Die Zeit schien still zu stehen. Meine Knie waren zu Pudding geworden und drohten zitternd ihren Dienst unter mir zu quittieren. Alles was mich aufrecht hielt war Tristan der mich mit seinem Körper hart an die Wand des dämmrigen Stiegenhauses presste.
„Ich liebe dich, Raven,“ wiederholte er flüsternd und sein warmer Atem streifte über meine Lippen.
An meinem Rücken fühlte ich die Kälte der rauen Mauer, die einen großen Kontrast bildete zur Hitze die Tristans Körper aussendete. Mein Kopf war wie leergefegt und mein Verstand verabschiedete sich verzückt in die hinterste Ecke meines Gehirns. Dieser Kuss war ganz anders als der von Taylor. Viel Leidenschaftlicher. Sanft knabberte er an meiner Unterlippe. Ein leises Stöhnen entfuhr mir und ich öffnete leicht meinen Mund. Seine Hände wanderten von meiner Taille hinunter zu meiner Hüfte, zum Saum meines Tops während seine Zunge sanft begann meinen Mund zu erforschen. Mir wurde heiß und kalt. Das Blut rauschte in meinen Ohren und in meinem Kopf drehte sich alles. Berauscht von den Gefühlen schlang ich die Arme um Tristan und zog ihn näher zu mir. Eine meiner Hände krallte sich in seinen Haaren fest. Jeder Nerv in meinem Körper zuckte während seine Hände weiter unter mein Top wanderten und meinem kalten Rücken hochfuhren. Wohlige Schauer liefen über meine Haut und ich presste mich näher an seinen Körper. Tristan stöhnte und drückte seine Hüfte gegen meine. Sein Mund streifte langsam über mein Kinn zu meinem Ohr.
„Tristan,“ keuchte ich atemlos und mit zitternden Knien.
Bedächtig wanderten seine Lippen über meinen Hals hinunter. Ich hatte das Gefühl nur noch aus bebenden Nerven zu bestehen. Ein lautes rumpeln im Stockwerk über uns lies mich erschrocken zusammenzucken. Langsam klärten sich meine Gedanken. Die Mission, fiel es mir wie Schuppen von den Augen.
„Tristan,“ sachte drückte ich ihn von mir weg.
„Hm?“ murmelte er nur und sah mich verwirrt an.
„Tristan, wir müssen weiter. Das Brennmittel! Wir müssen den anderen helfen!“ erinnerte ich ihn bestimmt.
„Oh!“ erwiderte er benebelt, dann kam die Erkenntnis. „Stimmt! Ja, wir müssen weiter.“ Widerwillig trat er einen Schritt zurück drehte sich zum Treppenabsatz.
„Tristan,“ rief ich ihn zurück.
Langsam drehte er sich zu mir und hob verwirrt den Kopf.
„Ich wollte nur sagen… Ich… Das gerade… Du solltest wissen…“ begann ich stotternd, doch Tristans Blick verdunkelte sich augenblicklich. Er unterbrach mich nur ungeduldig und wandte sich wieder zum Gehen. „Lass es,“ knurrte er.
„Nein, du verstehst nicht…“ Ich packte ihn an der Schulter und hielt ihn zurück.
„Raven, wir müssen weiter,“ brummte er und schüttelt meine Hand unwirsch ab. Verärgert krallte ich mich in seinem Arm fest. Dieser Idiot sollte mir zuhören.
„Tristan Murray. Du wirst mir jetzt augenblicklich zuhören,“ schimpfte ich. Widerspenstig drehte sich Tristan um und starrte stur auf den vergilbten Teppichboden.
„Schau mir gefälligst in die Augen, wenn ich mit dir rede,“ fuhr ich ihn an. Widerwillig hob er den Kopf und starrte geradeaus als würde er mich nicht sehen. Verzweifelt fuhr ich mir mit einer Hand durch die Haare. Verstehe einer die Männer!
„Du weißt doch gar nicht was ich dir sagen will, Tristan,“ murmelte ich.
„Ich will es nicht hören.“
„Was willst du nicht hören?“ flüsterte ich und stellte nahe zu ihm auf die Treppe.
„‘Es tut mir leid, Tristan, aber ich liebe dich nicht‘. Das wolltest du doch sagen oder?“ zischte er verletzt.
„Warum glaubst du das ich das sagen wollte?“ Nur noch wenige Zentimeter trennten mich von ihm. Neugierig betrachtete ich sein Gesicht. Meine Augen wanderten über seine sanften Lippen, zu dem leichten Bogen der Falte zwischen Mund und Nase, weiter zu seiner Nase und seinen Augen die von vollen Wimpern umrandet waren. An seinen Augen blieb mein Blick hängen.
