Lika schloss die Tür ihrer Wohnung hinter sich und beobachtete, wie Kaden sich auf ihrem Sofa breit machte. Dann seufzte sie und versuchte ihre verspannten Schultern ein wenig zu lockern.
Sie hatten die Hotelbesitzer nach den Vorfällen befragt, doch diese waren nicht sonderlich freundlich, oder begeistert gewesen. Selbst Kadens Charme hatte nicht dabei geholfen, wirklich viel herauszufinden.
Die blauhaarige Werwölfin hatte kurzzeitig überlegt, ob sie die Computer des Hotels hacken sollte, doch dies erschien ihr nicht sonderlich angebracht. Sie achtete Privatsphäre immerhin sehr.
Der Vampir, der sich für ein Nickerchen niedergelassen hatte, wirkte alles andere als nervös. Doch mit Likas aufgehetzten Gefühlen konnte er kein Auge zu tun.
Mit einem frustrierten Seufzen stand dieser wieder auf und ging hinüber zu einer der Türen.
„Ich benutz mal eben dein Bad“, rief er ihr zu, als er bereits die Tür hinter sich geschlossen hatte.
Lika blickte ihm hinterher und verdrehte die Augen. Nur gut, dass ihre Mitbewohnerin nicht da war. Die Schuhe waren weg. Das war gut. So waren sie recht ungestört und konnten nicht so leicht belauscht werden. Aber gleichzeitig hieß das auch, dass sie mit dem Vampir alleine war und das bereitete ihr Unbehagen.
Als dann die Klospühlung ertönte, öffnete sich wenige Minuten später bereits wieder die Tür, aus der Kaden ganz selbstverständlich rausspazierte und hinüber zu Likas Sachen ging, um sich umzusehen. Wie auch schon bei Sezuna, berührte er alles Mögliche und durchstöberte ihre Sachen.
„Macht es dich nervös, dass ich hier bin oder ist es der Geist?“, fragte er beiläufig, ohne sie anzusehen und öffnete nun ihren Kleiderschrank.
Als er dies tat, wurde die junge Frau puterrot im Gesicht und begann zu stottern. „Das... Das sind meine... S...Sachen“, meinte sie und hoffte, er würde nicht noch ihre Unterwäsche inspizieren. Das war ihr verdammt peinlich, denn sie stand auf Spitze und Schleifen. Sowas sollte nur ihr Freund sehen und nicht irgendein Fremder.
Kaden, der bei ihrem Schamgefühl anfing zu lachen, schloss den Schrank wieder und drehte sich zu ihr um.
„Beruhig dich wieder, ich kenne nur gerne die Leute, mit denen ich zusammenarbeite.“ Er ging zurück, an ihr vorbei, wobei er sich auf ihr Bett warf. „Apropos, in was für einer Beziehung stehst du zu dem Köter? Du verhältst dich so, als wäre er dein Vormund. Bist du nicht schon etwas zu alt für einen Babysitter?“
Lika blickte ihn mit großen Augen an, als er sich einfach so auf ihr Bett warf.
„Ich... Ich bin in der Ausbildung. Orion ist mein Lehrmeister“, erklärte Lika stammelnd.
Wieso fiel es ihr so schwer mit diesem blonden Mann umzugehen? Warum hatte sie generell immer noch das Problem mit Männern allein nicht klar zu kommen?
Wenn Orion in ihrer Nähe war, war das viel einfacher.
Unangenehm rang die Werwölfin mit ihren Händen und blieb wie festgefroren vorm Bett stehen. Kaden lächelte ihr entgegen.
„Ich verstehe. Er hat dich ja wirklich komplett um den Finger gewickelt.“ Kurz verengte der Vampir seine dunklen Augen, musterte Lika bis ins kleine Detail und genoss ihr Unbehagen.
„Was?“, fragte die junge Frau und vor Aufregung hüpfte ihre Stimme ein wenig höher.
