Je näher die Weihnachtsfeier rückte, desto mehr graute Julia vor ihr. Ein paar Stunden vor der Feierlichkeit war ihr speiübel. Sie hasste es immer noch, von allen begutachtet zu werden und sie hasste es, sich dafür in hübsche, aber unbequeme Kleider zu schlüpfen, nur damit sie niemand seltsam musterte. Ohne Frage sah sie toll darin aus, das dunkelblaue Kleid schmeichelte ihrer weiblichen Figur, aber Julia hatte es lieber gemütlich. Mit unentschlossen zusammengekniffenen Augen stand sie vor dem Spiegel und strich den Stoff über ihrem Bauch glatt. Selbst ihren kleinen Bauchansatz verriet das Kleid, darüber würden sich die Mädels sicher das Maul zerreißen. Steppi, selbst in Hemd, Jeans und Sakko, kam zu ihr und küsste sie auf den Scheitel. „Was ist los? Du siehst nicht glücklich aus mit dem Kleid.“ „Ich finde ständig etwas an mir zu meckern“, seufzte Julia, „gerade finde ich, dass das Kleid wunderbar mein kleines Bäuchlein betont. Wären da Paparazzi, würden sie bestimmt über eine Schwangerschaft schreiben.“ Julia streichelte über ihren Bauch, bis Steppi ihre Hand nahm und drückte. „Gut, dass es dort keine Paparazzi gibt. Du machst dir zu viele Gedanken. Ich nehme dich nicht mit so dass jede lästern kann über dich. Ich nehme dich mit so du kannst finden neue Freunde und wer dich nicht will, der hat Pech gehabt. Es sind eigentlich alle ganz nett und Frauen kennst du doch zwei, vielleicht das reicht schon, du wirst sehen.“ Wie so oft hatte Steppi das Talent, Julia mit seinen Worten sofort zu beruhigen. Sie lächelte und umarmte ihn. „Danke, Steppi. Wann müssen wir los? Wann legt das Schiff ab?“. „Wenn du fertig bist wir könne vielleicht schon losfahren so wenn wir Stau haben dass wir nicht zu spät kommen, aber eigentlich es ist noch ein wenig Zeit. Wenn du brauchst, dann ist nicht schlimm.“ „Wir können los“, entschied Julia mit einem Blick in den Spiegel. Steppi fand sie schön genug, das hatte er oft genug betont in den letzten Stunden, der Rest zählte nicht. Dank einer Baustelle glich die Autofahrt nach Heidelberg eher einer halben Weltreise und es war eine gute Entscheidung gewesen, früher loszufahren. Als Julia und Steppi am Steg ankamen, waren gerade noch zehn Minuten Zeit, um das Schiff zu betreten. Nikolai, ebenfalls in Jeans und Sakko, wartete vor dem Eingang und winkte den beiden zu, als er sie entdeckte. Steppi nahm Julias Hand und zog sie sanft mit sich. ”Niko, das ist Julia, meine Freundin”, verkündete er mit unverhohlenem Stolz in der Stimme. Niko reichte Julia die Hand, er hatte einen angenehm Händedruck und lächelte. ”Schön, dich kennenzulernen. Ich hoffe, ihr habt einen schönen Abend. Die meisten sind schon da, viel Spaß.” Der Schiffsbauch war spärlich beleuchtet, mit Teppich am Boden und Holz an den Wänden ausgekleidet und voll mit einer großen Menge Menschen. Julia konnte sogar zwischendurch ein paar Kinder ausfindig machen, aber das meiste waren große Männer mit durchweg hübschen Frauen. Viele saßen in den kleinen Sitzbankecken, die zu beiden Seiten des Schiffes angebracht waren, sodass in der mitte ein breiter Gang frei war. Julia hatte sich noch nicht richtig an die Menschenmenge gewöhnt, da ließ Steppi ihre Hand los, weil er von zwei blonden Jungs in Beschlag genommen wurde. Dicht dahinter stand Eivor und grinste Julia schuldbewusst zu, also mussten das wohl ihre Söhne sein. ”Hallo, bist du die Freundin von Onkel Steppi? Müssen wir dann Tante zu dir sagen?”, fragte sie der mutmaßlich Ältere, weil Größere der beiden. ”Ja, das bin ich, aber Tante müsst ihr nicht sagen. Ich bin die Julia. Und wer bist du?”