Der Werwolf führte sie durch mehrere Gänge zu einigen Zimmern.
„Das ist der Gästebereich. Dieses Zimmer ist für die junge Dame und dieses hier für Euch“, erklärte der Mann und deutete auf zwei Zimmer, die sich gegenüber lagen.
Orion konnte riechen, dass sie nicht alleine waren und dass sich Vampire in der Nähe befanden.
Was ja nicht wirklich ein Wunder war. Schließlich befanden sie sich hier sozusagen auf verfeindetem Gebiet. Die wenigen Werwölfe und Vampire, die sich dazu entschieden hatten, in dieser Region gemeinsam zu leben, waren es vermutlich gewohnt rassenübergreifend zu leben. Doch für Lika und Orion war das alles unerforschtes Neuland.
Dankend nickte Orion dem Mann zu, bevor er Likas Gepäck in ihrem Zimmer abstellte.
„Sie werden dann morgen vom WeVa in Empfang genommen. Bis dahin werden ihnen natürlich auch warme Mahlzeiten und Beschäftigungsmöglichkeiten zur Verfügung gestellt. Wenn sie etwas wünschen, können sie sich jederzeit an unser Personal wenden. Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Aufenthalt“, mit einem Lächeln und einer verabschiedenden Verbeugung entfernte sich der vornehm gekleidete Werwolf von den beiden Gästen und überließ sie sich selbst.
„Das gefällt mir gar nicht“, murmelte Orion leise und folgte dem Butler mit seinen Blicken.
„Ich finde es auch nicht gut“, erklärte Lika und schielte zu ihrem Zimmer. Sie musste alleine wohnen?
Ihr war klar, dass sie nicht mit Orion zusammen ein Zimmer beziehen würde, aber sie hoffte auch, dass es keine Vampirfrau war, mit der sie das Zimmer teilen musste. Es war nicht so, dass Lika etwas gegen Vampire hatte, aber sie kannte diese Rasse nicht und hatte keine Erfahrungen, auf die sie zurückgreifen konnte. Daher war sie sehr nervös.
Plötzlich hörte Lika wie sich Orion auf den Weg zu seinem Zimmer machte. Verwirrt und auch leicht verunsichert lief sie ihm ein paar Schritte hinter her.
„Warte! Was machen wir denn jetzt?“, fragte sie und traute sich nicht Orions Arm zu packen, um ihn zum Stehen zu bringen.
„Ich leg mich ein wenig hin. Du solltest dich auch ausruhen“, war alles, was er von sich gab, bevor er seine Zimmertür vor ihrer Nase schloss. Irgendetwas war merkwürdig. Es war fast schon zur Gewohnheit geworden, dass die beiden vor einem Auftrag erstmal alle groben Details, wie Verhaltensmaßnahmen, besprachen und durchgingen. Doch diesmal... Nichts. Lika wusste, dass Orion seinen Vater schon seit einem Jahr nicht mehr gesehen hatte, doch den Grund dafür hatte sie nie erfahren. Scheinbar schien böses Blut zwischen ihnen zu herrschen, was nicht gerade ein Vorteil war, in Anbetracht der Tatsache, dass er dem hohen Rat angehörte. War das seine Art Nervosität zu zeigen? Sie seufzte leise und ließ die Schultern hängen.
„Dir auch eine gute Nacht“, murmelte sie sarkastisch und schlürfte zurück in ihr Zimmer.
Es war gemütlich, wenn auch nicht sonderlich groß, oder mit unnötigen Dingen vollgestellt.
Es gab ein Bett und einen Kleiderschrank, sowie eine Frisierkommode und einen Tisch mit Sessel.
Lika seufzte. Sie würden nicht lange hier bleiben, also entschied sie sich, ihre Kleidung in ihrem Koffer zu belassen.
Schnell schlüpfte sie aus ihren Kleidern und holte sich ihren Bademantel heraus, den sie sich über warf und dann ins Bad verschwand.