„Nein, wir sind nicht... Er ist nicht...“, stammelte sie und versuchte einen klaren Gedanken zu fassen.
Glaubte Kaden wirklich, dass sie mit Orion zusammen war?
„Natürlich nicht!“, unterbrach er die Blauhaarige und wühlte in ihrer Nachtischschublade herum. „Dafür bist du viel zu unschuldig, oder?“, fragte er und grinste sie wieder an. „Aber nervt dich das gar nicht? Das er dich immer kontrolliert und herumkommandiert? Ich meine, du solltest da draußen sein und dumme Sachen erleben, solange du es dir noch leisten kannst. Wenn du willst helfe ich dir auch dabei.“ Mit den letzten Worten zwinkerte er ihr kurz zu und ertastete wieder ihre Gefühle.
Lika war nervös und sie hatte Angst. Das war kaum zu übersehen. Dazu brauchte er nicht einmal nach ihren Gefühlen tasten.
Unschlüssig strich sie sich eine ihrer Strähnen hinter die Ohren.
„Meine Eltern sind sehr streng. Sie würden ausflippen“, erklärte sie und klang mehr wie ein verängstigtes Mädchen, als eine junge Frau.
Der Vampir runzelte die Stirn und stellte sich augenblicklich seine Mutter vor, wie sie ihn immer bestraft hatte, wenn er mal wieder mit Sezuna irgendwelchen Mist gebaut hatte. Das war öfter der Fall, als seine Mutter es gutgeheißen hatte. Doch das hatte ihn nie davon abgehalten weiter zu machen. Viel mehr reizte ihn der Gedanke mehr und mehr.
Wieder musste er an seine Kindheit mit der rothaarigen Vampirin denken, doch er verbannte diese Erinnerungen so schnell wieder, wie sie gekommen waren.
Wie schaffte diese kleine Frau es immer wieder einen Weg in seine Gedanken zu finden?
Langsam richtete er sich auf und stellte sich in Vampirgeschwindigkeit vor die Werwölfin.
„Soll das heißen du hast noch nie was Verbotenes gemacht?“, fragte dieser und bückte sich zu der Blauhaarigen runter, was ihre Wangen zum Glühen brachte.
Lika sah aus wie eine Tomate und Kaden bekam fast Angst, dass sie ihm umkippte.
Ihre Lippen waren zusammengepresst und sie sah alles andere, als begeistert aus.
„Der Auftrag mit Vampiren ist schon verboten genug“, hauchte sie und wollte sich gar nicht vorstellen, was ihre Eltern taten, wenn sie herausfanden, dass sie mit Vampiren sprach!
Sie würden es vielleicht verstehen, wenn sie erfuhren, dass der Hohe Rat sie zusammen zu einem Auftrag geschickt hatte, doch sie würden niemals akzeptieren, dass Lika angefangen hatte die rothaarige Vampirin zu mögen.
Und wahrscheinlich würden sie durchdrehen, wenn sie erfuhren, dass Lika Kaden sehr anziehend fand.
Besorgt zog Kaden die Augenbrauen ein wenig zusammen, doch als dieser Likas Gefühle spürte, musste er wieder lächeln und musterte die zweifarbigen Augen der Blauhaarigen.
„Und gefällt es dir?“, fragte er schon fast flüsternd und sein Blick glitt ein wenig tiefer zu Likas blassrosanen Lippen.
Lika zuckte getroffen zusammen.
Ja, es gefiel ihr, aber das hieß nicht, dass sie es machen würde, wenn sie eine andere Wahl hätte.
Ihre Eltern zählten zu den alten der Werwölfe. So alt, dass sie schon als nicht mehr ganz zurechnungsfähig galten.
Vor allem ihre Mutter schien eine Vorliebe für Gewalt zu haben und Lika wusste, dass es auch nicht zwingend ihre Eltern waren, die Orion ausgesucht hatten.
