Als der Karren an der Straße hält, springe ich hinaus. Mit einem "Dankeschön" an den Bauern, der mich so schnell er konnte hergefahren hat, laufe ich im Schutz der Nacht über den unbefestigten Weg.
Den Bauern habe ich auf meinem Rückweg getroffen und ihn gebeten mich mitzunehmen. Glücklicherweise hat er ja gesagt, sonst hätte ich noch viel länger gebracht als generell schon. Das hätte auch schlimme Konsequenzen haben können, da ich ja keine Ahnung habe, wer genau den Wasserkristall hat. Was wenn die Nexus ihn sich geschnappt haben? Das wäre garantiert nicht gut! Ich komme meinem Ziel immer näher und mit jedem Schritt steigen meine Aufregung und meine Angst. Was wenn sie mir nicht zu hören wollen und mir die Tür einfach vor der Nase zu schlagen?
Auf der Veranda angekommen, blicke ich durch eines der großen Fenster ins Wohnzimmer hinein. Dort sitzen Aria und Hilley gemeinsam auf dem Sofa. Aria hält ein kleines vergilbtes Papier in der Hand, welches sie zu lesen scheint, Hilley deutet zwischendurch mit zitternden Fingern auf einige Stellen des Papiers. Als ich in Hilleys Gesicht blicke, erschrecke ich mich jedoch leicht.
Sie wirkt alt und schwach. Unter ihren Augen zeichnen sich dunkle Augenringe ab. Das Zittern ihrer Schulter bemerke ich sofort, obwohl sie eine weiche Decke darüber gelegt hat. Das Zittern wird also nicht durch Kälte, sondern durch Angst erzeugt. Doch wovor hat sie Angst? Macht sie sich vielleicht Sorgen um mich und denkt, dass ich in Schwierigkeiten sein könnte?
Nein, das ist kompletter Quatsch! Wieso sollte sie sich Sorgen um mich machen? Sie wollte mich doch sicher nur wegen meiner Kräfte!
Ich wende meinen Blick ab und trete vor die Tür. Langsam lasse ich erhebe ich meine Hand in die Luft und bilde eine Faust, um anzuklopfen, doch bevor meine Fingerknöchel das Holz der Tür berühren, lasse ich sie wieder sinken. Wieso sollte ich ihr davon erzählen? Das ist doch nicht mehr mein Problem? Der Zweifel wächst in mir heran wie ein junger Pflanzensetzling.
Ich nehme etwas Abstand und blicke nach Rat suchend in die Sterne hinauf. Genau in diesem Moment zischt eine blaue Sternschnuppe durch mein Sichtfeld. Dann ist er wieder verschwinden.
Die Sternschnuppe war blau genau wie das Licht des Mondes vor drei Tagen. Wenn das kein Zeichen ist.
Durch diese wunderschöne Erscheinung bestärkt nehme ich all meinen Mut zusammen und klopfe an die Tür. Das harte Holz ist kalt an meinen Fingerknöcheln. Erst geschieht nichts und ich bin schon im Begriff wieder um zu drehen und die Veranda zu verlassen, da öffnet jemand doch die Tür.
Überrascht drehe ich mich um. Ich hätte nicht damit gerechnet, dass sie mir aufmachen würden. Schließlich hätte ich ja auch Nexus sein können oder sie hätten mich auch einfach nicht wieder sehen wollen. Beides sind durchaus plausible Möglichkeiten.
Dort vor mir steht Hilley. Sie klammert sich am Türrahmen fest und hat die Decke fester um sich geschlungen. Als sie mich jedoch erkennt, lässt sie diese fallen und kommt langsam auf mich. Auch der Ausdruck auf ihrem Gesicht verändert sich schlagartig, als unsere Blicke sich kreuzen. Der müde Ausdruck wandelt sich zu einem freudigen Lächeln.
