Gedankenverloren schlenderte ich durch den Flur. Meine Schritte auf den Fliesenboden hallten von den Mauern. Ich ließ mir die ganze Unterhaltung mit dem Direktor durch den Kopf gehen und bemerkte erst zu spät, dass ich nicht Richtung Mädchentrakt gegangen bin.
Als ich vor einer gläsernen Tür stand, verstand ich erst wo ich hingegangen bin: Ich stand vor dem Krankenflügel der Akademie.
Unschlüssig stand ich mit gesenktem Kopf davor. Sollte ich reingehen? Was sollte ich zu den Heilern sagen? Was wollte ich überhaupt hier? Tristan! spukte es durch meinen Kopf. Ja, ich wollte mit ihm reden. Ober er sich mir anvertrauen wird? Probieren konnte ich es doch.
Tief durchatmend hob ich den Kopf und griff nach der Türklinke, als die Tür auch schon mit Schwung nach innen geöffnet wurde. Irritiert hob ich den Kopf.
„Was machst du hier? Ist etwas passiert? Geht es dir nicht gut?“ erkundigte sich eine sanfte mir sehr wohl bekannte Stimme besorgt.
Ich biss die Zähne zusammen und hob mit einem aufgesetzten Lächeln den Kopf. Vor mir stand meine Freundin Rose die mich skeptisch betrachtete. Wie alle Heiler trug auch sie einen Weißenkittel auf dem ein Namensschild befestigt war. Auf ihrem Stand in kursiver Schrift Rose Autumn Brennon. Rose war ohne Frage eine Schönheit. Mit ihrem glänzenden seidig glatten langen braunen Haaren die ihr bis zur Taille reichten, ihrer Größe von 1,80 Metern und den ellenlangen Beinen. Doch was viel wichtiger war: Sie war der ehrlichste Mensch dem ich je begegnet war und darum eine sehr gute Freundin. Vielleicht sogar meine beste Freundin, wenn ich an den Streit mit Haven letzte Nacht dachte. Ich spürte einen Stich im Herzen. Würden ich und Haven je wieder beste Freundinnen werden? Was würde mich erwarten? Rose betrachtete mich immer noch abwartend. Seufzend ließ ich meine Mundwinkel sinken. Es hatte keinen Sinn sie anzulügen. Sie würde es trotzdem rausfinden.
„Ich weiß es nicht,“ gab ich zu.
Rose zog ungläubig die Augenbrauen zusammen, richtete sich zu ihrer vollen Größe auf und verschränkte ihre Arme vor der Brust.
„Du weißt es nicht?“ fragte sie ungläubig. „Bist du sicher, dass du nicht zu einem gewissen Patienten willst?“
Erschrocken klappte ich meinen Mund auf um ihr zu erwidern, doch als ich sah wie Rose spöttisch eine Augenbraue anhob wusste ich das es keinen Sinn machte. Manchmal hatte ich das Gefühl Rose könnte meine Gedanken lesen. Sie wusste immer was ich dachte oder was ich fühlte. Abgesehen von Haven kannte mich kein Mensch so gut wie sie. Das stimmt nicht, verbesserte ich mich selbst in Gedanken. Taylor! Ja, Taylor kannte mich auch sehr gut. Aber ob er mich auch so gut kannte wie Haven und Rose? Ein räuspern holte mich aus meinen Gedanken. Verlegen hob ich den Kopf.
„Bist du mal wieder im Land der Träume, Rav?“ schmunzelte Rose. Ich lächelte verlegen. „Ich weiß was wir machen. Warte hier kurz,“ wies sie mich an und trat rückwärts durch die offene Tür des Krankentrakts. Neugierig sah ich auf die Uhr am Ende des Flurs. Es war halb sieben Uhr abends. Das hieß sie hatte ihre Schicht erst vor zwei Stunden begonnen. Sie eilte durch die Tür der Rezeption und kam nach fünf Minuten in Jeans, schwarzen Sneakers und einem roten Shirt über den sie eine Lederjacke anzog breit Grinsend wieder zurück. An ihrem rechten Arm baumelte eine riesige Handtasche aus schwarzem Leder. „Heute zahlen sich endlich die vielen Überstunden aus die ich hier geschuftet habe. Komm. Gehen wir,“ klärte sie mich auf als sie mein verdutztes Gesicht sah. Sprachlos folgte ich ihr die Treppen hinunter in den Eingangsbereich. Sie hielt auf die große Eingangstür zu an der unser Hausmeister stand und sie mit gerunzelter Stirn betrachtete.
