Die Abschiedsfeier kam dann doch schneller, als es sich manche gedacht und vor allem gewünscht hätten. Liv und Niklas hatten ihre Freunde und Mannschaftskameraden zu einer Party in einem gemieteten Restaurant geladen, und für Musik sollte auch gesorgt sein.
Julia war nervös, denn seit dem Gespräch vor einigen Wochen hatte sie Steppi noch nicht angerufen und heute würde sich ein Zusammentreffen wohl kaum vermeiden lassen. Nicht, dass sie nicht dazu bereit gewesen wäre, aber sie hatte sich bisher einfach nicht getraut, anzurufen, weil sie nicht wusste, wie es weitergehen sollte.
Jetzt aber war sie mit Liv unterwegs. Sie hatte versprochen, sie separat zur Part zu fahren, damit sie vorsichtig und langsam mit der mittlerweile sehr schwangeren Liv fahren konnte, während Niklas Getränke transportierte.
Liv war in den letzten Wochen ein wenig vergesslicher geworden und trieb damit Julia und Niklas manchmal in den Wahnsinn. Ob sie es heute darauf angelegt hatte oder nur spielte, war Julia nicht klar.
„Sag mal, du weißt doch, dass Steppi heute kommt?“, fragte Liv gerade und Julia seufzte.
„Ja, weiß ich“, gab sie zurück und seufzte.
„Und, weißt du schon, ob ihr dann wieder miteinander redet? Ich meine, du hast ihn ja langsam genug zappeln lassen oder was meinst du oder...“.
„Liv, halt“, stoppte sie Julia. „Ich habe keine Ahnung, wie das heute ausgeht, okay? Ich habe mir auch noch nichts vorgenommen, ich werde schauen, was heute passiert. Lass uns erst mal ankommen, ja?“.
Ob Liv beleidigt war oder nur begriffen hatte, dass Julia darüber nicht reden wollte, war nicht klar, aber Liv schwieg den Rest der Fahrt über. Glücklicherweise dauerte diese aber auch nicht lange,sodass auch das Schweigen nicht lange anhielt. Julia half Liv aus dem Auto, glücklicherweise hatten sie noch einen Parkplatz in der Nähe des Eingangs ergattert. Die Party schien schon im Gange zu sein, Julia hörte Musik, sobald sie ausgestiegen war.
Livs watschelnder Gang hemmte das Tempo ein bisschen, gerade an der Treppe, die sie nehmen mussten, um in den Gasthof zu kommen. Das rustikale Gebäude war sehr hölzern eingerichtet, und um auf den Innenhof zu gelangen, musste man das Gebäude durchqueren.
Einige Menschen standen schon in Grüppchen zusammen und hier und da erkannte Julia ein paar Gesichter, meist die Handballer und ihre Freundinnen.
„Du, ich geh mal kurz zu Niklas, mal schauen, ob er auch alles so hingekriegt hat, wie ich es will, okay?“, meldete sich Liv zu Wort und Julia wandte sich ihr zu.
„Oh… ja, na klar. Wir sehen uns ja bestimmt später noch.“
Während Liv davonwatschelte, hielt Julia Ausschau nach bekannten Gesichtern, um nicht alleine herumstehen zu müssen. Sie entdeckte Eivor gerade auch noch alleine, und weil sie schon länger keinen Kontakt mehr gehabt hatten, entschloss sie sich, zu ihr zu gehen.
„Hey Eivor“, begrüßte sie Lexis Frau mit einem Lächeln, das sie sofort zurückgab.
„Oh Julia, hallo! Es ist schön dich zusehen. Wie geht es dir?“.
„Eigentlich ganz okay, ich bin nur ein bisschen traurig über den Anlass und weil… naja...“.
Eivor streifte sie mit einem mitleidvollen Blick. „Ich habe mit Steppi gesprochen, er kann es kaum noch erwarten, bis du dich bei ihm meldest. Falls du bereit bist, würdest du ihm damit wohl einen großen Gefallen tun.“
Julia spürte die Röte in ihre Wangen steigen und starrte ihre Füße an. Wie gerne hätte sie Steppi schon angesprochen, aber wie? Eigentlich setzte Eivor sie damit nur unter Druck. Deshalb entschuldigte sie sich mit dem Hinweis, das sie Hunger hätte, um sich dem Gespräch zu entziehen. Erleichtert, dass Eivor ihr nicht böse war, ging sie in Richtung des auf Tischen aufgebauten Buffets. Julia hatte auch wirklich Hunger und sie freute sich auf das Fingerfood, von dem Liv und Niklas im Vorfeld schon geschwärmt hatten, als sie Caterings ausprobiert hatten.
Sie hatte sich gerade ein paar Kleinigkeiten auf einen Pappteller gelegt, als sie angesprochen wurde. Die Stimme ließ sie erstarren.
„Hey Kleines, geht’s dir gut? Schön, dich zu sehen“, begrüßte sie Steppi.
Hatte sie ihn einfach nur nicht bemerkt, als sie auf das Buffet zugegangen war, oder hatte er sie gesehen und war gekommen? Mit einem steifen Lächeln sah Julia zu ihm hoch.
„Danke, mir geht es gut. Wie geht‘s dir?“.
„Es geht… ich vermisse dich.“
Diese Worte lösten in Julia einen Schauer aus und sie stellte ihren Teller zur Seite, weil ihre Hand zu zittern begann.
„Steppi, es tut mir leid, dass ich mich so lange nicht mehr gemeldet habe, obwohl ich es dir versprochen habe“, meinte sie mit zittriger Stimme. Steppi nahm ihre Hand und drückte sie sanft.
