Missmutig blickte der Engländer aus dem Fenster seines Schlafgemaches im Jagdschloss und beobachtete die großen Flocken, die kontinuierlich auf die ohnehin schon dicke Schneedecke fielen. Er war hungrig wie ein Wolf und er konnte es sich nicht mehr erlauben, seine Dienstboten zu schröpfen. Er konnte nicht riskieren, dass sie sich daran erinnerten, wenn er sie nach dem Nähren am Leben ließ. Töten konnte er sie allerdings auch nicht, denn es war schwer genug gewesen, Personal für sein Schloss zu finden, nachdem er die ersten Angestellten recht schnell »verbraucht« hatte.
Er musste unbedingt nach draußen, brauchte eine oder zwei menschliche Kehlen, um den Brand in seiner Speiseröhre zu löschen und seinen unruhigen Magen zu befriedigen. Womöglich war es gut gewesen, dass Graf Draganesti ihn des Schlosses verwiesen hatte. Denn sonst wäre er vielleicht noch eine Nacht geblieben und hätte sich an des Grafen Gesinde vergriffen. Was absolut nicht verzeihbar gewesen wäre.
Er konnte sich keine Panik unter den Schlossbewohnern leisten, kein Munkeln, keine Gerüchte. Über die Bauern machte sich hingegen kaum einer Gedanken. Wenn da mal welche verschwanden und nie wieder auftauchten, krähte kein Hahn danach. Solange er es also nicht übertrieb oder zu oft im selben Ort jagen ging, würde es vermutlich kaum einer bemerken, dass Menschen sich in Luft auflösten.
Der Engländer schob den Gedanken von sich, was mit den Angehörigen geschah, wenn der Ernährer der Familie plötzlich nicht mehr auftauchte. Es kümmerte den blonden Mann auch nicht. Je nach der Größe seines Hungers nahm er auch eine ganze Familie aus dem Leben, genoss die Abwechslung aus männlichem, weiblichem und kindlichem Blut. Er erlaubte sich nicht, zu lange über die Folgen seines Handelns nachzudenken. Wenn er dies täte, würde er qualvoll verhungern. Mitleid mit den Menschen hatte er sich vor langer Zeit abgewöhnt. Was nicht hieß, dass er nicht manchmal zögerte, einer Person das Leben zu nehmen und sich hin und wieder sogar dagegen entschied und sich jemand anderen suchte.
Er vermied es, Schwangere zu Opfern zu machen oder Kinder, die gerade erst gelernt hatten, auf ihren eigenen Beinen zu stehen. Er als Mann, der sich sein Leben lang Nachwuchs gewünscht hatte, konnte es nicht über sich bringen, dieses heranwachsende oder gerade erst erwachte Leben wieder zu beenden.
Der winterliche Mond erhellte den Schnee auf dem Fensterbrett draußen und der blonde Mann ballte die Hände zu Fäusten. Es musste sein. Sein Hunger war nicht mehr zu ertragen. Er spürte bereits, wie die Ungeduld an seinen Nerven zog und ein unterschwelliger Zorn in ihm aufwallte, der ihn immer in Besitz nahm, wenn er ausgehungert war.
Hiram wandte sich vom Fenster ab. Der Kamin war herunter gebrannt, doch er hatte nicht nach einem Mädchen geklingelt, um neues Holz nachlegen zu lassen. Er fror nicht, obwohl sich die Kälte bereits durch die fast unsichtbaren Ritzen in den Fensterrahmen drängte. Auch die Kerzen in dem versilberten Ständer waren erloschen. Versonnen strich der Mann über das edle Stück und zischte leise. Grinsend verzog er das Gesicht und entblößte seine verlängerten Eckzähne. Er liebte Silber, liebte die kühle Farbe, den Glanz, das edle Blitzen. Dafür nahm er gern in Kauf, dass ein Wesen, wie er es war, unverträglich darauf reagierte, dass es ihm bei zu engem Körperkontakt Schaden zufügte, dass es seine Muskeln lähmte oder ein unangenehmes Brennen auf der Haut verursachte. Man konnte sich dagegen desensibilisieren, wenn man ein paar Jahrzehnte Geduld mitbrachte. Diese hatte er gehabt. Doch seinen silbernen Talisman, ein Kruzifix aus dem Erbe seines Großvaters, konnte er dennoch nicht direkt auf der Haut tragen. Der Engländer hatte einige Male darüber nachgedacht, was wohl mit ihm geschehen würde, wenn eine versilberte oder gar reine Kugel seine Brust durchbohren würde.