Mein Name ist das erste Wort, was ihr über die Lippen kommt, bevor sie ihre Arme kurz um mich schlingt. Auch ich bin nun glücklich, da meine Befürchtungen abgewiesen wurden. Sie freut sich darüber mich zu sehen und das ist das aller schönste Gefühl auf der Welt. Ich erwidere ihre Geste und ziehe sie an mich.
"Schön, dass du wieder zurück bist", flüstert Hilley mir ins Ohr. Ich atme einmal tief ein und löse mich wieder von ihr: "Es gibt einen Grund dafür, dass ich hier bin."
Sofort fällt mir die Niedergeschlagenheit in ihrem Gesicht auf und die Schuld überkommt mich. Ich hasse es sie so zu sehen, doch nun muss ich ihr erst die Neuigkeiten erzählen.
"Können wir rein gehen?", frage ich und lasse meinen Blick durch die Landschaft um uns herum wandern, damit ich sicher sein kann, dass uns niemand beobachtet.
"Sicher", ich bemerke, dass sie versucht glücklich oder zumindest neutral zu klingen, doch all ihre Bemühungen sind um sonst. Sie schafft es nicht ihre Gefühle vor mir zu verstecken. Ich bemerke ganz klar, dass sie sich in ihrem Inneren gewünscht hat, dass ich gekommen bin, um zu fragen, ob ich wieder hier wohnen kann. Vielleicht bin ich das ja auch. Was das angeht, bin ich mir noch nicht sicher.
Drinnen angekommen rennt Aria sofort glücklich wie ein kleines Kind, das gerade zum ersten Mal einen Lutscher isst, auf mich zu und zieht mich in eine freudige Umarmung. Ich selbst kann ein Lachen nicht unterdrücken und erwidere die Umarmung nach einer kurzen Schockstarre. Sie scheint mich genauso sehr vermisst zu haben wie Hilley. Ich wusste ja gar nicht, dass ich ihnen allen so wichtig bin. "Aria", mahnt Hilley schnell: " Lass Stella mal bitte los! Sie scheint uns etwas Wichtiges sagen zu wollen."
Aria lässt mich verwundert an und wirft mir dann noch einen fragenden Blick zu, bevor sie sich aufs Sofa fallen lässt. Um ihr ein wenig entgegenzukommen, setze ich mich neben sie auf das weiche Polster. Hilley setzt sich gegenüber von uns hin. "Also? Was ist los?", fragen Aria und Hilley gleichzeitig. "Erinnerst du dich noch an meine Vision, Hilley?", frage ich.
In diesem Moment fällt mein Blick auf die Kette um Arias Hals. Sie ähnelt meiner stark. Der einzige Unterschied ist der Stein. Ihr Splitter ist weiß und wenn man genauer hinschaut, wirkt es als würde darin ein Sturm wüten und toben.
"Ja, wieso?", fragt Hilley überrascht und reißt mich aus meinen Gedanken. Ich blicke schnell zu Hilley zurück: " Sie bestand ja aus zwei Teilen. Im ersten Tag habe ich Aria gesehen und in der Zweiten ..." Ich stoppe, um zu testen, an wie viel sie sich noch erinnert.
Sie beendet prompt meinen Satz: " ...hast du den Ort gesehen an dem der Wasserkristall versteckt ist."
Bestätigend nicke ich: " Genau und vor etwa fünf Tagen habe ich ein Zeichen gesehen und bin diesem einige Tage gefolgt." "Was für ein Zeichen?", fragt die Frau mir gegenüber überrascht.
Schnell schüttele ich abwehrend den Kopf: " Das ist jetzt nicht wichtig!" Hilley scheint mit meiner Antwort nicht sonderlich zufrieden zu sein, lässt mich aber trotzdem weiter sprechen, wofür ich ihr sehr dankbar bin.
