Luca zog Willow zur Seite, während Alan sich abwandte und sich mit Sebastian auf den Weg machte. Lady Bramlett hatte ihre Aufmerksamkeit erneut Viktor gewidmet und schwärmte ihm volltönend von ihren Pferden vor und der Junge wusste, er hatte noch einen Moment.
»Ist was?«, fragte die junge Frau überrascht, als der Blonde nach ihrem Arm griff.
»Ja ... nein ... kannst du die beiden in die Halle begleiten? Ich muss noch mal kurz in den Stall, ich muss ...«
»Sag schon«, flüsterte Willow, doch Luca presste nur die Lippen zusammen.
»Nee, schon gut. Ich wollte ... nur schnell ’nen anderen Sattel für Midnightdancer holen. Du weißt doch, dass der so schnell Druckstellen bekommt ...«
Während er das sagte, linste er über die Schulter seiner Freundin und diese konnte deutlich spüren, dass Midnights eventuelles Wundscheuern nicht der Grund dafür war, warum der Jugendliche unbedingt wegwollte. Es stimmte zwar, dass der Vollbluthengst zu Satteldruck neigte, wenn die Ausrüstung nicht perfekt an ihn angepasst war, aber Lucas Verhalten deutete darauf hin, dass diese Erklärung nur ein Vorwand war, um hier wegzukommen. Nur warum? Die junge Frau konnte sich keinen Reim darauf machen, aber da ihr Freund nichts sagen zu wollen schien, knurrte sie leise und versetzte ihm einen leichten Stoß. »Okay, dann verschwinde. Ich mach das hier schon. Aber wenn du mir nachher nicht alles haarklein erzählst, kannst du was erleben!«
»Danke«, flüsterte Luca, schon in der Bewegung sich herumzudrehen und lief eilig über den Hof davon.
»Gibt es ein Problem, Miss Bennett? Ich dachte, die Tiere stünden bereits parat?« Lady Bramlett sah dem blonden Jugendlichen nach und wandte sich anschließend mit hochmütigem Gesichtsausdruck an die rothaarige junge Frau, die freundlich - und ein wenig krampfhaft - lächelte.
»Ja, das tun sie, Mylady. Luca holt für Ihren Hengst einen geeigneteren Sattel, damit Midnightdancer sich nicht unwohl fühlt«, griff sie die hanebüchene Begründung ihres Freundes auf, »Sie können mir solange schon einmal in die Reithalle folgen und Platz nehmen. Darin ist es wesentlich kühler, was auch Ihren Tieren zugutekommt. Die vertragen diese Wärme nämlich nicht gut.«
»Miss Bennett, sehr freundlich, aber Sie brauchen mich nicht über Pferde aufzuklären, ich weiß selbst genug darüber«, entgegnete Lady Amelia nur spröde.
‚So?’, dachte Willow und ließ den Blick über die Adlige wandern, ‚und warum lässt du dann deine Tiere in der größten Hitze antanzen, Mylady?’
Die junge Frau schluckte jedoch jegliche Erwiderung herunter, denn der Umgang mit affektierten Alleswissern gehörte in ihrem Job leider dazu und sie wusste, dass es nichts bringen würde, sich mit dieser Person anzulegen. Allerdings bemerkte sie ein weiteres Mal den amüsierten Blick des Grafen, der etwas hinter der Lady stand und inzwischen die Sonnenbrille abgenommen hatte. Seine fast schwarzen Augen blitzten fröhlich, als hätte er nur zu gern laut gelacht, doch tat es vermutlich nicht, weil er nicht unhöflich sein wollte. Er ließ den Blick über den Platz wandern und Willow wurde das Gefühl nicht los, dass der Graf nach Luca Ausschau zu halten schien.
Wenn es nicht so absurd wäre, würde sie tatsächlich denken, dass der Adlige und ihr bester Freund einander kannten. Luca war geradezu davongelaufen und als er den Mann zuerst gesehen hatte, war aus seinem leicht sommerlich gebräunten Gesicht jede Farbe gewichen.
Ihr war hier ganz gehörig etwas entgangen und auf Lucas Erklärung war sie mehr als gespannt. Willow seufzte leise und deutete Lady Bramlett und deren Begleiter an, ihr hinüber zur Reithalle zu folgen ...
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Luca schloss die Stalltüre hinter sich und lehnte sich einen Moment an diese. Das Atmen fiel ihm schwer und tat in der Brust weh, weswegen er die Augen schloss und versuchte, sich zu beruhigen.
Dieser verdammte Schwindler! Das konnte doch nicht wahr sein.
Die Finger des Jungen zitterten sichtbar, als er sich durch die hellen Haare fuhr und gepresst die Luft ausstieß. Mit angewidertem Gesicht spuckte er den bitteren Geschmack auf seiner Zunge aus und gönnte sich einen Schluck kaltes Wasser aus dem Hahn.