Er ließ von dem Kerzenständer ab und griff nach seinem Wolfsfellmantel, den er sich schwungvoll über die Schultern warf. Zügig, lautlos eilte er durch die Gänge des gemieteten Schlosses, hörte das ferne, leise Atmen und Schnarchen seiner wenigen Bediensteten und ansonsten die nächtlichen Geräusche der rumänischen Berge. Irgendwo heulte ein Wolf und Hiram spürte, wie eine Gänsehaut, ausgelöst durch Anspannung, Erregung und Aufregung, über seinen Rücken kroch. Er hätte Lust darauf, in den Wald zu gehen, den Wolf zu suchen und sich einen Kampf mit der Bestie zu liefern. Doch zuerst musste sein Hunger gestillt werden.
Der Lord spürte die Kälte schneidend auf seiner bleichen Haut, als er die Eingangspforte öffnete und in den Schnee trat. Doch wo ein Sterblicher zusammenzucken würde, reckte der Engländer seinen Hals und atmete tief ein. Er lächelte breit, mit funkelnden Zähnen, und hatte den Drang, laut zu lachen. Zu hören war jedoch nur ein amüsiertes Glucksen.
Die Nacht war seine Zeit, die Aussicht auf eine reichhaltige Mahlzeit, auf pulsierende Kehlen und warmes Blut ließ seine Glücksgefühle anwachsen und seine Energie ins Unermessliche steigen. Er musste diese loswerden, wollte rennen, springen, fliegen, zersplittern vor Euphorie.
Hiram spannte seine Muskeln an und rannte, schneller als es ein Sterblicher jemals vermögen würde. Die Nacht, die Berge und die verschneiten Bäume wischten wie der verschmierte Schleier eines verunstalteten Gemäldes an ihm vorbei und doch realisierte er jede noch so kleine Bewegung, jeden Puls eines Tieres, jedes Paar Augen, das ihn zwischen den Ästen heraus oder aus Erdlöchern beobachtete. Seine Sinne waren scharf und seine Fänge spitz. Der Hunger, die dunkle Gabe, peitschte durch seinen Körper und er konnte sie riechen, die vielen Kehlen, die ruhig in ihren Betten schlummerten oder noch immer vor ihren Feuern saßen, müde, von der harten Arbeit und dem Kampf gegen den Winter und die Unmengen an Schnee erschöpft. Nezru, das kleine Dorf am Fuße des Bicaz-Passes, zählte nur etwa dreißig oder vierzig Einwohner, die meisten waren im arbeitsfähigen Alter und schufteten hart für ihren Lebensunterhalt und für die Abgaben, die sie zu entrichten hatten. Hiram war sich gewiss, dass die Männer stark und kräftig sein mussten. Er konnte ihren Lebenssaft schon fast auf seiner Zunge schmecken.
Schlitternd kam er auf einer Anhöhe hoch über der Straße, die über den Pass führte, zum Stehen. In der Ferne, weiter oben im Gebirge, konnte er das Schloss Draganesti erkennen. Es war nicht erleuchtet, denn es war bereits annähernd Mitternacht, und doch konnte der Engländer das helle Gestein, aus dem die Burg errichtet worden war , im Mondlicht leuchten sehen. Natürlich konnte er das nur, weil seine Augen um ein Vielfaches besser waren als die eines Menschen. Ein solcher würde das Bauwerk in der Ferne, unbeleuchtet, nicht ausmachen können. Dafür lag es zu weit weg.
Der blonde Mann fühlte eine leise Sehnsucht in sich, nach dem jungen Grafen, der dort oben irgendwo in seinen Gemächern vermutlich im Bett lag und vielleicht ebenso an ihn, Hiram, dachte, wie dieser an ihn.
Der Lord seufzte. Alles zu seiner Zeit. Gerade war seine Gier so unersättlich, dass er Viktor anspringen und umbringen würde, wenn er seiner ansichtig werden würde.