„Äh, Rose?“ begann ich zaghaft. „Wo willst du hin?“
„Vertrau mir einfach,“ murmelte sie und trat mit einem herzlichen Lächeln auf den Hausmeister zu. „Guten Abend, Mr. Woodrow. Was macht ihr Rheuma? Haben sie immer noch schmerzen?“ erhob sie ihre Stimme.
„Guten Abend Miss Brennon und Miss Darnell. Vielen Dank, nein es ist viel besser geworden. Vielen Dank noch einmal für die Salbe, Miss Brennon. Sie wirkt wahre Wunder,“ bedankte er sich schleimig. „Aber dürfte ich trotzdem wissen wo es die werten Herrschaften zu dieser späten Stunde hinführt?“
„Oh natürlich. Wo habe ich nur meinen Kopf. Ich Dummerchen,“ kicherte Rose und klimperte aufreizend mit ihren langen schwarzen Wimpern. Verwirrt beobachtete ich das Spektakel. So hatte ich meine Freundin noch nie gesehen. Was wollte sie mit diesem Auftritt bezwecken? „Ich und Miss Darnell haben die Erlaubnis bis Mitternacht das Gebäude zu verlassen und uns im nahe gelegenen Dorf aufzuhalten,“ sagte sie schließlich und lächelte unschuldig.
Mr. Woodrow musterte uns einen Moment misstrauisch und nahm ihr den Zettel aus der Hand. „Und wer hat ihnen die Erlaubnis erteilt?“ fragte er. Jetzt sitzen wir in der Scheiße! ging es mir durch den Kopf. Doch Rose blieb ruhig.
„Mr. Brennon hat uns die Erlaubnis gegeben. Warten sie,“ Roses steckte ihre Hand in die monströse Handtasche und wühlte kurz darin. „Aha, da habe ich dich,“ zufrieden zog sie feierlich einen zerknitterten Zettel heraus und überrichte ihn den verblüfften Hausmeister. „Hier ist die schriftliche Erlaubnis, unterzeichnet von Professor Brennon höchstpersönlich.“
Entgeistert starrte ich auf das Blatt Papier in den Händen des Hausmeisters. Hatte Rose alles geplant? Woher hatte sie so schnell diesen Wisch? Ich kannte Professor Brennon und wusste er würde seiner Tochter nichts abschlagen können. Nicht das Rose verwöhnt wäre, nein. es war mehr so dass sie auf jede Sache eine rationelle Erklärung hatte. Hatte sie also ihren Vater dazu überredet uns ins Dorf zu lassen? Aber mit welcher Erklärung?
„Sieht echt aus,“ Hörte ich den Hausmeister murmeln. „Nun denn, dann wünsche ich den Ladies heute einen schönen Abend und denkt daran vor Mitternacht wieder hier zu sein.“ Mit diesen Worten gab er Rose ihren Zettel zurück und drückte eine Zahlenkombination auf das Zahlenfeld neben sich. Mit einem knarzen öffnete sich die schwere zwei Meter hohe Holztür. Wir bedankten uns beim Hausmeister und machten uns eilig auf den Weg.
„Sagst du mir jetzt was du geplant hast?“ fragte ich als wir schon einige Meter vom Gebäude entfernt waren.
„Das wirst du gleich sehen. Sei nicht immer so ungeduldig,“ kicherte Rose.
