Menschen huschten um mich herum, riefen und dirigierten. Ich spürte wie sich Hände auf meine Schultern legten und mich sanft in eine Richtung schoben. Teilnahmslos lies ich es geschehen. Wie in Trance bekam ich mit das sie mich und die anderen in einen Raum brachten. Dort wartete eine Horde Menschen mit weißen Kitteln auf uns. Sie setzten mich auf einen Stuhl, auf dem ich mich ohne wiederworte hinsetzte. Ich fühlte mich gerädert und kraftlos. Sollten sie doch tun was sie wollten mit mir. Ich wollte mich nur noch hinlegen und für immer schlafen. Eine gehetzt wirkende junge Frau mit langen blonden Haaren und mit einem weißen Kittel bekleidet, schob einen kleinen silbernen Wagen auf mich zu, auf dem ich Wattepads, Desinfektionsmittel und jede Menge anderer Dinge zur Erstversorgung von Wunden erkannte.
„Miss Darnell?“ drang eine hohe unbekannte Stimme an mein Ohr.
„Hm?“ brummte ich und hob meinen Kopf.
„Ich fragte ob sie irgendwelche Schmerzen haben? Oder ob ihnen Schwindelig ist?“ argwöhnisch betrachtete mich die Blondine mit zusammengezogenen Augenbrauen.
Ich schüttelte langsam den Kopf. „Mir geht es gut. Kann ich jetzt gehen?“ fragte ich mit heißerer Stimme. Mein Hals kratzte und ich hatte Durst.
„Nicht so schnell. Zuerst muss ich ihre Schnittwunden versorgen,“ herrschte sie mich an und schüttete das grüne Desinfektionsmittel auf ein Wattepad. Der Geruch brannte in meiner Nase. Angewidert rümpfte ich die Nase. Die blonde Heilerin nahm meinen rechten Arm und begann mit ausdruckslosem Gesicht meine Wunden abzutupfen. Es brannte wie Feuer als die Lösung auf meine offene Haut traf. Um nicht aufzustöhnen bis ich mir auf die Unterlippe. Nach gefüllten Stunden hatte sie endlich meine etlichen Schnittwunden versorgt. Als sie das letzte Pflaster auf meine Haut gedrückt hatte, sprang ich stürmisch von meinem Stuhl hoch. „Nicht so schnell meine Liebe,“ ermannte sie mich und drückte mich wieder auf den Stuhl. „Wir sind noch nicht fertig. Ihre Stimme klingt heißer.“
„Aber…“ noch vor ich etwas erwidern konnte schob sie meinen Kopf nach hinten und drückte mein Kinn runter.
„Kein ‚Aber‘! Ihr Hals gefällt mir gar nicht. Das schaut aus als hätten sie einen Kamin verschluckt. Wollen sie an einer Rauchgasvergiftung sterben?“ Sie schüttelte missbilligend den Kopf während sie mit einer Taschenlampe in meinen Rachen leuchtete. „Das haben wir gleich.“
Ungeduldig begann sie auf ihrem Wagen nach etwas zu suchen und plapperte leise vor sich hin.
„Wo haben wir sie den? Ach was ist das nur für eine Unordnung… Genauso wie hier an dieser Schule… Sind doch noch Kinder… Wie kann man nur… Schicken sie einfach in diese Stadt… Ohne Schutz… Ein Wunder das sie noch leben… Der Arme Junge… Solche Verletzungen habe ich noch nie gesehen… Schien ein Tier zu sein… Ein Wunder das er noch lebt… Hätte schlimm ausgehen können… Für alle… Ah, da haben wir es ja,“ Mit einer Spraydose in der Hand drehte sie sich leicht lächelnd wieder zu mir. „Mund auf, meine Liebe.“
„Höllenhunde,“ antwortete ich lässig.
Die Blonde Krankenschwester blinzelte verwirrt. „Wie bitte?“
„Höllenhunde. So hießen die Kreaturen die uns angegriffen haben,“ erklärte ich der perplexen Krankenschwester. „Es waren drei. Einen habe ich getötet und den anderen hat Magnus, der Junge der verletzt ist, getötet. Der Dritte Hund ist dann auf uns losgegangen,“ erzählte ich schnell die ganze Geschichte.