„Du sagtest, dass du brauchst Zeit und ich gebe dir die Zeit, auch wenn ich dich vermisse. Ich bin nicht böse.“
„Danke, Steppi“, lächelte Julia, jetzt erleichterter, „wollen wir uns zusammen irgendwo hin setzen und essen?“.
Steppi nickte, und nachdem sich beide die Teller noch ein wenig gefüllt hatten, suchten sie sich einen freien Platz an den unzähligen Bierbänken.
„Ich weiß, dass das ist unromantisch, aber wir haben in ein paar Wochen den Urlaub...“, begann Steppi.
„Wir fahren, oder? Ich meine, wir streiten nicht mehr. Lass es uns machen, immerhin hat es Geld gekostet.“
Überrascht hob Steppi die Augenbrauen, aber er freute sich. Er hatte auf die Antwort gehofft, als er sich vorgenommen hatte, das gleich anzusprechen. Lächelnd nickte er. „Ja, machen wir, ich finde das gut. Ich freue mich auf Sommerurlaub.“
„Das kann ich mir vorstellen“, grinste Julia.
Eine Weile aßen die beiden schweigend, die Häppchen waren wirklich gut. Zwischendurch begrüßten sie immer mal wieder verschiedene Freunde, Harry und Mads schauten ebenfalls kurz am Tisch vorbei und sagten hallo.
Nachdem die Teller schließlich leer waren, hielt sich Steppi zufrieden den Bauch. Wenn die Saison zu Ende war, erlaubte er sich öfter Kleinigkeiten, die auf dem Speiseplan eigentlich tabu waren.
„Soll ich etwas zu trinken holen? Es gibt drinnen einen Kühlschrank, wir haben es schon gesehen vorhin“, bot er an.
„Ja, sehr gerne, danke. Wenn was da ist mit Koffein… Cola oder so. Das würde ich nehmen.“
Julia lächelte, als Steppi nickte und dann aufstand, um sich durch die Meute zurück zum Gebäude zu kämpfen.
Weil inzwischen auch Leute tanzten, war es gar nicht mehr so einfach wie noch vorhin, als sie sich den Platz gesucht hatten.
Seinen Platz nahm ein strahlender Niklas ein. Er hielt ein Bier in der Hand.
„Hallo! Na, ihr scheint euch ja wieder gut zu verstehen“, grinste er breit.
Julia lachte nur trocken. Eigentlich hatte sie keine Lust, jetzt von Niklas verhört zu werden, deshalb versuchte sie, das Thema zu wechseln.
„Habt ihr denn in Kiel schon eine Wohnung gefunden?“.
„Das fällt auf“, lachte Niklas, „aber ja, wir haben. Also, wie läuft es mit Steppi? Habt ihr euch wieder vertragen?“.
„Musst du mich unbedingt löchern? Ja wir reden miteinander, hast du ja bestimmt gesehen“, seufzte Julia, „aber mehr ist da noch nicht. Nerv mich bitte nicht zu sehr damit, Liv war schon echt aufdringlich. Ihr könnt uns ruhig in Ruhe lassen, wir schaffen die Beziehung denke ich jetzt auch ohne euch.“
Dabei klang sie genervter, als sie tatsächlich war, aber Niklas zuckte etwas pikiert zurück. Liv und er hatten für die beiden wirklich viel getan, das wussten sie beide, und er empfand die Reaktion als undankbar, so kannte er Julia nicht.
Julia erkannte an Niklas Gesichtsausdruck, dass er etwas falsch aufgefasst hatte. „Niklas, tut mir leid, ich wollte nicht so genervt sein. Ich weiß, und Steppi weiß das auch, dass wir euch viel zu verdanken haben. Aber wir schaffen das auch ohne euch, jetzt zumindest. Es wird aber nicht besser, wenn uns ständig jemand damit konfrontiert, okay?“.
Niklas lehnte sich zurück und lächelte, dabei wartete er einen Moment mit seiner Antwort. Vielleicht war er ein bisschen zu ungestüm gewesen und Julia hatte Recht gehabt. „Ja, tut mir leid, alles okay.“
Niklas nahm einen Schluck seines Bieres, dann erhob er sich wieder.
„Ich denke ich sehe noch nach anderen. Außerdem habe ich gesehen, dass Mads eine Menge Mädels im Auge hat, die werde ich wohl lieber mal beschützen.“
„Was tut er?“, fragte Julia amüsiert nach, „der kriegt ja nie genug. Okay Niklas, dann bis später oder so.“
Er nickte ihr noch zu, dann entfernte er sich vom Tisch und Julia war wieder alleine.
Ihre Gedanken waren noch kurz bei Mads. Sie mochte seine positive Art sehr, aber dass er so sehr auf Frauenfang war, war seltsam für sie. Eigentlich konnte sie solche Männer nicht leiden, aber Mads kombinierte das mit einem derartigen Charme, dass man ihm nicht böse sein konnte. Kurz versuchte sie, nach Mads zu sehen, weil sie neugierig war, aber da sie ihn nicht erkennen konnte, widmete sie sich wieder ihrem Essen.
Die Gedanken waren nun bei Steppi. Sie war sehr froh darüber, dass sie wieder normal miteinander umgehen konnten, soweit sie das beurteilen konnte. Langsam war sie bereit, wieder eine Beziehung mit ihm einzugehen, aber nach wie vor auf Abstand. In den letzten Tagen und Wochen hatten beide die Erfahrung gemacht, dass der Abstand ihnen gut getan hatte und das sollte auch so bleiben.
Julia entdeckte Steppi in der Menge und freute sich schon darauf, wieder mit ihm zu sprechen.
Was ihn dann aber aufhielt, brachte Julia zur Weißglut.