Der Codex Voluptas
Kapitel 2 - Succubina Nocturni
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Eine Horror-Erotik Story von Megan Core
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Es war für mich undenkbar, nach dem Treffen mit Amanda zurück ins Labor zu gehen um meine limnologischen Forschungen am Grundwasser von New South Wales voranzutreiben. Zu sehr würde mich dabei der Gedanke an dieses sonderbare Buch ablenken. Ich konnte es kaum erwarten dieses einzigartige Objekt bei mir Zuhause einem Echtheitstest zu unterziehen, zu versuchen die alten Texte zu übersetzen und dabei die grotesken Skizzen und Abbildungen zu untersuchen. Die Müdigkeit der letzten Tage schien wie weggefegt zu sein und ich strotzte geradezu vor Tatendrang.
Auf meinem Weg nach Hause wandte ich mich mehrmals um. Bereits seit ich das Café Vermont verlassen hatte, habe ich mich so gefühlt, als wäre ich nicht alleine losgegangen. Obwohl die Straßen in dieser alten Bergbaustadt wie leergefegt waren und ich mich mehrmals davon hatte überzeugen können, dass niemand mir folgte, kam es mir die ganze Zeit über so vor, als würde jemand direkt hinter mir gehen, unnatürlich nahe an mich heranschreiten und mir über die Schulter sehen. Je weiter ich heimwärts schritt, desto mehr verstärkte sich dieser Eindruck.
Der Anblick der schon halb hinter dem Broken Hill versunkenen Sonne und der Gedanke an die schon bald über mich und dieses Ödland hereinbrechende Finsternis löste bei mir ein für mich unbegreifliches Unbehagen aus. Es war - so schien es mir - auch viel zu still für diese Gegend. Wo waren die Vögel, die um diese Jahreszeit sonst im Abendrot ihre Lieder zum Besten gaben? Wo blieb das für diese Uhrzeit übliche Gezirpte der Grillen? So sehr ich auch lauschte, das einzige Geräusch war das unheilvolle Säuseln des Windes, der durch das staubige Buschwerk und die verdorrten Gräser wehte und unter dem die Äste der Bäume sich geradezu bedrohlich herabneigten. Nur der Wind - oder war da noch etwas?
Zuerst dachte ich, dass es bloß in meinem Kopf wäre, doch nun, da ich von der Silver Street auf den alten Feldweg einbog, welcher entlang der ausgetrockneten Wiesen und Äcker verlief, hörte ich es noch weitaus deutlicher als zuvor. Wie ein unendlich weit entfernter Frauenchor, der diese unheimliche, lockende Melodie summte. Es war als sangen sie von Versuchung und Verderben. Dieses Gefühl, jemand ginge unbehaglich nahe hinter mir her, wurde zuweilen so stark, dass ich beim Gedanken stehenzubleiben eine Gänsehaut bekam. Aller Skepsis zum Trotz wandte ich mich mehrmals um, starrte jedoch nur auf einen einsamen Feldweg und den blanken, immer schwärzer werdenen Himmel hinter mir. Ich drehte mich langsam im Kreis und ließ meinen Blick in allen Richtungen über die verlassenen Felder schweifen. Ringsherum warfen die Bäume lange Schatten über die braungebrannte Vegetation. Die Stimmen waren verstummt. Obgleich ich mich hellwach fühlte, schrieb mein rational denkendes Hirn diese Erscheinung dem Mangel an gesundem Schlaf zu. Es wäre nicht das erste mal gewesen, dass sich aus diesem Grund leichte Halluzinationen bei mir einstellten, und gepaart mit Amandas haarsträubenden Geschichten wunderte es mich kaum, dass mein überarbeiteter Verstand solche Dinge herbeisann.
Nach einer gefühlten Ewigkeit war ich zutiefst erleichtert, endlich in meinem Garten angelangt zu sein - obwohl ich alleine war versuchte ich es mir nicht anmerken zu lassen. Mit dem Schlüssel bereits im Anschlag eilte ich zur Haustüre und eine unnatürliche Furcht erfasste mich noch während der letzten Schritte. Meine Hände zitterten so stark, dass ich kaum in der Lage war das Schloss zu entriegeln. Mein Herz pochte in rasendem Tempo, als hätte ich eine Überdosis Koffein abbekommen. Als ich es endlich schaffte das Schloss zu öffnen hastete ich hinein und schlug die Tür hinter mir zu. Sofort sperrte ich hinter mir ab.