Damals hatte sie eine heiden Angst gehabt, weil sie nicht wusste, was sie erwartete. Sie hatte bei ihren Eltern bleiben wollen.
Doch jetzt, wo sie die Freiheit gekostet hatte, wollte sie nie wieder zu diesen zurück.
Sie liebte sie, daran bestand kein Zweifel, aber sie mochte ihre kontrollierende, manipulierende Art nicht.
Es schien fast so, als wollten sie keine Tochter, sondern eine Marionette.
Schnell verdrängte Lika diese Gedanken und blickte nun recht stur zu Kaden.
Wie konnte sie dieses Gespräch beenden, bevor sich der Boden unter ihren Füßen noch mehr in Treibsand verwandelte?
Langsam richtete sich der Vampir wieder auf und trat einige Schritte zurück.
Er hatte gemerkt, dass er wohl irgendwo, irgendwie einen wunden Punkt erwischt hatte.
„Werd jetzt nicht melancholisch. Ich wollte doch nur ein wenig mit dir spielen“, meinte dieser bloß mit einer wegwerfenden Handbewegung und ließ sich erneut auf das Sofa fallen. „Kommt mir so vor, als hättest du garkeinen Spaß am Leben.“ Er verschränkte seine Arme hinter seinem Kopf und fragte sich, ob Lika überhaupt wusste, dass er ihre Gefühle spüren konnte.
Er hatte es ihr gegenüber jedenfalls nie erwähnt.
Generell wussten die beiden Werwölfe wahrscheinlich nicht, dass er ihre Gefühle spüren konnte.
Nur Sezuna wusste es, weil sie halt...
Kaden mahnte sich dazu seine Gedanken zu kontrollieren und blickte stattdessen wieder auf Lika.
Diese hatte sich abgewandt und drehte eine ihrer blauen Haarsträhnen zwischen den Fingern, als würde sie nachdenken.
Sie schien gerade etwas sagen zu wollen, als ein lauter Ton erklang, der beide zusammenzucken ließ.
Eilig kramte Lika das Handy aus ihrer Hosentasche und ging ran.
Sezunas Stimme meldete sich und gab an, dass sie in etwa zwanzig Minuten zurück sein würden.
Lika war beinahe schon erleichtert darüber nicht weiterhin mit Kaden allein zu sein, als sich im nächsten Augenblick die Tür aufschloss. Likas Herz machte einen Satz, als jemand durch die Tür im Flur kam, der weder Orion, noch Sezuna war. Auch, wenn keiner von ihnen einen Schlüssel zu ihrer Wohnung besaß, hatte sie dennoch eher damit gerechnet, als mit einer Frau mit pechschwarzem Haar.
Es musste ihre Mitbewohnerin sein, die sie bis jetzt noch nicht kennengelernt hatte.
Diese blieb ein wenig geschockt in der Tür stehen und sah erst zu Lika und dann an ihr vorbei zu Kaden, der sie ebenfalls neugierig musterte.
„Es tut mir leid, ich wollte nicht stören“, erklärte die Frau, deren rechtes Auge von ihren Haaren verdeckt wurde und machte sich mit gesenktem Kopf auf den Weg zu ihrem Zimmer.
Wieder wurde Lika rot um ihre Nase herum. Was ihre Mitbewohnerin wohl von ihr denken musste?
Kaden lachte und zwar so herzhaft, dass die fremde Schwarzhaarige noch einmal stehen blieb und nun verwirrt von Kaden zu Lika blickte.
Dann schüttelte sie den Kopf, schloss ihr Zimmer auf und verschwand darin.
„Was für ein wundervoller erster Eindruck“, murmelte Lika und ärgerte sich über sich selbst.
Kaden, der sich langsam wieder eingekriegt hatte, ging zu Lika hinüber und legte seine Hand auf ihren Kopf.