Hiram wandte sich von der hoch gelegenen Burg wieder dem Tal unter seinen Füßen zu. Er konnte Nezru in der Finsternis deutlich ausmachen. Das Dorf hob sich als dunkler Fleck von den verschneiten Wiesen und Feldern ab und hier und da konnte der Engländer Fackeln und Lampen an den Veranden der Häuser erkennen. Er schmunzelte. Der Mann wusste, dass dieses kleine Nest eine Taverne hatte. Also gab es sicher einige Nachtschwärmer, Nichtsnutze und Tagelöhner, die dort ihren Lohn durchbrachten und um diese Uhrzeit nach Hause wankten, um noch ein paar Stunden zu schlafen, bevor die harte Arbeit am nächsten Tag wieder von vorn losgehen würde.
Leichtes Spiel für Hiram also. Er sprang von der Anhöhe und glitt anmutig durch die Luft, um lautlos zwischen den Bäumen außerhalb des kleinen Ortes zu landen. Der Schnee knirschte nicht einmal unter seinen Schuhsohlen. Witternd und die Atmosphäre abschätzend schlich er im Schutze der Dunkelheit an den Rand der Ortschaft und überblickte die Umgebung. Er roch die Menschen, den modrigen Geruch alter und ungewaschener Kleider, den warmen und süßen Geruch kleiner Kinder, der den Engländer immer etwas an Kuchen erinnerte, an eine Versuchung, der er nicht nachgeben durfte, er konnte volle Nachttöpfe und dreckige Windeln riechen, Menschen, die sich miteinander durch die Laken wühlten und sich vergnügten und die Reste der abendlichen Mahlzeiten.
Und er roch den Dunst der Taverne - altes, schal gewordenes Bier und diese landestypischen rumänischen Schnäpse, die stark waren und sehr zu Kopf stiegen, wenn man sie nicht gewöhnt war. Der Lord konnte das Grölen junger Männer hören und auch das hohe Lachen einiger leichtfertiger Mädchen, die nicht auf ihren guten Ruf achteten und sich mit den Burschen herumtrieben.
Hiram huschte durch die schmalen Gassen des Dorfes auf das Gasthaus zu. Einige Pferde waren vor dem Eingang angebunden und der Atem der Tiere dampfte vor deren Nüstern. Der Engländer strich einem Rappen über das Fell und rümpfte missbilligend die Nase. Es war eindeutig zu kalt hier in der Ebene, um die Tiere lange unbewegt vor dem Haus stehen zu lassen. Er verbarg sich im Schatten neben dem Eingang und zog den Wolfsmantel etwas enger um seinen Hals. Der Wind, der durch das Dorf fegte, störte ihn, wenn er auch nicht fror.
Einige Zeit verging, bis sich die Gasthaustür öffnete und ein junger Bursche, wankend wie eine Weide im Wind, am Arm einer ebenso betrunkenen jungen Frau die Schenke verließ.
Der blonde Mann im Schatten grinste und seine Fänge blitzten zwischen seinen Lippen hervor. Er folgte dem betrunkenen Pärchen mit einigem Abstand. Diese tuschelten und lachten, redeten allerdings durch ihren Rausch so undeutlich, dass der Engländer ihr Rumänisch nicht zu übersetzen vermochte. Und der sah auch keinen Sinn darin, es zu verstehen. Er würde sie fressen, es kümmerte ihn nicht, was sie zu sagen hatten.
Hiram konnte sein Glück kaum fassen, als die beiden auf den Rand des Dorfes zusteuerten, wo die Vorratsspeicher standen, der Wasserturm und die Gemeindeställe. Der Bursche, betrunken wie eine Haubitze, roch aus jeder Pore nach Sex. Der Kerl war geil wie ein Bulle und wollte unter allen Umständen unter den Rock des Mädchens. Und auch dessen Geruch war ziemlich eindeutig. Der Engländer grinste vor sich hin. Er hatte kein großes Interesse daran, dabei zuzusehen, wie ein Kerl es einer Frau besorgte, da dies außerhalb seiner persönlichen Vorlieben lag, doch er freute sich dennoch. Denn Erregung war eine Emotion, die das Blut brodeln ließ. Das machte es süß, luftig und besonders köstlich.