. ”Ich bin Simon und mein kleiner Bruder ist der Lukas”, erklärte er und Julia nickte. ”Okay. Es ist schön, euch auch mal kennenzulernen.” ”Lasst den beiden mal Luft, anzukommen”, schritt Eivor dann ein und nahm Simon und Lukas jeweils an einer Hand, ”hallo ihr zwei, schön, dass ihr da seid. Wenn ihr hallo gesagt habt, ist bei uns noch Platz für euch, wenn ihr wollt.” ”Danke, Eivor”, meinte Steppi, und bevor Eivor richtig verschwunden war, tauchte schon wieder das nächste Gesicht auf. ”Steppi, als dein Kapitän verlange ich, dass du mir deine Freundin mal vorstellst. Wer ist die Schönheit?”. Julia kannte sich nicht sonderlich gut aus im Handball, aber von Uwe Gensheimer hatte sie zwangsläufig schon einmal gehört. Von ihm als Schönheit bezeichnet zu werden, trieb ihr die Röte ins Gesicht, auch wenn es sicher nur höflich gemeint war. ”Ja, stimmt. Uwe, das ist Julia, meine Freundin. Und Julia, naja, das ist Uwe...”. ”Gensheimer, ich weiß. Jetzt wo Handball mich interessiert, stolpere ich über das ein oder andere Gesicht.” Lächelnd reichte sie ihm die Hand und Uwe gab das Lächeln zurück. Neben ihn trat eine große Blondine in einem sehr engen, roten Kleid, das ihre langen Beine betonte. ”Und das ist meine Freundin, Sandra”, fügte Uwe noch hinzu, ”Sandra, Julia ist Steppis neue Freundin.” Auch ihr reichte Julia die Hand und als sich dann noch Patrick und Jenny vorstellten, schwirrte Julia der Kopf. Es waren noch so viele Menschen hier, die sie nicht kannte, dass sie am liebsten gestreikt hätte. „Hast du Hunger?“, fragte Steppi leise. Julia nickte, vielleicht war das die beste Möglichkeit, den Menschen wenigstens kurz zu entkommen. Steppi entschuldigte beide und ging mit Julia Hand in Hand in einen zweiten Aufenthaltsraum des Schiffes, wo man das Buffet aufgebaut hatte. Dort war noch gar nichts los, sie waren alleine. „Puh Steppi, danke, dass du mich gerettet hast. Das sind echt viele Leute“, seufzte Julia und umarmte ihren Freund erleichtert. „Ähm, echt? Also ich habe nur Hunger, aber wenn ich dich kann retten das ist natürlich schön. Magst du sie nicht, also die Menschen?“. „Doch, oder eigentlich weiß ich es noch gar nicht, wir haben sie ja nur kurz gesehen. Aber es sind einfach so viele neue Menschen, mir schwirrt jetzt schon der Kopf und dann soll ich mir auch noch alle Namen merken…“. „Ach, ich finde dass du machst das sehr gut. Aber ich verstehe dich. So möchtest du was trinken und essen und wir setzen uns zu Eivor, da Steppi war schon weiter hinten und belud sich gerade seinen Teller, deshalb stellte sich Julia ein wenig abseits, um andere Leute am Buffet nicht zu stören. Sie hatte noch keinen Hunger, aber es würde sicherlich später noch etwas geben. In Gedanken versunken beobachtete sie Steppi,der gerade eine Hälfte des Tisches abgeklappert hatte und nun die zweite Hälfte in Angriff nahm. So bemerkte sie nicht, dass Mads gerade hereinkam und bei ihr stehen blieb. Er wartete einen Moment, ob sie ihn bemerken würde, aber sie schien wirklich tief in Gedanken versunken. Schelmisch grinsend tippte er ihr auf die Schulter und Julia quietschte so laut, dass selbst Steppi vom Buffet aufsah. „Spinnst du, mich so zu erschrecken?