Ich atmete tief durch und ging ins Badezimmer, wo ich mir einige Male kaltes Wasser ins Gesicht klatschte und für ein paar Momente im grellen Licht der Neonröhren mein eigenes Spiegelbild anstarrte. »Dreh jetzt nicht durch, Adam«, sage ich zu mir selbst während ich darauf wartete, dass mein Puls sich normalisierte. »Du hast es etwas zu hart angehen lassen in letzter Zeit, aber du warst noch nie abergläubisch. Fang jetzt nicht damit an!«
Ich sammelte meine Gedanken, beruhigte mich und schon eine Minute später belächelte ich bereits wieder meine eigene Einfältigkeit. Hatte Amanda es mit ihrem Unsinn doch tatsächlich geschafft, meine ansonsten so kühle Gedankenwelt für einen Moment durcheinander zu bringen. Ich trocknete mir dir Hände, setzte ein selbstbewusstes Lächeln auf und schritt durch die Badezimmertür. Und da - Mein Herz blieb beinahe stehen - als ich an der Tür Küche zur vorbei schritt, vermeinte ich aus dem Augenwinkel heraus eine dunkle Gestalt gesehen zu haben, die regungslos durch das Küchenfenster hereinstarrte. Sofort schreckte ich zurück, betrat die Küche und konnte gerade noch erkennen, wie ein Schatten vom Fenster weg huschte. Ich wandte mich um und überprüfte das Wohnzimmer. Sowie ich es betrat zogen sich finstere Umrisse hinter jedem Fenster zurück. Ich erstarrte vor Schreck und plötzlich waren da auch wieder diese Gesänge... Gerade noch glaubte ich sie nur in meinem Kopf zu gehört zu haben, gleich einem Ohrwurm der mir immerzu diese Verhängnis verkündende Melodie im Kopf herumschwirren ließ, sodass meine Lippen geneigt waren leise mitzuflüstern. Doch nun hörte ich es ganz klar mit meinen eigenen Ohren - diese Gesänge, so entfernt und unwirklich als hätte der Wind sie über tausend Meilen hinweg hergetragen.
Ich versuchte rasch einen klaren Kopf zu kriegen und entschloss mich kurzerhand, mich für's erste in meinem Schlaf- und Arbeitszimmer im Obergeschoss einzuschließen. Noch bevor ich die Treppe hinauf hastete vermeinte ich hinter mir huschende Schatten im Nebenraum zu wahrzunehmen. Mit jedem meiner Schritte klangen die Stimmen lauter, deutlicher... näher. Dieses Unheil verheißende Summen - wie ein sehnsüchtiges, vorfreudiges Schmachten dass sich aus unzähligen Mündern zu einer verführerischen Symphonie vereinte. Ein Schatten folgte mir die Treppe hoch. Ich wirbelte herum - doch da war nichts. Nur dieser alles durchdringende Gesang, der aus jedem Raum zu erklingen schien und den ich nicht einmal dann zu dämpfen vermochte, wenn ich meine Ohren zuhielt.
In meinem Zimmer angelangt warf ich die Türe zu, drehte den Schlüssel um und zerrte unter lautem Knarzen meinen alten Arbeitstisch als behelfsmäßige Barrikade davor. Ich schaltete alle Lichter ein, selbst die Leselampe auf dem Tisch. Immer wieder glaubte ich jemanden bei mir im Raum stehen zu sehen - stets aus den Augenwinkeln - doch wann immer ich mich umdrehte war da niemand. Ich fegte meine Unterlagen von der Tischfläche und breitete hastig den Codex Voluptas darauf aus. Während ich über das alte Schriftstück gebeugt stand und versuchte die richtige Seite zu finden, vermeinte ich leichte Berührungen am ganze Körper zu spüren: ein Streicheln am Oberschenkel, eine Hand auf der Schulter, ein Atem im Genick... Jedes mal fasste ich sofort an die betreffende Stelle, wirbelte panisch herum, doch da war nichts. Die Lichter im Raum begannen bedrohlich zu flackern. Unter mir im Haus wurden Möbel verschoben. Schritte am Dachboden und ein Klopfen im Gang. In meiner Verzweiflung konnte ich die Seite von zuvor am Abend nicht finden. Ich blätterte wahllos durch das Buch und überflog schließlich ein in sehr altem Englisch verfasstes Blatt Pergament, welches allgemeine Ratschläge zu den Beschwörungen aus dem ersten der fünf Abschnitte des Buches versprach.
Hastig fuhr ich mit dem Finger die Zeilen nach und flüsterte rasch mit während ich las: »Jede Formel aus diesem Buch verleiht dem Beschwörer eine übermenschliche Kraft... doch ruft sie Wesen aus den Unwelten hervor... Es ist ratsam nicht leichtfertig zu beschwören... Wesen werden vor nichts Halt machen...« Das Pochen an Tür und Wänden nahm unerträgliche Ausmaße an, dennoch versuchte ich mich zu konzentrieren und las den gesamten Eintrag schnell durch bis zum Ende durch.