Unter der Dusche versuchte sie sich ein wenig zu entspannen, doch das war nicht so einfach, wie sie gedacht hatte. Daher war sie nicht sonderlich entspannt, als sie sich das Nachthemd überzog und sich in ihr Bett fallen ließ.
Sie versuchte zu schlafen, doch das brachte ihr nicht sonderlich viel, denn auch nach einer halben Stunde war sie noch immer hellwach.
Also erhob sie sich wieder und trat auf ihren Koffer zu, um etwas zu suchen.
Wenig später förderte sie ein Tablet zu Tage.
Technik war in der magischen Welt, in der Vampire und Werwölfe lebten, die ihre Magie beherrschten, nicht unbedingt weit verbreitet, weil die meisten damit nicht umgehen konnten. Lika hingegen hatte sich schon immer dafür interessiert. Ihre Fähigkeiten, die für viele nutzlos schienen, brachten ihr einen gewaltigen Vorteil.
Außerdem interessierte sie sich sehr für die Menschenwelt. Doch dort an Technik heran zu kommen, war nicht sonderlich einfach. Zumal die meisten Dinge hier auch nicht funktionierten.
Sie wollte nicht sagen, dass es in der magischen Welt gar keine Technik gab, doch diese war nur wenigen Werwölfen vorbehalten und galt eher, als eine Art Statussymbol.
Eigentlich hatte sie es nur geschafft an dieses Gerät zu kommen, weil ihre Familie Adlig war und sie für den hohen Rat arbeitete.
Seufzend lehnte sich Lika wieder zurück auf ihr Bett und mit einem einzigen Gedanken schaltete sie das Tablet ein.
Dann wollte sie einmal sehen, ob sie eine Karte der Umgebung erstellen konnte und herausfand, wie viel Technik es in dieser Burg wirklich gab.
Unruhig lief Orion in seinem Zimmer auf und ab. Er konnte keine Sekunde still bleiben, sondern musste sich ständig in Bewegung halten. Er hatte Lika absichtlich stehen lassen, da er nicht wollte, dass diese merkte wie verunsichert er eigentlich war. Auch wenn er schon mehr Erfahrung hatte, als die Blauhaarige, so war er dennoch kein Experte. Und schon gar nicht bei Angelegenheiten die den WeVa betrafen.
Für gewöhnlich ließ der hohe Rat dem Grünäugigen, die groben Details eines Auftrages zukommen. Doch da diese Angelegenheit, scheinbar nicht nur die Werwölfe betraf, war eine schlichte Einladung alles gewesen, was er diesmal erhielt. Noch dazu kam, dass er versuchte dem hohen Rat so gut es ging aus dem Weg zu gehen, um nicht auf seinen Vater treffen zu müssen. Familienangelegenheiten waren wirklich das letzte was er jetzt gebrauchen konnte. Er fuhr sich wiederholt durch die Haare und blickte aus dem Fenster. Es war bereits dunkel und bloß das Licht einiger Fackeln erhellte das Außengelände auf dem sich ein großer wunderschöner Garten erstreckte. Es waren wohl doch einige Stunden vergangen in denen er sinnlos im Gedanken versunken war.
*Was für eine Zeitverschwendung.* Die Worte hallten in seinem Kopf wider und veranlassten den Werwolf dazu sich gegen die Fensterbank zu lehnen. Wenn er schon so reagierte, wie würde es dann wohl Lika gehen? Frustriert rieb er sich über die Augen, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen.
Er wusste, dass es falsch gewesen war Lika einfach so alleine stehen zu lassen, besonders weil sie noch weniger Erfahrung besaß als er. Schließlich war er immer noch für sie verantwortlich. Mit einem Ruck stieß er sich von der Fensterbank ab, um zur Tür zu laufen und sein Zimmer zu verlassen. Leise schloss er seine Zimmertür hinter sich und stellte sich vor Likas Tür, um sanft daran zu klopfen.