Der junge Bursche zog das Mädchen in eine Nische zwischen zwei Vorratslagern und machte sich ohne Umwege an seinem Rock zu schaffen. Der jungen Frau schien nicht zu gefallen, dass er so forsch vorging, doch sie hielt ihn auch nicht davon ab.
Hiram stand verborgen hinter einem Baum und spürte mehr, was sich dort abspielte, als dass er es sah. Der warme Duft des aufgeschäumten Blutes wehte zu ihm hinüber und er leckte sich gierig über die Lippen. Das Wasser war ihm im Mund zusammengelaufen.
Ein Quietschen erklang und darauf folgte ein sehr unästhetisches Grunzen. Der Engländer musste sich das Lachen verkneifen, denn der Bursche klang wie ein schlachtreifes Schwein. Er hatte das Mädchen hochgehoben und presste es gegen die Wand, während er an ihm herummachte. Hiram lugte um den Baum herum und verdrehte die Augen. Er fand wirklich nichts daran, einem Mann und einer Frau beim Liebesspiel zuzusehen.
Die beiden waren so in sich vertieft, wenn auch das Mädel eher benebelt als wirklich erregt wirkte, dass sie nicht merkten, dass sich ihnen der blonde Mann mit dem schwarzen Mantel aus dem Schatten näherte.
Ein leises, gieriges Knurren bahnte sich Hirams Kehle hinauf, als er blitzschnell das Mädchen an der Gurgel packte, um es am Schreien zu hindern und in derselben Sekunde seine diamanthellen und rasiermesserscharfen Fänge in den Hals des Burschen schlug. Die junge Frau war mit einem Schlag wieder nüchtern, begann zu zappeln und versuchte, um Hilfe zu rufen, doch die Finger des Angreifers waren wie ein Schraubstock. Sie konnte kaum atmen, geschweige denn ihre Stimme benutzen. So musste sie hilflos und in Todesangst mitansehen, wie der Fremde mit den gefährlich glimmenden roten Augen ihrem Liebhaber das Leben aus dem Körper saugte, spürte wie dessen Leib kalt wurde und wie dessen Männlichkeit, die sich noch immer in ihrem Schoß befand, aufgrund des Blutmangels in sich zusammen fiel. Erkaltet und schlaff sackte der Bursche schließlich mit leeren Augen zusammen und wurde von dem blonden Mann wie die übriggebliebene Schale einer Frucht zur Seite geschleudert.
Noch immer lag die Hand des Engländers hart an der Kehle der jungen Frau, die nun heulte und fürchterlich verlebt aussah. Das war kein ehrbares Weib. Hiram hasste solche Frauenzimmer.
Mit blutverschmierten Lippen näherte er sich dem Gesicht des Mädchens, lächelte auf eine boshaft anmutende Art und Weise und fauchte diesem ein verächtliches »Hure!« ins Ohr, bevor er auch ihm die Kehle aufriss und gierig das heraussprudelnde Blut trank.
Euphorie erfüllte Hirams Körper und Geist, als er gesättigt und zufrieden den leblosen Körper des Mädels neben den des Burschen warf. Der Lord machte sich nicht die Mühe, die Blöße der beiden zu bedecken. So war die Hose des Jungen noch immer offen, auf die Knie hinabgerutscht und jeder hatte freien Blick auf sein Gemächt. Das Mädchen trug keine vernünftige Unterwäsche und der Engländer hatte keine Motivation dazu, den verrutschten Rock zurechtzurücken. Sollten die Leute, die die beiden am Morgen finden würden, ruhig wissen, dass sie Unzucht getrieben hatten. Was kümmerte es ihn?
Mit dem Ärmel des Wolfsfellmantels wischte er sich den Mund und das Kinn sauber und atmete tief durch. Wärme, wohlige Wärme, die eine Kälte vertrieb, die der Mann sonst nicht spürte, breitete sich in seiner Brust aus.
Jetzt würde er Ruhe finden können. Jetzt würde er schlafen können. Befriedigt machte der Lord sich wieder auf den Weg zurück in sein Jagdschloss.