Plötzlich spürte ich, so deutlich wie noch zuvor nie im meinem Leben, einen kalten Blick im Nacken und wandte mich rasch um. Zwar konnte ich nur kurz die nachtschwarzen Umrisse erkennen, doch ich war mir sicher: etwas hatte gerade eben noch das Vollmondlicht am wolkenlosen Himmel verdeckt. Etwas hatte mich durch mein Schlafzimmerfenster hindurch beobachtet - im Obergeschoss.
Ich fühlte mich in die Enge getrieben wie ein wildes Tier auf einer Treibjagd, und gleich einem wilden Tier stand ich kurz davor zuzubeißen. In einem Anflug verzweifelten Aufbegehrens nahm ich all meinen Mut zusammen und ging geradewegs auf das Fenster zu. Entgegen aller Vernunft fasste ich mir ein Herz, riss das Fenster weit auf und schrie in die Nacht hinaus: »Ich habe genug von den Spielchen! Zeig dich mir, sofort!«
Augenblicklich verstummten all die bedrohlichen Gesänge, das Flackern der Lichter wich einer fast vollständigen Dunkelheit und diese infernale Klopfen hörte mit einem Mal auf. Plötzlich war es still. Nur noch das einsame Pfeifen des Windes, der durch die Ritzen im Holz blies. Draußen tauchte der Mond die Felder in ein fahles Licht und eine steife Brise brachte die Äste der blattkargen Bäume zum Tanzen. Ich lehnte mich vorsichtig ein Stück hinaus und ließ suchend meinen Blick durch den leeren Garten schweifen. Nichts. Und doch spürte ich unverkennbar - so unwissenschaftlich das auch klingen mag - eine dunkle Präsenz die sich schwer über diesen Raum gelegt hatte. Ich atmete ein paar Male tief durch und sagte dann: »Du stehst direkt hinter mir, habe ich recht?« Keine Antwort, nur zustimmendes Schweigen.
Ich drehte mich langsam um, versuchte mich dabei auf den bevorstehenden Schrecken einzustellen - und doch vermochte nichts den Schock zu lindern, als ich sie tatsächlich vor mir stehen sah. Reines Adrenalin schoss durch meine Venen, und das Pochen meines Herzens spürte ich bis in die Kehle. In der Dunkelheit des Raumes konnte ich die klar erkennbaren Umrisse einer noch viel dünkleren Wesenheit ausmachen. Sie war wie der dunkelste Schatten, wie die bloße Silhouette einer Frau, so schwarz als würde ich durch sie hindurch in einen sternenlosen Nachthimmel blicken. Sie stand mir regungslos gegenüber. Von ihren Gesichtszügen konnte ich ledglich die Form ihrer Lippen erkennen, welche sich zu einem boshaften Lächeln formten.
»Also ist das Buch tatsächlich echt!«, rief ich zu gleichen Teilen fasziniert und verängstigt. »Und du bist wohl gekommen um den Pakt zu besiegeln...«
Wenn es stimmte, was der namenlose alte Engländer jenem Stück Pergament anvertraut hatte, so kamen die meisten Wesenheiten aus dem ersten Abschnitt des Buches nicht deswegen um ihre Opfer zu verschleppen. Sie stellten lediglich einen vergleichsweise schwachen Vorgeschmack dar, und so kamen sie wohl um ihren Beschwörer zu erschrecken, ihn zu testen, ihn in falscher Sicherheit zu wiegen oder einfach nur um den Tribut für die erhaltene Kraft einzufordern - den Pakt sozusagen zu vollenden.
Ich machte ein paar kurze Schritte auf die Frau in Schwarz zu und versuchte das Zittern in meiner Stimme zu verbergen als ich sagte: »Ich werde nicht vor dir weglaufen. Ich habe die Beschwörung absichtlich vollzogen, und ich habe die Absicht auch noch weitere zu vollziehen. Ich bin bereit den Preis zu bezahlen«
Ich konnte gerade noch erkennen, wie das Grinsen auf ihrem Gesicht noch breiter und diabolischer wurde. Sie streckte die Hand nach mir aus, und ich wurde wie von einer Sturmböhe gepackt und auf mein Bett geschleudert. Die Schattenfrau erhob sich in die Luft und schwebte über mir, legte sie sich langsam über mich.