Es polterte im Zimmer heftig, was Orion zeigte, dass er sie wohl erschrocken hatte. Dann dauerte es ein paar Sekunden, bis jemand vorsichtig die Tür öffnete. Likas markante, blaue Haare waren nass und zu einem festen Zopf gebunden. Ihre zweifarbigen Augen wirkten misstrauisch, bis sie ihn erkannte. „Orion“, mit dieser Feststellung trat sie ein Stück zurück. „Komm rein.“
„Tut mir Leid, dass ich dich so spät noch belästige. Ich hoffe ich habe dich nicht gestört“, entschuldigte sich Orion höflich und hielt den Blick auf Likas nasse Haut. Nach kurzem Zögern entschied er sich doch noch dazu ihr Zimmer zu betreten, obwohl er mit dem Gedanken spielte sich wieder zurückzuziehen, da sie offensichtlich beschäftigt war.
So wie sie das Handtuch um sich gewickelt hatte, war sie wahrscheinlich gerade aus der Dusche gekommen.
Ihr Lächeln war kläglich. „Nein, du störst nicht. Ich bin schon das dritte Mal duschen, weil es mich beruhigt“, erklärte sie ehrlich, aber erst, nachdem Orion die Tür geschlossen hatte.
Er hielt noch für einige Sekunden den Blick auf sie gerichtet und räusperte sich ein wenig unsicher.
Er verschränkte die Arme vor der Brust, wobei er diese Position nicht lange beibehielt und sich mit der rechten Hand am Hinterkopf kratzte.
„Willst du... dich nicht anziehen?“, fragte er und wusste nicht ganz, was er sagen sollte. Er wandte seinen Blick in den Innenraum ihres Zimmers, um sie nicht direkt ansehen zu müssen. Es sah immer noch genauso aus, wie zu dem Zeitpunkt, als sie angekommen war. Als hätte sie das Zimmer noch gar nicht betreten. Selbst ihre Koffer waren noch fast so, wie er sie hingestellt hatte.
Lika war ein sehr ordentlicher Werwolf, aber auch praktisch.
„Ich, äh“, begann sie zögerlich und sah sich kurz in ihrem Zimmer um, ehe sie sich einfach ein paar Kleidungsstücke aus ihrem Koffer kramte. „Bin gleich wieder da“, erklärte sie und verschwand im Bad.
Keine zehn Minuten später kam sie fertig angezogen wieder heraus und blickte unsicher zu Orion.
Der Werwolf entspannte seine Haltung und lief langsam in Likas Zimmer umher, um sich weiter umzusehen.
„Geht es dir jetzt besser?“, hörte sie seine Stimme und blickte auf. Er schien gerade stirnrunzelnd Likas Tablet in die Hand zu nehmen und es zu begutachten.
„Was?“, erwiderte sie, während sie ihn mit Adleraugen beobachtete und hoffte er würde ihre Sachen nicht kaputt machen.
„Du sagtest, dass es dich entspannt zu duschen. Das heißt doch, dass du vorher angespannt warst. Oder liege ich falsch?“
„Ach so, das meinst du. Nein. Es geht mir nicht besser“, erklärte sie und hob eine Hand.
Das Tablet schaltete sich an und auf dem Bildschirm erschienen Informationen über den WeVa. Unter anderem auch der Lageplan. „Erst recht nicht, seit dem ich weiß, dass wir Vampire als Nachbarn haben“, murmelte sie und klang wenig begeistert.
„Mach dir gar keine Gedanken um die Blutsauger. Wir sind sie bald los.“
Orion war noch weniger von der Tatsache begeistert, mit Vampiren im selben Gebäude zu nächtigen, doch er beruhigte sich mit dem Gedanken, dass sie bald wieder abreisen würden.
„Hast du was rausgefunden?“, fragte Orion misstrauisch und versuchte bei dem kleinen, flachen Gerät durchzublicken. Es war ihm wohlbekannt, dass Lika sich für Technik interessierte und diese auch einzusetzen wusste. Aber dennoch verstand er nicht, was genau daran sie so faszinierte.
*~*~*
Besteht Interesse an weiteren Hörbüchern?