Wie sollte er, Luca, da jetzt wieder hinausgehen und so tun, als würde er diesen Grafen nicht kennen? Und wie der Blonde ihn kannte, verdammt! Luca spürte die Hände des Mannes noch immer auf seinem Körper, wenn er die Augen schloss. Und er glaubte, mit jedem Atemzug den holzig-vanilligen Geruch des Anderen in sich aufzusaugen, ganz so, als würde dieser neben ihm stehen. Doch der ... dieser ... dieser Viktor hatte gar nicht verdient, dass Luca an ihn dachte. Er hatte ihn belogen und ihm etwas vorgemacht! Hätte der Jugendliche gewusst, mit wem er es zu tun hatte, hätte er sich doch nie auf ihn eingelassen!
Ein leises und spöttisches Lachen brach aus dem Blonden heraus. Wem machte er etwas vor? Vermutlich hätte er es dann auch, denn Arian ... nein, Viktor hatte etwas an sich, das den blonden Jugendlichen wie eine Motte anzog. Der Mann war wie eine dieser faszinierenden schwarzen Kerzen, deren Flamme blau brannte und die man unbedingt anfassen musste, um sich zu vergewissern, dass das Feuer heiß war.
Der Junge seufzte erneut, warf sich etwas Wasser ins Gesicht und trocknete es an einem Handtuch ab, bevor er sich aufrichtete.
Es nutzte nichts. Er konnte sich hier nicht verstecken. Alan würde ihn suchen kommen und zur Schnecke machen, wenn er die affektierte Lady nicht zufriedenstellte. Sie wollte schließlich ausdrücklich ihn im Umgang mit den Pferden sehen. Und da das hier nicht nur ein Hobby für ihn war, sondern sein verdammter Job, musste er die Arschbacken zusammenkneifen und es einfach durchziehen.
Nachdem er die Stalltüre wieder geöffnet hatte, ging er langsam zu den beiden Pferden, die, vor sich hindösend, immer noch angebunden im Gang standen. Luca holte das Sattelzeug aus der Kammer und machte sich daran, es dem schwarzen Hengst anzulegen. Dieser legte ein wenig genervt die Ohren zurück, als Luca den Gurt vorsichtig anzog. Midnight war tatsächlich ein empfindliches Pferd, im Gegensatz zu Silver, und der falsche Sattel konnte bewirken, dass der Rappe tagelang nicht geritten werden konnte. Seine Ausrüstung für die Rennen war perfekt an das Tier angepasst, aber die Sachen waren für einen normalen Ritt nicht geeignet. Also hatte Luca so lange mit dem Sattler herumprobiert, bis sie die optimale Lösung gefunden hatten.
Der junge Mann löste Silvers Führstrick und brachte den Wallach in eine der leeren Boxen, da er ihn nicht allein in der Stallgasse zurücklassen wollte, bevor er noch einmal tief durchatmete und Midnights Zügel nahm.
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Währenddessen hatten sich Lady Bramlett und Graf Viktor mit Willow in der Reithalle eingefunden. Das alte Backsteingebäude verfügte über einen langen und breiten, mit duftenden Spänen eingestreuten Bereich, in dem die Tiere frei laufen gelassen, longiert und geritten werden konnten. An der Seite, wenige Schritte hinter dem Tor, durch welches man den Komplex betrat, erstreckte sich ein ebener Bereich mit Holzboden hinter einer halbhohen Bande, die beide Teile voneinander separierte. Dort waren Bänke und auch einige kleine Tische für Zuschauer aufgestellt worden.
Die junge Frau geleitete die Gäste zu einer solchen Sitzgelegenheit und konnte durch das offenstehende Tor den knirschenden Kies hören. Sie wandte sich um und wollte Luca gerade etwas zurufen, als sie merkte, dass es Alan und Graf Viktors Butler waren, die sich der Halle näherten. Dieser trug ein schweres Tablett, auf dem Gläser, ein großer Krug mit Limonade und ein paar Snacks standen, und machte nicht im Mindesten den Eindruck, irgendwie unter dieser Last zu leiden.
Für einen Augenblick war die junge Frau von dem Butler beeindruckt. Er schien wirklich gut in seinem Job zu sein, dass er sich weder die Hitze noch die Anstrengung anmerken ließ. Es machte den Eindruck, dass er nicht einmal schwitzte.
Die junge Frau senkte verlegen den Blick, als der Diener an ihr vorbeiging und ihr ein feines Lächeln schenkte, bevor er das Tablett abstellte und etwas von dem kalten Getränk einschenkte, um es seinem Herrn und Lady Bramlett anzubieten.
»Danke, Sebastian«, sagte der Graf, während die Dame nicht einmal einen Blick für ihn übrig hatte. Willow zog die Augenbrauen kraus und schüttelte leicht den Kopf, als Alan sich ihr näherte.
»Wo ist Luca?« Seine Stimme war etwas spitz, als würde er sich bereits Sorgen machen, dass Lady Bramlett ungeduldig werden und ihm dem Arsch aufreißen könnte.
»Ich bin hier«, rief der Blonde in dem Augenblick, als er mit Midnightdancer durch das Tor der Halle kam.
»Wo warst du? Ich sagte, wir wollen Mylady nicht warten lassen!?«, fauchte der Stallbesitzer seinen Neffen an, der nur leicht die Augen verdrehte. Diese Katzbuckelei würde Alan eines Tages noch mal einen Herzinfarkt verschaffen.