„Aber Liebes, bist du dir sicher? Höllenhunde sind doch sonst nie außerhalb der Unterwelt.“ Die Augen der Blondine weiteten sich verängstigt. „Es sei den Luzifer hat sie dort hingeschickt. Bei allen Erzengeln,“ murmelte sie schockiert und starrte Löcher in die Luft.
„Miss? Darf ich sie etwas fragen?“ ergriff ich meine Chance. „Wie geht es meinem Freund?“
„Hm? Ach so, eurem verletzten Freund, Mr. McKenna: Dem geht es den Umständen entsprechend. Er wird noch versorgt aber die Blutungen konnten wir stoppen und er bekommt jetzt Blutkonserven. Er hatte großes Glück. Wir werden ihn noch diese Nacht beobachten, aber wir denken er ist über den Berg,“ klärte sie mich verständnisvoll lächelnd auf.
„Vielen Dank. Jetzt bin ich beruhigt,“ bedankte ich mich. Ein Stein viel mir vom Herzen. Wir hatten es wirklich geschafft aus diesem wortwörtlichem Höllenloch zu entkommen.
„Aber, Aber. Das ist doch selbstverständlich. Wenn sie mir jetzt nur noch kurz den Mund aufmachen würden,“ forderte mich die junge Frau mit süßlicher Stimme auf. Ich machte brav den Mund auf und sie spritzte mir einen Hauch eiskalten Nebel in den Rachen. Als ich den Mund wieder schloss fühlte sich mein Rachen seltsam eingefroren an. Ich musste Husten. „So das wär’s. Ich gebe ihnen diesen Spray mit. Alle zwei Stunden einen Hauch in den Rachen spritzen dann verschwindet der Ruß. Sonst verschreibe ich ihnen nur ein wenig Bettruhe um wieder zu Kräften zu kommen. Sollten irgendwelche Beschwerden wie zum Beispiel Schwindelgefühl oder plötzlicher Gedächtnisverlust auftreten sollten sie sofort zu uns in den Krankenflügel kommen. Okay?“
Ich nickte brav, verabschiedete mich von der jungen Frau und hinkte aus dem Raum. Eilends ging ich den beleuchteten Flur entlang. Ich wollte nur noch eines: Meine Müden Knochen hinlegen. Doch schon nach wenigen Metern hörte ich schnelle Schritte die mir folgten.
„Miss Darnell,“ ertönte eine warme Stimme neben mir und ein Arm legte sich um meinen Nacken. „Auf ein Wort.“
Ich hätte es wissen müssen! schelte ich mich selbst für meine Dummheit und drehte mich zu der Stimme. „Natürlich, Mr. Weston.“
Respektvoll folgte ich dem Direktor in das nächste Zimmer. Mr. Weston knipste das Licht an und ging zielstrebig weiter. Ich betrat das Zimmer hinter ihm und sah mich um: es war ein altes Klassenzimmer. In sechs Reihen aufgestellt standen kleine Tische auf denen alle jeweils ein Stuhl stand. Alles war mit Staub und Spinnweben bedeckt. Selbst die Tafel hinter dem Lehrerpult auf dessen Stuhl Mr. Weston saß und mich beobachtete. Ihm gegenüber saßen bereits Taylor und Andrew. Ich setzte mich auf den Stuhl neben Andrew und wartete. Mr. Weston ließ sich Zeit. Er betrachtete einen nach den anderen mit zusammengezogenen Augenbrauen und sagte nichts. Nachdem ich schon dachte er hätte vergessen warum er uns zu sich bestellt hatte öffnete er den Mund und begann zu reden.
„Ihr habt mich Überrascht muss ich sagen. Ihr habt mich heute wirklich Überrascht,“ bevor ich überlegen konnte ob im guten oder schlechten Sinn sprach er schon weiter. „Ihr wart heute in Gefahr, dass ist euch glaub ich bewusst. Ihr wart in ernster Gefahr. Höllenhunde sind eines der wiederwertigsten Kreaturen die es gibt und nur wenige haben bis jetzt einen Angriff überlebt, geschweige denn sie getötet und das in eurem Alter.“ Ich wusste immer noch nicht ob er es im Positiven oder negativen Sinne meinte und beschloss ihn reden zu lassen.
