„Du hast es auch gehört, oder?“, fragte Sezuna mit zitternder Stimme. Kaden kreuzte ihren Blick und stand auf, um an die abgeschlossene Tür zu gehen, die der Ausgang sein musste.
„Entspann dich, wahrscheinlich nur irgendein Streich oder ähnliches. Ich hab doch vorhin erwähnt, dass einige für Mutproben herkommen. Die machen sich vermutlich einen Spaß daraus“, versuchte Kaden zu erklären, doch er konnte sich nicht selbst was vormachen.
Erst diese erdrückenden Gefühle von purer Angst und dann der Schrei... das konnte nichts menschliches sein.
Aber das würde er Sezuna jetzt nicht auf die Nase binden. Dazu waren ihre Gefühle noch zu aufgewühlt und er wusste, dass sie so nicht richtig denken konnte. Allerdings würden sie ihren Verstand brauchen, wenn sie herausfinden wollten, was hier abging.
„Hörst du was?“, fragte Sezuna und trat vorsichtig an Kaden heran, der nun das Ohr an die Tür gelegt hatte.
Konnten sie die Tür öffnen, ohne allzu großen Lärm zu machen und nicht für Aufsehen zu sorgen?
Heftig rüttelte der Vampir an der Türklinke, die sich keinen Zentimeter bewegte. Seufzend trat er einige Schritte zurück, um die Tür genauer zu mustern.
Es wäre kein Problem die Tür einzutreten, jedoch wäre das zu auffällig und auch noch zu laut.
Nachdenklich kratzte er sich an dem dichten Lockenkopf, als er plötzlich einen kalten Luftzug in seinem Nacken spürte, der ihm eine unangenehme Gänsehaut verpasste.
Resigniert drehte er sich mehrmals um, doch er konnte nichts Ungewöhnliches entdecken. Sezuna drehte sich zu ihm um, als sie sein aufgeschrecktes Verhalten bemerkte.
„Was ist?“, fragte sie, doch Kaden schüttelte nur den Kopf und trat zur Seite.
„Bekommst du die Tür leise auf?“, fragte er und Sezuna besah sich das altmodische Schloss.
Natürlich könnte sie Magie verwenden, um es zu öffnen, doch das wäre wahrscheinlich nicht gut.
Also zog sie eine ihrer Haarnadeln hervor und begann sie zu verbiegen.
„Ich kann es versuchen“, meinte sie und stocherte mit der Haarnadel im Schloss herum.
Ungeduldig tippte Kaden mit seinem Zeigefinger gegen die Wand, während er sich angespannt daran anlehnte.
Irgendwas war da im Flur und die Emotionen die auf Kaden einwirkten, schienen auch nicht zu verfliegen, ganz im Gegenteil ein erdrückender Schmerz, der seine Haut zum Jucken brachte, machte ihm nun sogar zu schaffen. Er unterdrückte das Bedürfnis sich am ganzen Körper blutig zu kratzen und schloss die Augen, um die fremden Emotionen auszublenden.
Sezunas Nervosität war nur noch eine Randerscheinung, die für ihn wohl nicht existent wäre, wenn sie beide keine so tiefe Bindung hätten.
Ein plötzliches Geräusch, von Wasserplätschern, ertönte wie aus dem nichts, vom Badezimmer in der die Glühbirne begann zu flackern.
Er konnte hören, wie Sezuna sich panisch versteifte und mit der Nadel abrutschte, ehe er ihre Emotionen spürte. Doch sie konzentrierte sich wieder darauf, die Tür zu öffnen und schaffte es mit einem leisen Klicken.
Als sie die Tür ein Stück öffnete, packte sie plötzlich Panik und sie erstarrte mitten in der Bewegung.
Draußen im Flur war es dunkel. Fast. Da war etwas, das leuchtete und Sezuna traute ihren Augen nicht, als sie die kleine Gestalt wahrnahm, die durch eine der Wände verschwand.
Sezunas Atem ging schneller und ihre goldenen Augen waren weit aufgerissen. Unfähig sich zu bewegen, nahm sie einen tiefen, zittrigen Atemzug.
„Kaden...“, flüsterte sie, ohne einen klaren Gedanken fassen zu können.