“, keuchte sie und griff sich dabei an die Brust. Ihr Herzschlag war immer noch um ein Vielfaches erhöht. „Dich hätte alles erschreckt, so es ist egal was ich mache. Wie geht’s dir? Und wann lernen wir wieder bei dir? Ich weiß nicht.“ „Ich auch nicht, ehrlich gesagt. Ich muss mal in den Kalender schauen, aber ich glaube so viele Sitzungen haben wir gar nicht mehr.“ „Dann es ist gut dass du jetzt Steppi hast so wir können uns immer noch sehen danach“, grinste Mads und Julia grinste zurück. Ein eindeutig weibliches Lachen von mehreren Personen ertönte und Julia warf einen unsicheren Blick in den anderen Raum. Immer noch nagten Zweifel an ihr, mit den Frauen nicht mithalten zu können. „Du siehst nicht glücklich aus gerade“, stellte Mads fest. „Es geht. Ich weiß nur nicht, ob ich an die Mädels da rankomme, die sind alle so hübsch und all das. Außerdem sind das echt viele Leute da drin und so viele Namen kann ich mir gar nicht merken… ich glaube, ich bin einfach ein bisschen überfordert.“ Mads legte einen Arm um Julias Schultern und drückte sie. „Du hast zu viel im Kopf, weißt du? Die sind nicht schlimm die Frauen und wenn doch, dann es ist egal, weil du bist auch gut so wie du bist. Die anderen lernst du irgendwann kennen, aber es ist auch so dass manche einfach wieder gehen so es ist sowieso nicht so wichtig, dass du alle kennst. Hat dir das Steppi noch nicht gesagt?“. Julia lächelte. „Doch, natürlich, fast genau dasselbe hat er mir gesagt und es ist lieb von dir, dass du es mir auch noch einmal sagst, aber das Gefühl werde ich glaube ich trotzdem nicht los. Trotzdem, danke Mads.“ Gerade kam Steppi zu den beiden herüber, den Teller jetzt gefährlich voll geladen mit sehr vielen, verschiedenen Häppchen. „Ist alles okay bei dir? Warum hast du geschrien gerade?“. „Mads hat mich erschreckt, sonst nichts, es ist alles in Ordnung. Bist du dann fertig mit aussuchen?“. „Ja, bin ich“, antwortete Steppi gedehnt und Julia schüttelte grinsend den Kopf. Wenn das Essen heil am Tisch ankam, würde sie Steppi innerlich einen Orden verleihen. „Weißt du was wir mache?“, meinte Mads, „wir holen uns jetzt auch etwas Kleines und dann suchen wir uns eine Tisch so wir sitzen zusammen oder bei Leuten, die du kennst. Dann du hast auch ein bisschen Spaß hier auf der Feier und nicht nur neue Leute.“ „Die Idee ist super. Steppi, wartest du hier?“. „Ich gehe vielleicht schon ein Tisch suchen, alleine, oder Lexi, oder Niklas, ist das okay?“. „Ja, danke Schatz“, nickte Julia und stellte sich auf die Zehenspitzen, um ihn auf die Wange zu küssen. „Und pass auf auf deinen Teller.“ „Mache ich, bis gleich.“ Steppi balancierte den Teller langsam und vorsichtig durch den Gang zu den Tischen, während sich Julia und Mads dem Buffet zuwandten. Obwohl Julia eigentlich keinen Hunger hatte, sahen ein paar Häppchen so verführerisch aus, dass sie nicht widerstehen konnte. Inzwischen waren sie und Mads nicht mehr die einzigen am Buffet und schon auf dem Rückweg traf Julia Liv, die gerade noch einen leeren Teller hatte. „Steppi sitzt bei mir und Niklas, zu fünft passen wir da alle noch hin“, informierte sie Julia. Sie strahlte Liv an und bedankte sich. Nun sah es aus, als würde der Abend doch nicht ganz so unangenehm werden.