„Niemand zieht mich Magnus vor,“ schnaubte er verächtlich.
Seine Augen waren immer noch auf einen Punkt hinter mir an der Wand gerichtet. Sie waren von einem dunklen Kastanienbraun. Fasziniert beobachtete ich wie ein Schatten über sie hinweg zog und wieder verschwand als er wieder seine stoische Maske aufsetzte. Langsam neigte ich mich zu ihm. Ich spürte wie er kurz zusammenzuckte als mein Atem seine Haut streifte.
„Schau mich an Tristan,“ flüsterte ich in sein Ohr. Ich hörte wie sein Herz augenblicklich schneller schlug. Quellend langsam wandte er seinen Blick von der Mauer. Wie eine halbe Ewigkeit kam es mir vor bis Tristans Augen endlich auf meine trafen.
„Tristan,“ flüsterte ich sanft und legte eine Hand auf seine.
„Raven,“ hauchte er.
„Weißt du wie sehr ich dich vermisst habe, Tristan? Ich habe mir schreckliche Sorgen um dich gemacht, du Idiot,“ erklärte ich ihm und beobachtete erfreut wie sich mit jedem Wort das ich sagte seine Miene aufhellte.
„Das kann ich nicht wissen. Ich war ja hier,“ stellte Tristan mit einem schwachen Lächeln fest.
„Natürlich nicht,“ grinste ich und beugte mich wieder näher zu ihm. Ich spürte sein Herz begannen schneller zu schlagen. „Aber es ist die Wahrheit. Ich habe dich vermisst. Dich und deinen Sturschädel. Ich bin fast verrückt geworden vor Sorge.“
Ein breites Grinsen breitete sich auf Tristans Gesicht aus.
„Ich mach dich also verrückt, hm?“ stellte er amüsiert fest während sich seine Lippen wieder meinen näherten.
Ich seufzte. „Du bist mir sehr wichtig, Tristan. Das solltest du wissen,“ wisperte ich. „Aber ich muss mir erst über meine Gefühle klarwerden.“
Tristan nickte langsam. „Ich verstehe.“
„Ich stoße dich nicht von mir. Das würde ich niemals tun,“ stellte ich klar. „Ich habe Gefühle für dich, doch ich muss mir erst mal klar werden welcher Art sie sind.“
Er kam näher. Auf seinem Gesicht ein schiefes Lächeln. Es war nur noch Zentimeter von mir entfernt. „Ich werde auf dich warten mein Engel.“
Ein warmes Kribbeln lief mir über den Rücken. Ich schluckte.
„Wir sollten dann jetzt weitergehen,“ flüsterte ich heiser.
„Das wird wohl das Beste sein,“ grinste Tristan und löste sich lachend von mir. Leicht zitternd stieg ich hinter ihm die Treppe hinunter. Am Ende der Treppe erstreckte sich ein langer, enger und dunkler Flur vor uns. Spinnweben hingen von der Decke.
Ein schaudern lief mir über den Rücken.
„Ich hasse Spinnen,“ murmelte ich.
Ein leises Lachen ertönte neben mir.
„Glaub mir, ich mag die Viecher auch nicht sonderlich.“
„Das beruhigt mich ungemein,“ gab ich ironisch zurück und folgte ihm vorsichtig durch den engen Flur. Auf unserer rechten Seite zählte ich vier Holztüren die ich für Kellertüren hielt.
„Wir sind gleich da. Es ist die Letzte,“ murmelte Tristan angespannt.
Ich nickte nur und folgte ihm nervös zu der Tür am Ende des Flurs. Mit jedem Schritt wurde es dunkler um uns. Vor der Tür angekommen blieben wir stehen. Angespannt lauschten wir in die Dunkelheit. Doch alles was wir hörten war ein poltern von oben.
„Dann wollen wir mal,“ raunte Tristan und griff zur Türklinke.
Knarrend und Quietschend öffnete er die schwere Tür. Ein Modriger Geruch schlug mir entgegen. Mit der Zeit gewöhnten sich meine Augen an das dämmrige Licht und ich erkannte Deckenhohe Regale die an den Wänden des rechteckigen schmalen Raumes standen. Angestrengt versuchte ich nicht zu atmen und folgte Tristan in das Innere des kleinen Raumes. Zielstrebig steuerte dieser das hinterste Regal an.