»Ich habe Midnight gesattelt, wie du siehst! Mit ihm muss man ruhig und sanft umgehen, sonst regt er sich auf und dann ...«, Luca senkte die Stimme, »kannst du das Ganze hier vergessen. Und dann reißt sie dir deinen Hintern auf. Also lass mich in Ruhe meinen Job machen!« Die blauen Augen des Jugendlichen bohrten sich in Alans, der daraufhin den Blick senkte und zur Seite trat, um seinen Neffen nebst Pferd durchzulassen. Er hatte ja recht. Es brachte gar nichts, wenn sie sich hier anfauchten und würde womöglich noch einen negativen Eindruck bei Amelia Bramlett und ihrer Begleitung hinterlassen.
Während Luca den Rappen in die Mitte der Halle führte, suchte er Willows Blick und rief ihr dann zu: »Würdest du in etwa zwanzig Minuten Silver satteln?«
Die junge Frau nickte. »Ja, mach ich.«
»Zwanzig Minuten? Das ist doch nicht annähernd genug Zeit, um Midnightdancer ausgiebig vorzuführen.« Lady Bramlett musterte Luca mit hochgezogener Augenbraue.
Dem reichte es jetzt. Mit dem Hengst neben sich, trat er an die kleine Tribüne heran und sah der Adligen ins Gesicht. »Das, Mylady, muss reichen. Es sind 30 Grad und da sind eigentlich schon zwanzig Minuten intensive Arbeit zu viel. Entweder Sie lassen mich meine Arbeit machen, wie ich es für richtig halte oder Sie schwingen sich selbst in den Sattel. Bei allem Respekt, aber ich übernehme keine Verantwortung dafür, wenn Ihre Tiere zusammenbrechen. Es ist Ihre Entscheidung.«
Alan zog scharf die Luft ein und ihm schienen sämtliche Gesichtszüge zu entgleisen, aber er schwieg. Luca gehörte die Hälfte des Betriebes und er war der Bereiter. Somit bestimmte er, was mit den Pferden passierte.
Stille breitete sich in der Halle aus, man hätte eine Nadel fallen hören können, während Amelia Bramlett Luca empört in die Augen starrte. Der Jugendliche konnte Viktors Blick auf sich spüren, widerstand aber der Versuchung, seinen von der Lady ab- und dem Grafen zuzuwenden. Nach einer gefühlten Ewigkeit räusperte Amelia sich schließlich und wandte den Blick von dem Jungen ab.
»Nun, dann … machen Sie Ihren Job«, sagte sie in einem hochmütigen Ton und machte eine wegwischende Handbewegung in Richtung des jungen Mannes. Dieser schüttelte genervt den Kopf, drehte sich aber ohne ein weiteres Wort um und ging mit dem Hengst wieder zurück in die Hallenmitte, wo er ihn anhielt, seinen Gurt nachzog und sich schließlich in den Sattel schwang.
Alan hatte sich derweil zu den anderen gesellt und suchte verzweifelt nach Worten, um das Verhalten seines Neffen zu entschuldigen, aber Lady Bramlett kam ihm zuvor. Allerdings wandte sie sich nicht an den Gestütsbesitzer, sondern an Graf Viktor. »Ganz schön unverschämt, dieses Bürschchen. Als ob er besser wüsste, was für meine Pferde gut ist oder nicht. Wie sehen Sie das?«
»Nun, ich denke, dass Luca recht hat. Es ist unerträglich heiß heute. Selbst ich leide unter den Temperaturen und ich sitze nur hier, habe ein kaltes Getränk und muss niemanden auf meinem Rücken durch die Gegend tragen. Der junge Mann arbeitet tagtäglich mit Ihren Tieren und ich denke, er kann das schon ein Stück weit besser beurteilen als wir, die wir unsere Pferde nur ab und an zu Gesicht bekommen. Also sehen Sie es ihm nach, wenn er, in Ihren Augen, unangemessen reagiert hat. Im Endeffekt handelt er im Sinne der Tiere und somit auch in Ihrem«, erwiderte der Unsterbliche und seine Augen ruhten dabei auf Luca, der den Rappen am langen Zügel im Schritt durch die Halle gehen ließ.
»Hm, nun ja. So betrachtet haben Sie natürlich recht.« Lady Amelia verzog den Mund leicht. So ganz schmeckte ihr diese Antwort Ihres Begleiters nicht, aber sie machte gute Miene zum bösen Spiel und fuhr gönnerisch fort: »Dann will ich mal nicht so sein und das Ganze vergessen.«
»Das ist sehr großzügig von Ihnen, Mylady. Luca ist ein guter Junge, der stets nur das Beste für die Pferde im Sinn hat. Er wollte Sie bestimmt nicht verärgern.« Alan, erleichtert über die Fürsprache des Grafen, schaltete sich jetzt doch noch ein.
»Nun, Mr. Summerson, das hoffe ich doch sehr«, säuselte die Adlige, »ich würde mir sehr ungern einen anderen Stall suchen müssen.«