Der Vampir spürte eine brennende Hitze an seinem Rücken, doch weder das, noch Sezunas Stimme brachte ihn aus seinen Gedanken. Wie besessen starrte er auf die offene Badezimmertür, als würde ihn irgendwas dorthinein ziehen. Ohne auf Sezuna einzugehen, ging er mit langsamen Schritten auf das flackernde Bad zu.
Der Wasserhahn verteilte heißes Wasser im Waschbecken, doch ließ nicht wirklich auf etwas schließen. Mit einem Stirnrunzeln drehte der Vampir mit dem dunklen Blick den Wasserhahn zu, als er beobachtete wie sich langsam der Dampf an den Spiegel legte.
Doch einzelne Buchstaben durchbrachen den gleichmäßigen Fluss des verdampften Wassers und ergaben nicht wirklich Sinn.
„Wie ein Gesicht mit zwei Persönlichkeiten“, flüsterte er die Worte, die sich auf dem Spiegel mit dem Riss abgebildet hatten. Plötzlich schien Kaden wieder ganz bei sich zu sein und riss alarmiert die Augen auf. „Sezuna, wir müssen-“, setzte er an um in das Zimmer zurückzukehren wo Sezuna nach wie vor wie angewurzelt saß, als er plötzlich die Wand sah an der er eben noch gelehnt hatte.
Die Worte: Sie spüren keinen Schmerz, wenn sie die Hand zum Feuer führen. Schienen sich wie aus glühender Kohle aus der Wand zu erheben.
„Elendig gefangen, im Kreis der Vergangenheit“, murmelte Sezuna, denn auf der Flurwand, durch die der vermeintliche Geist verschwunden war, prangten nun ebenfalls Worte. In einer schimmernden, bläulichen Schrift, die jedoch schon wieder verblasste.
Schluckend drehte sich Sezuna zu Kaden um. „Was ist hier los?“, fragte sie mit belegter Stimme und hoffte, dass Kaden ihr helfen konnte.
Doch auch dieser schien alles andere, als hilfreich, denn noch immer starrte er die Wand mit den Zeilen an.
So gebannt, dass Sezuna nicht anderes konnte, als langsam in den Raum zu treten und schließlich ebenfalls in die Richtung zu schauen, in die Kaden blickte.
Ihre Angst wurde dadurch keinen Deut weniger.
Das Brennen auf Kaden Rücken wurde schlimmer, als sich auch seine Atmung beschleunigte. Ohne weiteres Zögern griff er nach Sezuna Hand und riss sie mit aus dem Zimmer.
„Wir verschwinden!“, gab er letztendlich krächzend von sich, als er den Flur mit Sezuna entlang rannte. Mehrere Fenster öffneten sich und schlugen immer wieder zu, bis die beiden Vampire endlich aus der Tür hinaus stürmten und mit übermenschlicher Geschwindigkeit eine weit entfernte, ruhige Gasse suchten. Beide hielten an, um wieder zu Atem zu kommen.
Keiner von ihnen hatte jemals etwas in der Art erlebt und wussten nicht was dass alles zu bedeuten hatte. Kaden raufte sich verzweifelt die Haare.
Er wollte Sezuna doch nur ein wenig Angst machen. Er hatte nicht damit gerechnet, dass in diesem Hotel wirklich etwas nicht stimmen konnte.
Aufgebracht lief er auf und ab, als Sezuna feine Blutspuren an dem Rücken des dunkelblonden Mannes entdeckte.
„Kaden was... wieso...“, mit einer unsicheren Handbewegung brachte sie diesen zum Stehen. Sie konnte am Geruch erkennen, dass es sich um Vampirblut handelte... Kadens Blut. „Zieh dein T-Shirt aus“, gab Sezuna, die versuchte die wirren Puzzelteile zusammenzufügen, schließlich mit bestimmter Stimme von sich.
„Kätzchen, ich glaube nicht das dafür jetzt der richtige Zeitpunkt-“, setzte Kaden neckisch an, trotz der aufgewühlten Stimmung der beiden.
„Mach schon!“, schnitt die Rothaarige ihm das Wort ab.