Sie kratzte mich an der Brust und riss dann mein Hemd auf, dass in alle Richtungen die Knöpfe wegflogen. Ihr nackter Oberkörper schmiegte sich an den meinen und ihre dunkle Haut war von unbeschreiblicher Beschaffenheit - so zart, dass sie wie Seide über mich glitt und doch auf eine wundersame Art rau und warm wie die Haut einer Schlange. Sie glitt an mir entlang auf und ab, hauchte die verführerischten Laute in mein Ohr und ihr Haar, das süßer duftete als die verbotenste Frucht, legte sich verspielt über mein Gesicht. Allein die Reibung ihrer nackten Brust auf der meinen - Berührungen so fein, dass ich jede noch so kleine Unebenheit ihrer Haut wahrnehmen konnte - reichte aus um meinem ganzen Körper eine fast orgasmische Ekstase zu versetzen.
Ihr Unterleib glich in nichts dem einer echten Frau aus Fleisch und Blut - es war als würde ihr untere Körperhälfte über mir zerschmelzen. Sie legte sich wie eine schwere Flüssigkeit und dicker Rauch zugleich um meine Lenden. Fließend, alles umschließend aber zugleich doch trocken und warm. Wie alles durchdringender Schaum ergoss sich ihr Unterleib über meinen Becken, sickerte durch meine Kleidung, mein Bett und mir war als dringe sie mir sogar tief in mein Fleisch und meine Knochen ein - als setze ich mich in ein Bad aus lodernd heißem Kerzenwachs.
Die unheimlichen Gesänge, noch weitaus lüsterner als zuvor, umgarnten mich während ich mich mit der Dunkelheit selbst zu vereinigen schien. In ihrem Innersten herrsche ein konstantes Wirbeln, wie Stromschnellen die sich auf und ab bewegten. Ein Endloses Vor und Zurück. Sie war die Versuchung in Vollkommenheit - Hätte sie mich hier und jetz mit sich in die Schattenwelt gezerrt um mich für immer dort bei sich zu behalten - es wäre mir in diesem Augenblick egal gewesen.
Ihr heißer Atem in meinem Ohr klang wie Meeresrauschen. Ihre Hände umfassten fast Krampfhaft meinen Nacken, während sie immer heftiger auf mich hernieder fuhr und dabei ihre vollen Lippen nie von meinem Ohr abzog. Als ich schließlich kurz vor dem Ende stand, materialisierte sie ihren Unterleib, umschlang mich fest mit ihren Beinen und nahm mich in sich gefangen. Sie wusste offenbar ganz genau, dass ich es kaum noch länger aushalten würde und als ich schließlich meine Beherrschung verlor ergoss mich in ihrem dunklen Leib.
Wieder verstummten die Gesänge und es wurde beängstigend leise um uns herum. Sie kicherte freudig erregt und flüsterte in mein Ohr die gleichermaßen verlockend wie bedrohlich klingenden Worte: »Ni-ta-na Ta-ma-no teh« Jede Silbe betonte sie dabei einzeln, wie in einem uralten, längst vergessenen Akzent einer längst vergessenen Sprache. Ein Starker Windhauch fegte durch den Raum, ein Luftzug der das ganze Zimmer auf den Kopf stellte und die Bücher aus allen Regalen stürzen ließ. Und mit dem Wind war sie verschwunden - spurlos. Ihre Worte, obgleich ich deren Bedeutung nicht kannte, hallten in meinem Bewusstsein wieder, so als schienen sie sich auf ewig in meinem Geist eingebrannt zu haben. »Nitana tamano teh...«, flüsterte ich und ließ meinen Blick durch die leere Finsternis schweifen.
Das Deckenlicht und meine Schreibtischlampe flackerten mit einem Mal auf und erhellten schließlich wieder den Raum. Noch immer etwas benommen stand ich schließlich auf und ging hinüber zum Schreibtisch, wo der Codex Voluptas lag. Der Wind hatte das Buch ergriffen und war dabei durch die Seiten gefegt. Die alten Pergamentfetzen mit den Übersetzungen lagen quer im Raum verstreut. Aufgeschlagen war jene Seite, deren Beschwörung ich zuvor mit Amanda im Café Vermont vollzogen hatte: Anima Nocturna.
Ruhe war in mein Haus zurückgekehrt. Mit noch immer zitternden Knien und Händen rückte ich den Stuhl näher, setzte ich mich an meinen Schreibtisch und begann die höllischen Seiten des alten Buches durchzublättern. Mein Geist gleich wie mein Körper entflammten bereits in Vorfreude ob der Vorstellung der nächsten Beschwörung, die ich schon bald vollziehen würde.
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Ende von Kapitel 2
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