehr als deutlich hören, was sie gesagt hatte.
Sie steckte ihr Handy in ihre Handtasche, die auf der Couch lag und ging auf Sezuna zu, die sich mittlerweile weiter rein getraut hatte.
„Hallo, ich bin Havok.“ Sie reichte ihr ihre rechte Hand, während sie sich mit der anderen ihren Pony zurückschob, der ihr jedoch gleich wieder in die Augen fiel. „Ich hab dich um ehrlich zu sein erst morgen erwartet, aber naja. Ich muss jetzt gleich eigentlich schon los zur Arbeit und-“, Havok stockte und richtete ihren bernsteinfarbenen Blick auf die drei in der Tür. „Sind das... deine Freunde?“, fragte sie zögernd und sah abwechselnd zu Sezuna und dann zu der kleinen Gruppe.
Sezuna folgte ihrem Blick zur Tür und riss unsicher die Augen auf.
„Sowas in der Art...“, gab Sezuna zögernd zurück und hoffte einfach dass Kaden seine Klappe halten würde.
Auch, wenn es eine perfekte Vorlage gewesen wäre, hatte Kaden doch gerade andere Eindrücke zu verdauen. Eine Weile schien unangenehmes Schweigen zu herrschen, bis die Frau mit den violetten Haaren auf ihre Armbanduhr blickte und leise fluchte.
„Ehm... also ich muss jetzt los zur Arbeit.“ Sie griff schnell nach ihrer Handtasche und nahm ihre Schlüssel in die Hand. „Wenn ihr wollt könnt ihr mitkommen. Ihr seht irgendwie verloren aus, als wärt ihr neu hier in der Gegend. Ich kann euch mit zur Bar nehmen, in der ich arbeite.“
Kaden der scheinbar wieder hellwach war, warf seine Koffer an Sezuna vorbei, als hätte er nicht vor sein eigenes Zimmer zu betreten.
„Ich bin dabei, Bar hört sich gut an“, grinste der Vampir schief und steckte die Hände in die Hosentaschen, als wäre er bereit loszuziehen.
Sezuna runzelte bereits misstrauisch die Stirn, bei dem Gedanken Kaden mit ihrer Mitbewohnerin allein zu lassen. Dieser zuckte unschuldig mit den Schultern, als er Sezunas Misstrauen spürte.
„Wie wäre es, wenn du erst einmal dein eigenes Zimmer aufsuchen gehst“, flüsterte Sezuna so leise, dass sie sich sicher war, dass es ihre neue Mitbewohnerin nicht bemerkte, dafür aber Kaden.
Dieser lächelte lediglich. „Wieso sollte ich?“, fragte er und Sezuna entschied, dass sie ihre Räume zuschließen würde und damit auch seinen Koffer. Sollte er doch sehen, wie er danach wieder an seine Sachen gelangte.
Nachdem sie dies geplant hatte, lächelte sie. „Ich bin auch dabei“, erklärte sie gut gelaunt, was Orion doch ein wenig verwunderte.
Auch Kaden runzelte irritiert die Stirn und musterte Sezuna mit einem kurzen Blick. Er konnte ihre Gefühle nicht ganz deuten, besonders da sie nun mehr als erfreut war.
„Ich denke, ich werde mich erst noch ein wenig umsehen. Vielleicht ein ander‘ mal.“, entgegnete Orion und begann bereits sich mental zurückzuziehen.
„Und du Lika?“, fragte Sezuna mit einem warmen Lächeln an die Blauhaarige gewandt. Diese hob den Kopf zu Orion und dann wieder zu Sezuna, die sie erwartungsvoll ansah.
Sie wusste, dass Orion nicht gehen würde und sollte aus diesem Grund lieber mit ihm gehen. Doch dies war ihr erster unabhängiger Auftrag, sie war nicht mehr auf Orion angewiesen.
Der Werwolf, der sich bereits mehr als sicher war, dass Lika die Nacht in ihrem Zimmer verbringen würde, um an diversen technischen Geräten rumzubasteln, wartete geduldig auf die absehbare Antwort.
Lika zögerte kurz, ehe sie antwortete: „Ich denke ich werde mich hinlegen. Die Fahrt war doch sehr anstrengend.“
Die Blauhaarige lächelte ein wenig schüchtern, ehe sie ihren Schlüssel nahm und eine gegenüberliegende Tür aufschloss.
„Wir sehen uns dann morgen.“