Nach kurzem Zögern tat er das, worum sie ihn gebeten hatte und Sezuna sog erschrocken die Luft ein, als sie feine, eingeritzte Buchstaben auf seinem Rücken entdeckte, aus denen einige Streifen Blut quollen. Kaden zuckte unweigerlich zusammen, als Sezuna sanft mit ihren schlanken Fingern über die Wunden streifte.
„Ohne eine Möglichkeit, dass diese ihren Frieden fanden“, flüsterte sie langsam die Worte die sich auf Kadens Rücken abgebildet hatten.
Sie würden nicht lange bleiben, denn Vampire verfügten über eine gute Selbstheilung. Daher waren einige der Buchstaben bereits dabei zu verheilen.
„Das ist wirklich sehr, sehr eigenartig“, erklärte Sezuna und atmete tief durch.
„Ich habe Geister bisher nur für Legenden gehalten, aber eigentlich gibt es tatsächlich glaubhafte Berichte über diese“, meinte sie schließlich. Sie hatte gewusst, dass es solche Wesen gab, sie hatte nur viel zu viel Angst davor, es sich einzugestehen. Denn Geister waren den Vampiren in vielen Dingen überlegen und es gab nur wenig, was man gegen sie tun konnte.
„Wir werden Orion und Lika informieren müssen und uns wappnen.“
Sezuna machte sich bereits auf den Weg zurück zur Universität und zückte währenddessen ihr Handy. Schnell zog sich Kaden das T-Shirt wieder über den Kopf und schloss zu ihr auf.
„Warte! Wer hat die Wette denn jetzt gewonnen?“, fragte der Vampir und Sezuna rollte die goldenen Augen.
„Ist das jetzt dein Ernst? Wir haben wichtigeres zu klären!“, entgegnete sie ihm ohne stehen zu bleiben. Eben war er noch komplett durch den Wind und jetzt verwandelte er sich bereits wieder in denselben Idioten, der er nun mal war.
„Da du derjenige bist, der weggerannt ist und mich mitgeschliffen hast, würde ich sagen ich“, erklärte Sezuna noch mit einem schelmischen Grinsen, während sie darauf wartete, dass Lika, oder Orion abnahmen.
Ihr kam die Ablenkung nur recht. Sie wollte nicht mehr daran denken, was sie gesehen hatte. Das machte sie nur nervös.
Kadens Grinsen kehrte wieder zurück, während er herausfordernd die Augenbrauen hob.
„Also wenn du es so genau nehmen willst hab ich dich nur rausgebracht. Ich hab doch gespürt, dass du kurz vor einem Nervenzusammenbruch standest“, entgegnete er willentlich diesen Wettstreit zu gewinnen.
Gerade als Sezuna den Mund öffnete, um zu kontern, nahm auch schon jemand den Hörer ab und Likas Stimme erklang am anderen Ende der Leitung.
„Hallo Sezuna. Was gibt es?“, fragte sie und zeigte damit deutlich, dass sie den Umgang mit solchen Geräten gewohnt war.
Sezuna zuckte kurz und ignorierte Kaden vorerst. Aber sie würde nicht so schnell aufgeben.
„Ich war mit Kaden gerade ein Hotel untersuchen und wir sind uns ziemlich sicher, dass es dort ein paar Dinge gibt, die wir uns alle ansehen sollten. Ich würde mich gern mit euch in der Unibibliothek treffen“, erklärte die Rothaarige. Sie ging davon aus, dass sie in dieser Bibliothek ein paar Bücher finden würde, die ihnen weiterhelfen konnten. Es würde, dank ihrem fotografischen Gedächtnis, nicht allzu lange dauern, diese zu lesen.
Vielleicht ließ sie sich aber dennoch Bücher aus der Bibliothek des Ältesten Rates schicken. Denn sie wusste, dass dieser eine Abteilung für Mythen und Legenden hatte. Etwas, was wohl doch nicht so falsch und unnütz war, wie die meisten Vampire dachten.
„Ihr wart in einem Hotel?“, fragte die junge Werwölfin irritiert, doch räusperte sich dann wieder. „Ähm, in Ordnung. Ich werde Orion Bescheid geben. Wir treffen uns dort.“ Abrupt legte sie auf und Sezuna steckte ihr Handy wieder ein.