„Ja Mr. Weston,“ sagten wir einstimmig. Das war uns vollkommen klar.
„Ich weiß das nicht ihr dieses Portal geöffnet habt. Das ist mir vollkommen klar. Sollte mir aber zu Ohren kommen das ihr etwas mit dieser Schnapsidee zu tun gehabt oder sogar davon gewusst habt, dann sei eines klar: Derjenige wird schneller von der Schule verwiesen als er ‚Erzengel‘ sagen kann.“
Direktor Weston musterte uns noch einmal. Ich erwiderte ruhig seinen Blick. „Wenn ihr dazu nichts zu sagen habt könnt ihr jetzt in eure Schlafsäle gehen. Ich sehe euch später wieder im Essenssaal zum Abendessen.“
Wir nickten und erhoben uns. Taylor und Andrew verließen eilig das Klassenzimmer. Doch ich konnte das Zimmer nicht verlassen. Zu viele wichtige Fragen standen im Raum und schienen mich zu erdrücken. Ich musste es einfach wissen.
Ich trödelte vor mich hin da ich nicht wusste wie ich das Gespräch beginnen sollte.
„Haben sie noch eine Frage oder wollen sie mir etwas sagen, Miss Darnell?“ fragte mich schließlich Mr. Weston. Ich drehte mich um. Mr. Weston lächelte. „Na sag schon was dich bedrückt, Raven. Oder willst du noch länger an der Tür stehen und von einem Fuß auf den anderen treten?“ Ich zwang mich zu einem Lächeln.
„Es gibt da etwas, dass mir sehr wichtig ist, Mr. Weston. Sie wissen wer es war, habe ich recht? Sie wissen warum wir in Fallen City waren? Und sie wissen auch wer das Portal geöffnet hat.“
Mr. Weston seufzte. „Ja, ich weiß wer das Portal geöffnet hat und ich weiß auch warum.“ Mr. Weston zeigte mit einer Hand auf den Stuhl vor dem Pult. „Setz dich, Raven.“ Zaghaft setzte ich mich auf den Stuhl.
„Wie du vielleicht schon weißt sind Mr. Jaxson Millard und Mr. Tristan Murray Halbgeschwister.“
Ich nickte. „Magnus hat es erwähnt als wir auf Tristan gestoßen sind in Fallen City. Er sagte auch das Jaxson nie daran glaubte das Tristan tot sei.“
Mr. Weston lächelte. „Vor zwei Jahren als Tristan eines Nachts spurlos verschwand kam Jaxson zu mir und bat mich ihn seinen Halbbruder suchen zu lassen. Er sagte er wisse mit Sicherheit wo sein Halbbruder sei. Ich sagte es sei zu gefährlich und dass Tristan sicher schon tot sei. Jaxson wollte davon nichts hören und sagte immer Tristan könne nicht tot sein, das wäre nicht möglich. Er war sich sicher seinen Bruder lebend wieder zu finden. Aber ich verbot es ihm. Du musst wissen, dass Jaxson zur Hälfte vom Geschlecht der Wächter abstammt. Darum hat er die Gabe Portale zu öffnen. Allerdings nur Portale die schon bestehen. Also verbrachte er die letzten zwei Jahre im Verborgenen alles dafür vorzubereiten seinen Bruder wieder zurück zu holen. Durch euch.“
„Was hat ihn so sicher gemacht, dass Tristan in Fallen City sei? Warum hat er uns durch dieses Portal geschickt? Warum ist er nicht selbst gegangen?“ fragte ich neugierig.
