Die großen Türen öffnen sich und die Schüler strömen in den riesigen Speisesaal hinein. Ich selbst befinde mich in der Menge und werde regelrecht mitgerissen. Mit den Fingern reibe ich mir die Augen und versuche ein wenig wacher zu werden. Wieso muss man hier immer so früh aufstehen? Das ist mir einfach zu früh. Ich schlafe lieber länger, anstatt schon um sieben Uhr morgens von der Schulklingel aus dem Bett geklingelt zu werden. Aria bin ich auf dem Gang aber leider noch nicht begegnet, sonst hätten wir uns überlegen können, wie wir hier wieder rauskommen. Leider hatten wir dazu gestern Abend keine Chance mehr.
Ich habe den Kristall einfach schnell in meinem Koffer unter dem Bett versteckt, da ich einfach nur müde war und habe mich dann ins Bett fallen lassen. Erst zwei Stunden Sport und dann noch auf eine nächtliche Mission. Für mich war das einfach ein bisschen viel. Das bin ich nicht gewohnt. Heute Morgen habe ich ihn dann noch besser versteckt, obwohl ich mir nun nicht mehr sicher bin, ob es wirklich so klug war den Kristall an der Außenseite meines Stiefels zu verstecken. Zwar wird man dort nicht zuerst suchen, aber das beste Versteck ist es sicher nicht. Aber wo kann ich ihn denn in einer Schule voll mit feindlich gesinnten Seraphinen sicher verstecken? Am sichersten ist es da doch ihn am Körper zu tragen, oder?
Von allen Seiten werde ich angerempelt. Fast platzt mir der Kragen. Ich hasse es so viele Leute, um mich herum zu haben. Können die nicht einfach verschwinden und mich in Ruhe lassen?
Endlich im Speisesaal angekommen, blicke ich mich um. Die Wände sind weiß gepinselt, während der Boden mit schwarzen Fliesen belegt ist. Mehrere lange Tische stehen im Raum verteilt, die mit Tellern und Besteck gedeckt sind. Auch Nahrungsmittel befinden sich in Körben, Schüssel und Karaffen auf dem Tisch. Alles wirkt so perfekt und pompös. Fast wie in einem wunderschönen Traum, aus dem man gar nicht mehr aufwachen will. Um sicher zu gehen, dass das wirklich kein Traum ist, zwicke ich mich in den Arm. Aua, das war definitiv real!
Mein Blick schweift über die Tische und ich sehe mich nach Aria um. Vielleicht ist meine Partnerin ja schon hier. Leider ist es jedoch sehr das Mädchen unter den ganzen Schülerinnen und Schülern zu entdecken, doch dann entdecke ich sie doch.
Ihre hellbraunen Haare hat sie zu einem lockeren Pferdeschwanz gebunden und ihre Kleidung wirkt wie frisch gewaschen. Wie kann man am frühen Morgen so gut und wach aussehen? Die Plätze um sie herum sind frei. Keiner scheint neben ihr sitzen zu wollen, was mich sehr wundert, da sie sehr freundlich ist, wenn man sie nicht gerade bedroht oder umzubringen versucht. Außerdem ist sie auch echt hübsch.
Schnell lasse ich mich auf den Platz neben ihr fallen und lege meinen Arm um sie: "Hey, wieso sitzt du hier so alleine?" "Ich habe auf dich gewartet", erklärt sie gut gelaunt und nimmt sich ein Brötchen aus einem der vielen Brotkörbe auf dem Tisch. Es duftet wundervoll, sodass auch mein Hunger erwacht. Die warme Hefe unter meinen Fingern weckt ein wolliges Gefühl in mir. Im ganzen Raum duftet es wunderbar und die Schüler unterhalten sich miteinander.
Plötzlich wird jedoch die Tür aufgerissen, die sich zuvor hinter den Schülern geschlossen hatte, und eine großgewachsene Frau stürmt, gefolgt von zwei anderen Leuten, in den Saal. Am Ende der Tische steht ein kleines Podest, auf das sie sich stellt.
Mich interessiert recht wenig, was diese Leute wollen, doch sieht mich vorwurfsvoll an und flüstert mir etwas ins Ohr: "Konzentrier dich bitte. Wir fallen auf, wenn wir einfach da sitzen und nicht zuhören." Ein wenig genervt richte ich ihren Blick auf die Frau vor uns. "Wer ist das?", frage ich ein anderes Mädchen in meiner Nähe. "Direktorin Rivers", erklärt diese leise und wendet ihren Blick wieder der Frau, die also die Direktorin ist, zu.
