Steppi war erleichtert, dass im Team alle bereit waren, ihm zu helfen. Nur wenigen hatte er alles erzählt, aber selbst sie waren nicht böse auf ihn. Es schien mehr, als wären alle erleichtert, dass er wieder normal war. Nur die Sache mit dem Kurzbesuch auf Island ließ er unerwähnt. Er war noch zu keiner Lösung gekommen, wie er das am besten regelte und er wollte auch nicht, dass jemand zu Julia ging und ihr alles sagte. Selbst Liv hatte nach einiger Überzeugungsarbeit zugestimmt, ihm zu helfen und das freute Steppi eigentlich am meisten. Er bekam regelmäßig Infos von Julia und er freute sich, dass es ihr allmählich besser ging. Sie wusste noch nicht, dass er etwas für sie plante, und manchmal neigte Steppi dazu, es zu verdrängen und den Zustand so zu genießen wie er war. Aber letztendlich wollte er sie zurück, und daran musste er arbeiten. Vor dem letzten Spiel der Saison war er deshalb nervös, ob alles so klappen würde. Der erste Schritt war getan, Liv hatte sie informiert, dass Julia wie versprochen mit in der Halle war.
Liv war stolz auf ihre Überredungskunst. Immerhin war das Niklas letztes Spiel für die Löwen und davon hatte sich Julia breitschlagen lassen, mitzukommen, auch wenn es ihr unangenehm war. Die Halle war brechend voll, auch wenn es mit der Meisterschaft nicht geklappt hatte- jedes Jahr rückten sie näher an die Spitze heran.
Julia versuchte, sich nur auf Niklas zu konzentrieren. Dass Steppi nicht spielte, machte es ihr leichter, aber trotzdem hatte sie ein flaues Gefühl im Magen. Liv betrachtete besorgt das Minenspiel ihrer Freundin.
„Ist alles okay? Hältst du es durch?“, fragte sie über den Lärm hinweg. Julia wandte sich ihr zu und nickte dann.
„Ja, es ist alles gut. Ich bin ja da, um Niklas eine Freude zu machen, auch wenn es schade ist, dass ihr geht.“
Sie versuchte ein Lächeln, das ihr aber nicht ganz gelang. Liv lächelte zurück. Sie hatten lange darüber geredet, nachdem feststand, dass Niklas nach Kiel gehen würde. Es war nicht gut für die Freundschaft, aber Julia unterstützte die beiden vorbehaltlos.
Obwohl das Spiel gut für die Rhein Neckar Löwen endete, war es ein komisches Gefühl, danach die Spieler zu verabschieden. An manchen, wie an Niklas, hing man mehr, gerade, wenn man sie privat kannte. Julia war schon dabei, aufzustehen, als Kevin das Mikrophon in die Hand nahm und alle Zuschauer bat, sich noch einmal zu setzen. Irritiert nahm sie noch einmal Platz und spähte auf das Spielfeld. Man konnte durch die Beleuchtung wenig erkennen, aber als die Scheinwerfer Steppi anleuchteten, rutschte ihr das Herz in die Hose.
„Julia, ich weiß, dass du heute hier irgendwo sitzt, ich weiß leider nicht wo. Ich will dir nur sagen, dass es mir leid tut, was passiert ist. Ich war ein riesiger Idiot. Ich weiß jetzt, dass du mich nicht angelogen hast. Wenn du noch mit mir reden willst, sehen wir uns vielleicht nachher in der Lounge? Ich liebe dich, immer noch.“
Die Rückgabe des Mikrophons ging in tosenden Applaus unter. Während nun die ersten Leute gingen, saß Julia wie paralysiert auf ihrem Platz. Sie hatte nicht einmal registriert, dass Steppi alles so lange geübt hatte, bis er es in perfektem Deutsch sagen konnte.
Vorsichtig zupfte Liv an ihrem Ärmel.
„Julia? Kommst du mit oder willst du lieber gehen?“, fragte sie leise in ihr Ohr.
Auf diese Frage wusste Julia keine Antwort. Ein Teil von ihr wollte weglaufen, ein anderer aber hier bleiben, bei Steppi. Er hatte sich entschuldigt, sogar in aller Öffentlichkeit, wie viel mehr konnte man für den Anfang erwarten. Aber wollte sie überhaupt wieder mit ihm reden? In Gedanken versunken ließ sie sich von Liv mitziehen und einem Teil von ihr war es nur recht.
Die Lounge war gefüllt mit Ehrengästen und Spielerfrauen mit deren Kindern, aber Julia hatte nur Augen für den Eingangsbereich. Steppi würde duschen müssen, aber auch er und die anderen Spieler sollten bald kommen.
Sie hielt sich an einem der Stehtische fest, weil sie langsam das Gefühl hatte, umzukippen. Die Luft wurde immer dünner, und egal wie gut Liv ihr zuredete oder die Hände tätschelte, es wurde nicht besser.
Schließlich tauchte Steppi auf, flankiert von Lexi und Harry, von denen er sich aber schnell löste. Er war mindestestens ebenso nervös, aber als er Julia entdeckte, fiel ihm ein Stein vom Herzen. Sie schien ihm verzeihen zu wollen und das war schon einmal das Wichtigste. Mit einer kurzen Handbewegung verabschiedete er sich von seinen Freunden und ging auf Julia zu, überlegend, was er ihr sagen sollte.
Mehr als ein leises ‚hey‘, brachte er für den Anfang nicht heraus, da schnappte Julia nach Luft und sackte zusammen, sodass Steppi sie gerade noch festhalten konnte. Sie schien wach zu sein, aber ihre Augen wirkten glasig und voller Angst.