Wir gingen eilig den Schotterweg weiter der zum Rande des Dorfes führte. Eine Weile lauschte ich nur dem Geräusch der Kieselsteine unter meinen Schuhen. Das Gusseiserne Tor zur Akademie ragte am Ende des Kieselweges empor. Der Wärter hob kurz den Kopf von seiner Lektüre. Als er uns sah drückte er auch eine Zahlenkombination in das Zahlenfeld neben sich und widmete sich wieder seiner Lektüre. Das eiserne Tor öffnete sich quietschend.
„Vielen Dank Tommy,“ bedankte sich Rose und winkte ihm freundlich zu während wir hindurchtraten. Der Wärter quittierte alles mit einem lässigen Kopfnicken. Auf einem gepflasterten Weg eilten wir weiter hinunter zum Dorf dessen Dächer wir von hier aus sahen. Aus den Schornsteinen drang Rauch und die Fenster waren hell erleuchtete Punkte. Die Dämmerung hatte uns erfasst. Der Himmel erstrahlte in violettem Licht.
„Sag mal Rose, wie oft gehst du ins Dorf hinunter?“ fragte ich meine Freundin neugierig.
Rose kicherte. „Ist doch langweilig immer in dieser Akademie zu sein,“ antwortete sie mir. „Aber normalerweise nehme ich nicht den Haupteingang. Das war heute das erste Mal. Aber ich dachte es wäre zu auffällig zu zweit in die Küche hinunterzuschleichen um den Personalausgang zu nehmen.“
Fassungslos betrachtete ich meine ruhige Freundin von der Seite.
„Hättest du mir jetzt nicht zugetraut, was? Tja, die Tochter des Vizedirektors, des strengen Geschichtsprofessors, stählt sich abends aus der Schule. Klingt unglaubwürdig, stimmt’s? Aber die Wahrheit ist, manchmal habe ich das Gefühl hier einfach keine Luft zu bekommen, eingeengt zu sein und da hau ich halt für ein zwei Stunden einfach ab bis es wieder geht,“ erklärte sie mir.
„Das Gefühl kenne ich,“ murmelte ich gedankenverloren während wenige Meter vor uns die erste Häuser erschienen. „Du hast dann das Gefühl keine Luft mehr zu bekommen. Als würde alle Luft im Raum einfach verschwinden.“
Rose nickte und ging zielstrebig auf das nächste Gebäude zu. Es war ein älteres Gebäude aus Stein das mit Holz verkleidet war. Über der Holztür, die Rose schwungvoll öffnete, las ich auf einem vom Wetter gegerbten Holzschild ‚ad Uva‘ in Kursiver Schrift. Bedacht folgte ich Rose in den Schankraum des kleinen Pubs und sah mich neugierig um. Der Pub war fast leer. Wir standen in einem großen geräumigen Raum der früher einmal ein Stall gewesen sein musste. Dunstiges Licht erhellte den Raum spärlich. Tische, Bänke und Stühle waren aus schwerem lackierten Massivholz gefertigt. Überall im Raum waren Stützen und Gabelungen aus Holz verstreut die eine halbhohe Abgrenzung zwischen einigen Tischen bildete. Außer uns waren nur mehr wenige Gäste hier wie ich mit einem Blick durch den Raum feststellte. Gut versteckt im hintersten Winkel des Raumes erhaschte ich einen kurzen Blick auf ein wild knutschendes Paar in unserem Alter. An den restlichen Tischen sah ich ältere Männer Karten spielen oder bei einem Glas Bier stumm vor sich herschauen. Die lange Bar an der linken Seite des Zimmers war aus einem langen halben Baumstamm gefertigt wie ich an der Maserung feststellte. Einige vermutliche Stammgäste lehnten daran und starrten mit glasigem Blick vor sich hin. Beeindruckt folgte ich Rose in den hinteren Bereich des Pubs. Neugierige Blicke folgten uns. Ich setzte mich Rose gegenüber auf die Bank, entledigte mich meiner Lederjacke genau wie Rose und lies ein weiteres Mal meinen Blick neugierig durch die Stube wandern. Da fiel mein Blick auf einen Tisch in der Nähe des Pärchens: Eine dunkelverhüllte Gestalt saß am Tisch im Halbschatten. Vor sich ein nicht berührtes Glas gefüllt mit einer Bernsteinfarbenen Flüssigkeit. Er trug einen schwarzen Umhang dessen Kapuze er tief ins Gesicht gezogen hatte. Am restlichen Körper trug er Jeans und schwere klobige von schmutz verkrustete halbhohe Lederstiefel. Lässig lehnte er in seinem Stuhl. Sein Blick immer in unsere Richtung gerichtet. Ich spürte förmlich seinen Blick auf mir. Ein Schauer lief über meinen Rücken.