Eine Weile kramte er zwischen Dosen, Gläsern und Flaschen. Ich nutzte die Zeit um mich umzusehen. In den Regalen türmte sich alles Mögliche: Von Gewürzgurken, Kräckern, zu Marmeladen und Küchenrollen. Ich ging neugierig weiter, da ich hoffte etwas Nützliches für uns unter den Sachen zu finden.
Nach einiger Zeit wurde ich fündig: Ich stieß auf drei großen Rucksäcken, einigen Decken und zwei Zelten das ich alles schnell zusammenpackte. Rasch verstaute ich auch einige Kräcker Päckchen und Wasserflaschen in den Rucksäcken, als ich Tristan hörte wie er jubelnd ausrief.
„Hab ich dich!“
Neugierig wandte ich meinen Kopf in seine Richtung und sah wie er zwei große Flaschen von einer bräunlichen Flüssigkeit nach vorne zog.
„Tristan. Schau mal was ich gefunden habe,“ rief ich zu ihm.
Verwundert drehte er sich zu mir.
„Rucksäcke? Wofür sollten wir diese brauchen?“
„Was ist, wenn wir versagen?“ fragte ich gerade heraus. „Wir brauchen einen Plan B, Tristan,“ fügte ich nachdrücklich hinzu. Er seufzte und stellte eine der Flaschen vor sich auf den Boden.
„Raven, damit können wir uns auch später beschäftigen,“ brummte er genervt. Enttäuscht sah ich zu ihm. Das war der große Unterschied zwischen uns: Ich war vorausschauend und er lebte in den Moment. Eine große Kluft lag zwischen uns. Ich räusperte mich.
„Nein, wir beschäftigen uns jetzt damit. Was tun wir, wenn der Plan schiefgeht und wir nicht rechtzeitig zum Portal gelangen?“
„Es wird nichts schiefgehen. Wir schaffen es rechtzeitig,“ beruhigte er mich während er die zweite Flasche anhob und sie mir in die Arme legte. Erschrocken keuchte ich auf als das volle Gewicht der Flasche in meinen Armen lag. Tristan nahm die andere Flasche und gab mir mit einem Kopfnicken zu verstehen das ich vorausgehen soll. Ich drehte mich um und ging voraus aus dem Zimmer.
„Warum bist du dir so sicher, dass wir es schaffen?“ schnaufte ich unter der Last.
„Wir müssen daran glauben, ganz einfach,“ knurrte er.
„Ich… das… Ich will mich nicht auf ein Wunschdenken verlassen,“ murmelte ich atemlos während ich zur Treppe wankte. Ich wollte ihm nicht von diesem unguten Gefühl erzählen das mich belastete.
„Raven, glaub mir: Ich werde alles daran setzen dich wieder nach Hause zu bringen,“ versprach er mir.
„Du meinst uns alle,“ korrigiere ich ihn.
„Raven, ich…,“ begann er.
„Nein. Du wirst mir jetzt versprechen, dass wir alle wieder zurück nach Skyland kommen. Alle zusammen,“ unterbrach ich ihn ruppig.
„Aber…,“
„Alle zusammen. Das schließt dich mit ein, Tristan.“
„Ich verspreche es,“ willigte er ein während wir langsam die Treppe hinaufstiegen.
„Gut.“
„Aber eines sollte dir klar sein: Du verdammst mich vielleicht zu einem Leben als ‚gefallener Engel‘, das ist dir hoffentlich klar.“
Erschrocken fuhr ich herum. Er sollte verurteilt werden? Wegen einem Streich? Warum?
„Du wirst verdammt? Aber warum?“ keuchte ich atemlos.
Er seufzte theatralisch.
„Ich habe das Gesetz gebrochen. Dafür werde ich bestraft.“
„Für einen Streich?“ Tristans Blick wich mir aus. Hier war mehr im Busch als er zugeben wollte.
„Raven, für die Elite war es nicht nur ein Streich. Es war ein Angriff auf sie,“ stellte er nüchtern fest.
Ich wandte mich abrupt um. Er log mich an, das spürte ich. Trotzdem: Ich würde es verhindern.
„Ich werde es verhindern.“
„Das kannst du nicht.“
„Du unterschätzt mich.“
Tristan seufzte. „Ich will nicht das du dich einmischt.“
„Es ist nun auch mein Problem, Tristan. Du bist mein Freund,“ stellte ich klar und stieg weiter die Treppen hoch. „Was auch immer du getan hast: Ich werde dir helfen. Wollen wir hoffen das unser Plan funktioniert,“ murmelte ich.
Es war höchste Zeit nachhause zu gehen.