„Ist alles okay mit dir?“, fragte Steppi leise. Er zog sie mit an den Rand des Geschehens, um nicht zu viel Aufmerksamkeit zu erregen. Julia atmete unregelmäßig und ihr Gehirn versagte sämtliche vernünftigen Dienste. Steppi zweifelte schon daran, ob seine Aktion richtig gewesen war, er wollte Julia damit nicht wehtun.
In diesem Moment presste sich Julia tiefer in seine Arme und Steppi wusste, dass er etwas richtig gemacht hatte. Beschützend streichelte er ihr über die Haare. Diese Reaktion war ihm schon Lohn genug dafür, dass er sich überwunden hatte, vor so vielen Menschen zu reden.
Als die Lounge sich langsam leerte, wurde es leiser und auch Julia beruhigte sich allmählich. Der vertraute Geruch von Steppi hatte noch immer eine beruhigende Wirkung auf sie. Sie wischte sich mit dem Handrücken die Tränen vom Gesicht, dann sah sie das erste mal überhaupt zu Steppi auf.
Auch in seinem Gesicht konnte man Unsicherheit lesen, aber auch Erleichterung und Freude.
„Mir tut alles sehr leid. Nimmst du mein Entschuldigung an?“, fragte er leise. Julia nickte und lächelte, dann legte sie ihren Kopf wieder an seine Brust. Sie wollte das Gefühl an seiner Seite wenigstens für einen Moment genießen. Steppi griff nach ihrer Hand.
„Wir müssen raus, so die Arena schließt bald. Lass uns auf dem Parkplatz reden, wenn du es willst.“
Es war gleichzeitig fremd und schön, dass sie beide wieder Hand in Hand durch die Gegend liefen, als wäre nie etwas passiert. Am liebsten hätten sie alles verdrängt, aber beiden war klar, dass das keine Option war.
Draußen war es schon etwas kälter, die Sonne stand schon sehr flach und Julia war froh, dass Steppi seinen Pullover bereitwillig hergab. Sie hatte sich bis hierhin auch einigermaßen gefasst und war entschlossen, ihren Plan fortzuführen. Sie hatte sich schon vor längerer Zeit zurechtgelegt, wie es weitergehen würde, wenn Steppi sich jemals nochmal bei ihr meldete.
„Wie willst du es weitermachen?“, fragte Steppi hoffnungsvoll.
Julia brauchte einen Moment, um sich innerlich zu wappnen.
„Ich bin froh, dass du dich entschuldigt hast, das war wichtig für mich. Aber ich möchte nicht gleich wieder alles so weitermachen, wieder bei dir einziehen zum Beispiel. Ich glaube, das war vielleicht zu schnell für uns damals. Momentan habe ich die Wohnung von Liv und Niklas übernommen und da möchte ich vorerst auch bleiben und mit dir erst wieder ganz langsam anfangen. Ich habe Angst, dass es sonst wieder genau so schief läuft wie vorher.“
Enttäuscht senkte Steppi den Kopf. Er konnte es nicht leugnen, er hatte es sich anders vorgestellt.
Julia hingegen war erleichtert, dass sie nicht nachgegeben hatte, andererseits war sie auch traurig, Steppi so enttäuscht zu sehen. Sie nahm seine Hand.
„Ich möchte nicht, dass du traurig bist Steppi, aber bitte gib mir einfach noch ein bisschen Zeit. Das alles war schlimm für mich und ich knabbere noch ziemlich daran. Wenn es mir gut geht, dann kann ich auch wieder mit dir zusammen sein und ich werde mich bei dir melden, versprochen.“
Steppi wollte etwas Trotziges erwidern, aber da kamen ihm die Worte von seinen Freunden in den Sinn. Sie hatten ihm geraten, Julia die Führung zu überlassen, um sie nicht zu verschrecken. Er vertraute dem Instinkt seiner älteren Kollegen, immerhin hatten sie es alle zu Ehemännern gebracht. Deshalb schluckte er seinen Stolz hinunter.
„Es ist nicht das, was ich mir wünsche, aber du hast Recht, ich werde warten auf dich. Ich hoffe, dass wir können irgendwann wieder zusammen sein und es gibt keine Streit mehr zwischen uns?“.
Julia schüttelte den Kopf. „Keinen Streit mehr, zwischen uns ist alles in Ordnung, zumindest mehr oder weniger.“
Steppi überlegte, von Lilja zu erzählen, aber die aufgekommene Harmonie wollte er nicht gleich wieder zerstören. Er würde es sich für einen anderen Moment aufheben. Es schien ihm nicht passend.
„Was wirst du jetzt machen?“, fragte er stattdessen.
„Ich fahre nach Hause. Im Moment arbeite ich nachts an einem Abschiedskorb für Livs ungeborenen Sohn, das muss ich machen wenn sie schläft, und Niklas möglichst auch. Ich werde schauen ob die beiden im Bett sind und hoffen, dass ich noch ein bisschen arbeiten kann, sonst wird der nie fertig.“
Steppi lächelte. So kannte er seine Freundin, nein, Exfreundin. Fürsorglich und über alle Maßen nett, das liebte er so an ihr.
„Na gut, das ist ein schöne Idee. Kommst du nach Hause oder ich soll dich fahren?“.
„Die Bahn kommt gleich, das ist schon okay. Ich melde mich bei dir Steppi, versprochen. Und danke nochmal, dass du dich entschuldigt hast, das bedeutet mir sehr viel.“
Mit einer kurzen, noch etwas steifen Umarmung verabschiedeten sich die beiden voneinander und Julia musste ein paar Tränen verdrücken. Sie wunderte sich selbst, dass sie Steppi hatte derart widerstehen können, aber das hielt sie für besser für beide.
Steppi hingegen war froh, dass alles gut geklappt hatte, so oder so ähnlich hatte er sich den Abend vorgestellt.