Mit den Augen betrachte ich diese nun auch. Ihre Haare sind feuerrot und ihre Kleidung ist genauso elegant wie die der meisten Schüler hier.
Ihre Stimme klingelt hochnäsig, als sie zu sprechen beginnt: "Guten Morgen liebe Schüler. Wahrscheinlich werdet ihr euch jetzt wundern, wieso ich euch beim Essen störe, aber ich wollte euch nur darüber informieren, dass ihr den Saal nach dem Essen nicht sofort verlassen dürft." Aria dreht sich langsam um und schaut mich erschrocken an. Der Schock ist ihr ganz klar anzusehen. Ich lege meine Hand auf ihre und versuche sie zu beruhigen: "Entspann dich. Vielleicht hat es einen ganz anderen Grund." Wir scheinen jedoch nicht die Einzigen zu sein, die Fragen zu dem Thema haben. Die Lehrerin fährt jedoch fort: "Jetzt werden sich wahrscheinlich viele fragen wieso, wir zu dieser Maßnahme greifen müssen. Die Antwort ist ganz einfach. Am gestrigen Tag ist etwas sehr Wertvolles verschwunden. Das Kollegium und ich selbst haben die Vermutung, dass ein Schüler dieses Institutes das Objekt entwendet hat."
Plötzlich lässt sich jemand neben mich fallen. Erst erkenne ich die Person nicht, doch dann merke ich, dass es Miles, mein Gegenspieler aus dem Sportunterricht ist. Er legt seine Arme um uns und flüstern: "Na Ladys, ihr scheint wohl in Schwierigkeiten zu sein." Mein Körper ist wie gelähmt und meine Pupillen erweitert. Oh man, leider hat er recht. "Hast du uns verraten?", zische ich leise. Er sieht mich verwundert an und schüttelt den Kopf: "Ich breche keine Versprechen. Zwar bin ich nicht immer freundlich oder zeige Gefühle, aber meine Versprechen halte ich immer ein." Aria ist dabei nun komplett in Panik zu geraten. Ihr Atem wird schneller und ihre kleinen Hände beginnen zu zittern. Wie kann ich sie beruhigen? Sie darf auf keinen Fall den Mut verlieren. Dann wäre unsere ganze Mission in Gefahr. Auch Miles scheint die Körpersprache des Mädchens richtig gelesen zu haben und wendet sich mir zu: "Ich kenne euch zwar nicht, aber ich werde euch helfen, wenn ich das irgendwie kann. Wo ist der Kristall jetzt?" Forschend blicke ich ihn an. Das, was er zeigt, sagt mir, dass er es ernst meint, doch richtig glauben kann ich ihm noch nicht: "Er ist nicht weit entfernt, aber jetzt habe ich erst mal eine wichtigere Frage. Wieso willst du uns helfen?" Kurz blickt er sich um, doch dann antwortet er: "Ich finde es einfach nicht richtig, was hier geschieht. Schon so lange läuft hier einiges falsch. Es muss einfach endlich mal etwas passieren!" Da hat er auch wieder recht. Auch mir ist schon aufgefallen, dass es hier nicht ganz so läuft, wie es sollte. "Na gut, was kannst du für uns tun?", frage ich widerwillig. "So einiges, aber erst mal müsst ihr mir auch etwas versprechen." Genervt seufze ich. War ja klar, dass er wieder irgendwas will. Eigentlich würde ich mich auch nicht darauf einlassen, aber momentan kann ich jede Hilfe gebrachen: "Was willst du denn für einen Gefallen?" "Nachdem ich euch geholfen habe, habe ich nicht mehr die Möglichkeit hierher zurückzukehren, also will ich, dass ihr mich mitnehmt." "Was? Wieso das denn?", frage ich verwundert. Wieso will er hier weg? Für die Schüler hier ist das dieses Gebäude doch sowas wie ein Zuhause. "Okay, dann hilf uns aber gefälligst sofort", Aria schreitet nun ein. Ihre Stimme zittert genauso wie ihre Hände. Meine Partnerin tut mir mehr als leid, doch helfen kann ich ihr momentan einfach nicht. Geschockt sehe ich sie an, doch das Mädchen lässt sich nicht davon abbringen. "Perfekt!", bestätigt der Junge: "Wenn ich euch ein Zeichen gebe, folgt ihr mir sofort. Verstanden?" Wir beide nicken. Was er wohl vorhat?