„Mach dir keinen Kopf, die nächsten Eindrücke werden bestimmt noch schlimmer. Allein wenn sie schon mitkriegt, dass du dich mitten in der Nacht in Geisthotels rumtreibst“, flüsterte Kaden so, dass es bloß die kleine Werwölfin hören konnte.
Lika schauderte. Sowohl wegen Kadens ungewohnter Nähe, als auch der Vorstellung, dass sie in diesem Geisterhotel sein konnte.
„Was wird das?“, fragte eine leicht pikierte Stimme und sowohl Kaden, als auch Lika blickten auf und bemerkten, dass die Mitbewohnerin wohl die Tür offen gelassen hatte, damit Sezuna und Orion eintreten konnten.
Beide mit zwei großen Taschen bepackt und nicht sonderlich erfreut über die aktuelle Situation.
Kaden rollte die Augen und legte einen Arm um Likas Schultern.
„Was denn Wölfchen? Ich verbringe nur etwas Zeit mit meiner Kollegin“, entgegnete er, als wären die beiden beste Freunde und zog sie dichter an seine Seite. Dabei wusste er geschickte Sezunas bohrenden Blicken auszuweichen.
Diese schien alles andere, als erfreut zu sein und knurrte jetzt verärgert. „Ich habe nicht gedacht, dass du dich in den letzten Jahren zu einem Arschloch entwickelt hast, aber eigentlich hätte ich es wissen müssen“, erklärte sie kalt. „Nimm deine Finger von ihr, du solltest doch am besten wissen, dass ihr das nicht gefällt, was du da tust.“
Die normalerweise fröhlichen Augen des Vampirs, schienen nun trüber zu sein, als er von Lika abließ und sich einige Schritte von dem Geschehen wegbewegte.
Mit verschränkten Armen, wandte er sich von der Gruppe ab und starrte in die Leere, um Sezuna nicht ansehen zu müssen. Dabei wusste sie eigentlich genau, wie ungern er sich bewusst mit den Gefühlen anderer konfrontierte.
„Seit wann interessiert mich das, was anderen gefällt“, murmelte er beinahe so lautlos, da er davon ausging, es würde keiner mitbekommen.
Aber weil Sezuna darauf geachtete hatte, hörte sie es durchaus. Allerdings sagte sie nichts dazu.
Stattdessen hatte sie ihren Blick auf Lika gerichtet, die irgendwie verloren, aber nicht wirklich ängstlich, herum stand.
Ihr Blick glitt über die Umgebung und suchte nach etwas Hilfreichen, bis sie auf Orions Gesicht stieß.
Dieser durchbohrte Kaden jedoch nur mit einem bösen Blick.
Auch wenn der Vampir deutlich spürte, wie verärgert Orion war, so ignorierte er es doch geflissentlich und wandte sich nach einem tiefen Atemzug wieder der Gruppe zu, als wäre nichts gewesen. Seine Augen erstrahlten wieder in demselben erfreuten Leuchten wie immer und er sah die Anwesenden auffordernd an.
„Habt ihr alles bekommen was wir brauchen?“, fragte er, worauf Orion etwas irritiert reagierte. In den wenigen Sekunden war er wieder wie ausgewechselt.
Sezuna kniff die Augen zusammen und musterte Kaden nachdenklich.
Auch Lika bedachte sie mit demselben musternden Blick und stellte dann für sich fest, dass es wohl einfach nur ein ungünstiger Zeitpunkt gewesen war.
Hätte Kaden wirklich versucht Lika zu verführen, oder gegen ihren Willen anzufassen, würden sie jetzt nicht so hier stehen.
Also antwortete sie recht ruhig, wenn auch immer noch leicht beleidigt: „Ja haben wir. Außerdem werde ich gleich kochen gehen, damit wir noch was zu essen bekommen, bevor wir zum Hotel aufbrechen.“ Damit stellte sie einen der Beutel einfach ab und drehte sich herum, um in ihr Zimmer zu verschwinden.
„In 30 Minuten geht es los“, fügte sie jedoch noch hinzu.