„Also erzähl: Was ist bei deiner Prüfung geschehen? Warum liegt McKenna schwer verletzt im Krankenflügel? Seit wann kannst du Portale entstehen lassen? Und woher zum Teufel kommt Murray so plötzlich?“ Mit einem Schlag war mir bewusst wer die Stimme am Portal gewesen war: Rose.
Ich seufzte. „Das, meine Liebe, ist eine lange Geschichte.“ Aus den Augenwinkeln sah ich wie eine gebückte Frau mit graumelierten Haaren schwerfällig auf uns zuwankte. „Du hast keine Ahnung was wir durchgemacht haben.“
Rose lehnte sich zurück und öffnete abwartend die Arme. „Ich habe Zeit.“
„Was darf es für die beiden Damen sein?“ fragte die ältere Dame freundlich als sie bei unserem Tisch ankam.
„Für mich ein Glas Rotwein,“ bestellte Rose mit einem freundlichen Lächeln.
„Für mich ein Glas Chardonnay,“ fügte ich hinzu. Mit einem Nicken wackelte sie wieder zurück hinter die Bar. Als Rose sich vergewissert hatte das die Wirtin außer Hörweite war lehnte sie sich wieder über den Tisch zu mir.
„Also ist es wahr was die Gerüchte sagen? Ihr wart wirklich in Fallen City?“ fragte sie besorgt.
Ich nickte leicht und hörte wie sie beeindruckt die Luft einzog. „Und dort habt ihr Murray aufgegabelt?“ Ich nickte wieder. „Die Zwei Jahre hat er also in Fallen City gelebt? Wie hat er bloß überlebt?“ hauchte sie betroffen. Aus den Augenwinkeln heraus bemerkte ich das die Wirtin nun mit einem Tablet und den zwei Gläsern sich auf den Weg zu uns befand. Ich wartete bis sie die Gläser vor uns hinstellte und sich wieder zurück zu Bar begab, mit meiner Antwort.
„Bevor ich bei dir im Krankenflügel auftauchte war ich bei Mr. Weston. Er hat mir erzählt das an jenem Tag als Tristan verschwand im Trainingstrakt ein Portal gefunden wurde. Ein Portal das bis dahin nie da war. Es war vollkommen neu. Niemand wusste woher es kam.“
Rose starrte mich mit offenem Mund an. „Heißt das sie glauben das Tristan… aber Tristan kann keine Portale erschaffen oder? Ich meine ich kenne keinen außer dich der Portale erschaffen kann. Das können doch nur Erzengel,“ dachte sie laut über meine Worte nach. Plötzlich weiteten sich ihre Augen. „Jemand hat ihn nach Fallen City gelockt,“ hauchte sie atemlos. Ich nickte. „Das ist auch der Gedanke von mir und Mr. Weston.“
„Das würde heißen das diese Person immer noch an der Schule ist. Aber es gibt nicht so viele Halbengel an der Skyland Akademie,“ fügte sie nachdenklich hinzu während sie ihr Glas in der Hand drehte. Ich nickte und starrte dabei gedankenverloren in mein Glas als ein Schatten mich aufschrecken ließ.
„Da wäre ich mir nicht so sicher,“ entgegnete ihr eine männliche Stimme. Ich hob den Kopf. Vor mir stand der Mann mit der Kapuze. „Guten Abend Ladies. Ich denke es ist besser dieses Gespräch wo anders weiterzuführen,“ murmelte er. Im Schein der Kerze erkannte ich ein Lächeln in seinem Gesicht das mir seltsam Vertraut war. Doch wer war der geheimnisvolle Mann?