„In der Nacht vor zwei Jahren stand die Tür zu diesen Raum weit offen. So waren wir zu hundert Prozent sicher, dass er durch dieses Portal verschwunden war. Was wir nicht verstanden, war wie Tristan das Portal öffnen konnte. Er ist anders als sein Bruder nicht zur Hälfte ein Wächter. Jemand muss ihn durch das Portal gelockt haben. Allerdings schweigt er bis jetzt beharrlich. Was uns zur Frage führt warum Jaxson nicht selbst gegangen ist: Er wusste das Tristan nicht mit ihm zurückkommen würde. Tristan hasst seinen Halbbruder. Also schickte er die besten Freunde seines Bruders und hoffte das alles gut gehen würde.“ „Sie glauben also das jemand Tristan nach Fallen City gelockt hat?“ fragte ich nachdenklich.
Mr. Weston seufzte. „Ich befürchte es. Wie gesagt: Mr. Murray schweigt beharrlich. Bis jetzt hat er kein Wort gesagt. Ich habe versucht mit ihm zu reden aber er starrt nur aus dem Fenster. Er liegt zusammen mit Mr. McKenna im Krankenflügel. Wir sind dabei ihn wieder aufzupäppeln. Er hat eine Infektion und ist unterernährt.“
„Er hat Angst,“ stellte ich betroffen fest. „Darum wollte er auch nicht zurück: Hier an der Schule trachtet ihm jemand nach dem Leben.“
„Er wollte also auch mit dir nicht zurück an die Schule?“ Mr. Weston sah mich über seine Brillengläser hinweg an. Ich schüttelte den Kopf. „Nein. Er sagte immer wieder er wäre lieber gestorben als wieder hierher zurückzukommen. Ich habe aber nie verstanden warum.“
„Das würde heißen Mr. Murray kenne den Täter persönlich oder er habe ihn gesehen,“ murmelte Mr. Weston nachdenklich. Ich dachte einen kurzen Moment über die Theorie des Direktors nach. War es möglich, dass Tristan die Person kannte die ihn das angetan hatte? Möglich wäre es. Aber warum sagte er dann nicht wer es getan hatte? Nein, Tristan wusste nicht wer das Portal geöffnet hatte.
„Ich glaube nicht das Tristan weiß wer das Portal geöffnet hat,“ teilte ich meine Bedenken mit dem Direktor. „Ich nehme an das Portal nach Fallen City gehört nicht zum Schulinventar?“
Mr. Weston lächelte traurig. „Ich muss leider zugeben, dass wir erst seit zwei Jahren dieses Portal kennen. Damals haben wir diese Tür plötzlich in diesem Raum entdeckt. Niemand von den Wächtern kann sie wieder verschwinden lassen. Die Gabe der Portalrufung ist nicht sehr weit verbreitet. Nur die wenigsten beherrschen diese Kunst. Bis jetzt habe ich nur von fünf Portalrufern gehört: Die Erzengel und Luzifer. Seit heute kannst du dich dazuzählen.“ Er zwinkerte mir verschwörerisch zu.
„An der Akademie muss es noch einen geben,“ stellte ich verbittert fest. Ich dachte über seine Worte nach. Erzengel konnten Portale erschaffen. Also waren die meisten der bestehenden Portale von den Erzengeln erschaffen worden. Doch dieses Portal war neu. Und es führte an den Rand der Unterwelt. Luzifer, der Herr der Unterwelt war auch einst ein Erzengel gewesen. Also konnte auch er Portale erschaffen. „Habe ich das richtig verstanden: Diese Gabe wie ich sie habe ist eigentlich nur unter Erzengeln verbreitet?“ Ich hob neugierig den Kopf. Stimmte meine Mutmaßung.
Mr. Weston neigte den Kopf. „Bis jetzt nahmen wir das an. Aber du bist eine Ausnahme.“
„Ich bin die Tochter eines Erzengels. So nehme ich an das diese Fähigkeit von meinem Vater kommt. Was ist, wenn hier ein Illegitimes Kind eines weiteren Erzengels ist? Ich denke wir haben hier einen Spion. Einen Spion aus der Unterwelt,“ eröffnete ich ihm meine Vermutung.
„Eine interessante Vermutung, Raven. Aber so lange wir keine Indizien haben ist es nur das, eine Vermutung,“ schloss Mr. Weston das Gespräch seufzend.