"Dieses Zeichen hat mich zu einem See geführt, der sich nach genauerem Betrachten als der See aus meinem Traum identifizieren ließ." "Was?", fragt sie überrascht: " Ich hätte nicht gedacht, dass er real ist." "Echt? Wieso nicht?", frage ich überrascht. "Weil es bei vielen Erben so war, dass ihnen ein Ort gezeigt wurde, der nicht wirklich existiert, weil der Stein bereits zerstört wurde", erklärt sie geduldig. "Zerstört? Wer zerstört denn so einen wertvollen Stein?", ich bin total überrumpelt. Es sind einfach zu viele Informationen für meinen Kopf. "Teilweise die Nexus und teilweise die Erben", erzählt sie schulterzuckend. "Die Erben? Wieso sollten sie sowas tun?", frage ich weiter. "Sie haben einfach entschieden, dass es zu gefährlich ist ihren Stein weiterhin aufzubewahren", sagt sie und blickt auf ihre Finger hinab: " Das ist jedem Erben selbst überlassen."
Ich hätte sie gerne gefragt, was geschieht, wenn die falsche Person einen Stein in die Finger bekommt, doch in diesem Moment geht Aria dazwischen: " Kannst du jetzt bitte weiter erzählen?" Ich nicke schnell, verwundert über ihre Direktheit und erzähle weiter: " Jedenfalls bin ich dann, genau wie in meiner Vision, untergetaucht, um den Stein dort zu suchen, wo er auch in der Vision war. Als ich an der Stelle jedoch angekommen war, war der Stein weg." Hilley holt scharf Luft, was für mich eindeutig ein schlechtes Zeichen ist: " Bist du sicher, dass er dort überhaupt mal gewesen ist?" Sofort antworte ich entschlossen: " Ja, ich bin mir zu einhundert Prozent sicher."
Daraufhin beginnt Hilley sich die Haare zu raufen und vor sich hin zu fluchen: " Das ist schlecht! Das ist ganz schlecht, Stella." "Das werde ich dir später erklären. Jetzt ist mir erst mal wichtiger, dass du mir verspricht hier, wo du in Sicherheit bist, zu bleiben", bittet sie wehmütig: " Ich kannst Nachts sonst nicht ruhig schlafen."
Es bedeutet mir so viel, dass sie das sagt. Schon langem habe ich diese Worte schon nicht mehr gehört und es fühlt sich an wie Balsam für meine Seele, welches mein zerbrochenes Inneres Stück für Stück wieder zusammen baut. Als ich diese Menschen zum ersten Mal getroffen habe, hätte ich nicht gedacht, dass wir alle uns einmal so wichtig sein könnten. Und in dieses "wir" schließe ich auch Ruby ein, denn obwohl sie oft ziemlich fies ist und mich in den Wahnsinn treibt, würde ich nicht mit ansehen wollen wie den Löffel abgibt.
"Wenn es dir besser schlafen lässt mich in Sicherheit zu wissen, bleibe ich hier", auf meinen Lippen ist ein warmherziges Lächeln zu erkennen.
Sobald meine Worte ihre Ohren erreicht haben und von dort aus weiter in ihr Gehirn gewandert sind, erscheint ein Lächeln auf Hilley Lippen, was ihr ganzes Gesicht mit einbindet und ihre auch zufrieden funkeln lässt.
Mir verleiht dieser Anblick Ruhe. Er gibt mir das Gefühl die Menschen, um mich herum glücklich zu machen und wenn sie glücklich sind, versuche ich es ihnen gleich zu tun. Schließlich ist es nicht falsch im richtigen Moment glücklich zu sein und Gefühle zuzulassen.
Der Meinung scheint auch Aria zu sein, als sie meine Hand in ihre nimmt und mir ein liebevolles Lächeln schenkt, das ich genau liebevoll erwidere. Sie ist die Person, die ich hier am meisten vermisst habe.
Sorry, dass ihr so lange warten musstet! Hier ist das neue Kapitel!