Daraufhin klatscht der Junge in die Hände. Sofort geht das Licht aus, was die Halle erleuchtet hat. Einige Schülerinnen und Schüler schreien erschrocken auf. Auch ich selbst, bin mehr als überrascht, doch kein Schrei entflieht meiner Kehle. In der Dunkelheit spüre ich, wie Miles nach meiner Hand greift. Seine Finger passen perfekt in meine, doch leider habe ich keine Zeit mehr mich genauer auf seine Berührung zu konzentrieren. Stattdessen höre ich seine Stimme: "Okay, los!" Der Junge zieht mich mit sich.
Als das Licht wieder angeht, stehen wir drei gemeinsam auf dem langen Tisch, doch Zeit mich damit abzufinden habe ich nicht, da Miles uns beide mit sich über die Tische zieht. Während ich selbst versuche nicht auf die Finger oder die Teller der anderen treten, rennt Miles über das lange Bankett. Wir folgen! Das hätte ich echt nicht erwartet. Außerdem frage ich mich echt, wieso er genau wusste, wann das Licht ausgeht. Oder hatte er etwas damit zu tun?
An der Tür angekommen, öffnet Aria diese mit ihren Kräften, sodass wir keine Zeit verschwenden. Ich nehme zwar wahr, dass uns hinterhergerufen und befohlen wird, dass man uns schnappen soll, doch irgendwie will die Information nicht weiter in mein Gehirn wandern. Das Einzige, was mein Gehirn mir in diesem Moment sagt, ist "Lauf so schnell du kannst, Stella!" und genau das tue ich auch. Meine Füße erzeugen laute Geräusche auf dem harten, dumpfen Steinboden. Nun bin ich doch froh, dass ich den Kristall am Körper trage.
Auch die letzten Türen, die uns den Weg in Freiheit versperren sollen, lassen sich spielend leicht öffnen, sodass wir uns innerhalb von Sekunden draußen binden. Dort halten wir dann an und schnappen kurz nach Luft. Das Adrenalin pulsiert unter meiner Haut und langsam beginnen sich meine Lungenflügel wieder mit der Luft zu füllen, die mir vorher fast komplett weggeblieben ist. Den Kopf lege ich in den Nacken und blicke nach oben in den blauen Himmel. "Wir müssen weiter, sonst holen sie uns noch ein", drängt Miles, doch in diesem Moment ist mir das einfach nur egal. Ich genieße die frische Luft, die ich seit Tagen nicht mehr schnuppern durfte einfach nur. Nachdem der Junge uns jedoch erneut gedrängt hat, raffen wir Mädchen uns auf und folgen ihm durch das Schultor, welches wie von Zauberhand aufschnappt und sich hinter uns wieder schließt.
Plötzlich nehme ich, dann auch wieder eine mir sehr bekannte Stimme war, dessen Quelle sich nur wenige Meter von uns zu befinden scheint. Es ist die von Hilley. Dort steht die bereits etwas ältere Frau in der von ihr gewohnten Kleidung. Neben ihr das Mädchen, was uns bereits einmal aus der Patsche geholfen hat. Ich meine mich daran zu erinnern, dass ihr Name Annabeth ist, obwohl sie zu ihrem eigenen Schutz einen Neuen angenommen hat. Wird sie uns wieder Wegteleportieren? Jetzt wo ich weiß, dass Hilley hier ist, um uns zu holen, breitet sich in mir eine Geborgenheit aus, die in der letzten Zeit so schrecklich vermisst habe. Freudig erregt renne ich regelrecht auf sie zu und schließe meine Arme um sie. Hilley tut es mir gleich. Ihre Arme umschlingen mich so fest, dass ich fast das Gefühl habe, dass sie mich nie wieder loslassen wird, doch dann tut sie es zu meinem Leidwesen doch und fragt: "Seid ihr bereit?" Alle nicken, doch bevor wir uns zur Teleportation bereit machen können, deutet sie auf Miles. Aria ergreift schnell das Wort: "Ach so, ja das ist Miles. Er kommt mit! Die restlichen Fragen beantworten wir später. Los jetzt!" Hilley ist damit jedoch nicht zufrieden und sieht uns misstrauisch an. Annabeth reicht die Antwort aber augenscheinlich, weshalb sie ihre Hände ausstreckt. Bevor Hilley noch weitere Fragen stellen kann, packt Aria Hilley und Miles an den Händen, während ich Miles und Annabeth eine Hand reiche. Annabeths letzte Hand wird in Hilleys gelegt, sodass sich ein Kreis bildet. Nur wenige Sekunden später sind wir verschwunden.